Guatemala | Nummer 392 - Februar 2007

Zehn Jahre Frieden – und die Frauenrechte?

Eine Bilanz zur Umsetzung der guatemaltekischen Friedensverträge

1996 endete der 36 Jahre andauernde Bürgerkrieg in Guatemala. In den verschiedenen Einzelabkommen der Friedensverträge waren zahlreiche Verpflichtungen enthalten, die sich explizit auf die Stärkung der Frauenrechte bezogen. Seitdem hat sich in der politischen Beteiligung von Frauen einiges getan. Die Umsetzung zahlreicher Gesetzesreformen lässt jedoch immer noch auf sich warten.

Lidia Morales

Zwei wichtige Beiträge haben die guatemaltekischen Friedensverträge vom 29. Dezember 1996 zur Verbesserung der Situation der Frauen geleistet: Zum einen wurde im „Abkommen über sozioökonomische Aspekte und Agrarsituation“ die bis dato unzureichend gewürdigte Beteiligung der Frauen in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung anerkannt. Zum anderen wurde durch die Integration der Frauenfrage als Querschnittsthema in fünf der Unterabkommen mit der vorherrschenden Tendenz gebrochen, frauenspezifische Fragen ausschließlich den für Frauen vorgesehenen politischen Räumen zuzuweisen. Die 28 Verpflichtungen zur Verbesserung der Situation von Frauen, die in den Abkommen enthalten sind, umfassen nicht nur strategische Gesetzesvorhaben wie die Verbreitung und Umsetzung der Konvention zur Abschaffung aller Formen von Diskriminierung von Frauen und die Abschaffung diskriminierender Rechtsartikel. Auch die Typisierung sexueller Belästigung als Straftatbestand, die rechtliche Gleichstellung von Hausarbeit und Erwerbsarbeit und ein gleichberechtigter Zugang zu sozialen Rechten (Bildung, Gesundheit und Wohnung) und produktiven Ressourcen (Arbeit und Land) sowie zu politischen Gestaltungs- und Organisationsräumen werden in den Dokumenten festgelegt. Die in den Abkommen aufgeführten Verpflichtungen reichen jedoch bei weitem nicht aus, das patriarchalische System als Machtsystem und Basis für geschlechtsspezifische Unterdrückung explizit in Frage zu stellen.
Von 1996 bis 1999 versammelten sich Frauen verschiedener Gruppierungen mit weiblichen Kongressabgeordneten, um Teile der Gesetzgebung zu reformieren. Darunter das Gesetz zur Prävention, Sanktion und Abschaffung innerfamiliärer Gewalt und die Modifizierung beziehungsweise Aufhebung von diskriminierenden Anordnungen im Zivil- und Strafrecht. Bis dato waren Ehepaare rechtlich ausschließlich durch den Mann repräsentiert und das Delikt des Ehebruchs galt nur für Frauen. VertreterInnen verschiedener Organisationen gelang es außerdem, sich in das Nationale Frauenforum einzubringen, wo sie Vorschläge einbringen können. Von 2000 bis 2003 beteiligte sich diese bunt gemischte Gruppe aus der Frauenbewegung an der Gründung der Nationalen Koordination zur Prävention innerfamiliärer Gewalt (CONAPREVI) und war dort mit drei Delegierten präsent. CONAPREVI nahm maßgeblich Einfluss auf die inhaltliche Ausformulierung der Kommunal- und Sozialentwicklungsgesetze und spielte eine bedeutende Rolle im Abstimmungsprozess zur Formulierung der „Politik für die Entwicklung und Förderung der guatemaltekischen Frauen“ und des „Plans zur Chancengleichheit 2001-2006“.

