Nicaragua | Nummer 443 - Mai 2011

Zucker im Tank – Gift in der Niere

Pestizidgeschädigte nicaraguanische ZuckerrohrarbeiterInnen fordern ein Überdenken der Ethanolimporte in die EU

Bei den ArbeiterInnen der Zuckerrohrplantagen Chinandegas im Nordwesten Nicaraguas häufen sich die Fälle chronischer Niereninsuffizienz. Auf der Plantage San Antonio gründeten Betroffene die Nicaraguanische Vereinigung Chronisch Nierengeschädigter (ANAIRC). Sie erzielten bereits Erfolge bei der Regierung, die die Krankheit als Berufskrankheit anerkannte. Der Pellas-Konzern, Eigentümer der Plantage, weist dagegen bis heute jede Verantwortung von sich. Pellas ist der größte Zuckerrohrproduzent Mittelamerikas. Die steigende Nachfrage in der EU nach Ethanol als Agrotreibstoff schlägt sich bereits in einer Ausweitung der Zuckerrohrproduktion nieder.

Interview: Andrés Schmidt, Ökumenisches Büro München

Sie haben gerade eine Informationsrundreise durch Deutschland hinter sich. Was hat Sie zu dieser Reise motiviert?

Camilo Navas: Es gibt ja in Deutschland eine angeregte Debatte über die Ethanolbeimischung im Benzin, in deren Zentrum allerdings die Verträglichkeit für Motoren steht. Wir wollen darüber sprechen, wo das Ethanol herkommt, wie es mit den Arbeitsbedingungen bei der Produktion aussieht, und ob es sich wirklich lohnt, auf diesen Sprit umzusteigen.

Sie vertreten die ANAIRC. Was hat zur Gründung dieser Organisation geführt?

Carmen Ríos: Bereits 1998 waren über 2.000 ehemalige Arbeiter von Chronischer Niereninsuffizienz betroffen. Arbeiter, bei denen die Krankheit festgestellt wurde, wurden einfach entlassen. Sie haben gar nichts bekommen, keine Gesundheitsversorgung, keine Berufsunfähigkeitsrente, keine Entschädigung.
Im Jahr 2003 haben wir zum ersten Mal einen Marsch zur Zentrale der Pellas-Gruppe nach Managua organisiert. Wir wurden aber nicht ernst genommen. Daraufhin verlagerten wir unseren Kampf auf die Anerkennung von Chronischer Niereninsuffizienz als Berufskrankheit, um von der staatlichen Sozialversicherung INSS Renten und Gesundheitsversorgung zu erhalten. Das Parlament verabschiedete ein entsprechendes Gesetz, welches der damalige Präsident Enrique Bolaños aber mit einem Veto belegte. Sein Berater war (der Unternehmenschef, Anm. d. Red.) Carlos Pellas. Nach einem weiteren Marsch nach Managua, den wir gemeinsam mit den Nemagon-geschädigten Bananenarbeitern (Nemagon ist ein in der Bananenproduktion eingesetztes Pestizid, Anm. d. Red.) durchführten, wurde das Veto aufgehoben. Seit 2005 haben 6.543 Geschädigte eine Berufsunfähigkeitsrente bekommen.

Die nicaraguanische Regierung hat also den Zusammenhang zwischen Pestizideinsatz und chronischer Niereninsuffizienz anerkannt und Konsequenzen gezogen. Wie sieht es mit dem Unternehmen Pellas aus?

Ríos: Pellas weist nach wie vor die Verantwortung von sich, obwohl die Krankheit außerhalb der Zuckerrohrplantagen praktisch nicht vorkommt. Darum sind wir im März 2009 ein weiteres Mal nach Managua gezogen. Dort führen wir bereits seit 25 Monaten täglich eine Kundgebung durch, in der wir Entschädigungen fordern. Mein Vater ist in diesem Protestcamp gestorben. Wir haben es ziemlich schwer, in die nicaraguanischen Medien zu kommen, weil die meisten befürchten, dadurch die Pellas-Gruppe als Anzeigenkunden zu verlieren.
Allein auf unserer Plantage gibt es 8.300 von chronischer Niereninsuffizient betroffene ehemalige Arbeiter, bei derzeit 7.000 Arbeitern. 5.341 Personen sind bereits an der Krankheit gestorben. Das Grundwasser ist hochgradig pestizidverseucht.

Stellt die ANAIRC außer der Versorgung der Betroffenen noch weitere Forderungen?

Ríos: Ja. Wir fordern die Einführung einer verantwortungsvollen Zuckerrohrproduktion. Das Abbrennen der Felder vor der Ernte muss beendet werden. Der Pestizideinsatz muss drastisch eingeschränkt und kontrolliert werden. Wir brauchen eine Sanierung des verseuchten Grundwassers und es dürfen keine Wälder für die Ausweitung der Produktion zerstört werden. Eine Gesundheitsversorgung mit ärztlicher Betreuung, Medikamenten und Dialyse muss für alle Betroffenen gewährleistet sein,

Die EU hat sich ehrgeizige Ziele für die Steigerung des Agrosprit-Anteils im Treibstoff gesetzt. Damit wird auch der Importbedarf an Ethanol ansteigen. Im noch zu ratifizierenden Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Zentralamerika wird Zollfreiheit für das Produkt festgelegt. Ist der Agrosprit-Boom auch in Nicaragua zu spüren?

Navas: 2007 lagen die Ethanolexporte Nicaraguas in die USA und die EU bei zusammen 17 Millionen Liter. 2010 waren es bereits 45 Millionen Liter. Die Plantage San Antonio, auf der ANAIRC ansässig ist, war die erste in Nicaragua, die Ethanol für Treibstoff herstellte. Es steht dort eine Raffinerie, die nach eigenen Angaben 300.000 Liter täglich herstellt.

Gibt es einen Unterschied im Anbau von Zuckerrohr für die Spriterzeugung gegenüber dem Anbau von Zuckerrohr als Lebensmittel?

Navas: Soweit wir wissen nicht. Es werden die gleichen Pestizide verwendet.

Finden Sie, dass die Agrospritproduktion in Nicaragua gestoppt werden sollte?

Ríos: Nein. Von mir aus könnte man halb Nicaragua mit Zuckerrohr für Agrosprit bestellen, solange es ökologisch und sozial verträglich hergestellt würde, und genügend Land für den Anbau von Grundnahrungsmitteln bliebe.

Wie machen Sie weiter, wenn Sie nach Nicaragua zurückkommen?

Ríos: Wir werden uns mit dem Präsidenten treffen und ihn mit etwas konfrontieren, das wir in Berlin erfahren haben. Es handelt sich um die Übereinkunft Nr. 157 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die den Arbeitsschutz regelt. Wir bitten die Konsumenten darum, aufmerksam zu verfolgen, wie der Agrosprit hergestellt wird und nicht auf Formulierungen wie „nachhaltiger Biotreibstoff“ herein zu fallen, solange die Produktion weiter solch großes Leid über unsere Familien bringt und der madre tierra so großer Schaden zugefügt wird.

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