Nicaragua | Nummer 202 - April 1991

Wirtschaftsprogramm schockt NicaraguanerInnen

Als Schocktherapie bezeichnete ein internes Papier der UNO-Regierung den Plan zu wirtschaftlichen Anpassung, den Präsidialamtsminister Antonio Lacayo am 3.März vorstellte. Der Zusammenhang mit den Forderungen der sogenannten internationalen Finanzgemeinschaft ist unübersehbar und wird nicht verhehlt: die abschließenden Verhandlungen mit IWF und Weltbank über die Kreditvergabe an Nicaragua sind für Ende März angesetzt.

H.-C. Boese

Das Anpassungsprogramm präsentiert sich entsprechend orthodox: Kernstück ist die nominale Entwertung des bis dato nur spärlich zirkulierenden Gold-Cordobas um 400%, mit der die Regierung 80% der Geldmenge abschöpfen konnte. Der neue Cordoba soll, seines Gold-Attributes beraubt, bis Ende April definitiv den alten “sandinistischen” Cordoba ersetzt haben.
Die Preise für inländische Produkte, öffentliche Dienstleistungen und Treibstoffe verbilligten sich durch eine Anhebung um nur 300-350%, ohne für die Mehrheiten des Landes deshalb erschwinglicher zu werden. Die Lohnanpassung erschöpfte sich schon bei durchschnittlich 200%.

Sauberes Wasser

Die Notwendigkeit von Anpassungsmaßnahmen wird in Nicaragua von keiner Seite bestritten. Die Inflation war infolge des in künstlicher Parität zum Dollar gehaltenen Gold-Cordoba auf monatliche 120% explodiert. Die Überbewertung der nationalen Währung hatte Nicaragua im vergangenen Jahr zum teuersten Land Zentralamerikas werden lassen, die Gewinnspannen für die Exportproduktion verringert und Importwaren im Verhältnis zur einheimischen Produktion konkurrenzlos verbilligt.
Mit der Anpassung soll diese Entwicklung korrigiert werden. Die komplizierte Art ihrer Durchführung schuldet sich der Notwendigkeit, die beabsichtigte Senkung der Lohnkosten angesichts der starken sandinistischen Gewerkschaften nur indirekt durchzuführen.
Der Staatshaushalt – in dessen Defizit die Regierung die Quelle der Inflation ausgemacht hat – soll sich künftig selbst tragen und nicht mehr mit der Notenpresse finanziert werden. “Sauberes Wasser” müsse fließen, metaphorte Lacayo – sturer Monetarismus als pfiffige Wirtschaftsökologie. Saniert werden soll der Staatsetat durch weiteren Personalabbau, Senkung der Lohnkosten, Verkauf von staatli¬chen Betrieben und die restriktive Handhabung des Kreditwesens.

Gewinner und Verlierer

“Es ist jetzt nicht die Zeit für Verbesserung, sondern die der Nicht-Verschlechterung”, rechtfertigt eine Regierungserklärung die Roßkur. Doppelt gelogen hält besser, denn wie die Verlierer – Lohnabhängige, Kleinhandel und -produktion – stehen die Gewinner der Anpassung fest: Allein durch die Regulierungen im Finanzwesen – Sparguthaben wurden mit dem Faktor 5, Kredite mit einer Laufzeit bis Mai aber nur mit 3,4 multipliziert – können die we¬nigen großen Kaffee- und Baumwollproduzenten zusätzliche Gewinne von mehreren tausend Dollar einfahren. Der Verlust der kleinen Produzenten, die in Ermangelung von Weiterverarbeitungs- und Lagermöglichkeiten die Ernte des auslaufenden Agrarzyklus schon längst zu alten Preisen verkauft haben, läßt sich durch die reale Verringerung der Kreditforderungen nicht wettmachen. Um so mehr, als nur wenige der Kleinproduzenten über Sparguthaben verfügen, die laufenden Kosten der Entwertung aber nicht angeglichen wurden.
Die inländische Produktion, im vergangenen Jahr arg geschrumpft, wird durch die unausweichliche Rezession im Zuge der Anpassung weiter getroffen; zahllose kleine und mittlere Unternehmen stehen vor dem Ruin. Der sandinistischen Agrarreform, der die Anerkennung auszusprechen die Regierung sich bei keiner Gelegenheit enthält, wird vermittels wirtschaftlichen Druckes und den Spitzen der Kreditpolitik die Luft abgelassen.
Die gerade forcierte Umverteilung des spärlichen nationalen Reichtums zugunsten der großen exportorientierten Agrarproduzenten zeigt, in Verbindung mit den geplanten umfassenden Privatisierungen, die tatsächliche Richtung des Anpassungsprogrammes an. Der Anpassungsschock trifft die Mehrheiten Nicaraguas zu einer Zeit, da ihre soziale Situation kaum weiter verwahrlosen kann. LandarbeiterInnen verdienen nach der Reform 80 Cents am Tag, die Löhne in der Industrie sind kaum besser. Die Arbeitslosigkeit hat die 50%-Marke bald erreicht. Die Gesundheitsversorgung wird durch den seit mehr als 2 Monaten andauernden MedizinerInnenstreik kaum beeinträchtigt; im ganzen Land fehlen die nötigen Medikamente, Präventiv-Medizin findet ohnehin nicht mehr statt.
Kein Wunder, daß die sandinistische Gewerkschaftszentrale FNT, zuvor kritisiert wegen ihrer Zurückhaltung seit dem Konzertations-Abkommen vom vergangenen Oktober, umgehend mit Streiks auf die Maßnahmen reagierte. Die Regierung zeigte sich anfangs hart, ließ die Polizei gegen Streikende vorgehen, erklärte sich dann aber – unter Vermittlung der FSLN – zu Verhandlungen bereit. Die Bedingungen für die FNT sind in diesem Konflikt nicht eben günstig: Als Konsequenz gewinnen individuelle Überlebensstrategien in der Bevölkerung an Bedeutung, durch die hohe Arbeitslosigkeit haben die Gewerkschaften zudem viele Mitglieder verloren. Vor allem aber fehlt der FNT die eindeutige Rückendeckung durch die FSLN. Die Regierung ihrerseits muß dem IWF eine gewisse Stabilität vorweisen, so daß ein Kompromiß in den Verhandlungen wahrscheinlich ist.
Der schwarze Peter

