Mexiko | Nummer 360 - Juni 2004

„Wir wollen gerne zu einem Symbol für die Arbeiter dieser Welt werden“

Interview mit Jesús Torres Nuño, dem Generalsekretär des Sindicato Nacional Revolucionario de Trabajadores de Euzkadi (SNRTE).

Am 16. Dezember 2001 wurden die ArbeiterInnen und Angestellten des Euzkadi-Reifenwerkes in El Salto, im Bundesstaat Jalisco, per Aushang darüber informiert, dass das Werk ab sofort geschlossen ist und dass fortan keine Löhne mehr gezahlt werden. Wenig später, am 22. Januar 2002, traten die ArbeiterInnen gegen die aus ihrer Sicht rechtswidrige Arbeitsunterbrechung in den Ausstand und blockierten das Werk – bis heute. Nach 28 Monaten im Ausstand befindet sich derzeit zum dritten Mal eine Delegation in Deutschland, um auf die Verletzung ihrer Arbeitsrechte durch den Continental Reifenkonzern aufmerksam zu machen. Sie besuchte auch die Hauptversammlung der Continental AG am 14. Mai in Hannover. LN spach mit dem 42-jährigen Jesús Torres Nuño. Der Vater dreier Kinder hat 24 Jahre lang in dem Werk gearbeitet.

Knut Henkel

Welches zentrale Ziel verfolgen Sie mit ihrem Deutschland-Besuch?

Zentral ist, unsere Arbeitsplätze zu erhalten. Dafür kämpfen wir seit der Schließung des Werkes vor nunmehr fast 30 Monaten. Ein weiteres Ziel unseres Protestes ist, die von uns bereits erkämpften Arbeitsrechte zu verteidigen. Continental muss anerkennen, dass wir mit dem Urteil der zuständigen Stellen in Mexiko einen rechtlichen Anspruch auf die Zahlung der Löhne seit der Schließung der Fabrik haben. Denn unser Streik wurde als rechtmäßig anerkannt.
Unser Fall ist ein klares Beispiel für die Verletzung unserer Rechte durch das mexikanische Tochterunternehmen der Continental AG. Aber wir werden diesmal von Repräsentanten des Werkes in San Luis Potosí begleitet, ebenfalls ein Tochterunternehmen der Continental AG. Auch sie führen einen Arbeitskonflikt mit dem Unternehmen. Und im Continentalwerk in Ecuador gibt es einen Arbeitskonflikt. Das zeigt, dass wir nicht alleine von den Geschäftspraktiken des Konzerns betroffen sind. Grundsätzlich streben wir eine Verhandlungslösung an, aber wenn die nicht möglich ist, werden wir weiter Widerstand leisten und einen Tag länger als Continental aushalten.

Beschreiben Sie mir doch bitte die aktuelle Situation!

Es gibt derzeit noch keine offiziellen Verhandlungen zwischen dem Konzern und unserer Gewerkschaft. Das letzte Gespräch, das ich mit den Verantwortlichen des Konzerns geführt habe, war im Januar dieses Jahres. Der Vorschlag der Continental AG, die Abfindungszahlungen um zehn Prozent zu erhöhen, wurde allerdings von unserer Generalversammlung abgelehnt. Seit diesem Tag, dem 20. Januar 2004, hat es keinen direkten Kontakt zwischen den Gewerkschaftsrepräsentanten und der Konzernleitung mehr gegeben. Erst hier in Hannover ist es zu einem neuerlichen Kontakt gekommen und wir müssen abwarten, ob sich daraus neue Verhandlungen ergeben.

Haben Sie noch Hoffnung auf eine Verhandlungslösung?

