Mexiko | Nummer 404 - Februar 2008

„Wir können viel vom Mut der Zapatistinnen lernen“

Interview mit Nikola Siller, Teilnehmerin des „I. Treffens der zapatistischen Frauen mit den Frauen der Welt“ im mexikanischen Chiapas

Vom 29. bis 31. Dezember 2007 fand in La Garrucha, Chiapas, das „I. Treffen der zapatistischen Frauen mit den Frauen der Welt“ statt. Nikola Siller, Politikwissenschaftlerin und Mitarbeiterin des Bildungsvereins Zwischenzeit e.V. in Münster, hat daran teilgenommen. Mit ihr sprachen die Lateinamerika Nachrichten über das Treffen, die Veränderungen der Geschlechterrollen in der Bewegung sowie die Errungenschaften und Ziele der aufständischen Frauen.

Interview: Luz Kerkeling

Sie haben an dem internationalen Frauentreffen der Zapatistinnen teilgenommen. Wie kam es zu dem Treffen?

Den Wunsch nach einem zapatistischen Frauentreffen gab es seit Jahren. Der konkrete Vorschlag kam von den Zapatistinnen selbst, nachdem die mexikanische und internationale Zivilgesellschaft auf dem „I. Treffen der Zapatistas mit den Völkern der Welt“ vor einem Jahr deutlich machte, dass sie ein großes Interesse an der spezifischen Situation der indigenen Frauen in Chiapas sowie an der Rolle der Zapatistinnen in der Bewegung und den Veränderungen seit dem Aufstand von 1994 gibt.

Wie können wir uns die Arbeitsweise des Treffens vorstellen?

Rund 150 delegierte Zapatistinnen aus den fünf autonomen Verwaltungszentren berichteten im überfüllten Auditorium, in dem nur Frauen Rederecht hatten, ausführlich von ihrer Arbeit. Das allein ist schon revolutionär. Vor einigen Jahren war es noch undenkbar, dass die Frauen selbstbewusst auftreten und ihre Stimme erheben. Bemerkenswert finde ich ebenfalls, dass auch Frauen das Wort ergriffen, die nicht besonders gut Spanisch sprechen und Wert darauf gelegt wurde, dass sich möglichst viele beteiligen. Die Vorträge über die von Region zu Region teilweise sehr unterschiedlichen Erfahrungen mit der Autonomie waren für die Zapatistinnen selbst und ihr Vorankommen sehr wichtig. Der Zivilgesellschaft wurde die Möglichkeit gegeben, die Kämpfe der zapatistischen Frauen aus erster Hand kennenzulernen, Fragen zu stellen und von den eigenen Kämpfen zu berichten.
Durch alle Wortbeiträge zog sich eine klare antikapitalistische Position. Immer wieder betonten die Rednerinnen, dass es bei ihrem Kampf nicht um Unterschiede zwischen Indígenas und Nicht-Indígenas, Frauen und Männern oder Hetero- und Homosexuellen ginge, sondern um die Überwindung des kapitalistischen Systems und des Parlamentarismus, der nur im Sinne der Ausbeuter agiere.

Welche Themen standen auf der Tagesordnung?

Ein wichtiges Thema war die Frage, wie das Leben früher war, vor dem Aufstand von 1994, und wie es heute ist. Die Frauen erläuterten die seit 1994 erkämpften Fortschritte und schilderten die Schwierigkeiten, die es in der Selbstorganisation gegeben hat, weil viele von ihnen Analphabetinnen waren und als indigene Frauen auf keine Tradition der politischen Partizipation zurückgreifen konnten. Sie bezeichneten einige Traditionen als „schlechte Traditionen“, die es abzuschaffen gelte. Seit der Durchsetzung des von ihnen erkämpften „revolutionären Frauengesetzes“ können die Frauen selbst entscheiden, ob und wen sie heiraten, ob, und wenn ja, wie viele Kinder sie bekommen möchten. Bemerkenswert finde ich, dass die Erziehung der Kinder durch die Mütter als Politikum gewertet wird und den anderen Aufgaben gleichgestellt ist. Sie haben heute zudem das Recht, sich an allen Arbeitsbereichen zu beteiligen, die für die Selbstorganisation der Bewegung wichtig sind.
Den Aufbau der Autonomie bezeichneten sie als einen langwierigen und problematischen Prozess, weil er inmitten eines Krieges stattfand, den die Regierung und die Paramilitärs gegen die Indígenas vorangetrieben haben. Dieser „Krieg niederer Intensität“ umfasst ständige Einschüchterungen, Repression, Bedrohung, Morde, Verfolgung, Räumung von autonomen Dörfern und hält bis heute an.
Das Thema Land war ebenfalls wichtig. Früher haben viele Indígenas für die Großgrundbesitzer gearbeitet. Sie wurden wie Sklaven behandelt. Für die Frauen bedeutete dies Missbrauch und Vergewaltigung. Es war normal, dass die jungen Frauen vor ihrer Hochzeit vergewaltigt wurden, viele haben auch Kinder von den Großgrundbesitzern bekommen. Durch die Landbesetzungen sind die Zapatistas heute nicht mehr darauf angewiesen, für die Großgrundbesitzer zu arbeiten. Dadurch hat sich die Situation der Frauen erheblich verbessert. Sie betonten, dass sich ihr Leben insgesamt erheblich verbessert hätte, auch wenn es zwar noch immer viele Schwierigkeiten gebe und sich ihre Unterdrückung als Frauen nicht aufgelöst habe.

In welchen Bereichen der Bewegung partizipieren die Frauen heute?

