Nummer 503 - Mai 2016 | Paraguay

WIEDERWAHL TROTZ WIDERWILLEN

In Paraguay flammt die Debatte über die Möglichkeit einer Wiederwahl des Präsidenten neu auf

Seit dem Ende der Stroessner-Diktatur darf ein*e Präsident*in höchstens fünf Jahre regieren, eine Wiederwahl ist ausgeschlossen. Über die Parteigrenzen hinweg wird diese Regelung der Verfassung von 1992 als schädlich für das Land wahrgenommen, da dadurch längerfristige politische Programme kaum
realisiert werden können. Doch es herrscht Uneinigkeit darüber, wie und inwieweit die Verfassung geändert werden soll.

Von Carlos Peris & Thilo Papacek

„Wir müssen aufhören, über die Wiederwahl zu sprechen! Es wäre Zeitverschwendung für den Präsidenten, sich mit dem Thema zu beschäftigen, denn die Möglichkeit der Wiederwahl des Präsidenten wird von der Verfassung nicht erlaubt“, erklärte Präsident Horacio Cartes Anfang des Jahres gegenüber der Zeitung ABC Color. Damit zog er scheinbar einen demonstrativen Schlussstrich unter die neu aufgeflammte Debatte darüber, ob die Möglichkeit einer zweiten Amtszeit für den Präsidenten geschaffen werden sollte.
Die Wiederwahl des Präsidenten – das ist ein heikles Thema in Paraguay. Nach dem Ende der langen und blutigen Diktatur (1954-1989) unter dem Colorado-Parteigänger Alfredo Stroessner, sah sich diese kleine Republik vor der Herausforderung, dafür zu sorgen, dass sich Derartiges nicht wiederholt. Aus diesem Grund wurde in der Verfassung von 1992 festgelegt, dass das Mandat für das Präsidentenamt nur fünf Jahre dauern dürfe. Eine Wiederwahl des Präsidenten wurde explizit ausgeschlossen und die Macht der Exekutive gegenüber der Legislative stark eingeschränkt.
Die aktuelle Debatte um eine Wiederwahl ist nicht neu. Bereits während der Präsidentschaften von Nicanor Duartes Frutos (2003-2008) und des linken Fernando Lugo (2008-2012) diskutierte Paraguay vehement aber ergebnislos über eine entsprechende Verfassungsänderung. Bei Cartes, seit 2013 im Amt, könnte es anders ausgehen, viele trauen seiner eingangs zitierten Aussage nicht. Denn etliche seiner Parteigänger*innen der konservativen Nationalen Republikanischen Allianz – Colorado Partei (ANR-PC) werben offen für eine zweite Amtszeit Cartes‘. So integrierten bei den Gemeindewahlen im November letzten Jahres einige Colorado-Kandidat*innen auf ihren Wahlplakaten den Schriftzug „HC2018“ – Horacio Cartes soll 2018 erneut antreten dürfen.
Auch frühere Äußerungen Cartes‘ geben Anlass für Zweifel an der Ernsthaftigkeit seiner Ablehnung. So hatte sich der millionenschwere Unternehmer und jetzige Präsident zu Beginn seiner politischen Karriere noch ganz anders zu dem Thema geäußert. Kurz nachdem er 2011 zum neuen Präsidentschaftskandidaten der Colorados gewählt worden war, erklärte er, dass er kein Problem mit einer Wiederwahl des Präsidenten habe, „wenn er gut regiert hat und die Leute ihn wählen; wenn die Leute ihn wählen, dann bedeutet das doch was; man soll die Mehrheit respektieren.“ Damals hatten die Linken im Parlament den Vorstoß unternommen, um dem damals agierenden Präsidenten Fernando Lugo ein zweites Mandat zu ermöglichen; ansonsten, so die damalige Argumentation, könne er die angestoßenen Reformvorhaben nicht realisieren. Durch den kalten Putsch 2012, mit dem die Legislative den bei der armen Bevölkerung sehr beliebten ehemaligen Bischof Lugo im Expressverfahren und mit zweifelhaften Begründungen des Amtes enthob (siehe LN 457/458), erübrigte sich aber die Diskussion schnell wieder.
