Guatemala | Nummer 393 - März 2007

„Wir arbeiten in vielen Fällen ehrenamtlich“

Interview mit Maria Pilar Ramírez, Geburtshelferin und Präsidentin der Bewegung der Hebammen

In Guatemala wird die große Mehrheit der Geburten fernab von Krankenhäusern und ÄrztInnen durch Hebammen betreut. Durch ihre Arbeit erscheint in der Statistik die Zahl der Gebiete hoch, die laut staatlichem Gesundheitssystem flächendeckend medizinisch versorgt sind. Doch die Hebammen erhalten von staatlicher Seite so gut wie keine Unterstützung während die oft mittellosen Familien sie nicht für ihre Dienste bezahlen können. Die Lateinamerika Nachrichten sprachen mit Maria Pilar Ramírez über ihre Arbeit und die Selbstorganisation der Hebammen im ländlichen Guatemala.

Susanne Schmitz

Maria Pilar, Sie sind ehrenamtliche Gesundheitspromotorin und Hebamme in dem ländlichen Bezirk Pochuta an der Boca Costa in Guatemala. Wie vielen Kindern haben Sie schon auf die Welt geholfen?

Insgesamt habe ich 84 Geburten betreut. Das ist nicht viel. Mein Schwerpunkt liegt in der Aus- und Fortbildung von Hebammen und GesundheitspromotorInnen, weswegen ich viele Patientinnen an Kolleginnen weitervermittele.

Aus welcher Motivation heraus haben Sie angefangen als Hebamme zu arbeiten?

Als ich begann, als Hebamme zu arbeiten, hatte ich bereits an einer Fortbildung für ehrenamtliche GesundheitspromotorInnen am staatlichen Gesundheitszentrum in meiner Gemeinde Pochuta teilgenommen. In diesem Kurs ging es unter anderem um die Betreuung einer Geburt. Eines Tages dann musste ich in meiner Gemeinde einer schwangeren Frau helfen. Das war für mich eine harte erste Erfahrung, denn nach sechs Monaten ist die Fruchtblase geplatzt und das Kind kam tot zur Welt. Doch von da an fingen die Leute an, mich aufzusuchen und gewannen mehr und mehr Vertrauen zu mir.

Konnten Sie sich später weiter als Hebamme fortbilden?

Außer der kurzen Ausbildung hat mir ein Buch sehr weitergeholfen, das mir eine Ordensschwester geschenkt hat: „Wo es keinen Arzt gibt“. Über die Organisation der Ordensschwestern habe ich dann die Vereinigung für Gesundheitsdienstleistungen auf Gemeindeebene ASECSA [ein landesweites Netzwerk bestehend aus 65 Basisgesundheitsorganisationen, Anm. d. Red.] kennen gelernt, wo ich an einer einjährigen Fortbildung für Hebammen teilnahm. Danach konnte ich die Frauen unserer Gemeinde noch besser betreuen.

Was gehört zu Ihren Aufgaben als Hebamme?

Die Arbeit einer Hebamme im ländlichen Raum schließt die vorgeburtliche Kontrolle, die Geburt selbst und zwei Wochen nachgeburtliche Betreuung samt Orientierung über die Pflege eines Neugeborenen mit ein. Wir pflegen täglich den Nabel des Kindes bis er nach drei bis vier Tagen abfällt und waschen das Baby in diesen vierzehn Tagen. Einige Hebammen haben auch die, wie ich meine, übertriebene Angewohnheit, in dieser Zeit die Wäsche der gesamten Familie zu waschen.

Können Sie etwas über die Bedingungen erzählen, unter denen Sie im ländlichen Raum arbeiten?

Bei uns im Bezirk gibt es vor allem Großgrundbesitz, keine Dorfgemeinschaften. Auf diesen Fincas haben meistens nur der Vorarbeiter, der Wächter und die, die im Büro arbeiten, Strom, alle Anderen nicht. Manchmal können wir bei einer Geburt nur mit Kerzen und Taschenlampen leuchten. Das Wasser kochen wir auf dem offenen Feuer ab. Einmal fingen sogar die Haare einer Frau, die die Kerze in der Hand hielt, an zu brennen.

