Land und Freiheit | Nummer 447/448 - Sept./Okt. 2011

Zwischen Patriotismus und Plünderung

Die neue Landnahme in Lateinamerika führt zu Reaktionen von Regierungsseite

Die Welle von Landgeschäften, die Südamerika überrollt, heizt Debatten um nationale Souveränität und mögliche Gegenmaßnahmen an. Manche Regierungen ergreifen Initiativen, die den Grundbesitz von Ausländer_innen einschränken sollen. Den Landraub werden sie dadurch jedoch kaum eindämmen.

Thomas Fritz

Bei Investoren, die sich heute auf die weltweite Jagd nach fruchtbaren Böden machen, ist Lateinamerika sehr beliebt: Anders als Afrika bietet der Subkontinent den Vorteil größerer Rechtssicherheit und entwickelter Infrastrukturen. Angetrieben durch hohe Profitaussichten dank steigender Lebensmittelpreise kanalisieren Banken und Fonds Milliarden-Summen in südamerikanische Agrarfirmen, die meist mehrere Anwesen zugleich für internationale Anleger_innen verwalten. In einer Studie der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) wird davon ausgegangen, dass „ein Drittel der Fonds, die weltweit in Farmland investieren, Gelder in Brasilien angelegt haben“.
Cosan, der Gigant unter den brasilianischen Zuckerfabrikanten, ist einer der Land Grabber, in dem nationales und internationales Kapital verschmelzen. Eigene Zuckerrohrfelder in der Größe von 700.000 Hektar liefern den Rohstoff für Cosans 23 Zucker- und Ethanolfabriken. Anfang des Jahres gründete der Großgrundbesitzer mit der britisch-niederländischen Royal Dutch Shell das Gemeinschaftsunternehmen Raízen, das den internen und internationalen Markt mit Ethanol beliefern soll. Um die Expansion zu ermöglich, füllen deutsche Kleinanleger_innen Cosans Kriegskasse auf. Mehrere Fonds der DWS, die Investmentgesellschaft der Deutschen Bank, beteiligen sich an dem berüchtigten Konzern. 2010 setzte das brasilianische Arbeitsministerium Cosan auf die schwarze Liste der Sklavenhalter, nachdem 42 Zwangsarbeiter_innen auf einer seiner Plantagen befreit werden mussten. Ebenso beschuldigte die Staatsanwaltschaft im Bundesstaat Mato Grosso do Sul das Unternehmen, Zuckerrohr auf einer Plantage anzubauen, die es illegal auf Indigenen-Land der Guarani-Kaiowá angelegt hatte.
Die Deutsche Bank lässt ihre Anleger_innen auch an der Waldzerstörung mitverdienen. So investieren drei DWS-Fonds in die argentische Cresud, die über 650.000 Hektar in Argentinien, Brasilien, Bolivien und Paraguay besitzt. Neben Viehzucht und Getreideanbau für den Export, gehören Aufkauf und Erschließung von Ackerland zum Schwerpunkt des Unternehmens. In der nordargentinischen Provinz Salta führt Cresud die Liste der lokalen Abholzer an: Über 56.000 Hektar artenreicher Quebracho-Wälder fielen dem Konzern zum Opfer, um Platz für Felder und Weiden zu schaffen. Leidtragende sind vor allem die Indigenen der Wichí, die mit den Wäldern einen Teil ihrer Lebensgrundlagen verloren haben. „Die Wichí sind traditionell Jäger und Sammler“, erläutert Ana Álvarez von der Nichtregierungsorganisation Asociana. Durch den Waldverlust ist ihre Verarmung mittlerweile so groß, dass in diesem Jahr bereits zehn Kinder an Unterernährung gestorben sind.
Doch die Milliarden, die internationale Investoren in landraubende Agrarfirmen pumpen, heizen auch Debatten um den Verlust nationaler Souveränität in der Region an. Als 2010 im Vorwahlkampf brasilianische Medien mit Berichten über Investitionspläne chinesischer, arabischer und europäischer Unternehmen überquollen, warnte auch der damalige Präsident Lula da Silva vor dem „Missbrauch von Landkäufen durch Ausländer“. Wenn Brasilien diesen Trend nicht aufhalte, werde das Land auf „ein winziges Territorium“ zusammenschrumpfen. Guilherme Cassel, der Minister für Agrarentwicklung, sekundierte: „Brasilianisches Land muss in der Hand von Brasilianern bleiben“.
Die brasilianische Zentralbank untermauerte die Befürchtungen vom Ausverkauf mit ihrer Schätzung, dass Ausländer_innen zwischen 2002 und 2008 2,4 Milliarden US-Dollar in Landkäufe investierten. Doch wie groß die Flächen in ausländischem Besitz konkret sind, ist unbekannt. So weist die Agrarreformbehörde INCRA nur die Zahl der Grundstücke aus, die sich auch namentlich im Besitz von Ausländer_innen befinden. Dies seien 34.000 mit einer Gesamtfläche von über vier Millionen Hektar. Da viele Investoren aber brasilianische Strohmänner, Briefkastenfirmen oder Unternehmen als formale Grundeigentümer einsetzen, ist der von Ausländer_innen kontrollierte Besitz faktisch weit größer. Schätzungen gehen von bis zu 30 Millionen Hektar aus.
