Editorial | Nummer 433/434 - Juli/August 2010

// Kein Schlusspunkt

Ein Jahr Staatsstreich. Ein Jahr Widerstand. Der Putsch, der in Honduras am 28. Juni 2009 von Militärs und den Eliten des Landes durchgeführt wurde, hat die Gesellschaft bewegt und entzweit. Viel bedeutender jedoch: Er hat sie verändert und politisiert. In Kundgebungen und Bürgerversammlungen informieren sich AktivistInnen, sie diskutieren und sagen ihre Meinung. Es sind vor allem jene Leute, die bisher nicht nur vom wirtschaftlichen, sondern auch vom politischen Leben ausgeschlossen waren. Die Nationale Widerstandsfront stellt dafür in Honduras eine Plattform dar, die es so bisher nicht gegeben hat. Sie macht den Menschen Mut ihre Rechte einzufordern und sich nicht mehr bevormunden zu lassen. Die honduranische Gesellschaft wurde wachgerüttelt.

Zwar sitzt der abgesetzte Präsident Manuel Zelaya immer noch in der Dominikanischen Republik im Exil und die Repression gegen die Widerstandsbewegung dauert an. Dennoch haben zehntausende DemonstrantInnen in Honduras zum Gedenken an den Staatsstreich vor einem Jahr Flagge gezeigt. Ihre Forderung lautet weiterhin: die Neugründung des Landes durch eine neue Verfassung und Aufklärung der Menschenrechtsverletzungen. Die Bevölkerung will ihre Souveränität wiedererlangen und an Entscheidungen beteiligt werden. Sie bildet sich politisch weiter, geht auf die Straßen und macht ihrem Ärger Luft, trotz der politischen Morde und Verhaftungen. Die Zeiten, in denen sich die Bürger mit einem Kreuzchen am Wahltag begnügten, scheinen vorbei zu sein. So haben landesweit bisher 600.000 Menschen für die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung unterschrieben, mehr als eine Millionen sollen es werden. Der offiziellen Wahrheitskommission der Regierung wird zurecht vorgeworfen, lediglich die im Zusammenhang mit dem Putsch verschmutzte Wäsche weiß waschen zu wollen. Sie hat eher Show-Charakter als das Ziel die Hergänge des Putsches zu rekonstruieren und Verantwortliche zu finden. Die Widerstandsbewegung hält dagegen: Eine alternative Wahrheitskommission, die aus einer Gruppe international renommierter MenschenrechtsaktivistInnen besteht, hat am ersten Jahrestag des Putsches ihre Arbeit aufgenommen. Klare Zeichen dafür, dass sich etwas geändert hat in einem Land, das jahrzehntelang ausschließlich von den Konservativen und Liberalen regiert wurde, die sich nur darin unterscheiden, dass sie verschiedene Fraktionen der Eliten repräsentieren.

Die politische und wirtschaftliche Krise hat Honduras entgegen den Wunschträumen der Oligarchie längst nicht überwunden. Die Regierung Lobo wird weiterhin und vor allem von Staaten des Südens nicht anerkannt und ist auch innenpolitisch nur bedingt handlungsfähig. Darüber hinaus zeigt sie kein Interesse an einer wirklichen Aussöhnung der entzweiten Nation. Die Widerstandsfront als politischer und gesellschaftlicher Akteur wird von der Regierung ignoriert, es werden Menschenrechte verletzt, kritische Journalisten nicht nur mund-tot gemacht.

Die „zivilgesellschaftlichen“ Putsch-UnterstützerInnen der Bürgerlich Demokratischen Union (UCD) sind nicht mehr auf der Straße präsent. Sie machten am Jahrestag des Putsches einzig mit einem Kommuniqué auf sich aufmerksam, in dem sie sich selber als freiheit- und demokratieliebende Menschen bezeichnen, die Ehrlichkeit und Verfassungsmäßigkeit ganz groß schreiben und vor einem Jahr das Land gerettet haben wollen. Die Oligarchie des Landes klammert sich an die Macht, die sie zu verlieren fürchtet. Die Forderungen nach einem neuen Honduras sind jedoch nicht verstummt. Die Bevölkerung trotzt der Unterdrückung und somit stellt der Putsch nicht zwangsläufig den Schlusspunkt eines demokratischen Prozesses dar. Doch noch steht der Kampf an seinem Anfang.

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