Nummer 324 - Juni 2001 | Uruguay

Wo ist Simón?

Auf ihrer Reise durch Europa wirbt die Uruguayerin Sara Méndez um internationale Unterstützung bei der Suche nach ihrem Sohn

Wo ist Simón?
Auf ihrer Reise durch Europa wirbt die Uruguayerin Sara Méndez um
internationale Unterstützung bei der Suche nach ihrem Sohn
Der Fall der Uruguayerin Sara Méndez steht symbolisch für den Kampf vieler Angehöriger von Verschwundenen um Wahrheit und Gerechtigkeit. Méndez war 20 Tage nach der Geburt ihres Sohnes Simón 1976 im argentinischen Exil von uruguayischen Militärs festgenommen worden. Nach ihrer Freilassung im Jahr 1981 widmete sie sich ganz der Suche nach ihrem Sohn, den sie seit ihrer Festnahme nicht mehr wiedergesehen hat. Ihre Reise durch verschiedene europäische Länder führte sie am 8. Juni nach Berlin, wo sie in einer Informationsveranstaltung im Mehringhof über ihre langjährige Suche informierte.

Stefan Thimmel

Seit Mai befindet sich Sara Méndez aus Uruguay auf einer Europareise, um über die Suche nach ihrem seit 1976 „verschwundenen“ Sohn Símon zu informieren und um Unterstützung dafür zu gewinnen, politischen Druck auf den uruguayischen Präsidenten Jorge Batlle auszuüben. Der Präsident als Oberbefehlshaber der Streitkräfte hat bisher keine Anstrengungen unternommen, um die namentlich bekannten verantwortlichen Militärs zur Aussage zu zwingen. Vielmehr besteht weiter der Eindruck, dass der Schweigepakt mit den Militärs auch vom neuen Präsidenten eingehalten wird.
Sara Méndez geriet Anfang der 70er Jahre in das Visier der Repressionsorgane und flüchtete kurz vor dem Militärputsch 1973 aus Uruguay nach Argentinien. 1976 putschten auch dort die Militärs. Im Juni 1976 brachte sie in Buenos Aires ihren Sohn zur Welt, den sie unter ihrem Decknamen als Símon Riquelo registrieren ließ.

Alte Bekannte

„Als der Staatsstreich stattfand, hatte ich wie viele andere Uruguayer Zuflucht in Buenos Aires gefunden, ich lebte dort seit dreieinhalb Jahren. Am 13. Juli 1976 stürmten circa 15 Zivilpersonen meine Wohnung. Der Verantwortliche stellte sich vor und fragte mich, ob ich ihn kennen würde. Natürlich kannte ich ihn, da Major José ‘Niño’ Gavazzo seit 1972 für die Repression in Uruguay verantwortlich war. Als sie mich aus meiner Wohnung herausschleppten, hinderten sie mich daran, meinen Sohn mitzunehmen. Das war das letzte Mal, dass ich Simón gesehen habe,“ erinnert sich Méndez.
Méndez wird in das Folterzentrum Automotores Orletti in Buenos Aires verschleppt. Von dort wird sie mit zwanzig weiteren Landsleuten von den uruguayischen Militärs heimlich in ihr Heimatland zurückgebracht. Grundlage dieser Aktion ist die „Operación Cóndor“, auf die sich sechs lateinamerikanische Diktaturen verständigt hatten, um die Länder übergreifenden Aktionen der Militärs und Geheimdienste zu koordinieren. In Uruguay wird eine erneute Verhaftung „inszeniert“ und Sara Méndez von einem Militärgericht zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt.
„Was uns das Leben gerettet hat, war der Umstand, dass die Militärs in Uruguay wegen des steigenden Drucks aus den USA im Vorfeld der Wahl von Präsident Jimmy Carter ‘lebende Subversive’ brauchten. Also wurde unsere Verhaftung noch einmal inszeniert. Während der vier Monate, die wir bis dahin in Uruguay ‘klandestin’ verhaftet waren, erfuhren wir, dass in Argentinien weitere UruguayInnener verhaftet worden waren. Von denen überlebte niemand.“