Im August 2010 schließlich ließ Lula eine neue Interpretation eines Gesetzes von 1971 durch den Generalstaatsanwalt verkünden, die den Landkauf von Ausländer_innen oder Unternehmen, die von Ausländer_innen kontrolliert werden, beschränkt. Danach dürfen ausländische Investoren künftig nicht mehr als 50 Parzellen einer brasilianischen Gemeinde erwerben. Da die Parzellen je nach Region und physischer Ausstattung unterschiedlich groß ausfallen, kann die Gesamtfläche, die sie künftig noch kaufen dürfen, zwischen 250 und 5.000 Hektar betragen. Doch darf sie nicht 25 Prozent der gesamten Ackerflächen einer Gemeinde überschreiten.
Generalstaatsanwalt Luís Lucena Adams versicherte zugleich, dass die Maßnahme ausländische Investitionen nicht ausbremsen werde: „Wir schließen nicht die ausländische Beteiligung aus, aber wir wollen die nationale Kontrolle über den Landbesitz ausüben. Die Unternehmen werden sich anpassen und enger mit lokalen Firmen kooperieren müssen.“ Genau daran aber setzt die Kritik von Linken und sozialen Bewegungen an. Professor Horácio Martins de Carvalho, Agraringenieur und Berater des Kleinbauernetzwerks Via Campesina, schimpft: „Nichts verhindert, dass ausländische Aktionäre Anteile nationaler Unternehmen erwerben, die Land kaufen.“ Für ihn steht außer Frage, dass sowohl die Regierung als auch wichtige Teile der Unternehmerschaft das ausländische Kapital willkommen heißen.
Ohnehin sei die Effektivität dieser Maßnahme zu bezweifeln, da ihre Umsetzung vom guten Willen der Katasterämter abhänge. Diese jedoch sind längst privatisiert worden und berüchtigt für die Korruption bei der Registrierung von Landtiteln. All die Sorgen um den Ausverkauf wären letztlich erst dann hinfällig, wenn die Regierung eine umfassende Agrarreform durchführen würde, die vier bis fünf Millionen Landlose ansiedelt und die Latifundien zerschlägt. Dann nämlich, so Carvalho, stünde das brasilianische Territorium „unter der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Kontrolle der Bauernschaft“. Dagegen werde der Vormarsch des Agrobusiness solange nicht zu stoppen sein, wie nur halbherzige Maßnahmen ergriffen würden, „die sich auf das ausländische Kapital in unserer Landwirtschaft beschränken“.
Ähnliche Initiativen werden nun auch in anderen Ländern diskutiert, etwa in Argentinien, Bolivien und Uruguay. „Die Verfügung über Land ist eine vitale, strategische Frage im 21. Jahrhundert“, erklärte Argentiniens Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner bei der Vorstellung ihres Entwurfs für ein Landgesetz, das derzeit im Kongress debattiert wird. In Anlehnung an die brasilianischen Regeln sieht es vor, den Landbesitz von Ausländer_innen und Unternehmen, die von Ausländer_innen dominiert werden, auf 20 Prozent der Agrarflächen auf nationaler, Provinz- und Gemeindeebene zu beschränken. In den fruchtbaren Gebieten der zentralen Pampa sollen Ausländer_innen nicht mehr als 1.000 Hektar kaufen dürfen. Ähnliche Schwellen will man auch in anderen Regionen etablieren.
Weil auch in Argentinien unbekannt ist, wie groß die Grundstücke in ausländischem Besitz tatsächlich sind, soll ein nationales Grundbuch eingeführt werden. Eine Besonderheit des Kirchner-Entwurfs ist, dass der Erwerb von knappen und nicht erneuerbaren Gütern wie Land nicht als Investition betrachtet wird. „Eine Investition ist es, wenn jemand Technologie mitbringt, nicht wenn er ein Grundstück kauft“, erläutert der an dem Entwurf beteiligte Jurist Eduardo Barcesat. Mit dieser Regelung will die Regierung Ausländer_innen die Möglichkeit verbauen, im Streitfall die in bilateralen Investitionsschutzabkommen vorgesehenen Schiedsgerichte anrufen zu können.
Doch der argentinische Gesetzentwurf bleibt ebenfalls nicht von Kritik verschont. Die Zeitung Página/12 verweist darauf, dass die 20-Prozent-Schwelle 40 Millionen Hektar entspricht. Da die Regierung das Land, das derzeit in Besitz von Ausländer_innen ist, auf sieben Millionen Hektar schätzt, bekundet sie mit dieser Schwelle letztlich die Absicht, das Drei- bis Vierfache der bisherigen Flächen an das internationale Agrobusiness zu verkaufen. So kann nicht verwundern, dass die Aktivist_innen der Grupo Reflexión Rural Kirchners Gesetz als „nutzlos“ bezeichnen, da es der Plünderung keinen Riegel vorschiebe.
Tatsächlich lassen die derzeit ergriffenen Regierungsmaßnahmen nicht erkennen, dass Kleinbauern und -bäuerinnen sowie Indigene, also jene, die am stärksten unter Verdrängung leiden, profitieren könnten. Im besten Fall sorgen die Beschränkungen für ausländische Investoren nur dafür, dass die Verflechtungen zwischen nationalem und ausländischem Kapital zunehmen und die intensivlandwirtschaftlichen Produktionsmethoden sich noch rascher ausbreiten. Während so das Paket aus Monokultur, Hochleistungssaatgut und Agrarchemie immer mehr zur Norm wird, fehlt es weiterhin an Initiativen, die den Vormarsch der Agrarfront und die Landnahme effektiv eindämmen könnten.

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