Heute arbeiten die Frauen in allen Bereichen mit, als Guerilleras und Kommandantinnen der zapatistischen Befreiungsarmee EZLN, als Autoritäten der zivilen Selbstverwaltungsräte und anderer Gremien, als Promotorinnen in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Agrarökologie und Kollektivarbeit sowie als Beauftragte für Rechtsangelenheiten. Einige Frauen haben als Teil der politischen Führung der EZLN im Rahmen der „Anderen Kampagne“ weite Teile Mexikos bereist. Die „Andere Kampagne“ ist eine zivile mexikoweite Mobilisierung der EZLN, die eine neue antikapitalistische Verfassung von unten und von links erarbeiten und durchsetzen will.

Gab es auch Kritik gegenüber den eigenen compañeros?

Ja, insbesondere die Frauen aus Oventic und Morelia richteten kritische Worte an ihre männlichen Genossen. Sie kritisierten die noch immer vorkommende häusliche Gewalt und Benachteiligung innerhalb der Bewegung. Sie unterstrichen jedoch stets, dass es den zapatistischen Frauen nicht darum gehe, gegen die Männer zu arbeiten, sondern sich als Frauen in der Bewegung zu organisieren und gemeinsam mit ihren compañeros für die Autonomie der indigenen Gemeinden und eine antikapitalistische Verfassung zu kämpfen.

Es kamen auch viele Männer zu dem Treffen. Wie können wir uns ihre Teilnahme vorstellen? War sie unumstritten?

Die Zapatistinnen hatten explizit auch männliche Genossen eingeladen, die aber zu schweigen und den Frauen zuzuhören hatten. Die Zapatistinnen waren nicht zimperlich, wenn es darum ging, Männer aus dem Auditorium zu werfen, die diesen exklusiven Frauenraum auf dem Treffen nicht respektierten. So unsensibel waren im Übrigen nur einige zugereiste Männer der mexikanischen und internationalen Zivilgesellschaft.
Den Männern wurde auf unübersehbaren Plakaten ihr Platz auf diesem Treffen zugewiesen: Sie sollten kochen, sich um die Kinder kümmern, Müll beseitigen und Feuerholz holen – eine absolute Umkehrung der Rollenverteilung. Mindestens drei Essensstände wurden dann auch tatsächlich ausschließlich von Männern betreut. Wer schon einmal in Chiapas war, weiß, dass dies als revolutionär zu betrachten ist.
Interessant zu beobachten war, dass viele zapatistische Männer vom Rande des Versammlungsraums aus den kritischen Worten der Frauen über Stunden konzentriert zuhörten.

Aus welchen politischen Spektren stammten die Teilnehmerinnen und wie fand der Austausch untereinander statt?

Die rund 3.000 Teilnehmerinnen kamen aus unterschiedlichen Zusammenhängen und bildeten ein breites Spektrum ab. Neben den Zapatistinnen waren Frauen aus anderen bedeutenden sozialen Kämpfen Mexikos, wie zum Beispiel der Gemeindefront zur Verteidigung der Erde FPDT aus Atenco oder der Volksversammlung der Völker von Oaxaca APPO angereist.
Sehr präsent zeigte sich Vía Campesina, ein Zusammenschluss, in dem über 160 kleinbäuerliche Bewegungen weltweit organisiert sind. Es sprachen Delegierte aus Guatemala, Brasilien, Ecuador, Nicaragua, Kanada, Korea und Frankreich. Schwerpunkte waren Repression, die katastrophalen Auswirkungen der globalen kapitalistischen Politik und die durch mehrfache Unterdrückung geprägte Situation der Frauen. Vereinend war der Wille und die Entschlossenheit, sich über die Kontinente und Grenzen hinweg zu organisieren, um gemeinsam eine andere, bessere Welt aufzubauen. Austausch und Vernetzung fanden in den wenigen Pausen zwischen den arbeitsintensiven Plena und dem allabendlichen, ebenfalls sehr interessanten Kulturprogramm statt.

Bei ihren Abschlussreden drückten mehrere Kommandantinnen der EZLN ihre große Zufriedenheit mit dem Treffen aus. Teilen Sie diese Einschätzung?

Es war ein großartiges und sehr bewegendes Treffen. Die Fortschritte der zapatistischen Frauen sind sicht- und spürbar, in immer mehr Bereichen – auch in leitenden Positionen – sind sie präsent und übernehmen Verantwortung.
Besonders die jungen Zapatistinnen der dritten Generation traten mit einem ganz neuen Selbstbewußtsein auf. Sie reklamierten auf dem Treffen neben dem Anspruch auf Partizipation in allen Bereichen auch ihr Recht auf ein glückliches und erfülltes Leben, eine Forderung, die vor wenigen Jahren noch vollkommen ausgeschlossen gewesen wäre. Sie bekamen enormen Applaus für ihre offensiven Ausführungen. Dieser Beifall hat die zapatistischen Männer sichtlich beeindruckt. Das Treffen hat somit nicht nur internationale Frauenaktivistinnen zusammengebracht, sondern auch vor Ort klare Spuren hinterlassen.
Auch wenn der Kampf der zapatistischen Frauen weit von hiesigen Kämpfen entfernt ist: wir alle können viel von ihrem Mut, ihrer Entschlossenheit und ihrer Ausdauer lernen.

Quellen im Internet
Alle Redebeiträge des Treffens finden sich unter:
http://zeztainternazional.ezln.org.mx/
Artikel und Fotos: http://chiapas.indymedia.org

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