Angst vor der Wahrheit

1981 beginnt Sara Méndez unmittelbar nach ihrer Entlassung aus der Haft mit der Suche nach ihrem Sohn. Dabei arbeitet sie mit den Großmüttern der Plaza de Mayo in Buenos Aires zusammen und versucht auch auf juristischem Wege Informationen zu bekommen. 1986 erhält sie einen ersten Hinweis. Vermutet wird, dass Simón als Adoptivkind in einer uruguayischen Familie lebt.
„1989 übergaben wir diesen Hinweis der Justiz. Der Kampf darum, auf juristischem Wege eine DNA-Analyse zu erzwingen, dauerte zehn Jahre und war letztlich nicht erfolgreich. 1999 wurde mein Gesuch endgültig abgelehnt. Erst im Frühjahr 2000 überredete der neue Präsident Batlle die Familie, einem Test zuzustimmen. Zuvor hatte er allerdings von den Militärs Hinweise darauf erhalten, dass der Jugendliche nicht Simón wäre. Der DNA-Test wurde durchgeführt und fiel negativ aus. Wir standen wieder am absoluten Nullpunkt.“
Einer Strafverfolgung der für das „Verschwinden“ von Simón verantwortlichen Täter steht das uruguayische Amnestiegesetz aus dem Jahr 1986 entgegen. „Der Staatsterrorismus der Militärdiktatur hat im uruguayischen Volk tiefe Wunden hinterlassen. Bis heute herrscht immer noch eine gewisse Angst. Die Tatsache, dass das Amnestiegesetz in Uruguay durch ein Referendum vom Volk noch bestätigt wurde, hat die Situation im Land natürlich schwieriger gemacht.“ 1989 sollte das „Gesetz über die Hinfälligkeit des Strafanspruches des Staates“ mit Hilfe eines Referendums zu Fall gebracht werden. Der Regierung gelang es allerdings durch die Drohung mit einer erneuten Militärdiktatur, die UruguayerInnen soweit einzuschüchtern, dass die Abstimmung knapp scheiterte und das Amnestiegesetz damit bestätigt wurde.
„Die Tatsache, dass die uruguayischen Regierungen sich so lange geweigert haben, das Problem der ‘Verschwundenen’ anzusprechen, hat dazu geführt, dass Uruguay eines der rückständigsten Länder in Bezug auf dieses Thema ist. Diese Rückständigkeit hat letztlich für Batlle den Ausschlag gegeben, die Friedenskommission per Dekret einzusetzen. Sie hat allerdings lediglich das Mandat, die vorliegenden Informationen zusammenzutragen, kann also keine weiteren Untersuchungen erzwingen. Auf parlamentarischer Ebene wird die Kommission nur von der Opposition, dem Linksbündnis Frente Amplio und der sozialdemokratischen Fünf-Prozent-Partei Nuevo Espacio unterstützt. Die beiden traditionellen Parteien Colorados und Blancos, die das Regierungsbündnis stellen, haben kein Interesse an der Aufklärung der Verbrechen der Militärdiktatur. Mehr noch, Batlle wird in seinem eigenen Lager unter Druck gesetzt.“

Die Täter sind bekannt

Im Fall Simón Riquelo sind die Täter bekannt. Sie wurden von mehr als 20 ZeugInnen in Uruguay wie auch in Argentinien identifiziert. Bis heute leben der Entführer, Major José Gavazzo und sein Vorgesetzter im militärischen Geheimdienst Juan Antonio Rodríguez Buratti, allerdings frei im Land und werden nicht behelligt. Stattdessen wird von offizieller Seite harsche Kritik an Sara Méndez geübt. Vom Vorsitzenden der Friedenskommission Carlos Ramela wurde sie bereits als Lügnerin bezeichnet. Er warf ihr vor, nicht mit der Kommission zusammenzuarbeiten und nicht an Aufklärung, sondern nur an einem politischen Skandal interessiert zu sein. Die schlechten Beziehungen zwischen Méndez und der Kommission sind auch darauf zurückzuführen, dass vor einiger Zeit Mitglieder des Gremiums gezielt Fehlinformationen gestreut hatten, nach denen Simón schon lange Zeit tot sei. Dies ist ein beliebtes Mittel, um Angehörige bei der Suche nach den Opfern zu entmutigen und zur Aufgabe zu bewegen.

Solidarität mit Sara

Für Méndez steht fest: „Bis heute hat Präsident Batlle kein wirkliches Interesse an Aufklärung. Er möchte das Thema möglichst schnell vom Tisch haben. Dabei hatte er insbesondere im Fall der ‘verschwundenen’ Kinder Unterstützung versprochen. Aufklärung konnte nur durch internationalen Druck erreicht werden, wie im Fall des argentinischen Dichters Juan Gelman, dem es letztes Jahr gelang, die Tochter seines ermordeten Sohnes zu identifizieren.“ Während ihrer Europareise traf Sara Mendéz mit vielen MenschenrechtlerInnen und PolitikerInnen zusammen und erhielt Unterstützung für ihr Anliegen. So traf sie sich in Frankreich unter anderem mit Danielle Mitterand und Gesundheitsminister Bernard Kouchner. Der Gründer von Ärzte ohne Grenzen war bereits in den siebziger Jahren nach Uruguay gereist, um sich dort über die Lage der politischen Gefangenen zu informieren. Mendéz machte auch eine Zeugenaussage bei dem französischem Richter Roger Leloir, der seit einiger Zeit an Verfahren gegen argentinische Militärs arbeitet. Nach ihren Gesprächen mit Abgeordneten des Europäischen Parlaments in Frankreich, Belgien und Holland soll im Juli eine Resolution zu ihrem Fall im Europäischen Parlament eingebracht werden. In Deutschland kam kein Termin mit einem politischen Verantwortlichen zustande. „Keine Zeit!“ lautete die offizielle Begründung. Die nächsten Stationen ihrer Europareise sind die Schweiz und Spanien. Dort steht unter anderem auch ein Gespräch mit Richter Baltasar Garzón auf dem Programm.

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