Editorial | Nummer 305 - November 1999

Populismus am Ende des Jahrtausends

Der Brasilianer Fernando Collor setzte sich hinter den Schaltknüppel eines Düsenjägers, der Argentinier Carlos Menem versuchte sich als Mittelstürmer auf dem Fußballplatz, und in Ecuador rockte Abdalá „El Loco“ Bucaram solange über sämtliche Bühnen des Landes, bis es die Bürger satt hatten und ihren Präsidenten davonjagten. Der Venezolaner Hugo Chávez als bisher letzter in der Reihe konnte sich also an zahlreichen Vorbildern orientieren, als er jüngst die halbe Flugzeug-Flotille der Regierung für wohltätige Zwecke versteigern ließ und bei dieser Gelegenheit höchstselbst auf den Tragflächen der Maschinen herumturnte. Immer mehr Staatsoberhäupter zwischen Río Bravo und Feuerland entwickeln einen ausgeprägten Sinn für Show-Effekte, scheint es. Ein Gespenst geht wieder einmal um in Lateinamerika: das Gespenst des Populismus.
Diverse Politiker auf dem Kontinent haben sich in diesem zu Ende gehenden Jahrhundert vorhalten lassen müssen, ihre WählerInnen mit wunderbaren, perfiderweise aber völlig unrealistischen Versprechen geködert zu haben. Gelegentlich richtete sich der Vorwurf freilich auch gegen bedeutende Reformer wie Juan Domingo Perón oder Omar Torrijos und wurde am lautesten von jenen vorgetragen, denen die in der Tat populären Politikmuster der neuen Machthaber als unzulässiger Eingriff in ihre angestammten Privilegien erschienen. Vorsicht ist also geboten, wenn man sich auf das (Tot-) Schlagwort vom Populismus einläßt – schon gar in einer Zeit, in der andere Regierungen jede Kritik an unpopulären Entscheidungen unisono mit einem kräftigen „Weiter so!“ zu beantworten pflegen und die Frage nach Alternativen an Hochverrat grenzt.
Hört man jedoch über den denunziatorischen Beiklang des Wortes hinweg, werden durchaus Parallelen zwischen dem Populismus der 40er und 50er und jenem der 90er Jahre sichtbar, die zu verfolgen sich lohnt. Perón, schon damals „Idealtyp“ eines lateinamerikanischen Populisten, hätte seinem Land kaum einen so enormen Modernisierungsschub verleihen können, hätte nicht die vorausgegangene Weltwirtschaftskrise das soziale Gefüge Argentiniens vollends durcheinander gebracht und neue Akteure auf die politische Bühne gespült, die von den Parteien, Gewerkschaften und Verbänden des Ancien régime nicht mehr integriert werden konnten. Sie waren es, die nun zum Fußvolk des Peronismus wurden.
Annähernd gleiches wiederholt sich derzeit in Lateinamerika, wo die 80er Jahre als „verlorenes Jahrzehnt“ empfunden wurden. Wieder sind für Abermillionen von Menschen die gewohnten Lebenszusammenhänge weggebrochen, ehemals wohlhabende Mittelschichten verelendeten, frühere Bauernfamilien strömten in die Slums der Großstädte. Sie begegnen den alten Institutionen im besten Fall mit Desinteresse, nicht selten aber auch mit offener Ablehnung. Für die Heilsversprechungen eines Lino Oviedo in Paraguay hingegen oder eine autoritäre Politik à la Alberto Fujimori in Peru sind sie durchaus empfänglich. Auf der anderen Seite haben sich neureiche Eliten herausgebildet, die ebenfalls nach neuen Führern verlangen und sie in Gestalten wie Carlos Menem auch finden.
Hugo Chávez mit seinem national-revolutionären Anspruch ragt aus dieser Gilde zwar heraus, doch ob er den Vorschußlorbeer wirklich verdient, muß er erst noch nachweisen. Charisma, Entschlußkraft und eine gewisse Dosis an demagogischem Talent sind zwar notwendige, aber noch lange nicht hinreichende Bedingungen für den Erfolg. Nachdenklich stimmt auch, daß die früheren „populistischen“ Regimes – vom Sonderfall Kuba einmal abgesehen – in der Regel nicht lange vorhielten; schnell schlug das Pendel wieder zurück. Zur Erinnerung: Perón wurde 1955 nach neunjähriger Herrschaft von seinen eigenen Waffengefährten gestürzt und ins Exil abgeschoben. Für den bolivianischen General und Reformer-Präsidenten Juan José Torres war 1969 schon nach zehn Monaten die Zeit abgelaufen. Was jeweils folgte, ist bekannt.

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