Vielfältiges von der Küste

Zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert erreichten hunderttausende AfrikanerInnen Kolumbien, die als SklavInnen auf den Plantagen, in den Minen und auf den kolonialen Haciendas arbeiten mussten. Die kolumbianische Pazifikregion, in der einige der produktivsten Goldminen lagen, wurde auf diese Weise zu einem der Zentren der Sklaverei des Kontinents. So begann die leidvolle Geschichte von Ausbeutung und Diskriminierung, die bis heute andauert. Zwar wurde die Sklaverei in Kolumbien offiziell im Jahr 1851 abgeschafft, aber die Pazifikregion ist weiterhin eines der ärmsten Gebiete des Landes.
Die geflohenen SklavInnen, Cimarrones genannt, und die von ihnen gegründeten unabhängigen Siedlungen, die Palenques, gaben dieser Geschichte aber auch rebellische Züge. Heute wird die Region vorwiegend von Nachkommen der afrikanischen SklavInnen sowie Indígenas bewohnt und ist als Heimat der afro-kolumbianischen Kultur bekannt.
Die ethnische Komposition der Region spiegelt sich insbesondere in der Musik wider, in der man die stärksten afrikanischen Einflüsse im gesamten kolumbianischen Musikrepertoire finden kann. Vom Hafen von Buenaventura bis Quibdó tanzen die Menschen zu afrikanischen Rhythmen, die von traditionellen Percussionsinstrumenten wie Marimba, Cunucos und Tamboras, aber auch von Guazás und Klarinetten bestimmt werden. Die Musik der Pazifikregion, die zumeist im Schatten anderer kolumbianischen Rhythmen, wie Cumbia, Salsa oder Vallenato, stand ist erfüllt von der Emotionalität der Gesänge der SklavInnen, der Einfachheit des ländlichen Lebens und der kolumbianischen Lebensfreude.
Das Label Otrabanda Records präsentiert nun mit Pacífico Colombiano einen 14 Titel umfassenden Streifzug durch alle wichtigen musikalischen Stile der Region wie Currulao, Marimba, Abozao oder Chirimía.
Einen Höhepunkt der Kompilation stellt das Stück „La Iguana“ des Orchesters Perogoyo y su combo Vacaná dar. Die Formation gilt als lokale Version des kubanischen Buena Vista Social Club und war zugleich die erste, die mit afrokolumbianischer Musik kommerziellen Erfolg erzielen konnte (1961, „Mi Buenaventura“). Peregoyo, der Kopf der Gruppe, verstarb im vergangenen Jahr im Alter von 90 Jahren, nachdem er bis zum Schluss an den Produktionen der Formation mitgewirkt hatte.
Mit Alfonso Córdoba, „der Hexer“ genannt, ist eine weitere große Persönlichkeit der afrokolumbianischen Musik vertreten. Córdoba ist eine der lebenden Legenden der Choco-Region und wurde kürzlich mit dem Großen Orden für Kulturelle Verdienste, der höchsten kolumbianischen Kulturauszeichnung, geehrt. Dieser Herr von 82 Jahren, der bereits 60 Jahre seines Lebens der Bekanntmachung der Musik seiner Heimat gewidmet hat, ist zudem auch als Schmuckhersteller, Maler, Theaterdarsteller und Erzähler bekannt geworden. Die Reife und Lieblichkeit seiner Stimme machen sein Stück „El Piloto“ zu einem weiteren Schatz der Kompilation. Auf dem Album finden sich außerdem zwei Titel von Markitos Micolta y La Sabrorura de Buenaventura, der bekanntesten Stimme der Region und für viele Jahre Frontsänger von Peregoyo y su combo Vacaná, sowie ein Stück von El Grupo Socavón, einer authentischen Marimbaformation, begleitet von einem Chor, der die alten Klänge der pazifischen Kultur interpretiert.
Begeisternd ist auch der Song „Homenaje a Petronio“ von El Grupo Saboreo, mit dem sie dem den Autor des Erfolges „Mi Buenaventura“ und Namensgeber des jährlich im August in Cali stattfindenden Festivals der Pazifikmusik Petronio Álvarez ehren. Mit dem wunderbaren Currulao „Yo cantaré“, gespielt von El Grupo Bahía und eine gute Möglichkeit, um die Klänge der von Hugo Candelario gespielten Marimba zu genießen, endet dieser interessante Streifzug durch die immer noch wenig bekannte afrokolumbianische Musik. Und wie die Mitglieder von Choc Quib Town in ihrem Lied „Somos Pacífico“, einer Mischung aus traditionellen Rhythmen und aktuelleren urbanen Einflüssen wie dem Hip hop, bemerken: „Kolumbien ist mehr als Koka, Marihuana und Kaffee“.
// Luis Montilla
// Übersetzung: Katja Schatte

