Mexiko | Nummer 272 - Februar 1997

“Wir sind auf alles vorbereitet”

Bericht aus einem Friedenscamp im Lakandonischen Urwald

Nach der Weigerung der Regierung, die im Februar 1996 unterzeichneten Vereinbarun­gen über Indigene Rechte und Kultur in die Tat umzusetzen, droht erneut eine bewaff­nete Eskalation. Am dritten Jahrestag des zapatistischen Auf­stands ist die Lage in den indianischen Gemeinden durch die sich stetig ver­schlech­ternden Lebensbedingungen und die zunehmende Bedrohung durch die Re­gie­rungs­truppen angespannter denn je. Die Vorbereitungen, eventuelle Angriffe der mexikanischen Armee zurückzuschlagen, laufen auf Hochtouren.

Niels Barmeyer

Als ich am Morgen des 24. Dezember 1996 von San Cristóbal aus aufbrach, um drei Wochen in einem “Campamento por la Paz” zu ver­bringen, hatte ich keinerlei Grund zur An­nahme, daß etwas Außer­ge­wöhnliches vorfallen könnte. Der Dialog zwi­schen Regierung und EZLN war zwar bereits seit Mo­naten abgebrochen, doch die Lage war ruhig.
Auch bei meiner Ankunft im Dorf, einer Gemeinde nahe La Garrucha, schien sich dieser Eindruck zu be­stätigen. Die Leu­te kannten mich bereits von vor­herigen Auf­ent­halten und freuten sich, daß je­mand die Hütte auf dem Dorfplatz, die aufgrund feh­lender Be­sucherInnen mehrere Wo­chen leerge­standen hatte, mit Leben füllte. Wie jeder Neuan­kömmling wurde auch ich als erstes nach Neuig­keiten vom Frie­densprozeß be­fragt, denn Zeit­schriften und Zeitungen ge­langen nur selten in die entlegenen Gemeinden. Ich hatte mir eine La Jornada (linke Tageszeitung aus Mexiko-Stadt, Anm. d. Red.) mitge­bracht, de­ren Erschei­nungsdatum zwar schon ei­nige Zeit zu­rücklag, in der jedoch der Brief vom EZLN-Sprecher Mar­cos an Präsident Ernesto Zedillo in voller Länge abgedruckt war. In diesem Brief for­derte der Sup, mittler­weile zum Range eines comandante avanciert, den mexikanischen Regierungschef auf, die indigene Bevölkerung in Chia­pas nicht mehr länger warten zu lassen, einen Schritt in Rich­tung eines dauerhaften Frie­dens zu tun und end­lich auf die von der EZLN aufgestellten Mindestfor­der­ung­en zur Wie­der­auf­nahme des Dia­logs ein­zugehen. Außer­dem be­tonte er die Dringlichkeit und Not­wen­digkeit, daß die aus­ge­arbeitete Gesetzesi­nitiative zum Schutz der Indigenen Rechte und Kul­tur vom Staatsober­haupt un­ter­schrieben wer­den muß. Eine Woche zu­vor hatte der Präsident die endgültige Fassung dieses Abkommens kurz vor ihrer Un­terzeichnung abgelehnt, sich eine Frist von zehn Tagen aus­erbeten und an deren Ende erklärt, daß der nach zähen Verhandlungen von beiden De­legationen un­terzeichnete Kom­promiß noch ein­mal von Grund auf über­ar­beitet werden müsse.