Die unterschiedlichen Kommentare zu den Wirtschaftsmaßnahmen in der sandi¬nistischen Presse deuten auf eine tatsächliche Uneinigkeit in der FSLN hin. Das Kommuniqué der Nationalleitung der FSLN unterstreicht die Notwendigkeit des Anpassungsplans, kritisiert ihn im Detail und benennt seine sozialen Implikationen. Die Erklärung endet, nach einem lauwarmen Aufruf zur Verteidigung der revolutionären Errungenschaften, mit dem Appell an die Kräfte des Landes zur sozialen Solidarität. Die Benennung der Nutznießer der Anpassung wird auffällig vermieden. Dies bedeute weder restlose Unterstützung noch Ablehnung der Regierungsmaßnahmen, erläuterte Ex-Präsident Daniel Ortega die Position der FSLN.
Mit dem inmitten der Streiks von der sandinistischen Nationalleitung ausgesprochenen Gesuch an IWF und Industrienationen, Nicaragua einen Aufschub in der Schuldenrückzahlung und besondere Bedingungen bei der Kreditvergabe zu gewähren, erhärtete die FSLN die Vermutung, daß sie auf keinen Fall die Zusage internationaler Finanzhilfen gefährden wolle. Immerhin würdigte die Regierung die sandinistische Zurückhaltung mehrfach als konstruktiv und patriotisch. Die FSLN will, scheint es, die Rolle des Sündenbockes beim zu erwartenden Scheitern des Anpassungsprogrammes schon präventiv auf die abschieben, an die sie gerade so sozialdemokratisch appelliert: IWF und nationales Kapital. Vielleicht spekuliert sie darauf, daß die UNO-Regierung wenigstens diese eine ihrer Versprechungen hält: abzutreten, wenn die Maßnahmen nicht wie verheißen greifen sollten.
Viel Handlungsspielraum hat die FSLN nicht: auch eine von ihr geführte Regierung müßte sich mit den westlichen Industrienationen und der nationalen Bourgeoisie verständigen. Die Vorsichtigkeit der offiziellen Reaktion bleibt vielen AktivistInnen an der sandinistischen Basis dennoch unverständlich. Will die FSLN ihre Glaubwürdigkeit und Mobilisierungsfähigkeit nicht ernsthaft aufs Spiel setzen, muß sie – so urteilen viele – schon bald die Initiative ergreifen. Ob und wie sie das tun wird, ist ungewiß. Teile der FSLN jedenfalls scheinen auf eine Sozialdemokratisierung der Konflikte zu setzen, wie sie in der bereits vollzogenen Aufgabenteilung mit der FNT zum Ausdruck kommt: die zeichnet fürs Grobe zuständig, und die FSLN vermittelt. Nicht wenige halten eine Rückkehr der FSLN an die Regierung bei den nächsten Wahlen für möglich: in einer Koalition mit (Antonio Lacayo und) der sozialdemokratischen Partei des Parlamentspräsidenten Alfredo Cesar.
Die Stabilität Nicaraguas bleibt derweil bedroht durch die anhaltenden Landkonflikte zwischen Ex-Contras und Kooperativen, die Gewaltakte gegen sandinistische AktivistInnen und die ständigen Bemühungen, Polizei und Militär der sandinistischen Kontrolle zu entziehen; die Kriminalitätsrate ist im ganzen Land emporgeschnellt. Die Wirtschaftsmaßnahmen verschärfen die sozialen Konflikte weiter, bleiben sie doch eine Antwort auf die Probleme der Mehrheiten schuldig. Dies kann auch die umfassende, opferfordernde und zukunftsverheißende Regierungspropaganda zum Anpassungsprogramm nicht verdecken, die letztlich nur an die Zeichnung von F.K.Waechter gemahnt: der dicke Weiße, umringt von freudigen Negerlein, erklärt das Hungerproblem für gelöst – einfach mehr spachteln.

