Nummer 344 - Februar 2003 | Sachbuch

Zwischen Kolumbus und Shakira

Einstieg in den Sound eines Subkontinents

Lateinamerika ist die Wiege unzähliger Rhythmen und Stile. Latino–Sounds sind weltweit präsent und Musiker wie Shakira, der Buena Vista Social Club oder Gilberto Gil feiern Triumphe. Wo Vallenato, Corrido, Cueco oder Cumbia ihre Wurzeln haben, lässt sich in „Salsa Samba Santería“ nachlesen und -hören.

Knut Henkel

Ausgerechnet eine Frau, Chavela Vargas, ist als Königin der mexikanischen Rancheras, jener vor machismo triefenden mexikanischen Nationalmusik, in die Geschichte eingegangen. Vargas, eine bekennende Lesbe, trat in den 50er Jahren in Hosen und Poncho in Bars wie Theatern auf und machte aus ihrem Mitgefühl für die verflossenen Mädchen, von denen die Ranchera-Texte oft handeln, kein Geheimnis. Die alte Dame mit der heiseren Stimme genießt Kultstatus in Mexiko und selbst die Machos verbeugen sich vor der wohl eindrucksvollsten Interpretin der Ranchera.
Wesentlich älter als die Ranchera ist hingegen der Corrido: die gesungene Zeitung der ländlichen Regionen Mexikos. Aktuelle politische Ereignisse werden besungen und jener Corrido vom Comandante Marcos, dem bekannten EZLN–Vertreter, belegt die Aktualität des Genres. Nahezu jedes lateinamerikanische Land, so die Autoren Arne Birkenstock und Eduardo Blumenstock, hatte oder hat seine klingende Druckfahne – in Kuba war es der Son, der die Neuigkeiten verbreitete, in Peru hingegen der Huayno. Letzterer ist der am weitesten verbreitete Tanz der Anden und geht als einer der wenigen Genres auf die indianischen Ureinwohner zurück. Denen und ihrer unfreiwilligen Entdeckung widmen die Autoren ihre ersten Kapitel, um danach die Musikgeschichte des Subkontinents in Sieben-Meilen-Stiefeln zu durchmessen.
Das eine oder andere, wie die Champeta, die Musik der vorwiegend schwarzen Bevölkerung an der Karibikküste Kolumbiens, oder die unterschiedlichen Stile der Anden kommen dabei zu kurz.

Mut zur Lücke

Ohne den Mut zur Lücke lässt sich ein derart ambitioniertes Werk wohl kaum realisieren. Zumal die Autoren die historische wie gesellschaftliche Entwicklung des Subkontinents nicht ausblenden. Zwei Kapitel haben sie der Unabhängigkeitsbewegung und dem Einfluss der schwarzen Kultur und Religion gewidmet, die schließlich viele der bekannten musikalischen Genres prägt. Derart präpariert lassen sich die folgenden Kapitel über Brasiliens wichtige Musikstile, die Samba, den Bossa Nova und die Música Popular besser verstehen. Unterhaltsame Anekdoten über die Entstehung des Hits „The Girl from Ipanema“, der in einer Strandbar entstanden sein soll und dessen Protagonistin aus Fleisch und Blut ist, haben die Autoren bei ihrer relativ detaillierten Darstellung der brasilianischen Musikgeschichte genauso zu bieten wie harte biographische Fakten über Sambakönigin Carmen Miranda oder Bossa Nova Papst João Gilberto. Über das schnelle Ende des Bossa Novas, das in die Zeit des Militärputsches von 1964 fällt, informieren die beiden Autoren genauso wie über dessen befruchtenden Einfluss auf den Jazz.
Als New Brazilian Jazz wurde der neue Stil im Ausland anfangs angekündigt und der Bossa Nova hat in den Folgejahren einiges für die Modernisierung des Jazz getan, ist aber alles andere als Jazz.

Slow Rumba

Doch das richtige Etikett ist für den Verkauf eines neuen Genres in den USA und Europa oftmals entscheidend und so wurde der Bolero in den dreißiger Jahren von den Lecuona Cuban Boys als „slow Rumba“, als langsame Rumba, in Europa eingeführt.

Sammelsurium von Rhythmen

Marketing spielte bereits damals eine wichtige Rolle und da die Rumba große Erfolge feierte und der Bolero weitgehend unbekannt war, geht die Umbenennung des Bolero, der Schnulze des Kontinents, auf einen findigen Manager zurück.
Ähnlich verhält es sich mit der Salsa, die keinen Rhythmus bezeichnet, sondern als Oberbegriff ein Sammelsurium von Rhythmen eint. Für Willie Colón ist die Salsa nicht nur ein musikalisches, sondern auch ein soziopolitisches und kulturelles Konzept. Für Celia Cruz hingegen ist es die Mischung aller kubanischen Rhythmen in einem. Dafür musste ein Name her und ob er einem Radiomann oder den Werbestrategen des legendären Fania-Labels zu verdanken ist, sei dahingestellt.
Unstrittig ist hingegen, dass die Kubaner für das Gros der Zutaten der Soße verantwortlich sind, und deshalb gebührt der kubanischen Musik und ihren wichtigsten Genres auch ein Sonderkapitel in „Salsa, Samba,Santería“. Das haben sich die Musiker von der Insel nicht nur verdient, weil sie die wichtigsten Zutaten für die Salsa lieferten, sondern auch, weil sie den Jazz revolutionierten und viel für die Entwicklung des Latin Jazz und des Bolero taten. Der Schnulze des Subkontinents und deren Entwicklungsgeschichte zwischen Mexiko, Kuba und Puerto Rico widmen Birkenstock/Blumenstock ihr vorletztes Kapitel.

Tango als trauriger Gedanke

Das Letzte haben sie dem Tango vorbehalten, jenem traurigen Gedanken, den man tanzt und dessen Wurzeln eher in Europa als auf dem Subkontinent zu suchen sind. In Buenos Aires endet schließlich die Reise durch die Musik eines Kontinents. Eine Reise im Überlandbus, der nur an den wichtigsten Stationen hält und die pittoresken Dörfer lateinamerikanischer Musik vernachlässigt.
Ein gelungener Einstieg in die Musik des Subkontinents, der Lust auf mehr macht. Schade nur, dass viele der vorgestellten Musikrichtungen und Musiker sich auf der beiliegenden CD nicht wieder finden. Die wird von bekannten kubanischen und brasilianischen Klängen dominiert.

Salsa Samba Santería – Lateinamerikanische Musik von Arne Birkenstock und Eduardo Blumenstock, DTV-Premium inklusive CD, 20,00 Euro

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