Frustration nach 3 Jahren Krieg

Der dritte Jahrestag des Aufstands wurde in vielen Orten der Selva Lacandona festlich be­gangen. Über tausend Menschen kamen aus allen Siedlungen der Um­gebung zusammen, um drei Tage und Nächte lang zu feiern und zu den Klän­gen einer in Ocosingo an­geheuerten ma­ri­achi-Ka­pelle zu tanzen.
Überraschenderweise waren die indígenas fast unter sich. Nur wenige Menschen aus anderen Tei­len Mexikos oder Inter­na­tionalistInnen waren an­wesend. Die sonst immer ein­ge­troffene Karawane “Todo para Todos” aus Mexiko-Stadt war diesmal nicht nach Chiapas aufgebrochen und auch BeobachterInnen aus anderen Na­tionen der Welt wa­ren zu Hause geblieben.
Einer der Höhepunkte des Festes war sicherlich die Ansprache des Sup in den ersten Minuten des neuen Jahres. Die Band stoppte und ein tiefbeweg­ter Repräsentant der Ge­meinde hielt ein Transi­storradio ans Mikrofon, damit alle Ver­sam­melten live das von at­mosphäri­schem Prasseln un­ter­malte Kommuniqué des Ge­heimen Re­volutionären In­di­genen Komitees – Ge­neralkom­man­dantur der EZLN ver­nehmen konnten.
Die Worte des EZLN-Spre­chers drückten Besorg­nis und An­spannung aus: Nach drei Jah­ren Krieg in Chiapas stünden die Dinge schlecht, die Re­gierung hätte 12 Tage Zeit, um ein Ent­gegenkommen zu sig­na­lisieren und bis dahin hieße es Ab­warten. Am Ende der Nach­richt waren al­le Ver­sam­mel­ten totenstill. Nach einer Minute rief einer mit sich über­schlagender Stim­me in die Menge: “Drei Jahre haben wir jetzt ausgehalten und was haben wir erreicht ?” “Nichts!” ant­wor­teten hunderte indí­genas aus dem Dunkel der Nacht.

Die Regierung zeigt ihre Krallen

Das Jahr 1997 hatte schlecht begonnen. Die Stimmung in den Ort­schaften verschlechterte sich von Tag zu Tag. Je näher der 11. Januar rückte, ohne daß ir­gend­ein Entgegenkommen von der Re­gierungsseite erkennbar wur­de, desto mehr verdü­sterten sich die Mienen in den Ge­sichtern. “Wenn bis zum Zwölf­ten keine Ant­wort kommt, wird es wieder Krieg geben,” erzählten mir sowohl ältere als auch jün­gere Männer. Und: “Wir haben drei Jahre Zeit ge­habt, uns im ganzen Land auszubreiten. In Oaxaca, in México, in Veracruz. Überall gibt es jetzt zapa­tistas. Wir sind auf alles vorbereitet.”

Vorboten der Aggression

Auch die Regierungs­truppen schienen sich auf etwas vorzubereiten. Tag für Tag nahm die Anzahl von Auf­klä­rungsflügen über den Schluch­ten und Tälern zu. Fast alle 20 Minuten erfüllte das Brummen von großen Hub­schraubern den Himmel, die in mehreren hundert Metern Höhe die Dörfer über­flogen. Am dritten Januar kam es dann zu einem dramatischen Zwischenfall: Nur wenige hun­dert Meter vom Frie­denscamp entfernt stürzte ein Helikopter der mexika­nischen Luftwaffe ab und zerschellte am Boden. Alle BewohnerInnen im Dorf schie­nen ihren Atem anzu­halten, bis zwei Tage spä­ter, nachdem die Leichen der Soldaten geborgen worden waren, ein Abschuß durch die Guerilla von of­fizieller Seite ausgeschlos­sen wurde.
Am 11. Januar fand die Ein­schüch­terungs­kam­pagne der Bun­des­armee ihren vorläufigen Hö­hepunkt: Gegen Mittag don­nerte ein Hubschrauber im Tief­flug über die Stroh- und Well­blech­dächer der Holzhäuser hin­weg. Eine klare Verlet­zung einer der in San An­drés getroffenen Vereinba­rungen, die der me­xikani­schen Armee Tiefflüge und Stops in den Gemeinden un­tersagen. Einige Stunden spä­ter wurde das Dorf von einer ängstlichen Aufregung ergriffen. Unzählige indí­genas liefen auf dem Dorf­platz zusammen, re­de­ten laut und wild gesti­kulierend durcheinander und deute­ten auf den Himmel: Es war kein Mo­to­rengeräusch zu hö­ren und doch war da ein Dü­senflugzeug zu er­ken­nen, das in einigen hundert Me­tern Höhe das Tal überflog. Von einer Frau erfuhr ich den Grund für die Aufregung. Das da oben war eines jener Flug­zeuge, die so­wohl in den ersten Ja­nuartagen 1994 Dörfer und Men­schen bombardiert hatten, als auch Vor­boten der Regie­rungs­of­fensive vom Februar 1995 gewesen waren: Pila­tus C-7, mit Bordkanonen und Luft-Bo­den­ra­keten bestückte Auf­klä­rungs­flug­zeuge aus der Schweiz.