Ein Großteil der Geburten wird in Guatemala durch Hebammen betreut. Wie unterscheidet sich Ihre Bezahlung von den Kosten, die bei der Betreuung einer Geburt im Krankenhaus oder einem staatlichen Gesundheitszentrum entstehen?

Hier in Guatemala werden 85 Prozent der Geburten von Hebammen begleitet, zehn Prozent der Kinder kommen in staatlichen Krankenhäusern zur Welt und circa fünf Prozent in privaten Krankenhäusern, wo eine Geburt mehr als 3000 Quetzales [ca. 300 Euro, Anm. d. Red.] kostet. Im Gesundheitszentrum von Pochuta werden gar keine Geburten betreut, dort werden nur die pränatalen Untersuchungen durchgeführt. Die dortigen Krankenschwestern sind mit Sprechstunden und Impfkampagnen beschäftigt. Wir Hebammen werden nicht immer von den Familien für unsere Dienste bezahlt, in vielen Fällen erhalten wir gar kein Geld. Wir haben Glück, wenn wir 100 oder 150 Quetzales [etwa zehn oder fünfzehn Euro, Anm. d. Red.] für eine Geburt bekommen. Wir können keine Bezahlung von völlig mittellosen Familien fordern. So arbeiten wir in vielen Fällen ehrenamtlich. Manchen Familien müssen wir sogar Babywäsche von unseren eigenen Kindern mitbringen, denn mitunter haben sie nicht einmal Kleidung für das Neugeborene vorbereitet.

Auch wenn Sie nicht direkt mit staatlichen Stellen zusammenarbeiten: Ist Ihre Tätigkeit irgendwie reglementiert?

Fast alle Hebammen haben einen Ausweis des Ministeriums. Dazu müssen sie jeden Monat an einem Treffen des staatlichen Gesundheitszentrums in ihrem Bezirk teilnehmen. Sobald sie einmal fehlen, wird ihnen der Ausweis entzogen. Aber eine Hebamme hat eben keinen geregelten Arbeitsrhythmus, immer kann eine Patientin dazwischenkommen. Das wollen die vom Gesundheitszentrum nicht verstehen. Nur mit dem Ausweis dürfen wir arbeiten und den Geburtsbericht unterschreiben, der dann bei der Anmeldung des Kindes vorgelegt werden muss. Der Staat fordert unsere Anwesenheit bei den Treffen, damit wir die Arbeitserlaubnis bekommen, aber er unterstützt uns in keinster Weise mit Aus- oder Fortbildungen oder mit einer Grundausstattung.

Wird Ihr wichtiger Beitrag zur Geburtenbetreuung und Gesundheitsversorgung öffentlich anerkannt?

Nein. Wir werden als Hebammen trotz der enormen Arbeit, die wir durchführen, vom Gesundheitsministerium und vom staatlichen Gesundheitssystem überhaupt nicht wertgeschätzt, im Gegenteil. Wenn sich zum Beispiel der Nabel des Kindes entzündet, ist gleich die Hebamme schuld. Und wenn das Kind oder die Mutter stirbt, entziehen sie der Hebamme ihren Ausweis.
Ein weiteres Problem ist die Pathologisierung der Geburt von Seiten des staatlichen Systems: Wenn eine Frau auch nur kleine Komplikationen hat, schickt das Gesundheitszentrum sie ins weit entfernte Krankenhaus. Und dort wird viel zu häufig ein Kaiserschnitt durchgeführt. In etlichen Fällen wäre dies aus unserer Sicht gar nicht nötig. Eine Hebamme kann zum Beispiel durch Massage die Position des Kindes noch ändern.

Sie sind Präsidentin der Bewegung der Hebammen. Warum haben Sie sich in dieser Form zusammengeschlossen?