Die Mühelosigkeit, mit der die Legislative Präsident Lugo 2012 absetzte, demonstrierte eindrucksvoll deren Macht gegenüber der Exekutive. Damals beteiligten sich die Colorado-Abgeordneten und Senator*innen an der Absetzung des Präsidenten. Nun kommen Forderungen nach einer Verfassungsänderung aus dem Lager der Cartes-Anhänger*innen im Kongress. Am 14. Februar 2016 verkündete der Abgeordnete Carlos Núñez Salinas, dass die Colorado-Fraktion für September oder Oktober dieses Jahres planen, bei dem Abgeordnetenhaus eine Wiederwahl des Präsidenten zu beantragen. Es sei „ein Luxus für das Land und die Colorado-Partei“, über eine solche Regierung zu verfügen, die „keine Androhungen von keiner Seite fürchte“, erklärte Núñez Salinas gegenüber Última Hora.
Die Reden der Befürworter*innen einer zweiten Amtszeit im Kongress operieren mit den immer gleichen Argumenten: „Man muss eine gute Regierungsarbeit belohnen!“ oder „In fünf Jahren kann man Paraguay nicht verändern!“ oder „Das Volk bittet uns darum, dass wir weitermachen!“. Der einflussreiche Abgeordnete Alsimio Casco aus Concepción äußerte: „Horacio Cartes verdient die Wiederwahl, er macht eine gute Arbeit und saniert die maroden Finanzen, die seine Vorgänger hinterlassen haben.“ Was der Präsident mache, sei „für das Volk, für die Demokratie und für die Transparenz“, erklärte Casco gegenüber der ABC Color Angesichts der zahlreichen Hinweise auf Verbindungen von Cartes und seinen Geschäftspartner*innen zum Drogen- und Zigarettenschmuggel eine steile These.
Viele Beobachter*innen der paraguayischen Politik sehen in der aktuellen Ablehnung Cartes‘ nur politisches Kalkül. Sie erwarten, dass Cartes sich irgendwann – scheinbar widerwillig – den „Rufen des Volkes“ beugen werde, und eine zweite Amtszeit annehmen würde, wenn man ihm die Möglichkeit anböte. „Man solle die Mehrheit respektieren“, wie er schon 2011 sagte. Diese Haltung würde auch zur populistisch-konservativen Colorado-Partei passen, die seit ihrer Gründung 1887 beansprucht, die „einfachen Paraguayer“ zu vertreten.
Tatsächlich wären derartige Aspirationen auf eine Art Volkstribunat von Cartes keine Überraschung. Dass Cartes die politische Hegemonie im Land anstrebt, wurde schon bei den Kommunalwahlen im November 2015 mehr als deutlich: Damals kündigte er an, das Land „rot färben“ zu wollen, also in die traditionelle Farbe der Colorados. Er selbst bauschte die Kommunalwahl zu einem vermeintlichen Plebiszit über die Regierung auf.
Doch dieser Plan ging gründlich nach hinten los. Die Colorados verloren in den Kommunalwahlen wichtige Städte wie Asunción und Encarnación. Viele politische Beobachter*innen und Intellektuelle sehen darin den wahren Grund für Cartes‘ Rückzug von den Forderungen für eine zweite Amtszeit. So schrieb ABC Color nach den Wahlen: „Nach den Rückschlägen, die die ANR hinnehmen musste, negiert Cartes, jemals eine Wiederwahl angestrebt zu haben.“
Aus gänzlich anderen Gründen stimmen wichtige Sektoren der Linken in der Frage der Wiederwahl mit der Linie der Regierungsanhänger*innen überein – allerdings nicht, um Cartes eine zweite Amtszeit zu ermöglichen. Die parlamentarische Linke Paraguays hat sich seit dem Parlamentsputsch 2012 nicht wieder neu formiert und hängt immer noch von ihrer Galionsfigur Fernando Lugo ab. Der hat bereits angekündigt, erneut als Präsidentschaftskandidat antreten zu wollen. Ein wichtiger Punkt in Lugos Kampagne ist die Forderung nach einer neuen Verfassung. Hier liegt der prinzipielle Unterschied zu den Forderungen der Colorados: Diese wollen nur mittels eines Verfassungszusatzes eine zweite Amtszeit ermöglichen, während die parlamentarischen – und auch die außerparlamentarischen – Linken eine grundlegend neue Verfassung verlangen. Sie gehen also weit über die Forderungen nach einer zweiten Amtszeit hinaus und streben eher Verfassungsänderungen à la Bolivien oder Venezuela an.
