Editorial | Nummer 397/398 - Juli/August 2007

Eine Hand wäscht die andere

Das Verhältnis zwischen der Europäischen Union und Mexiko ist blendend. Menschenrechtsverletzungen konnten die wirtschaftlichen Beziehungen noch nie trüben. Erst recht nicht mehr, seitdem im Freihandelsabkommen aus dem Jahr 2000 eine Demokratie- und Menschenrechtsklausel verankert wurde. Kein Wunder, dass Mexikos Präsident Felipe Calderón bei seinem jüngsten Europa-Trip nur warme Worte empfing. Javier Solana, der hohe Vertreter für eine gemeinsame Außenpolitik der EU, ließ sich zu einem Treffen auf Augenhöhe herab. Die beiden plauderten ein bisschen über die Probleme der Welt, den Klimawandel und die unangenehmen Folgen der Migration. Es war ein „einfaches“ Treffen, wie Solana der Presse sagte. Sie schienen sich sehr gut zu verstehen. Bereits im April hatte Solana Mexiko besucht und dem Präsidenten und seiner Regierung eine tadellose Menschenrechtspolitik bescheinigt. Es gebe zwar ein paar Punkte, die noch verbessert werden könnten, aber das könne man ja über alle Staaten der Welt sagen, entgegnete er den kritischen Nachfragen der Presse.

Vergessen war der brutale Polizeieinsatz vor einem Jahr in Atenco, bei dem wahllos mehr als 200 Menschen festgenommen und den Polizeikräften Folter und sexuelle Übergriffe bis hin zu Vergewaltigungen vorgeworfen wurden. Die zunehmende Militarisierung des mexikanischen Alltags unter dem Vorwand der öffentlichen Sicherheit und der Bekämpfung des Drogenhandels erwähnte Solana ebenso wenig wie die Serie unaufgeklärter Frauenmorde und die von Militär und Polizeikräften verübten Gewalttaten gegen Frauen.

Dass in Mexiko JournalistInnen und MenschenrechtsverteidigerInnen äußerst gefährlich leben und Tod zum Berufsrisiko gehört, schien Solana nicht zu interessieren. Kein Wort verlor der EU-Außenbeauftragte über die gewaltvolle Unterdrückung der Oppositionsbewegung in Oaxaca. Dabei hatte selbst die nationale Menschenrechtskommission in Mexiko im März dieses Jahres einen Bericht vorgelegt, in dem sie auf die Polizeigewalt in Oaxaca hinwies. Im Zuge der Veröffentlichung des Berichts entwickelte sich in der mexikanischen Öffentlichkeit eine rege Debatte über das Ausmaß der Verstöße von Seiten der Polizei. Am 19. Juni hat nun der Oberste Gerichtshof von Mexiko eine Untersuchungskommission zu den Menschenrechtsverletzungen in Oaxaca eingesetzt.

Funktionieren wenigstens die Institutionen in Mexiko? Solana würde dem bedingungslos zustimmen, allein um den Freihandelspartner der EU nicht zu diskreditieren. Die Erfahrungen mit juristischen Institutionen in Mexiko zeigen jedoch das Gegenteil. Die eingesetzte Sonderstaatsanwaltschaft, die die Frauenmorde in Ciudad Juárez aufklären sollte, lieferte außer Stapel Papier keine Ergebnisse. Der stellvertretende Sonderstaatsanwalt Mario Álvarez Ledesma zog in einem abschließenden Bericht sogar das Fazit, in Ciudad Juárez gebe es weder Serienmorde noch femicidio. Eine andere Sonderstaatsanwaltschaft sollte die Verbrechen des so genannten Schmutzigen Krieges in den siebziger und frühen achtziger Jahren aufklären. Mehrere Tausend GuerillakämpferInnen und StudentInnen fielen damals der staatlichen Repression zum Opfer. Ex-Präsident Echeverría (1970-76) ist zwar seit Ende 2006 unter Hausarrest, aber zu einem Gerichtsverfahren gegen ihn kam es bisher nicht. Unter Calderón wurde die Sonderstaatsanwaltschaft nun aufgelöst.

Nein, die Institutionen des mexikanischen Staates haben weder rechtsstaatliche noch demokratische Tradition. Carmen López, Sprecherin der Volksversammlung der Völker von Oaxaca (APPO), hatte mit Hinweis auf die Menschenrechtsklausel im Freihandelsabkommen mehr Druck auf die mexikanische Regierung erwartet. Am 18. Juni besetzte die Oppositionsbewegung in Oaxaca wieder den Platz vor dem Regierungsgebäude. Wenn jemand Demokratie und Rechtsstaatlichkeit als ein gesellschaftliches Ziel verfolgt, dann die außerparlamentarische Opposition.

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