Nichts wirklich Neues auf 107.1

Der 11. Januar war ein Samstag. An diesem Tag um sieben Uhr abends ist es Zeit in der Selva La­candona, das Radio ein­zuschalten, denn das ist die einzige Stunde in der Wo­che, in der auf UKW 107.1 “Radio Insurgentes”, der revolutionäre Sender der EZLN, zu empfangen ist. Zwischen Revolutionslie­dern aus allen Ecken und Zeiten Lateinamerikas mel­det sich ab und zu eine ru­hige In­dí­genastimme, sagt die Zeit an oder grüßt die zuhörenden Zi­vilistInnen und Milizen. An jenem Abend jedoch kündigte die Stimme schon nach dem ersten Lied eine Botschaft der EZLN-Kom­mandantur an. Dio­nicio, einer der Kir­chenältesten, saß bei mir am Tisch und spielte voller Enthusiasmus “Schnipp-Schnapp” mit einem Kind, wäh­rend sich die Gemeinde draußen all­mählich zum Gottesdienst ver­sammelte. Sobald klar wurde, was da über den Äther kommen sollte, strömten mehr und mehr Menschen in meine Hütte, um der lange er­warteten Nachricht zu lau­schen. Mit starken Worten wies Marcos die Vorschläge der Regierung zurück und be­zeich­nete sie als Ver­spottung der zapatistischen Forderungen. Das Verhal­ten der Regierung sei eine Provokation zum Krieg. Den indígenas, die in den ersten Januartagen des Jahres 1994 im Kampf um Land und Freiheit ihr Le­ben gelassen hatten und all jenen Dorfgemeinden, die den Kampf der EZLN un­terstützten, sei es geschul­det, den Kampf um die Erfüllung der Forderungen fortzuführen und sich nicht mit einem faulen Kompro­miß zu­frie­denzugeben.

Ein mißverstandenes Erdbeben

Nach Ende der Übertra­gung war es erst einmal eine Minute lang still, dann kamen die ersten Re­aktio­nen. Niemand schien über­rascht. “Was soll’s”, war der Tenor, “dann gibt es halt Krieg. Was haben wir zu verlieren.” All­gemeines Achselzucken ge­folgt von einer gedämpften Dis­kus­sion, die in ein erleichtertes Lachen mündete. Schon wurden wieder die ersten Witze gemacht. Dann rich­tete sich die Auf­merksam­keit auf mich: “Hast du etwa Angst, Nico? Du hast doch Angst, oder?”
Zwar hatte Marcos der Regierung einen Tag Zeit ge­geben, dennoch herrschte unter den Dorf­bewohnerInnen an je­nem Abend Nervosität. Wenige Stun­den nach dem Kommuniqué kam in den Nachrichten eine Meldung über Stromaus­fälle in der Hauptstadt und in den west­lichen Teilen des Lan­des. Die Anwesen­den zogen sofort den Schluß, daß eine Kampagne der EZLN bereits begonnen ha­be. Da die Vorstellung, ein Großteil der mexikani­schen Be­völkerung sei auf ihrer Seite, bei den Dorf­bewohnerInnen sehr ver­breitet ist, paßte die Idee von den sie unterstützenden Massen, die be­reits mit der Lahmlegung des Elek­tri­zitätsnetzes begonnen hät­ten, genau ins Bild. Doch schon bald erfuhren wir von einem anderen Sender, daß es sich bei den Stromausfällen um die Fol­gen eines Erdbebens ge­handelt hatte.
Am nächsten Morgen ver­lie­ßen 30 bewaf­fne­te jun­ge Männer das Dorf, um die Auf­stän­dischen in den Ber­gen zu ver­stär­ken. Auch wenn der Frie­den vor­läu­fig ge­wahrt bleibt, so ist die Lage noch längst nicht ent­schärft. Es steht in den Sternen, wann die Milizionäre in die Dör­fer zurück­kehren und bis dahin ist davon auszugeh­en, daß sich die Zahl der kampfbereiten Gue­ril­leros in den Ber­gen von Chiapas im Ver­gleich zu den Wo­chen davor ver­viel­facht.

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