Editorial | Nummer 344 - Februar 2003

Der lecke Ölhahn im Hinterhof

Dumm gelaufen. Mit einem auf das Herz Venezuelas konzentrierten Streik sollte Hugo Chávez zu einem schnellen Rücktritt getrieben werden. Aber auch acht Wochen massiv eingeschränkte Produktion der staatlichen Erdölgesellschaft PDVSA brachten den Präsidenten nicht zum Nachgeben. Und mit jedem Tag Ausstand mehr trifft die scharfe Waffe Erdöl nicht nur die venezolanische Wirtschaft und Gesellschaft, sondern eben auch den wichtigsten Verbündeten der Opposition, die USA. Die Hälfte des venezolanischen Erdöls fließt in normalen Zeiten in die Vereinigten Staaten und Chávez hatte seit seinem Amtsantritt 1998 immer alle Lieferverträge geradezu pedantisch erfüllt. Nur die Zeiten sind derzeit nicht normal, nicht in Venezuela und nicht in der Welt. Ausfälle, wie derzeit beim fünftgrößten Erdölexporteur der Welt werden in ruhigen Zeiten über die Organisation Erdöl exportierender Länder (OPEC) mehr oder weniger problemlos aufgefangen. Im Falle eines Kriegs gegen Irak indes käme der zeitgleiche Ausfall zweier wichtiger Lieferanten die Erdöl importierenden Länder über kräftige Preiserhöhungen teuer zu stehen – der Ölpreisanstieg in den letzten Wochen gibt einen Vorgeschmack davon. Ein unkalkulierbares Risiko für die dahindümpelnde Weltwirtschaft.
Fünf Millionen Barrel würden dem globalen Erdölmarkt täglich fehlen, wenn Venezuela und Irak gleichzeitig ausfallen würden. Kein Zweifel, dass in Washington gerechnet wird. Denn der bisherige Hauptersatzlieferant für das venezolanische Erdöl heißt ausgerechnet Irak. In Vorkriegszeiten eine zuverlässige Quelle, denn das Öl stammt aus dem vor sechs Jahren aufgenommen UNO-Programm „Öl für Lebensmittel“. Saddam Hussein ist außen vor. Seit Dezember haben die USA ihre Erdölimporte aus Irak bereits verdoppelt – mit steigender Tendenz. Ob die USA mit einem Irak-Feldzug warten müssen, bis die venezolanische Krise gelöst ist, wie der venezolanische Professor und Sicherheitsexperte Aníbal Romero mutmaßt, ist eher unwahrscheinlich. Doch wenn auch nicht militärisch, so wird ein Irak-Krieg wirtschaflich bei weitem riskanter, wenn der südamerikanische Hinterhof als zuverlässiger Öllieferant entfällt. Anders als im zweiten Weltkrieg, in der Nachkriegszeit, während der Eskalation des Nahostkonfliktes und im ersten Irak-Krieg 1991 ist Venezuela erstmals Teil des Problems und nicht mehr Teil der Lösung. Und Bush junior weiß, dass sein Vater trotz gewonnenen Golfkriegs ein Jahr später wegen der Konjunkturkrise in den USA von den Wählern schmählich aus dem Amt getrieben wurde. Die Strategen im Weißen Haus haben inzwischen die Venezuelakrise ins Kriegskalkül einbezogen. Das zeigt sich schon daran, dass die noch im Dezember erhobene Forderung nach nicht verfassungsgemäßen vorgezogenen Neuwahlen von den USA wieder zurückgenommen wurde – im Gegensatz zur venezoelanischen Opposition. Die USA rudern moderat zurück und sprechen sich für eine verfassungsgemäße Lösung aus, wie auch Vermittler Jimmy Carter und der brasilianische Präsident Lula, der die Gruppe der Freunde Venezuelas (Brasilien, Mexiko, Chile, USA, Spanien, Portugal) auf die Bahn brachte.
Hugo Chávez pochte übrigens von Anfang an auf eine Verfassung, die unter anderem die schon seit Oktober auf dem Plaza Francia offen opponierenden Teile des Militärs vor Strafverfolgung schützt. Unter der alten Verfassung wäre das so undenkbar wie ein Referendum gewesen. Gegen ein Referendum ab August 2003 hatte Chávez nie einen Einwand, und warum die Opposition keine sechs Monate warten kann, bleibt ihr Geheimnis. Nach einer Niederlage bei einem verfassungsgemäßen Referendum wäre dem Präsidenten sogar eine neue Kandidatur verwehrt. Nicht so bei vorgezogenen Neuwahlen. Die Opposition steht nun im Abseits, zumal das Oberste Gericht in Sachen Referendum für die Position von Chávez entschieden hat. Der Generalstreik hat keine Zukunft mehr. Wieviel Zukunft die boliviarianische Revolution von Hugo Chávez hat, steht auf einem anderen Blatt. Sein Projekt steht schon spätetestens seit dem Putsch im April auf dünnem Fundament. Und bei aller berechtigten Kritik an seinem autokratischen Regierungstil: Chávez hat als erster Staatspräsident des Landes die Staatsmacht für die Armen eingesetzt, ob mit dem Fischereigesetz, einer Land- und Bildungsreform. An der Armut der Massen hat dies freilich kaum etwas geändert. Für ein breiteres Fundament muss Chávez den kooperationsbereiten Teil der Eliten und Mittelschicht gewinnen. Bisher hat er ihn verprellt – leider.

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