Nummer 391 - Januar 2007 | Queer

„Wir haben keine Linie, wir sind reine Kurven“

Das Frauen-Lesbenkollektiv Mujeres Creando in Bolivien

Mujeres Creando ist ein 1992 in La Paz gegründetes feministisch-antirassistisches Frauenkollektiv, in dem lesbische wie heterosexuelle, indigene wie weiße, akademische wie proletarische Frauen gemeinsam aktiv sind. Anstatt etwa als und für lesbische oder indigene Frauen Politik zu machen, zielen ihre Texte und Aktionen auf die Demontage der patriarchalen, homophoben und rassistischen Klassengesellschaft. Sie versuchen einer Frauen-Identitätspolitik, die Unterschiede nivelliert, genauso zu entgegen zu wirken wie einer Politik, die über die Anerkennung von Differenzen nicht hinausgeht. Ein Porträt.

Jens Petz Kastner

Auch aus der Rippe von Evo wird keine Eva entstehen.“ So kommentierte María Galindo von Mu­jeres Creando die Wahl von Evo Morales zum Staatspräsidenten Boliviens im Dezember 2005. Sowohl in Morales’ Wahlkampf als auch in seiner Partei Bewegung zum Sozialismus (MAS) würden Frauen bloß eine marginale Rolle spielen.
Doch auch von indigenen Frauen­organisationen und akademischen „Gender-Technokratinnen“ erwarten Mujeres Creando nicht viel: Auch diese nähmen Frauen nur als Mütter oder „Partnerinnen von“ wahr, und nicht als politische Subjekte, so Galindo weiter. Unter „Gender-Technokratinnen“ versteht sie jene Frauen, die in NGOs die Interessen internationaler Organisationen ausführen und sich zu Erfüllungsgehilfinnen falsch verstandener Entwicklungsprojekte machen lassen würden. Die feministische Fundamentalkritik ist seit nunmehr vierzehn Jahren die Sache der Mujeres Creando aus La Paz.
Das Frauenkollektiv produziert jedoch nicht nur Texte. Mujeres Creando veranstalten Workshops, betreiben ein eigenes Frauenhaus namens Virgen de los deseos (Jungfrau der Wünsche) und zwei Homepages. In La Paz berüchtigt und in Westeuropa bekannt geworden sind sie allerdings vor allem durch ihre Interventionen im öffentlichen Raum.
Indigene Frauen aus bäuerlichen Familien des Hochlandes, Sexarbeiterinnen und weiße, akademische Städterinnen sind in dem Kollektiv gemeinsam aktiv. Zwar haben diese Frauen verschiedene Marginalisierungen erfahren und scheinen zunächst nicht viele Gemeinsamkeiten zu haben. Doch die Stigmatisierung als Frauen und der Wunsch, gemeinsame Räume mit „komplexen Formen der Interaktion“ zu schaffen, seien hinreichend verbindende Elemente, meint Galindo.

Lob der Straße

In Graffitis und mit recht spektakulären Performances greifen Mujeres Creando verschiedene frauenspezifische Themen auf. Aber auch gegen die Präsidentschaft Hugo Banzers (1997-2002), der von 1971 bis 1978 als Militärdiktator die Repression gegen Oppositionelle zu verantworten hatte, fanden Aktionen statt. Oder gegen den Neoliberalismus, der mit verschiedenen Privatisierungsoffen­siven seit 1985 in Bolivien installiert wurde.
Dabei beharren die Feministinnen darauf, mit ihren Performances keine Kunst, sondern Politik zu machen. Die Kunstwelt sei ein gesellschaftlicher Bereich des Erlaubten. Ihre Performances aber stehen im Kontext einer Strategie des Ungehorsams. Denn unter Politik verstehen sie weit mehr als die repräsentative Demokratie zulässt. Ihre Aktionen richten sich ganz allgemein gegen den Rassismus der bolivianischen Gesellschaft, gegen Homophobie und Klassendünkel. Für diesen Kampf sei die Straße der beste Ort.
Werden die Differenzen innerhalb der Gruppe nicht besonders hervorgehoben, führen sie in der Öffentlichkeit durchaus Aktionen durch, die etwa spezifisch lesbische Anliegen vermitteln. Die Unterschiede zwischen uns Frauen seien von Beginn an Thema gewesen, hebt eine Mitbegründerin des Kollektivs, Julieta Ojeda, hervor. Und zwar zunächst auf einer ganz grundlegenden Ebene: Sichtbarmachen, dass es sie gibt. In einer Innenstadtaktion liegen zwei Frauen einfach in einem großen Bett und geben sich dabei ganz offensichtlich als Liebespaar zu erkennen. Wie alle Performances der Mujeres Creando rief auch die­se sehr heftige Ablehnungen der männlichen Passanten – aber nicht nur dieser – hervor. Allein die Thematisierung der Unterschiede richtet sich laut Ojeda schon gegen die „extrem rassistische, homophobe Macho-Gesellschaft“.
Differenzen zu benennen bedeutet jedoch für Mujeres Creando nicht, sie zu bejahen. Im Gegenteil: In dem ärmsten Land Lateinamerikas mit dem höchsten Anteil indigener Bevölkerungsgruppen scheint der antirassistische Kampf zugleich einer um soziale Gleichheit zu sein. In Straßenaktionen konfrontieren sie so auch bürgerliche Frauen mit ihrer Abneigung gegen indigene Frauen.
In ihrem Lob der Straße kommt einerseits ihre anti-repräsentative Haltung zum Ausdruck. „Ich bin keine Sprecherin von irgendjemandem,“ schreibt Galindo, „nicht einmal die Stimmen meiner Schwestern, der Frauen von Mujeres Creando, kann ich vertreten.“ Zwar lautet einer der an die Wände der Stadt gesprühten Sprüche „Indias, Huren und Lesben: Vereint, anders herum und verschwestert.“ Ein übergeordneter Vertretungsanspruch erwächst daraus aber nicht, „jede schafft ihre eigene Sprache und spricht für sich selbst“, so Galindo. Andererseits liegt ihrem Lob der Straße ein sehr emphatisches Verständnis dieses Raumes zu Grunde. Die Straße sei nicht nur der Ort, an dem von jeher politische Basiskämpfe ausgetragen werden. Die Straße besitze auch einen ganz eigenen „Rhythmus“. Ein Beispiel dafür ist für sie der von Frauen organisierte Schwarzmarkt, auf dem mit gefälschten Markenprodukten der Politik der transnationalen Konzerne getrotzt würde. Dass ihre Aktionen auch auf Canal 7 im bolivianischen Fernsehen gezeigt wurden, widerspricht dem programmatischen Faible für die Straße nicht. „Das Fernsehen“, schreibt María Galindo in einem Sammelband zu Theorien der Öffentlichkeit, „ist eine Straße, die den privaten Raum durchquert. Das Fernsehen ist ein öffentlicher Ort. Und deshalb bringen wir uns ins Fernsehen mit derselben Sprache ein, mit der wir auch die Straße in Beschlag nehmen.“

