Land und Freiheit | Nummer 413 - November 2008

„Wir sind alle in Gefahr“

Interview mit Mónica Toimil, Produzentin des Dokumentarfilms Desterrados

Mónica Toimils Bruder César wurde am 29. November 2005 ermordet. Darufhin kehrte sie in ihr Dorf in Oaxaca zurück. Im Film Desterrados hat sie das Schicksal ihres Bruders dokumentiert. Die LN sprachen mit Mónica über die Bedeutung dieses Dokumentarfilms, ihren Kampf gegen die Straflosigkeit in Mexiko und die Notwendigkeit internationaler Aufmerksamkeit, um ihr Leben und das ihrer Familie zu schützen

Helen Rupp

Desterrados ist der erste Film, den du produziert hast. Was hat dich motiviert, diesen Dokumentarfilm über das Schicksal deines Bruders, César Toimil, und seine Organisation CROCUTM zu drehen?
Die Ermordung meines Bruders vor drei Jahren hat mein Leben komplett verändert. Zuerst dachte ich daran, eine Biographie Césars zu schreiben, um mit meiner Trauer fertig zu werden und um die Verleumdungen gegen ihn, etwa dass er ein Drogenhändler gewesen sei, zu widerlegen. Ich wollte zeigen, was er in seinem Kampf für die Rechte der Landbevölkerung in den Bundesstaaten Oaxaca und Veracruz alles erreicht hatte. Seine Organisation CROCUTM hat viele Fälle von unrechtmäßigem Landraub gelöst, aber nie ihre Arbeit dokumentiert. Ich wollte eine Art Protokoll der von CROCUTM gelösten Fälle erstellen. Als ich die Mitglieder über ihre Organisation und meinen Bruder befragen wollte, meinte eine Freundin „warum filmst du die Interviews nicht?“ Ich habe mir nie vorgestellt, dass daraus so ein Film werden würde, wie er jetzt entstanden ist.

Dein Bruder hat mit seiner Organisation CROCUTM für die Landrechte von Kleinbäuerinnen und -bauern in Oaxaca und Veracruz gekämpft. Was sind die Ursachen für die Landkonflikte in dieser Region?
In unserer Region in Oaxaca gibt es vor allem einen mächtigen Kaziken, Margarito Montes Parra, der die Menschen von ihrem Land vertreibt. Entweder eignet er es sich unter dem Vorwand an, dass die Landtitel der kleinbäuerlichen Besitzer nicht in Ordnung seien. Oder er überfällt Dörfer mit angeheuerten Söldnern, so dass die Menschen aus Angst ihr Land verlassen. Das Land wird danach nicht einmal wirtschaftlich genutzt. Oft folgt ein absurdes Geschäft mit der Regierung. Nachdem Margarito sich das Land unrechtmäßig angeeignet hat, bekommt er eine Entschädigung, falls er es nach langen Rechtsstreiten den Eigentümern wieder zurückgibt. Und diese Entschädigung wird dann halbe halbe mit der Regierung geteilt.
César hat immer wieder auch bewaffnete Rückeroberungen dieser Ländereien organisiert. Wie stehst du dazu?
Ich erkenne die Arbeit meines Bruders an. Der bewaffnete Kampf war das letzte Mittel für César und seine Leute, nachdem sie alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft hatten, ihr Land zurück zu bekommen. Die Behörden reagieren nicht, wenn Rechtsverletzungen angezeigt werden und lassen damit zu, dass es zur extremen Zuspitzung der Situation kommt. Nachdem die Leute zu den Waffen gegriffen haben, haben die Behörden mit ihnen verhandelt. Das war schon ein Erfolg.

Durch seine Arbeit hat sich César zum persönlichen Feind Margaritos gemacht. Gibt es Zeugen für den Mord an deinem Bruder und dafür, dass Margarito den Auftrag dazu gegeben hat?
Mein Bruder wurde um halb sechs Uhr nachmittags auf einem von vielen Fischern befahrenen See erschossen. Das heißt es gibt zahlreiche Zeugen, aber sie würden zu dem Fall nie aussagen, aus Angst selbst umgebracht zu werden. Der Zeuge, der ein Gespräch in einer Kneipe gehört hatte, bei dem Margarito einigen Männern Geld anbot, wenn sie César umbringen, und mit ihnen die Abmachung dazu traf, wurde selbst in der Zwischenzeit ermordet.

