Kolumbien | Nummer 395 - Mai 2007

„Wir wollen eine Gegenmacht aufbauen“

Mit einem unabhängigen Gerichtshof wollen kolumbianische Basisbewegungen die Geschäftspraktiken transnationaler Unternehmen anprangern

In Kolumbien begann im Jahr 2006 das Projekt Permanentes Tribunal der Völker TPP, das überwiegend von sozialen Organisationen getragen wird. Schwerpunkt dieses sozialen und politischen Prozesses ist die Auseinandersetzung mit konkreten Folgen von Praktiken transnationaler Unternehmen. Die Lateinamerika Nachrichten sprachen mit Edgar Paez, Vertreter für internationale Angelegenheiten bei der kolumbianischen Gewerkschaft in der Nahrungsmittelindustrie SINALTRAINAL, über den momentanen Entwicklungsstand des Tribunals, die Ziele, die die sozialen Bewegungen mit diesem Prozess verfolgen und welche Schwierigkeiten dabei immer wieder auftauchen.

Christoph Stache

Kannst Du erklären, was das Permanente Tribunal der Völker ist? Womit beschäftigt es sich?

Das Permanente Tribunal der Völker (TPP) ist eine Initiative der sozialen Basis, um Widerstand zu entwickeln. Es geht darum, die Politik transnationaler Unternehmen, ihr Verhalten und ihre Verbrechen zu verurteilen. Aber die Unternehmen sind nicht die einzigen, gegen die sich das Tribunal richtet. Die kolumbianische Regierung unterstützt, erleichtert und verteidigt, im Notfall auch mit Gewalt, Verbrecher gegen die Menschlichkeit. Deshalb richtet das TPP auch über die Komplizenschaft und Mitwirkung der Regierung. Diese hat zum Beispiel mit Gesetzesänderungen das Arbeitsrecht ausgehöhlt, Staatsunternehmen privatisiert und Mindeststandards zum Schutz von Natur und Menschen abgeschafft. Alle diese Maßnahmen begünstigen die Konzerne und ihre Politik.

Wie begann eure Arbeit und wie geht ihr vor?

Unser TPP hat sich 2006 zuerst die Nahrungsmittelindustrie vorgenommen. Damals wurden die Konzernpraktiken von Coca Cola, Nestlé und anderen Konzernen problematisiert. Es ging zum Beispiel um ihre Verbindungen zu den kolumbianischen Paramilitärs.
Die anderen Sitzungen werden sich auf die Themen Biodiversität, Ölindustrie, Gas- und Kohleabbau und schließlich öffentliche Dienstleistungen konzentrieren. In jeder Sitzung werden die Probleme dargestellt und beurteilt, um bis Juli 2008 in einer Abschlusssitzung alle Fälle nochmal aufzugreifen und ein abschließendes Urteil zu fällen.
Für uns ist das Tribunal ein Werkzeug, um die Menschenrechtslage in Kolumbien zu thematisieren und über diese Widerstandsform Gerechtigkeit, Reparation und Wahrheit über die kolumbianischen Verhältnisse einzufordern. Nicht zuletzt stellt das Tribunal deshalb auch eine Möglichkeit dar, um zu erinnern und dem staatlich-militärischen Erinnerungsdiskurs Widerstand entgegen zu setzen.

Warum beteiligt sich deine Gewerkschaft, SINALTRAINAL, am TPP?

Wir engagieren uns seit mehr als neun Jahren zusammen mit anderen Organisationen im Kampf gegen die Straflosigkeit. Ein Thema, das für uns in Kolumbien einen enorm hohen Stellenwert besitzt. Es ist aber keineswegs isoliert von anderen Kämpfen zu sehen. Ganz im Gegenteil, es finden sich andere Probleme im Kampf gegen die Straflosigkeit wieder und andersherum. Wir haben zum Beispiel an dem Projekt Colombia Nunca Más (Kolumbien Nie wieder!) mitgearbeitet. Das ist der Versuch, alle Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die in Kolumbien ungestraft geblieben sind, zu erfassen und in einem Bericht zu veröffentlichen, um sie in den politischen Diskurs und die Erinnerung zurück zu holen.
Das TPP ist nun ein neuer Schritt, zu dem wir uns entschlossen haben. Er hebt unseren politischen Kampf auf ein höheres Niveau, weil wir zusätzlich zur Beteiligung der kolumbianischen Bevölkerung versuchen, die internationale Gemeinschaft, also die hier arbeitenden internationalen NGOs und Gruppen, einzubinden und die Außenwirkung unserer Arbeit in Richtung USA und Europa zu vergrößern.

Und was wollt ihr mit dem Tribunal erreichen?

Zuerst und ganz konkret ist das Ziel, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit festzustellen, den Kontext zu besprechen und an die Opfer zu erinnern. Aber selbstverständlich verfolgen wir darüber hinaus auch noch andere Ziele, die eher strategischer Natur sind. Das TPP ist so ausgerichtet, dass es nur funktioniert, wenn die Bevölkerung am Prozess teilnimmt. Sie partizipiert und wird gleichzeitig ermächtigt und andersherum. Es geht ja schließlich darum, das Bewusstsein der Menschen zu erweitern und das ist nur mit ihrer Beteiligung und der konkreten Auseinandersetzung mit der Situation möglich, in der sie leben. Das TPP soll dazu dienen, eine nationale Plattform zu etablieren, die uns Politik und Mobilisierungen auf nationalem Niveau ermöglicht. Wir wollen die vielen verschiedene Kämpfe vereinigen.

Was sind die Möglichkeiten und Grenzen des TPP?

Da wir eine andere Politik wollen, müssen wir eine Gegenmacht aufbauen. Dies gelingt nur mit der Bevölkerung, die von der Politik betroffen ist. Das TPP erlaubt den Aufbau und die Stärkung von Gegenmachtstrukturen von und mit der Basis. Wir haben die Möglichkeit, mit der Bevölkerung in einen Austausch zu treten. In diesem Prozess können wir mit der Unterstützung vieler compañeras und compañeros aus der ganzen Welt die Probleme in Kolumbien tiefgreifend bearbeiten. Um den Entwicklungen der derzeitigen Form der Globalisierung etwas entgegensetzen zu können, brauchen wir internationale Allianzen. Wir müssen die Gegenmacht auf- und ausbauen. Das ist eine ziemlich große Chance, die uns das Tribunal bietet.
Aber selbstverständlich haben wir auch Probleme. Erstens haben wir nahezu immer Sicherheitsprobleme. Es wäre eigentlich möglich, mehr Menschen für unsere Projekte zu gewinnen. Aber die Menschen haben Angst. Unsere Untersuchungen wären viel tiefgreifender, wenn wir eine andere Sicherheitslage hätten. Außerdem haben wir ein Problem, dass alle sozialen Organisationen und Bewegungen auf der Welt kennen. Wir brauchen Geld für alle möglichen Arbeiten, haben aber keines.
Und schließlich haben wir ein großes Problem mit der kolumbianischen Regierung. Sie erschwert uns unter anderem auf dem Feld der Justiz immer wieder das Leben, weil die Straflosigkeit weiter fortgesetzt wird. Wie sollen wir denn Wahrheit und Gerechtigkeit herstellen, wenn der Staat mit all seinen Mitteln genau das Gegenteil macht?

Besitzt die Kritik an den transnationalen Unternehmen einen Bezug zu einer allgemeinen antikapitalistischen Kritik?

Selbstverständlich. Die Politik der transnationalen Unternehmen ist doch nicht nur in Kolumbien ein Problem. Ebenso wenig stellen sich die Fragen zur Verfügungsgewalt über die natürlichen Ressourcen nur auf nationaler Ebene. Und genauso ist nicht nur die Politik der transnationalen Unternehmen zu verurteilen. Der Kapitalismus funktioniert nur über Verbrechen. Aber vor allem ist Kapitalismus ein globales Problem. Wenn ich von Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse rede, kann ich genauso gut mit deutschen, mexikanischen und ArbeiterInnen anderer Staaten diskutieren, die dieselben Probleme haben. Die ganze Miesere zum Beispiel in Lateinamerika, der Hunger, die fehlende Ausbildung usw. ist struktureller Natur und diese Struktur hindert uns daran, die vorhandenen Ressourcen und Möglichkeiten so zu nutzen, dass alle von ihnen profitieren.

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