Kasten:

Che lebt – Die neue Rhetorik der UNO-Regierung

“Die wirtschaftliche Revolution, die wir begonnen haben (…), wird wachsen wie ein gigantischer Baum, verwurzelt in der politischen Revolution, die das Volk von Nicaragua so viel Blut, Schweiß und Tränen gekostet hat.” Revolution! Man möchte kaum glauben, was Präsidialamtsminister Antonio Lacayo da im Namen der UNO-Regierung verliest. “Wir appellieren an die internationale Gemeinschaft, an Weltbank und IWF (…), mit Bestimmtheit die Selbstbestimmung Nicaraguas zu unterstützen, welche den Aufbau dieses Modells von integraler Revolution vorantreibt, das als Beispiel dienen soll für die Bruderländer der Dritten Welt, die mit vollem Recht für ihre Befreiung von Rückständigkeit und Armut kämpfen.”
Selbstbestimmung! Beispiel, Befreiung, Kampf – es ist nicht zu fassen, wie Toño Lacayo sich zu Höhen revolutionärer Rhetorik emporschwindelt, die der FSLN vorbehalten zu sein schienen.
Die FSLN zeigt sich einigermaßen verblüfft ob der neuen Konkurrenz. Zwar hatte sie sich seit dem Regierungsverlust eifrig bemüht, den neuen Machthabern die Revolution als historische Realität und deren Lebendigkeit als politische Determinante nahezubringen. Daß die rhetorischen Lernerfolge der Regierung solche schon che-mäßigen Dimensionen annehmen, macht allerdings stutzig: Den Versuch der “Konfiszierung der Revolution” vermutet die sandinistische Journalistin Rosario Murillo hinter der wundersamen Wandlung des Regierungsdiskurses.
Tatsächlich hat sich die Regierungspräsentation deutlich gewandelt: statt drögen Technokraten-Mienen hier ein lachender Minister, da ostentative Besorgnis, dort ein volksnah fluchender Lacayo. Wo früher der schiere Triumphalismus den Diskurs diktierte, werden heute durchaus Konzessionen an die Wirklichkeit, die bittere, gemacht. Zwar rudern die regierungsfreundlichen Werbespots noch gerne bei aufgehender Sonne auf dem Nicaraguasee, werfen aber immerhin kurze Blicke auf schmutzige Kinder und unansehliche Menschen, die im Müll nach Eßbarem stochern – aber Nicaragua hat auch große Probleme, besorgt sich die Stimme aus dem Off.
Im Gegenzug reift der offizielle Diskurs der FSLN vom markig-Fordernden zum eher distinguiert-Appellativen. Wo seinerzeit die Klassenlage analysiert und mit Konfiszierung gedroht wurden, wird heute an die soziale Solidarität gemahnt. In den abendlichen Fernsehnachrichten trifft man sich dann wieder; den Bericht über ein schmalbrüstiges regierungsamtliches Wohnungsbauprojekt untermalt schamlos die leichte Melodie eines sandinistischen Revolutionsliedes. Die Entwicklung scheint allgemein zu sein: der Kommandant der salvadorianischen Guerilla FMLN freute sich, von der demokratischen Regierung Nicaraguas empfangen zu werden und würdigte den nicaraguanischen Demokratisierungspro¬zeß als Beispiel für El Salvador.
Nicht bekämpfen, umarmen müsse man die Revolution, war das Motto der bundesdeutschen Sozialdemokratie in ihrer Nicaragua-Politik. Umarmen und zudrücken.
H.-C. Boese

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