Allgemein | Editorial | Nummer 512 - Februar 2017

// FALSCHE MITTEL, FALSCHER ZWECK

Sofort waren die Spekulationen da. Nachdem Teori Zavascki, Richter des brasilianischen Obersten Gerichts, am 19. Januar mit einem Kleinflugzeug tödlich verunglückt war, verbreiteten Tausende in den sozialen Medien die Ansicht, dass das kein Unfall gewesen sein könne. Schließlich hatte sich der Jurist viele Feinde gemacht.
Teori Zavascki war zuständig für den Fall „Lava Jato“ (Autowaschanlage), der Untersuchung zum Korruptionsskandal um das staatliche Erdölunternehmen Petrobras und große Baufirmen. Die Unternehmen hatten illegal die Wahlkampagnen verschiedener brasilianischer Parteien mitfinanziert; dafür bekamen sie öffentliche Aufträge. Zavascki war kurz davor, über die Kronzeug*innenregelungen mit 77 ehemaligen Manager*innen des Bauriesen Odebrecht zu entscheiden. Neue Enthüllungen über korrupte Politiker*innen um den Präsidenten Michel Temer waren zu erwarten. Nun werden weitere Ergebnisse noch monatelang auf sich warten lassen.
Dies spornte die Fantasie vieler Brasilianer*innen zu verschwörungstheoretischen Überlegungen an: Sollte Zavascki aus dem Weg geräumt werden, um der politischen Elite die Schlinge vom Hals zu nehmen? Inzwischen hat die Vorsitzende des Obersten Gerichts, Cármen Lúcia, den Assistenzrichtern von Teori Zavascki grünes Licht gegeben, mit den Untersuchungen fortzufahren. Sollte Zavaski ermordet worden sein, um eine Person von ihren Gnaden auf seine Position zu hieven, hätten die mutmaßlichen Verschwörer*innen ihr Ziel jedenfalls nicht erreicht.

Doch auch international hat die Korruption um Odebrecht Kreise gezogen: Im vergangenen Dezember hat sich Odebrecht mit einem US-Gericht auf eine Strafzahlung von 3,5 Mrd. US-Dollar wegen Korruption und Geldwäsche geeinigt. Das ist die höchste Summe, die für so einen Fall je gezahlt wurde. Über zwei Jahrzehnte soll das Unternehmen in zwölf Ländern Politiker*innen über Briefkastenfirmen bezahlt haben, um an millionenschwere Bauaufträge für Straßen- und Staudammprojekte wie beim brasilianischen Damm Belo Monte zu kommen. Zusätzlich wird Odebrecht ungefähr 2,26 Milliarden Euro Strafzahlungen in den jeweiligen Ländern leisten.
Und dem Bau-Multi geht es weiter an den Kragen: In der Dominikanischen Republik durchsuchten Polizist*innen Odebrechts Büroräume. Panama und Kolumbien kündigten an, das Unternehmen künftig von öffentlichen Ausschreibungen auszuschließen. Perus Präsident Pedro Pablo Kusczynksi erklärte: „Odebrecht muss seine Projekte in Peru verkaufen und das Land verlassen, auch wenn einige sehr gut sind, um Straßen und Elektrizität bereit zu stellen. Nur leider gibt es das Problem der Korruption, Odebrecht muss gehen, es ist vorbei.“

Diese Aussage ist jedoch so typisch wie unzureichend: Die Empörung richtet sich gegen unethische Politiker*innen und Unternehmer*innen. Doch die Projekte selbst werden nicht kritisiert, sondern sogar gelobt. Der uruguayische Soziologe und Ökologe Eduardo Gudynas machte deswegen jüngst in einer Studie auf die „intime Verbindung von Extraktivismus und Korruption“ aufmerksam. Viele Infrastrukturprojekte, die Kuczynski so lobt, wären ohne Korruption gar nicht möglich. Hauptsächlich profitieren die Bauunternehmen und extraktive Industrien wie Bergbau, Erdöl- und Agrarindustrie von ihnen. Die Projekte von Odebrecht und anderen wurden durchgesetzt, trotz ihrer enormen negative Konsequenzen für Bevölkerung und Umwelt, wie Mirtha Vázquez von der peruanischen Sozial- und Umweltorganisation Grufides in einem Artikel erinnert: „Die sozialen und Umweltkosten solcher Projekte spielten in der Vergangenheit keine Rolle. Es war egal, wie viele Leute vertrieben wurden und ohne Zugang zu Land und Wasser blieben, ob die Flüsse zerstört werden. All dies wurde durch die Korruption möglich gemacht.“ Das Problem bei der Korruption sind also nicht nur ein paar Unternehmer*innen und Politiker*innen, die sich bereichern. Das Problem ist, dass die Interessen einiger weniger als das Interesse der Allgemeinheit ausgegeben werden.

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