Der gesunde Menschenverstand sagt ja, denn die Kosten auf beiden Seiten sind beachtlich. Ich habe jedoch den Eindruck, dass Continental nicht zu einer Verhandlungslösung bereit ist. Auch wenn der Konflikt das Unternehmen mehr als 100 Millionen US-Dollar kosten sollte, es spielt keine Rolle. Ziel scheint es zu sein, unsere Gewerkschaft zerstören zu wollen. Wenn es allerdings nicht zu einer Lösung kommt, die unseren Arbeitsrechten Rechnung trägt, dann werden wir eben weiter für unsere Rechte kämpfen. Wir haben keine andere Alternative als die Auseinandersetzung weiter zu führen, denn wir kämpfen für unsere Arbeitsplätze – etwas anderes haben wir nicht.

Woher nehmen Sie und Ihre Kollegen die Energie für diese langwierige Auseinandersetzung mit einem einflussreichen und mächtigen Konzern?

Aus den soliden Prinzipien unserer Gewerkschaft. Die sind auch die zentrale Ursache für den Versuch von Continental, unsere Gewerkschaft zu zerstören. Unsere Gewerkschaft ist längst zu einem Vorbild für andere Gewerkschaften geworden, weil sie demokratisch, kämpferisch und geradlinig ist. Und deshalb wird dieser Streik auch von vielen Organisationen und Unternehmen unterstützt. Derzeit sind es mehr als dreißig Gewerkschaften und die Kooperative Pascual. Die unterstützt uns wöchentlich mit 6500 Pesos (etwa 650 US-Dollar). Von diesem Geld bezahlen wir alle administrativen Ausgaben unserer Gewerkschaft. Weitere Spenden kommen derzeit von Gewerkschaften aus Europa.

Welches sind die zentralen Ursachen für den Konflikt?

Die eigentliche Ursache ist, dass die Unternehmensleitung ein Paket von Maßnahmen durchsetzen wollte, um die Produktivität zu steigern. Dazu gehört die Verlängerung der Arbeitszeit von acht auf zwölf Stunden, die Senkung der Löhne von bis zu 50 Prozent in einigen Bereichen und die Verabschiedung einer betriebsinternen Verhaltensordnung. Die sah empfindliche Strafen vor, die weit über dem lagen, was gesetzlich möglich ist. Diese Vorschläge haben wir als Gewerkschaft zurückgewiesen, worauf sich das Unternehmen entschieden hat, die Fabrik zu schließen.

Schildern Sie doch bitte die sozialen Auswirkungen von knapp dreißig Monaten im Ausstand?

Die Situation ist delikat und nach wie vor ausgesprochen schwierig. Ein Beispiel: Nach wie vor wird uns die medizinische Versorgung verweigert, die ArbeiterInnen, die sich im Ausstand befinden, normalerweise zusteht. Das ist mit den Gesetzen nicht vereinbar und spätestens seit der Gerichtsentscheidung vom 5. Februar, beziehungsweise dem Urteil des Schiedsgerichts vom 17. Februar, hätten wir wieder medizinische Versorgung erhalten müssen. Doch das ist nicht der Fall. Zudem kursieren schwarze Listen unter den Unternehmern der Region, auf der unsere Namen verzeichnet sind – man verweigert allen ehemaligen Euzkadi-Arbeitern Anstellung. Wir halten uns mit Jobs im Familienzusammenhang über Wasser, aber natürlich auf sehr niedrigem Niveau. Irgendwie müssen wir schließlich überleben und wenn es nur von Bohnen ist.

Wie viele Arbeiter des Euzkadi-Werkes haben bisher die von Conti angebotene Abfindung akzeptiert?

Soweit ich weiß sind es etwa 350 Arbeiter, die die Abfindung angenommen haben. Es befinden sich also noch über 600 Arbeiter im Ausstand, die bis zum Ende durchhalten wollen.

Eine ganze Reihe von ehemaligen Euzkadi-ArbeiterInnen lebt und arbeitet derzeit in den USA – wissen Sie wie viele es sind?

Es sind etwa 100 Arbeiter, die illegal in den USA arbeiten, weil sie in der Region keine Chance hatten.

Was versprechen Sie sich von Ihrer Europatournee, die neben Deutschland auch nach Belgien und in die Schweiz führt?