Viele Hebammen sind nicht organisiert, sie arbeiten in ihren Gemeinden ohne Anbindung an eine Institution und arbeiten nur mit dem lokalen Gesundheitszentrum zusammen. 1998 haben wir hier in ASECSA mit den Treffen der Hebammen angefangen, damit wir über eine Organisation Einfluss auf die Entscheidungen der Regierung nehmen können. Die Bewegung setzt sich aus Hebammen der Mitgliedsorganisationen von ASECSA zusammen. Selbstverständlich sind wir auch offen für Hebammen, die keinem Partnerprogramm angehören, aber bis jetzt sind wir alle mit einem Mitgliedsprojekt verbunden. ASECSA unterstützt uns bei den Fahrtkosten, damit wir zweimal im Jahr Treffen zum Erfahrungsaustausch organisieren können. Im Oktober haben sich hier 45 Hebammen aus dem ganzen Land getroffen. Das ist natürlich eine geringe Anzahl. Allein in Pochuta, einem Bezirk mit 13.000 EinwohnerInnen, sind wir 32 Hebammen.
Für uns ist es wichtig, zusammenzuarbeiten. Nur so können wir etwas erreichen. Unsere Ziele sind dabei, dass die Arbeit der Hebammen anerkannt wird und dass wir von Seiten der Regierung wenigstens eine Grundausstattung für die Geburtsbetreuung bekommen. Denn das staatliche System ist völlig auf uns angewiesen, sie könnten niemals alle Geburten betreuen. Dazu kommt das Problem, dass es keine Medikamente und Ausstattung gibt. Ein anderes Ziel ist, eine kleine staatliche Pension für Hebammen durchzusetzen. Aber wir stehen noch ganz am Anfang.

Wo sehen Sie die größten gesundheitlichen Probleme auf dem Land in Guatemala, speziell von Frauen?

Die Frauen in Guatemala haben kaum Zugang zu Gesundheitsleistungen. Sie werden sozialisiert, im Haus zu bleiben und für die Kinder zu sorgen. Frauen suchen das Gesundheitszentrum oder die Hebammen eigentlich nur auf, wenn sie schwanger sind oder wenn ihre Kinder krank sind. Wenn sie selber krank sind, versuchen sie, es auszuhalten und sich mit einem Tee selbst zu kurieren. Ihr ganzes Leben lang sind Frauen zuerst ihrem Vater und dann ihrem Ehemann untergeordnet.

Spielt diese gesellschaftliche Unterordnung der Frau auch eine Rolle bei der wachsenden Verbreitung von HIV/AIDS in Guatemala?

Ja. Frauen haben mit der Untreue ihrer Männer zu kämpfen. Jetzt sehen wir uns mit dem HIV/AIDS-Problem konfrontiert, auch in Pochuta. Viele Frauen sind von ihren eigenen Ehemännern infiziert worden. Nicht alle mit HIV, aber mit anderen sexuell übertragbaren Krankheiten.
Ein weiteres Problem ist, dass es keine adäquate Sexualerziehung gibt. Die Mädchen und Jungen haben einfach überhaupt keine Ahnung von Empfängnisverhütung oder sexuell übertragbaren Krankheiten, geschweige denn vom Schutz vor HIV/AIDS. Es ist ein Tabu, die Eltern sprechen nicht mit ihren Kindern über diese Fragen. Konsequenzen sind Risiko-Schwangerschaften bei 13- und 14-jährigen Mädchen, sexuell übertragbare Krankheiten und geheime Abtreibungen.
Im Zuge des HIV/AIDS-Aufklärungsprojektes, das wir dieses Jahr durchgeführt haben, haben wir Veranstaltungen in den Dörfern organisiert. Die in dem Projekt ausgebildeten MultiplikatorInnen halten Info-Veranstaltungen auf den Fincas und in den Ortsteilen von Pochuta und den angrenzenden Bezirken sowie in Schulen ab. Denn Informationsarbeit ist für uns Präventionsarbeit.

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