Nummer 382 - April 2006 | Peru

Zu dritt und Kopf-an-Kopf

Der Ausgang der Präsidentschaftswahl in Peru ist noch nicht abzusehen

Am 9. April haben rund 16 Millionen PeruanerInnen die Wahl. Mit ihren Stimmen entscheiden sie über die Besetzung das PräsidentInnenamtes und die Abgeordneten im Kongress für weitere fünf Jahre. Von aktuell noch 19 KandidatInnen haben lediglich die Christdemokratin Lourdes Flores, Ex-Präsident Alan García und der nationalistische Ex-Militär Ollanta Humala realistische Chancen auf den Sieg in der ersten Runde.

Stefan Hartmann

Was sie von ihren Abgeordneten im Kongress halten, weiß die Mehrheit der PeruanerInnen sehr genau: Sie sind derart unzufrieden mit ihnen, dass sie die Möglichkeit der Wiederwahl für Kongressabgeordnete ablehnen. In Form permanenter Umfragetiefs traf diese Stimmung über Jahre hinweg auch Präsident Alejandro Toledo. Trotz guter gesamtwirtschaftlicher Daten, die jedoch die Situation der mehrheitlich armen Bevölkerung Perus nicht verbesserten, verzichtete er auf eine erneute Kandidatur. Ein aus seiner exklusiven Sicht potenzieller Kandidat musste sogar an der Einreise nach Peru gehindert werden: Der ehemals flüchtige und international gesuchte Ex-Diktator Alberto Fujimori sitzt jetzt in Chile in Haft.
Im Rennen um die im Vordergrund des öffentlichen Interesses stehenden Wahlen zur Präsidentschaft haben sich drei KandidatInnen herauskristallisiert, die in den Umfragewerten noch nahe beieinander liegen und alle Chancen haben, in der ersten Wahlrunde zu bestehen. Drei Wochen vor dem Wahltermin führt Lourdes Flores mit um die 30 Prozent, Ollanta Humala folgt mit Werten in den Zwanzigern, Alan García liegt einige Prozent hinter Humala. Genauere Prozentwerte lohnen kaum, denn eine repräsentative Umfrage, die das Wahlverhalten auf dem Land einbezieht, ist nur schwer vorzunehmen. Es ist zudem ein Wahlkampf mit irritierenden Rückmeldungen aus der WählerInnenschaft, denn je näher die Wahlen rücken, um so größer wird die Zahl derer, die sich laut Umfragen nicht entscheiden können, wen sie im PräsidentInnenamt sehen wollen. Diese votos escondidos machen das Rennen spannend, kommen sie doch mehrheitlich eher García und Humala zugute.
Humala ist es zudem, der die in peruanischen Wahlkämpfen fast schon traditionelle Rolle des Überraschungskandidaten besetzt. Sein rascher Aufstieg in der Gunst der WählerInnen erfolgte seit Dezember letzen Jahres. Er sieht sich jedoch gegenwärtig starken Angriffen von peruanischen Organisationen ausgesetzt, die ihn persönlich für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich machen, die in den 1990er Jahren während seiner Zeit als Kommandant im Militärstützpunkt Madre Mia geschehen sind.