Unser Ziel ist es, die Konzernleitung zu Verhandlungen zu bewegen. Das ist zentral, aber es gibt natürlich weitere untergeordnete Ziele. Unser Beispiel zeigt nur zu gut, dass das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Mexiko von 2000 allein den ökonomischen Interessen der Konzerne dient. Diese berühmte Demokratieklausel, die in dem Abkommen enthalten ist, dient dazu, das Gewissen der Regierungen zu beruhigen und hat in der Praxis keinerlei Bedeutung. Unser Fall zeigt das sehr gut, aber auch das Beispiel der Michelin-Arbeiter in Mexiko, die eine OECD-Beschwerde wegen Verstoßes gegen die Leitsätze für internationale Unternehmen initiierten und nie wieder etwas hörten. Nichts, aber auch gar nichts ist daraufhin passiert. Das ist ein weiterer Aspekt unserer Reise – diese Praktiken und das existierende Regelwerk in Frage zu stellen.
Und ein dritter Aspekt ist, die Kontakte zu den Gewerkschaften in Europa zu verbessern, vor allem zu den deutschen. Wir haben beispielsweise Gespräche mit Gewerkschaftsvertretern von Volkswagen geführt und die wollen nun prüfen, ob es Möglichkeiten gibt, Druck auf Continental aufzubauen, denn der Konzern ist ein wichtiger Zulieferer. Volkswagen hat einen eigenen Verhaltenskodex, der auch von den Zulieferern eingehalten werden muss und über den hat sich Continental mit der Verletzung unserer Arbeitsrechte hinweggesetzt. Man muss abwarten, was sich aus diesen Kontakten entwickelt, denn über Solidarität zu reden ist das eine, sie konkret zu üben, das andere.

Welche Bedeutung hat der Fall international?

Wir kämpfen gegen einen internationalen Konzern, der über erhebliche Ressourcen verfügt, weltweit rund 100 Fabriken unterhält. Aber unser Konflikt kann auch zu einem Beispiel auf internationaler Ebene werden. Er sollte es sein, denn es gibt keine andere Alternative als den Widerstand zu internationalisieren. Wir klopfen seit fast zweieinhalb Jahren an Türen und wir werden es weiter machen. Wir wollen gerne zu einem Symbol für die Arbeiter dieser Welt werden, dafür müssen wir die Auseinandersetzung gewinnen.

Allerdings sind die Perspektiven mit den Urteilen der Gerichte derzeit wesentlich besser als vor einem Jahr, als Sie ebenfalls vor der Hauptversammlung der Continental AG sprechen konnten.

Ja, denn damals haben uns die Continental-Verantwortlichen praktisch als Kriminelle dargestellt, die ihre Fabrik besetzt halten und die Maschinen nicht rausrücken. Heute ist klar, dass unser Streik legal ist und wir juristisch gesehen nach wie vor Arbeiter des Unternehmens sind. Wir sind nicht Ex-Arbeiter, wie das der Konzern gerne gehabt hätte.

Was erwarten Sie vom Treffen zwischen dem deutschen Kanzler Gerhard Schröder und dem mexikanischen Präsidenten Vicente Fox Ende Mai?

Unser Fall sollte auf der Tagesordnung stehen, weil er beispielhaft ist und die Folgen der Globalisierung für die Arbeiter in einem Land der Dritten Welt aufzeigt. Es laufen derzeit wichtige Verhandlungen, wie jene über die amerikanische Freihandelszone ALCA, die wir ablehnen. Deshalb glauben wir, dass dieses Thema durchaus interessant für den EU-Lateinamerika-Gipfel Ende Mai in Guadalajara sein könnte, bei dem es ebenfalls um Wirtschaftsintegration geht. Zudem kommt der deutsche Kanzler nun einmal aus Hannover – eine interessante Tatsache am Rande, die es wahrscheinlich macht, dass er auch Kontakt zum Konzern hat.

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