Nach dem Tod deines Bruders habt ihr Anzeige gegen die Mörder erstattet. Inzwischen sind drei Jahre vergangen. Was ist passiert?
Die Behörden haben den Fall völlig verschleppt. Seit einem Jahr liegen nun endlich die Haftbefehle vor, aber sie werden einfach nicht ausgeführt. Wir haben uns schließlich an die Menschenrechtsombudsstelle gewandt. Und nachdem unser Film einen internationalen Preis gewann, haben sie uns einen Brief geschrieben. Sie hätten dem Staatsanwalt ein Ultimatum gestellt, die Haftbefehle auszuführen. Aber was zählt schon ein Ultimatum der Menschrechtsombudsstelle? Manchmal haben wir das Gefühl, gegen Windmühlen zu kämpfen. Margarito und seine Leute sind mächtig und haben große finanzielle Mittel.

Durch die Produktion des Dokumentarfilms und als Vorsitzende von CROCUTM hast du dich nach der Ermordung deines Bruders von deiner Familie besonders der Öffentlichkeit ausgesetzt. Wie gefährlich ist deine Arbeit?
Wir sind alle in Gefahr. Wir sind die erste Familie, die sich nach dem Mord an einem Angehörigen entschlossen hat, im Dorf zu bleiben. Meine Familie lebt mit Leibwächtern und wenn ich bei ihnen in Mexiko bin, gehe ich kaum aus dem Haus. Ich habe auch schon Todesdrohungen erhalten. Eine Anzeige gegen Margarito in Jalapa (Hauptstaat des Bundesstaates Veracruz, Anm. d. Red.) ging verloren, weil wir nicht zur erneuten Aussage hinfahren konnten. Zu der Zeit ist uns ständig jemand gefolgt, so dass es zu gefährlich gewesen wäre.

Wie können wir in Deutschland als Solidaritätsbewegung aktiv werden?
Ich habe das Gefühl, dass die einzige Möglichkeit mich und meine Familie zu schützen, internationale Aufmerksamkeit ist. Deshalb möchte ich den Dokumentarfilm an möglichst vielen Orten zeigen, um den Fall bekannt zu machen.

MÓNICA tOIMIL
ist Vorsitzende des Regionalen Rates der Stadt-und Landarbeiter Mexikos CROCUTM. Diese Organisation hatte ihr Bruder gegründet, um für die Landrechte der bäuerlichen Bevölkerung im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca zu kämpfen. Nach der Ermordung ihres Bruders kehrte Mónica Toimil aus Deutschland, wo sie mehrere Jahre als Tänzerin und Tanzlehrerin gearbeitet hatte, nach Oaxaca zurück.

KASTEN:
Der Mexikanische Dokumentarfilm Desterrados
Seit mehr als zwanzig Jahren werden die Bauern von Cuenca del Papaloapan im Staat Oaxaca mit Wissen der Regierung ermordet oder von ihrem Land vertrieben. Ende der 1980er-Jahre beginnt der Sozialaktivist César Toimil mit seiner Organisation CROCUTM dagegen zu kämpfen. Zusammen mit vier weiteren Männern wurde er am 29. November 2005 von einem mächtigen Kaziken ermordet.
Desterrados („Verbannte“) berichtet über die Situation im ländlichen Mexiko. Der Film ergründet die Probleme der Landbevölkerung in Oaxaca am Beispiel des Lebens von César Toimil und widerlegt die Version staatlicher Behörden, die ihn als Viehdieb und Drogenhändler bezeichnen. Vor allem zeichnet sich die Dokumentation aufgrund der Recherche- und Produktionsarbeit von Schwester Mónica durch die unmittelbare Nähe zur Person César Toimil aus. Desterrados hat bereits verschiedene Dokumentarfilmpreise in Lateinamerika gewonnen. Desterrados // 69 Minuten // Original auf Spanisch, Untertitel in Deutsch und weiteren Sprachen in Bearbeitung // www.documentaldesterrados.blogspot.com

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