Unter den traditionellen Widersachern der Colorados, der eher elitären Liberalen Partei, gibt es ebenfalls viele Kongressmitglieder, die sich für die Möglichkeit einer zweiten Amtszeit für den Präsidenten aussprechen. Allerdings betonte der Abgeordnete Amado Florentín, dass dies nicht zum Ende des jetzigen Mandats von Horacio Cartes im Schnellverfahren durchgeführt werden dürfe. „Die Verfassung muss bei allen Wahlfragen kategorisch eingehalten werden. Es fehlt die Zeit für eine notwendige umfassende Diskussion des Themas, man kann es nicht über einen einfachen Verfassungszusatz lösen“, erklärte er gegenüber dem paraguayischen Nachrichtenportal El País.
So gibt es über die Parteigrenzen hinweg eine große Zustimmung für die Ermöglichung einer Wiederwahl. Die Frage, an der sich alle Diskussionen entzünden, ist aber: Soll dies über eine Verfassungsreform oder einen Verfassungszusatz geschehen? Für die Colorados steht bei dieser Frage viel auf dem Spiel. Im Falle einer Verfassungsreform würden auch viele andere Wahlmechanismen zur Debatte stehen. Damit würde die traditionsreich verankerte Macht der Partei, die regelmäßig über 40 Prozent der Stimmen erhält, womöglich schwinden. Da es in Paraguay keine Stichwahl gibt, reichen diese 40 Prozent, um sich gegenüber den zersplitterten politischen Gruppierungen zu behaupten.
Wie sich die Judikative zu dem Thema verhält ist offen, dabei kommt ihr eine wichtige Rolle zu. Derzeit muss der Kongress über einen freigewordenen Platz im Obersten Gerichtshof entscheiden. Die drei Kandidat*innen auf den Platz, Miryam Peña, Emiliano Rolón und Linneo Ynsfrán, haben sich bei ihren Gesprächen vor dem Kongress nur sehr ausweichend zum Thema geäußert. Ynsfrán erklärte zum Beispiel, dass die Frage nach der Wiederwahl eine politische Frage sei und er sich deshalb hier zurückhalte. Die Lösung des Problems müsse aber eine juristische sein, die nach der politischen Entscheidung zu treffen sei. Wie er zu der Frage selbst steht, wird man also erst erfahren, wenn es soweit ist.
Würden sich die Colorados mit ihrer Haltung durchsetzen und die zweite Amtszeit über einen einfachen Verfassungszusatz ermöglichen, könnten sie ihre Machtbasis noch mehr verfestigen. Seit 1950 wird das Land von den Colorados regiert, abgesehen von der kurzen Unterbrechung durch Fernando Lugo. Dann würde das Land weiter regiert werden von einer kleinen Unternehmerclique um Cartes, die sich nur rhetorisch volksnah gibt. Die Kontrolle des Präsidenten durch die anderen Gewalten, wie es die Verfassung von 1992 eigentlich vorsah, könnte dadurch unmerklich erodieren. Schon jetzt bestimmen eher informelle Kreise aus Politik und Wirtschaft über die Politik des Landes als die verfassungsmäßigen Institutionen. Eine zweite Amtszeit Cartes‘ könnte diese Strukturen verkrusten lassen, mit unabsehbaren Folgen für die junge Demokratie Paraguays.
Eine echte Verfassungsänderung, die das Wahlsystem grundlegend reformieren und den weit verbreiteten Stimmenkauf eindämmen würde, hätte stattdessen demokratisierendes Potenzial. Denn die meisten Abgeordneten sind nicht wegen ihrer politischen Einstellung und Arbeit, sondern wegen ihrer Beziehungen zur wirtschafltichen Elite im Parlament. Damit weiß sich Paraguay natürlich in schlechtester Gesellschaft.

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