Editorial | Nummer 444 - Juni 2011

// Erster Schritt zum Sieg

„Vencimos – Wir haben gesiegt“. Mit diesen Worten beendete der honduranische Ex-Präsident Manuel „Mel“ Zelaya seine kurze Rede vor den Massen, die sich am 28. Mai zu seiner Begrüßung am Flughafen von Tegucigalpa versammelt hatten. Nach 23 Monaten im Exil war er nach Honduras zurückgekehrt. Ermöglicht worden war die Rückkehr durch ein Abkommen zwischen Zelaya und dem derzeitigen Post-Putsch-Präsidenten Porfirio Lobo, das unter Vermittlung der Präsidenten von Venezuela und Kolumbien, Hugo Chávez und Juan Manuel Santos, zustande gekommen war. Im Gegenzug wurde Honduras wieder in die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) aufgenommen, aus der das Land kurz nach dem Putsch ausgeschlossen worden war.
Das am 22. Mai in der kolumbianischen Küstenstadt Cartagena unterzeichnete „Versöhnungsabkommen“ enthält insgesamt neun Punkte. Unter anderem wird Zelaya und weiteren exilierten ehemaligen Regierungsmitgliedern die Rückkehr und das Recht auf freie Ausübung ihrer politischen Tätigkeiten zugesichert. Zudem wird – in einer sehr vorsichtigen Formulierung – „zugegeben“, dass es in der Zeit nach dem Putsch Menschenrechtsverletzungen gegeben habe und dass dies zukünftig vermieden werden solle. Die nach dem Putsch entstandene Widerstandsbewegung FNRP wird als politische Kraft anerkannt und die Sicherstellung der „demokratischen Teilhabe an Wahlprozessen“ garantiert. Besonders interessant ist darüber hinaus der Punkt, dass eine Volksbefragung über eine Verfassunggebende Versammlung stattfinden darf. Mit der Begründung, illegalerweise genau eine solche Befragung abzuhalten, war Zelaya am 28. Juni 2009 im Pyjama außer Landes geflogen worden.

Ob das Abkommen und Zelayas Rückkehr tatsächlich als Sieg zu verstehen sind, wie „Mel“ das in seiner Begrüßungsrede anklingen ließ, ist fraglich. In der Widerstandsbewegung ist dies zumindest umstritten. In einer Verlautbarung der KünstlerInnen im Widerstand wird die Rückkehr Zelayas eher als „erster Schritt“ gewertet. Von diversen Gruppen, die in der sehr vielfältigen Widerstandsbewegung organisiert sind, wird kritisiert, dass die Versöhnungsrhetorik des Abkommens über die bestehende Straflosigkeit und die fortgesetzten Menschenrechtsverletzungen hinwegtäusche. Daher stößt auch die rasche Wiederaufnahme Honduras‘ in die OAS überwiegend auf Ablehnung. Auch die Anerkennung der Widerstandsbewegung als politische Kraft sei zu sehr darauf orientiert, dass diese sich an Wahlen beteilige. Die Generalversammlung der FNRP im Februar 2011 hatte beschlossen, dass sie nicht an Wahlen teilnehmen werde, bevor es nicht zur Einberufung einer Verfassunggebenden Versammlung und zu einer Reform des Wahlgesetzes gekommen sei.
Die Interpretationen „Sieg“ und „Erster Schritt“ könnten kaum unterschiedlicher sein. Dass jedoch selbst Gruppen wie die Indigenenorganisation COPINH und die KünstlerInnen im Widerstand Zelaya willkommen heißen und die Unterzeichnung des Abkommens mit Lobo nicht als grundsätzlichen Verrat werten, kann als der Kampf um Geschlossenheit gelesen werden. Schließlich standen diese Teile der Bewegung dem FNRP-Ehrenvorsitzenden Zelaya und der Option, Partei zu werden, bisher am kritischsten gegenüber. Die Stärken der honduranischen Widerstandsbewegung sind ihre Heterogenität und ihre Größe. Diese aufzugeben, wäre problematisch für die vielen Schritte, die auf diesen Ersten noch folgen müssen.

Nicht zuletzt eröffnet die Fokussierung auf Wahlen auch die Gefahr, dass soziale Bewegungen, die außerhalb von Parteien wirken, weiterhin oder sogar verstärkt kriminalisiert werden. Ob die Widerstandsbewegung durch Zelayas Rückkehr einen Schub erhält und erneut die Machtfrage stellen kann, oder ob Zelaya sich sein eigenes Süppchen kocht, hängt aber von der Entwicklung der gesellschaftlichen Kämpfe in Honduras ab. Mobilisierung von unten ist mehr denn je nötig.

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