Nicaragua | Nummer 375/376 - Sept./Okt. 2005

„Wir werden uns sicherlich nicht ruhig und passiv verhalten“

Interview mit dem nicaraguanischen Politiker Herty Lewites

Herty Lewites Rodríguez kämpfte Ende der 50er Jahre gegen die Somoza-Diktatur. Nach einer Zeit im brasilianischen Exil war er in den 80er Jahren Gefolgsmann der Ortega-Brüder Daniel und Humberto. Im Jahr 2000 wurde er als Kandidat der sandinistischen Befreiungsfront FSLN zum Bürgermeister von Managua gewählt. Nachdem er Anfang 2005 erklärte, als Präsidentschaftskandidat der FSLN für die Wahlen 2006 kandidieren zu wollen, wurde er als unliebsamer Konkurrent aus der Partei ausgeschlossen. Nun wurde der zum Präsidentschaftskandidaten eines neu gegründeten Bündnisses aus Christlicher Alternative, Bewegung zur Rettung des Sandinismus und anderer Gruppierungen ausgerufen. Bei Meinungsumfragen liegt er derzeit vorn. Der inzwischen mit ihm verfeindete ehemalige Präsident und offizielle FSLN-Kandidat Daniel Ortega hingegen hat im vergangenen halben Jahr stetig an Unterstützung verloren.

Günter Pilz

Herr Lewites, wie schätzen Sie die Entwicklung der politischen Situation in Nicaragua angesichts der Wahlen im kommenden Jahr ein?

Die aktuelle Situation zeichnet sich durch eine Konfrontation zwischen der Legislative und der Exekutive aus. In der Legislative sieht sich Bolaños dem Pakt aus Anhängern Arnoldo Alemáns aus der liberalen Partei PLC – der er selbst früher angehörte – mit der FSLN unter Daniel Ortega gegenüber. Die so genannten Arnoldistas und Danielistas verfügen zusammen über den Großteil der Stimmen in der Nationalversammlung, und könnten so den Präsidenten absetzen, ihm die Immunität entziehen, ihn vor Gericht stellen und einsperren. Dieses Machtpotential nutzen Politiker der paktierenden Parteien, um ihre persönlichen Interessen durchzusetzen.
Zur Zeit sehe ich keinen friedlichen Ausweg. Ich denke, beide Seiten werden die Konfliktsituation einfach bis zum nächsten Jahr weiterleben. Sollte es bis dahin keine Reform des Wahlgesetzes beziehungsweise eine Änderung in der Zusammensetzung der obersten Wahlbehörde geben, dann wäre es gleich besser, gar keine Wahlen zu veranstalten. Ein derartiger Wahlprozess würde jeglicher Art von Wahlbetrug sämtliche Türen und Tore öffnen, da der Oberste Wahlrat direkt unter Einfluss von PLC und FSLN steht.

Die Umfragewerte bei FSLN und mehr noch bei der PLC sind im Keller. Sie befürchten schon jetzt Wahlbetrug. Wie werden Sie sich verhalten?

Wir werden uns sicherlich nicht ruhig und passiv verhalten. Ich habe schon Angebote von drei verschiedenen Parteien, die alle eingeschrieben sind und an den Wahlen teilnehmen können. Ich bin bestrebt, ein Mitte-Links-Bündnis zu schaffen. Mit der Christlichen Alternative, der Bewegung zur Rettung des Sandinismus und weiteren kleinen Gruppierungen sind schon erste Partner gewonnen. Wir wollen Schwerpunkte im sozialen Bereich setzen und einen Regierungsplan, der es ermöglicht, wirkliche Lösungen für die Probleme unseres Landes zu finden. Wir streben einen echten sozialen Wandel in Nicaragua an, und wenn es notwenig ist, dann werden wir für die Durchsetzung dieses sozialen Wandels auch keine Konfrontation scheuen. Natürlich ist eine Konfrontation nicht erstrebenswert, denn wenn das internationale Kapital, das Nicaragua sicherlich braucht, die derzeitige politische Lage sieht, werden die Verantwortlichen lieber woanders investieren. Aus diesem Grund sind wir dabei, unseren Regierungsplan derart zu gestalten, dass er auch für die Opposition in großen Teilen akzeptabel ist, ohne dabei die wirklich nötigen sozialen Aspekte zu vergessen. Zum Wohle einer integralen Entwicklung unseres Landes wird es unumgänglich sein, sowohl rechte als auch linke Positionen zu berücksichtigen.

Sie kommen aus dem linken Lager, wie Sie immer betont haben. Wie würde Sandino wohl die heutige Situation in Nicaragua beurteilen?

Er wäre wohl sehr traurig. Junge Menschen mit 18 oder 20 Jahren gingen einst in die Berge, um für eine gerechte Sache zu kämpfen und auch ihr Leben dafür zu geben. Dass sich das dann später in eine falsche Richtung entwickelt hat und dass persönliche Bereicherung und Geldanhäufung wichtiger wurden als die sandinistischen Grundsätze, daran trägt Daniel Ortega Mitschuld. Er hat auf Grund seiner persönlichen wirtschaftlichen Interessen die sandinistische Befreiungsfront langsam zu Grunde gerichtet. Würde Sandino das miterleben, würde es Daniel Ortega schlecht ergehen. Sandino würde ihn unter Peitschenhieben aus dem Land treiben.
Die FSLN wäre stark genug, die Wahlen nächstes Jahr zu gewinnen, wenn es interne Vorwahlen gegeben hätte. Aus egoistischen Gründen ist es aber leider nicht dazu gekommen. Ich wollte die Frente nie verlassen, aber ich akzeptiere auch unter keinen Umständen, dass Daniel Ortega die Partei wie seinen Privatbesitz leitet und ungefragt als Präsidentschaftskandidat antritt, während ich die Hände im Schoß zusammenlege. Es gibt viele Tausende Sandinistinnen und Sandinisten, die den einstigen Idealen dieser Partei treu geblieben sind, die aber nicht bereit sind, Daniel Ortega zu wählen.

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