Editorial | Nummer 476 - Februar 2014

// Vorfahrt für Konzerne

Freie Fahrt für Daimler: In den USA muss der deutsche Automobilkonzern keine Strafe wegen seiner Verwicklung in die Verbrechen der argentinischen Militärdiktatur mehr befürchten. Der Oberste Gerichtshof der USA lehnte Mitte Januar in letzter Instanz eine Klage ab. Nicht weil die Richter_innen an der Verstrickung von Daimler über seine Tochter Mercedes-Benz Argentina zweifelten – sie ignorierten sie –, sondern weil sie sich wegen des Territorialprinzips für nicht zuständig erklärten. Verbrechen sollten gefälligst dort juristisch geahndet werden, wo sie stattfinden.

Was prima vista nachvollziehbar klingt, ist juristisch keinesfalls unumstritten. Im selben Land, den USA, auf der Grundlage desselben Rechtssystems, hatte das Berufungsgericht in Kalifornien in derselben Sache 2011 entgegengesetzt geurteilt: Die US-Justiz sei sehr wohl zuständig. Richter Stephen Reinhardt hatte argumentiert: Wer in den USA Geschäfte mache, müsse sich weltweit an die US-Gesetze halten. Folter und Entführungen in Argentinien seien demnach inakzeptabel. Die USA hatten unbestritten auch während der argentinischen Militärdiktatur jede Menge Fahrzeuge von Mercedes-Benz Argentina importiert – Fahrzeuge, an denen Blut kritischer Gewerkschafter klebte. Mindestens 14 Betriebsräte sind laut den 22 argentinischen Kläger_innen in den Jahren 1976 und 1977 in der Niederlassung von Daimler verschwunden – bis heute. Aussagen eines überlebenden Folteropfers, Héctor Ratto, und detaillierte Recherchen der Journalistin Gaby Weber belegen die Komplizenschaft von hochrangigen Daimler-Angestellten mehr als nachdrücklich.

Richter Reinhardt hatte sich im Gegensatz zum Obersten Gericht auf das Weltrechtsprinzip berufen. Das besagt, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor jedem Gericht der Welt belangt werden können. Die Frage, warum es nicht auch gegen Unternehmen angewandt werden kann, ließ das Oberste Gericht offen. Dabei ermöglichte eine Besonderheit des US-Rechtssystems, der Alien Tort Claims Act (ATCA) von 1789, längst vor dem Weltrechtsprinzip die Ahndung von Völkerrechtsverletzungen außerhalb der Landesgrenzen. Der ATCA wurde geschaffen, damit die USA gegen Akte der Piraterie vorgehen konnten, die eigenen Wirtschaftsinteressen zuwiderliefen.

Es ist offensichtlich: Der Oberste Gerichtshof will es sich mit Multis nicht verderben, die in den USA Geschäfte machen und damit dort auch für Beschäftigung und Einkommen sorgen. Profite haben allemal Vorrang vor Menschenrechten. Im April 2013 scheiterten Nigerianer_innen mit ihrer Klage gegen den Ölkonzern Shell, der für Menschenrechtsverstöße im Niger-Delta verantwortlich ist. Das Argument des Obersten Gerichtes: Territorialprinzip. Im Dezember 2013 scheiterten Apartheid-Opfer aus Südafrika mit ihrer Klage gegen Daimler. Das Argument: Territorialprinzip. Nun sind es Diktatur-Opfer aus Argentinien.
Profit um jeden Preis: Diese Geschäftsgrundlage zahlt sich für Daimler und die anderen Multis bei einer solchen Rechtsprechung nach wie vor aus.

Profit um jeden Preis: Das ist auch die Devise nach der Hedgefonds wie NML Capital verfahren. Der hat argentinische Staatsanleihen rund um die Krise 2001/2002 zum Schrottwert auf dem Sekundärmarkt aufgekauft, um in den USA auf die Bedienung zum Nominalwert von 100 Prozent plus Zinsen zu klagen (siehe LN 468). Der New Yorker Bezirksrichter Thomas Griesa urteilte im November 2012 „Argentinien ist das schuldig, und es schuldet das jetzt.“ Müsste Argentinien zahlen, wäre ein erneuter Staatsbankrott mit all seinen sozialen Folgen à la 2001/2002 programmiert. Der Fall ist noch nicht letztinstanzlich entschieden. Das von Argentiniens Regierung angerufene Oberste Gericht in den USA sah sich bisher nicht bemüßigt, sich mit diesem Fall auch nur zu befassen. Argentinien ist schließlich kein für die USA wichtiger Konzern.

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