Lourdes Flores, die Konservative

Schon 2001 war die alleinstehende Rechtsanwältin und frühere Kongressabgeordnete angetreten. Damals war Flores sich sicher, die Stichwahl gegen Toledo zu erreichen. Aber Alan García fing sie noch auf der Zielgeraden ab. Flores steht für politische Kontinuität, als auch für das Freihandelsabkommen, das Toledo mit den USA verhandelt hat und das er noch als letzten grossen Akt seiner Regierungszeit unter Dach und Fach bekommen möchte. Zweifellos ist sie die Kandidatin der Rechten, des Bürgertums der Küste, das daran gewöhnt ist, die politische Macht in den Händen einer der Ihrigen zu wissen.
Die grösste Stärke von Lourdes Flores ist ihre persönliche Reputation: Die Mittvierzigerin gilt als integer und klug. Um sie herum allerdings tummeln sich unter anderen die reaktionärsten Sektoren der peruanischen Gesellschaft. Ihr Vater scheint im Wahlkampf Redeverbot zu haben, nachdem er seiner Tochter 2001 durch einen rassistischen Ausfall gegen Alejandro Toledo das Image verhagelte. In ihrem Parteienbündnis Unidad Nacional hat das erzkonservative katholische Opus Dei nicht unbeträchtlichen Einfluss. Flores ist sich der Tatsache bewusst, dass sie ein Imageproblem hat als vermeintliche „Kandidatin der Oligarchie“. Umso mehr setzt sie im Wahlkampf soziale Akzente. Im nationalen Fernsehen ist sie stark präsent und häufig zu Besuchen in armen ländlichen Gebieten zu sehen. Von sich selbst sagt sie, dass sie keine Kandidatin des ‘big business’ sei, und sich statt dessen für Mikrokreditsysteme und die Förderung von Kleinunternehmen einsetzen wolle. Sie kann allerdings nichts daran ändern, eine Vertreterin des weissen, städtischen Bürgertums zu sein. Beispielsweise in den südlichen Andenregionen kann sie kaum auf Unterstützung rechnen.

Alan García, der Politprofi

Keiner mobilisiert so viele Antipathien wie García, der in seiner Regierungszeit von 1985 bis 1990 das Land in eine Hyperinflation geführt hat, der die politische Verantwortung für schwere Menschenrechtsverletzungen im Kampf des Staates gegen Sendero Luminoso trägt und der zehn Jahre lang darauf warten musste, in die peruanische Politik zurückkehren zu können. Seine Vergangenheit ist seine große politische Hypothek. Aber keiner beherrscht so wie García das Spiel mit den Massen und den Medien. Der Ex-Präsident ist ein begnadeter Rhetoriker, sei es bei großen Kundgebungen oder im Interview mit den kritischsten Journalisten des Landes. Dazu verfügt er über den einzigen organisierten Parteiapparat in Peru. Die APRA hat alle Krisen überlebt und kann auf eine Stammwählerschaft bauen, die noch den berühmten Besenstiel wählen würde, wenn er nur von der APRA kommt.
García betont die Rolle des Staates in der Sozialpolitik und steht in kritischer Distanz zu der durch die USA vertretenen Freihandelsideologie. Wirtschaftspolitische Kamikazeaktionen wie zum Beispiel die Bankenverstaatlichung in seiner ersten Regierungszeit würde er wohl nicht wiederholen. Was von diesen politischen Akzenten durch einen Präsidenten García tatsächlich in Politik umgesetzt werden würde, ist allerdings mehr als fraglich. Im Wahlkampf gibt Garcia den geläuterten Sünder.