Das ganze Paradies

Mujeres Creando konfrontieren aber nicht nur die weiße Oligarchie mit deren kulturellen und sozialen Ausschlüssen auf den Straßen von La Paz. Sie muten diese Konfrontation auch der indigen-linken Regierung zu. So übten sie beispielsweise Kritik an der Wahl zur Verfassungsgebenden Versammlung am 2. Juli 2006, die den Prozess der „Neugründung Boliviens“ unter Morales einleiten soll. Durch das Wahlgesetz sei weder eine direkte Repräsentation der sozialen Bewegungen vorgesehen, so Galindo auf der Mujeres Creando-Homepage, noch seien die „Exilierten des Neoliberalismus“ berücksichtigt: BolivianerInnen, die in Argentinien, Brasilien, Spanien oder den USA lebten und zu einer wichtigen Stütze der bolivianischen Wirtschaft geworden seien.
Auch an der parlamentarischen Quotenregelung, die 30 Prozent der Parlamentssitze für Frauen vorsieht, üben Mujeres Creando immer wieder scharfe Kritik. Die Quote, die in der neoliberalen Ära eingeführt und von der indigen-linken Regierung übernommen wurde, basiere nur auf dem biologischen Frau-Sein und nicht auf Inhalten. Es sei nicht einzusehen, warum Frauen andere Frauen nur aufgrund der Biologie repräsentieren sollten. Außerdem halte die Quote Frauen davon ab, sich außerhalb gemischter Gruppen und außerhalb der Parteien autonom zu organisieren. In einer ihrer Graffiti-Parolen zusammengefasst, lautet die Forderung der Mujeres Creando: „Wir wollen das gesamte Paradies, nicht 30 Prozent der neoliberalen Hölle.“
Trotz oder gerade wegen ihrer klaren Haltung zur Quote, einem Dauerbrenner hitziger feministischer Debatten, ist der Feminismus der Mujeres Creando in westeuropäisch-nordamerikanische Kategorien schwer einzuordnen. „Wir haben keine Linie“, heißt es in einem für die österreichische Kunst-Zeitschrift Bildpunkt verfassten Text, „wir sind reine Kurven“. Dieser Titel persifliert nicht nur die diversen Parteilinien. Er deutet zudem den Kampf um die Rückeroberung der Körper an. Diese starke Bezugnahme auf den eigenen Körper, verbunden mit dem ideologiekritischen Angriff auf dominante Körpernormen – in einer Performance befreien sich Frauen aus einem mit Barbie-Puppen verknüpften Fadengestrüpp – erinnert stark an den Feminismus der zweiten Frauenbewegung in Nordamerika und Westeuropa. Im Gegensatz zu diesen Strömungen der späten 1960er und 1970er Jahre aber setzen die Mujeres Creando weniger auf Identitätspolitik. Eine gemeinsame Identität, ein „Wir Frauen“, wird – außer in den Diskriminierungserfahrungen als kleinster gemeinsamer Nenner – nicht behauptet.

Verschränkungen

Trotz der Abgrenzung zu den NGO-Frauen, in der sich die in ganz Lateinamerika vorherrschende Spaltung von institutionalisierten, eher akademischen und bewegungsorientierten, tendenziell proletarischen Frauenbewegten spiegelt, setzen auch die Mujeres Creando auf gegenseitige Bereicherung. Im genannten Theorieband formuliert Galindo das so: „Um Identitäten und subversive Heterogenitäten zu konstruieren, muss ich meine Differenzen, meine Geschichten, meine Schmerzen und meine Talente mit ‚der Anderen‘, die sich von mir unterscheidet, ergänzen, erstreiten und vermischen.“
In ihren Aktionen und Texten beschreiben die Feministinnen immer wieder die Verschränkungen geschlechtlicher, sexueller, ethnischer und klassenstruktureller Herrschaft. Zum Ausdruck kommt dabei ebenfalls, dass die Kämpfe dagegen auch dementsprechend Hand in Hand gehen sollten. So stimmen die Feministinnen auch grundsätzlich mit der vom MAS angestrebten Dekolonisierung des Landes überein. Ohne die Depatriarchalisierung allerdings sei diese nicht möglich.

Mujeres Creando-Performances sind auch zu sehen in der Sendung an.schläge TV auf dem Wiener Sender Okto. Weitere Informationen:
www.mujerescreando.org

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren