Editorial Ausgabe 240 – Juni 1994
Wäre Rubén Blades neuer Präsident Panamas geworden, dann hätte das in der Redaktion Grabenkämpfe ausgelöst: Kommt der Fußballer aufs Titelbild oder der Musiker? Die Sportler hätten ihren populär-proletarischen Touch ins Feld geführt und die Blades-AnhängerInnen dessen populär-intellektuellen Anspruch dagegengesetzt: Er war es, der Mitte der 70er Jahre die “komplizierten” sozialkritischen Texte einführte, als die Salsa gerade in der New Yorker Einheitssoße untergehen wollte. Außerdem ist sein Regierungsprogramm wie auf uns als Zielgruppe zugeschnitten: Schwerpunkte Umwelt, Frauen, Minderheiten und Basisdemokratie. Und wer ist nicht hingerissen von seinem “Pedro Navaja”, dem lateinamerikanischen Mackie Messer, dem glitzernden Gauner in der Welt der kleinen Leute?
Gewonnen hat in Panama die wirkliche Partei der kleinen Leute und der großen Gauner: die hierarchisch organisierte PRD mit ihrem Präsidentschaftskandidaten Ernesto Perez Balladares, genannt der Stier. Blades ist ehrlich, unverbraucht und nicht korrupt – das war seine große Chance. Haben dennoch Balladares Eier den Ausschlag gegeben, gegenüber einem Blades, der auch mal über die Frau in sich singt? Oder bestätigt der Sieg der PRD, was sich bei fast allen Wahlen in Lateinamerika wiederholt: Die Regierung wird abgewählt, die beständigste Opposition gewinnt. Die PRD und Rubén Blades Partei Papa Egoró hatten als Einzige schon vor Monaten ihren Kandidaten präsentiert. Doch Blades Partei spaltete sich im letzten Jahr zweimal und zeigte, daß ein paar SoziologInnen noch keine Basisdemokratie machen. Aber auch die Erklärung “Regierung wird auf jeden Fall abgewählt” stimmt nicht ganz: Zweiter wurde nämlich nicht Rubén Blades (18 Prozent), sondern Mireya Moscoso de Gruber (28 Prozent) von der Partei des Präsidenten Guillermo Endara, der 1989 nach der Militärintervention der USA die Regierung übernommen hatte und sich auch danach völlig profillos gezeigt hatte. Die Enttäuschung über die Regierung Endara war in den den letzten beiden Jahren so groß geworden, daß der Grund für Moscosos gutes Abschneiden woanders gesucht werden muß: Wahrscheinlich konnte sie an das Andenken ihres verstorbenen Mannes anknüpfen, den rechtspopulistischen Caudillo Arnulfo Arías. So entsteht eine Interpretation nach der anderen.
In europäischen Zeitungen wurde recht viel über diese Wahlen berichtet. Ein Musiker, der Präsident werden will, inspiriert ungemein, und sei es nur zu netten Überschriften wie “Salsa-Star tanzt auf politischem Parkett”. Und das in den ersten Wahlen nach der US-Intervention wegen Noriegas Drogenhandel. Die Mischung aus Militärs, Musik und Drogen reicht dann, um Wahlen in einer lateinamerikanischen Bananenrepublik irgendwie wichtig zu finden. Problematisch wird das alles, wenn man über die Aufhänger nicht hinauskommt. Wichtig wäre eine Einschätzung gewesen, was die Wahlen für die Menschen in Panama bedeutet haben. Interessiert hätte uns beispielsweise die Zahl der Wahlenthaltungen, die in Umfragen vor der Wahl bei 60 Prozent gelegen hatte. Oder die Wahlkampfthemen, oder die Kanalfrage… Unser Problem: Für viele Länder haben wir unsere Infrastruktur aufgebaut: persönliche Kontakte oder alternative Informationsquellen, aus denen wir solche Einschätzungen bekommen. Für Panama gibt es das alles nicht, und so wären wir über unseren alten immer gültigen Wahlergebnistitel: “Wahlen, die nichts ändern” nicht hinausgekommen. Den aber haben wir schon längst auf den Index gesetzt. Also kein Artikel.
Dennoch: Wäre Rubén Blades Präsident geworden, dann wäre jetzt natürlich das Cover der legendären Platte “Metiendo Mano” auf dem Titelbild. Darauf hält Willie Colón Blades geballte Faust in die Höhe, wie der Schiedsrichter beim Boxkampf. Schade eigentlich, Vielleicht das nächste Mal.