Humala, das grosse Fragezeichen

Sollte Rot die Modefarbe in 2006 sein, dann liegen Ollanta Humala und sein Team im Trend. Sie jedenfalls verleihen mit ihren roten T-Shirts mit der Aufschrift „Amor por el Peru“ (Liebe für Peru) den Wahlauftritten des Ex-Militärs einen deutlichen Farbtupfer.
Humala war Offizier in der Zeit des internen bewaffneten Konfliktes, und er war in der Endphase der Regierung Fujimori am Widerstand gegen diese beteiligt. Er stammt aus den Anden und kann im Wahlkampf so die Karte seiner Herkunft aus der Provinz spielen. Sein Bruder Antauro Humala sitzt im Gefängnis als Anführer der bizarren Ereignisse in Andahuaylas im Januar 2005, als er mit einer Truppe von Anhängern drei Tage lang die Polizeistation besetzte, eine Aktion, bei der mehrere Polizisten getötet bzw. verletzt wurden. Sein Vater Isaac ist Gründer und intellektueller Kopf der nationalistisch-totalitären Ethno-Caceristischen-Bewegung, nach denen nur die Nachfahren der Inka Peru aus der Armut führen können.
Monatelang äußerte sich Humala überhaupt nicht zu programmatischen Fragen, sondern sprach mit seinem Wahlkampf ausschliesslich Gefühle an. Er ist attraktiv für alle, die einer dumpfen Abneigung gegen das Establishment, gegen Politiker überhaupt, die einem ausgesprochen schlicht gestrickten Nationalismus und tief autoritärem Denken verbunden sind.
In den andinen Regionen, vor allem im Süden Perus, tritt Humala damit in Bezug auf die Wählerschaft die politische Erbschaft Alberto Fujimoris an. Dieses Feld wurde frei, nachdem klar war, dass Fujimori aus Chile nicht rechtzeitig nach Peru würde zurückkehren können, um als Kandidat am Wahlkampf teilzunehmen. Seine Statthalter mit Spitzenkandidatin Martha Chávez sind in den Umfragen weit abgeschlagen, es fehlt die Figur Fujimori.
Mitten im peruanischen Wahlkampf reiste Humala nach Venezuela und wurde dort von Präsident Hugo Chávez zum politischen Partner in Peru ausgerufen. Ob dieser ihm damit einen Bärendienst erwiesen hat, steht dahin, denn eine so offensichtliche Einmischung anderer Staaten in die peruanische Politik wird von der Wählerschaft nicht unbedingt goutiert. Ollanta Humala knüpft vor allem in einem wesentlichen Punkt an linke politische Forderungen an: Er will den Freihandelsvertrag mit den USA revidieren.
Menschenrechtsorganisationen sehen allerdings mit großer Sorge den Erfolg Humalas in den Umfragen, denn der Kandidat hat keinen Zweifel daran gelassen, dass er die Anstrengungen, Prozesse gegen Offiziere wegen Menschenrechtsverletzungen in der Zeit der politischen Gewalt einzuleiten, als große Ungerechtigkeit gegenüber den vermeintlichen Verteidigern des Vaterlandes empfindet. Aus seiner direkten Umgebung wurden ganze Breitseiten gegen die Nationale Menschenrechtskoordination abgefeuert.
Pikant sind dabei Anschuldigungen gegen Humala, die in den letzten Monaten die Medien beschäftigt haben: Humala sei, so das Fernsehmagazin Panorama, in der Zeit des bewaffneten Konfliktes in Dorf Madre Mía im Departement San Martín als Kommandant persönlich für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Am 16. März veröffentlichte die Nationale Menschenrechtskoordination Perus einen Bericht, der einen detaillierten Blick und konkrete Daten zum Aufenthalt von Ollanta Humala von 1992 bis zum Januar 1993 im Militärstützpunkt „Madre Mia“ liefert. Verschiedene EinwohnerInnen der Region haben gegen ihn wegen Menschenrechtsverletzungen wie Folter und Verschwindenlassen Anzeige erstattet. Mittlerweile wurden drei der Anzeigen gegen Humala gegenüber dem Vertreter des Ministerium für Öffentliche Angelegenheiten der Provinz Tocache (Region San Martin) formalisiert.
Die Vorwürfe lassen Humala jedoch unbeeindruckt. Er habe „keine Menschenrechte verletzt und ein ruhiges Gewissen, da ich niemanden getötet habe, und wenn, dann im Kampf um die Befriedung des Landes.“

Kopf-an-Kopf-Rennen

Keine Kandidatin, kein Kandidat hat gegenwärtig eine realistische Aussicht auf eine absolute Mehrheit. So wird es nach dem ersten Wahlgang am 9. April wohl im Mai zu einer Stichwahl zwischen den beiden Erstplatzierten kommen. Zwei der drei „großen“ Kandidaten werden dabei sein, einer scheidet schon am 9. April aus.
Zwar liegt Alan García gegenwärtig auf dem dritten Platz in den Umfragen, aber ein Blick zurück zeigt, wozu der ehemalige Präsident im Wahlkampf fähig ist. Im Jahr 2001 galt es als ausgeschlossen, dass García wiedergewählt werden könnte. Trotzdem schaffte er sensationell den Einzug in die Stichwahl, nachdem er im ersten Wahlgang knapp Lourdes Flores überrundet hatte. In der Stichwahl gegen den späteren Präsidenten Toledo unterlag er nur mit wenigen Prozentpunkten Unterschied. Alan García kann nicht vorzeitig abgeschrieben werden – sowohl Lourdes Flores Nano als auch Ollanta Humala werden bis zum letzten Moment zittern müssen.

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