Mehr Mitspracherecht

Trotz des nach wie vor herrschenden Rassismus und ihrer starken Marginalisierung, gelang es den indigenen Frauen in dieser Zeit, mehr Mitsprache zu erlangen und spezifische Forderungen innerhalb der allgemeinen Frauenagenda aufzustellen. In den ersten Jahren setzten sie sich für einen Abbau von Ethnozentrismen in der politischen Mitbestimmung ein, indem sie regionale und sprachliche Kriterien für mehr Gleichberechtigung innerhalb des Nationalen Frauenforums einbrachten. Die Frauen, die in dieser Zeit die Permanente Nationale Kommission Indigener Frauen bildeten, erarbeiteten eine Gesetzesvorlage für die Einrichtung einer Menschenrechtsstelle für indigene Frauen (Defensoría de la Mujer Indígena). Daran anschließend wurde ein Prozess zur Definition der spezifischen Rechte indigener Frauen angestoßen. Dabei ging es unter anderem um das „Recht, Gewohnheiten und Traditionen zu modifizieren, die die Würde verletzen“ oder das „Recht, zu keinem Ehemann gezwungen zu werden“. Trotz der Öffnung politischer Räume und dem Ende der allgemeinen Repression herrschen in Guatemala weiterhin Armut und soziale Ungleichheit – die wichtigsten Ursachen für das Entstehen des bewaffneten Konflikts.
In diesem Zusammenhang wies die UN-Mission für Guatemala MINUGUA bereits im Jahr 2004 in ihrem Abschlussbericht darauf hin, dass das Armutsniveau mit 57 Prozent gleich geblieben, während die extreme Armut angestiegen sei. Dies liege vor allem daran, dass Kernpunkte des Abkommens über sozioökonomische Aspekte und die Agrarsituation, unter anderem die Steuerreform, Zugang zu Land, Priorisierung der Sozialpolitik und Anstieg der öffentlichen Sozialausgaben, aufgrund des „zögerlichen politischen Willens“ der jeweiligen Regierungen kaum umgesetzt wurden.
In den ersten Jahren nach der Unterzeichnung erfüllte der Staat einige seiner Verpflichtungen: Das Nationale Frauenforum wurde einberufen, einige Rechtsreformen umgesetzt und die Beteiligung von Frauen bei Konsultations- und Gesprächsprozessen gefördert. Weitere staatliche Maßnahmen waren die Einrichtung einer Frauenrechtsabteilung innerhalb der Nationalen Ombudsstelle für Menschenrechte (DEMI) und eines Sekretariats des Präsidenten für Frauenangelegenheiten (SEPREM), das aber letztendlich wesentlich weniger Autonomie bekam, als von den Frauen gefordert worden war. Zahlreiche Verpflichtungen aus den Friedensabkommen hat der Staat jedoch bis heute nicht erfüllt. So gibt es nach wie vor weder eine Typisierung des Delikts der sexuellen Belästigung gegen indigene Frauen, noch eine spezifische Gesetzgebung über die Rechte von Hausangestellten. Auch die Revision und Abschaffung diskriminierender Inhalte in verschiedenen Gesetzestexten lässt auf sich warten. So sind wesentlich mehr Anstrengungen und Sensibilisierungskampagnen seitens des Staates nötig, um der schwerwiegenden Gewalt gegen Frauen, die sich im kontinuierlichen Ansteigen der Frauenmorde zeigt, zu begegnen.
Zehn Jahre nach Friedensschluss zeigt die Bilanz zum einen, dass die Verpflichtungen aus dem sozioökonomischen Friedensabkommen, mit denen soziale Ungleichheiten reduziert werden sollten, nicht erfüllt worden sind. Zum anderen wird eine schwache Verpflichtung des Staates gegenüber der Agenda der Frauenrechte ersichtlich, die sich im wesentlichen auf Partizipationsprozesse und die Gründung einer sich immer noch im Aufbau befindenden Institution konzentriert.
Deutlich wird jedoch, dass die Frauen in ihren Fähigkeiten, sich bei Verhandlungen und Gesprächen einzubringen und konkrete Vorschläge auf die politische Agenda zu setzen, bedeutende Fortschritte gemacht haben. Doch auch hier sind manche Themen bislang unberührt geblieben: So haben sich die politisch aktiven Frauen bisher beispielsweise kaum der Kulturpolitik zugewandt und verbreitete soziale und kulturelle Muster, die eine Unterdrückung von Frauen legitimieren, kaum in Frage gestellt. Die genderspezifische Diskriminierung ist nach wie vor fest verwurzelt. Umso notwendiger ist deshalb, dass sowohl Männer als auch Frauen sich als diejenigen begreifen, die die patriarchale Ordnung reproduzieren. Nur so können Mechanismen entwickelt werden, sexistische Muster zu überprüfen mit dem Ziel, sie aus der Sprache, der Wissenschaft und den Medien zu verbannen.

Übersetzung: Heike Burba
Die Autorin des Artikels ist feministische Ärztin, Dozentin für Genderstudien bei FLACSO und Expertin für Entwicklungsfragen und Sozialpolitik.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren