Editorial | Nummer 420 - Juni 2009

Wenn Fortschritt tötet und vertreibt

Aha! Die Bundesregierung tut also genug wenn es um Menschenrechte in Kolumbien geht. So zumindest die mehrheitliche Ansicht der Fraktionen im deutschen Bundestag. Ein Entschließungsantrag aus den Reihen von Bündnis90/Die Grünen wurde Anfang Mai mit den Stimmen von Union, SPD und FDP abgelehnt. Dieser sollte von der Bundesregierung verlangen, die Einhaltung der Menschenrechte von der kolumbianischen Regierung nachdrücklicher einzufordern. Bisher sei es versäumt worden, auf nachvollziehbare und transparente Weise die schweren Menschenrechtskonflikte anzusprechen.

Kolumbien steht weit oben auf der Agenda von Bundeskanzlerin Merkel. Es war eines der vier Länder, die sie auf ihrer ersten Lateinamerikareise im letzten Jahr besuchte. Die Gegenvisite von Kolumbiens Präsident Álvaro Uribe erfolgte zügig. Ende Januar dieses Jahres stand er in Berlin auf der Matte. In den Gesprächen ging es um Wirtschaft und Bildung. Uribe will mehr Investitionen, ein bilaterales Investitionsschutzabkommen, mehr so genannten Freihandel. Merkel will gern dabei helfen. Die Situation der Menschenrechtsverletzungen in Kolumbien habe sich verbessert, es gebe sichtbare Fortschritte, so der Präsident und die Kanzlerin unisono, nichts spreche also gegen eine engere Kooperation.

Nun spricht selbst das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte (UNHCHR) in Kolumbien von Verbesserungen der Menschenrechtssituation. Doch was bleibt bei allem so genannten „Fortschritt“ und was ist noch „nicht überall ideal“ (Zitat Merkel)? In Kolumbien mussten über zweieinhalb Millionen Menschen wegen des internen Kriegs fliehen, weltweit gibt es nur im Sudan noch mehr intern Vertriebene. Und 2008 stieg die Zahl der Vertreibungen in der ersten Jahreshälfte gegenüber dem Vorjahr um 40 Prozent an, rund 300.000 Menschen waren betroffen. Uribe sagt, der Staat habe das Gewaltmonopol im Land zurückgewonnen. Stimmt, wenn er damit meint, dass die ultrarechten paramilitärischen Gruppen, die in 25 Regionen des Landes operieren, in der Regel die Unterstützung des Staatsapparats genießen. Die Paras beherrschen weiter Millionen Hektar von strategisch wichtigem Land, von dem sie zum Beispiel afro-kolumbianische Gemeinschaften vertrieben haben. Und wenn staatliches Gewaltmononpol so aussieht wie im Falle der außergerichtlichen Hinrichtungen durch das Militär, das ZivilistInnen in Hinterhalte lockt und ermordet, um sie als Kämpfer von Guerillagruppen zu verkaufen, dann zeigt sich darin lediglich der zynische PR-Arbeiter Uribe. Dieser kooperierte während seiner gesamten politischen Karriere nachweislich eng mit DrogenhändlerInnen und Paramilitärs. Das Gleiche lässt sich für einen Großteil seines politischen Umfeldes sagen, was nicht zuletzt der 2006 bekannt gewordene Parapolitik-Skandal belegt.

Nun ist es nicht so, dass den Bundestagsfraktionen die genannten Informationen fehlen würden. Sehr deutlich zeigte das der Redebeitrag der SPD-Fraktion in der Debatte Anfang Mai. Nur war die Schlussfolgerung die falsche: Keine Zustimmung zum Entschließungsantrag – die Bundesregierung tue genug in puncto Menschenrechten in Kolumbien. Es mangele an der fehlenden Umsetzung rechts­staatlicher Praxis in Kolumbien, gegen eine Kooperation mit Uribe spreche nichts. Das kolumbianische Büro des UNHCHR hingegen sagt, die Praxis der Ermordung von ZivilistInnen stehe in enger Verbindung zum Amtsantritt von Uribe im Jahr 2002.
Zwar ist die Ignoranz von Menschenrechten nichts Neues bei der deutschen Außenpolitik, doch selbst gegen-über wirtschaftlich wesentlich wichtigeren Partnern wie China findet sie härtere Worte. Dass sich die Regierung Merkel im Falle Kolumbiens derart schamlos über schlimmste Menschenrechtsverletzungen hinwegsetzt, lässt sich nur strategisch erklären. Immerhin stellt Kolumbien eines der wenig verblieben Länder Südamerikas dar, in dem die Neoliberalen in der Regierung nach wie vor das Sagen haben.

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