Literatur | Nummer 282 - Dezember 1997

Wohin treibt Kuba?

Tom Beier

Bücher über Kuba haben – nicht erst seit des Che Gebeine exhumiert wurden – Konjunktur. „Der lange Abschied von einem Mythos“ titelte der Schmetterling Verlag dieses Jahr bereits – wenngleich die fundierte Studie des Autors dann doch keinen Abgesang auf den kubanischen Sozialismus darstellt. Weitaus vorsichtiger formuliert der Neue ISP Verlag in seinem Pocket-Band zur gleichen tropischen Insel und ihrem politischen Schicksal: „Kuba – Gesellschaft im Übergang“. Geschrieben wurden die zum Teil aus dem Französischen übersetzten, bereits in Le Monde Diplomatique erschienenen, Beiträge zu diesem neuesten Versuch, den kubanischen Sozialismus und sein Überleben in einem Meer des Neoliberalismus zu verstehen, von der ausgewiesenen Kuba-Kennerin Janette Habel. (Bereits 1993 hatte sie ebenfalls im Neuen ISP Verlag ein umfangreiches Kuba-Buch unter dem Titel „Die Revolution in Gefahr“ publiziert).
„Wohin treibt Kuba?“ heißt der Einleitungstext, der die Entwicklung Kubas seit den 70er Jahren im Überblick skizziert. Bereits hier ist Habels solidarische, aber auch kritische Haltung gegenüber dem kubanischen Sozialismus erkennbar. Sie spricht einerseits von den „hart erkämpften sozialen Errungenschaften“, aber auch von den „Zwängen der Staatsmacht“, von Fidel Castro als dem, der die „revolutionäre Legitimität verkörpert“, der aber auch „der (unterdrückerische) Vater des Vaterlandes“ sei. Für viele, auch hierzulande, gilt entweder nur das eine oder das andere. Daß Habel hier differenziert, macht die Stärke ihrer Betrachtungen aus. Auch in ihren Schlußfolgerungen kommt Habel zu einer Einschätzung, die den aktuellen kubanischen Weg nicht kritiklos hinnimmt: „Die Gangbarkeit des Marktsozialismus – mit Markt plus Einheitspartei – kann nur vorläufig sein.“ Habels Sozialismus-Vorstellungen gehen da in die entgegengesetzte Richtung: Weder Markt noch Einheitspartei. Eine interessante Position, die weder der der kubanischen Führung entspricht, noch der ungezählter selbsternannter Berater Fidel Castros, die dem Maximo Lider zwar auch empfehlen, die Einparteienherrschaft aufzugeben, aber ebenso den Markt als Zauberlösung für seine Probleme empfehlen. Die eigentliche Stärke des Buches liegt aber in der kompetenten Betrachtung ausgesuchter Aspekte der kubanischen Realität im Kontext des heutigen Weltsystems. So analysiert Habel in dem Beitrag „Die Fallstricke der neuen lateinamerikanischen Ordnung“ die Veränderungen im Verhältnis zwischen Europa und Kuba, aber auch zwischen dem Hauptwidersacher USA und der Karibikinsel. Interessant ist dabei zunächst ihre Darstellung der Annäherung Europas an die alten Kolonialgebiete unter neuen Vorzeichen. In Brüssel sieht man die US-Hegemonieansprüche auf ganz Lateinamerika und die Blockadepolitik gegenüber Kuba schon länger kritisch positiv. Natürlich spielen dabei auch eigene wirtschaftliche Begehrlichkeiten eine Rolle. Immerhin, so Habel, schaffen diese Dissonanzen zwischen den USA und Europa Handlungsmöglichkeiten für Kuba. Und gegenüber der US-amerikanischen „Politik des Schnellkochtopfs“, die den Druck auf die Insel ständig erhöhen soll, habe nicht nur die Europäische Union ihre „deutliche Besorgnis“ zum Ausdruck gebracht. Auch die lateinamerikanischen Staaten stehen ihr kritisch gegenüber. Zum einen, weil Kuba, das sich seine nationale Souveränität erkämpft hat, für sie schon immer Vorbildcharakter hatte. Zum anderen, weil die neoliberalen Konzepte der USA für Lateinamerika nach anfänglichen Scheinerfolgen brüchig geworden seien. Die Autorin führt hier die Probleme der Freihandelszone NAFTA, mit der die USA eine stabilere lateinamerikanische Ordnung versprachen, an. Daß aus den nordamerikanischen Plänen nichts geworden ist, zeigt sie am Beispiel Mexiko bzw. Chiapas.
In einem weiteren Beitrag stellt Janette Habel eine vergleichende Betrachtung Chinas und Kubas an. Immerhin nennen beide Staaten sich „sozialistisch“, und beide haben eine Politik der Öffnung gegenüber dem ausländischen Kapital durchgeführt. Hier hören aber nach Habel die Parallelen auch fast schon auf. Fidel Castros Legitimität sei wesentlich höher als es die Dengs je war, China habe eine völlig umstrukturierte, in den globalen Markt integrierte Wirtschaft und sei zudem eine Wirtschaftsmacht. Nicht zuletzt deshalb gewähren die USA China auch alle erdenklichen Handelsvorzüge – ganz anders als Kuba.
Auf Kuba, so Habel, ist „die Zeit nach Mao“ noch nicht gekommen und sie werde so wie in China auch nicht aussehen: „Das, was China mit Hochmut verweigern kann, indem es seine Gegner auf dem Tien-An-men-Platz niedermäht – Kuba kann es nicht.“
Solche erhellenden Vergleiche eröffnen ganz neue Blickwinkel auf die kubanische „Gesellschaft im Übergang“. Wohin sie sich bewegt, ist ungewiß. Janette Habels Buch hilft, die Umbrüche in einer wirtschaftlich stark abhängigen Gesellschaft besser zu verstehen. Mehr kann, mehr sollte ein Buch, das sich die solidarische Betrachtung der neueren kubanischen Entwicklung vorgenommen hat, nicht leisten. Es ist nicht unbedingt ein Buch für „Kuba-Einsteiger“, dafür wird zuviel vorausgesetzt. Aber eines, in dem differenziert analysiert und Stellung bezogen wird. Eben weder ein Abgesang noch eine Lobeshymne auf den „tropischen Sozialismus“.

Janette Habel, Kuba, Gesellschaft im Übergang, 166 Seiten, Neuer ISP Verlag, isp-pocket 61.

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