Wandel mit angezogener Handbremse

„Mit Raúl wird es mehr Pragmatismus und eine wirtschaftliche Öffnung geben, von der auch wir Kubaner profitieren werden“, prognostizierte Oscar Almiñaque, ein kubanischer Ökonom, im Juli 2006. Überzeugt war der Hochschullehrer, der sein Auskommen längst mit der privaten Zimmervermietung bestreitet, damals, dass es unter Fidels Bruder weniger Kontrollen und mehr Service von staatlicher Seite geben würde. 18 Monate später hat sich an den grundsätzlichen Strukturen in Kuba wenig geändert. „Hier ist vieles hochbürokratisch, ineffizient und teuer. Ich zahle Preise wie in Hamburg, erhalte aber den Service von Burkina Faso“, schimpft Juan de Marcos González. Der Musiker, der vor zehn Jahren den Buena Vista Social Club gemeinsam mit Ry Cooder aus der Taufe hob, schüttelt verärgert die langen, graumelierten Rastalocken. Vor drei Jahren hat er mit DM Ahora das erste unabhängige Plattenlabel in Kuba gegründet, doch aufgrund der vielen Hürden auf der Insel arbeitet er mehr im Ausland als in Havanna. Ein Grund für die Schwierigkeiten ist die Tatsache, dass kubanische UnternehmerInnen in Kuba schlicht nicht vorgesehen sind, der andere ist die himmelschreiende Ineffizienz auf der Insel.
Der hat der jüngere der Castro-Brüder den Kampf angesagt – ganz offiziell und seitdem ist die Vokabel Effizienz wieder in den kubanischen Sprachschatz aufgenommen worden. Mehr Leistung wird eingefordert und bei Androhung von Strafe – auch eingeklagt. Ein Novum in Kuba, wo das Fernbleiben von der Arbeit in den letzten 15 Jahren zum Volkssport wurde. Schließlich hat doch jeder Kubaner und jede Kubanerin etwas anderes zu tun, denn angesichts der lumpigen Gehälter muss man sich schließlich um andere Einnahmequellen kümmern. Das ist noch immer so, wie Omar Everleny Pérez unumwunden zugibt. „Eine durchschnittliche vierköpfige Familie braucht etwa 1.600 Peso (ca. 50 Euro) im Monat, um über die Runden zu kommen. Doch kaum ein Haushalt kommt bei einem Durchschnittslohn von 400 Peso auf diese Summe“, erklärt der Wirtschaftswissenschaftler von der Universität Havanna. Ein wesentlicher Grund, weshalb viele KubanerInnen nebenbei auf eigene Rechnung arbeiten, wodurch die Ineffizienz in vielen Betrieben längst systemimmanent ist. Das weiß auch Raúl Castro, doch anders als sein Bruder will er an diesen Strukturen etwas ändern. Seit Januar 2007 gibt es ein Gesetz, das bei wiederholter Abwesenheit vom Arbeitsplatz mit Entlassung droht – ein Novum in der kubanischen Geschichte. Auch den FunktionärInnen weht mittlerweile ein kräftiger Wind entgegen. So kritisierte die Zeitung der kommunistischen Jugend Juventud Rebelde im November die „erdrückende Einmütigkeit“ und die „Ignoranz und Lauheit“ der FunktionärInnen. Ungewöhnlich deutliche Töne, denen das Gesetz 246 folgte. Harsche Strafen für FunktionärInnen, die ihre Aufgaben nicht erfüllen, sieht es vor und ist ein deutliches Signal an die Kader. Dass es von ganz oben kommt, daran herrscht in Kuba kein Zweifel, denn anders als der große Bruder steht Raúl Castro für effiziente Strukturen und für Pragmatismus. Sein zentraler Machtbereich, die Armee, gilt als Kubas Paradeinstitution. Dort wurden bereits Ende der 1980er Jahre marktwirtschaftliche Managementmethoden eingeführt und die revolutionären Streitkräfte finanzieren sich durch ein Geflecht von Unternehmen, darunter auch die Tourismusholding Gaviota, selbst. Aufmerksam hat der im Gegensatz zu seinem charismatischen Bruder eher blasse 76-jährige darauf geachtet, dass die Versorgung der SoldatInnen stimmt. Das hat ihm ein hohes Maß an Loyalität innerhalb der Institution beschert und diesen Ansatz verfolgt Raúl Castro auch als Interimsstaatschef. „Bohnen statt Kanonen“ ist ein Slogan, den der glänzende Organisator schon in den 1990er Jahren inmitten der tief greifenden Wirtschaftskrise des Landes prägte und unter seiner Regie soll sich die Revolution endlich auch an den Esstischen der KubanerInnen beweisen.
Dazu sind strukturelle Reformen in der Landwirtschaft nötig, die Raúl Castro erstmals im Dezember 2006 ankündigte. Doch auch über ein Jahr später warten die KubanerInnen noch auf den großen Wurf. Das bisherige Ausbleiben ist ein Indiz für Auseinandersetzungen hinter den Kulissen, denn längst wird in den Forschungsinstituten Kubas offen über die Landfrage debattiert. „Die Ackerfläche dem, der sie bebaut“, heißt die Devise hinter vorgehaltener Hand. Mit Raúl ist die anvisierte Agrarreform, von der vor allem Kleinbauern- und bäuerinnen profitieren sollen, vorstellbar. Mit Fidel hingegen kaum, argumentieren kubanische AgrarexpertInnen, die lieber anonym bleiben wollen. Allem Anschein zufolge hält der kranke Comandante seine Hand über die heiligen Kühe der Revolution. Eine kostspielige Eitelkeit, denn allein im letzten Jahr musste Kuba für mehr als 1,7 Milliarden US-Dollar Lebensmittel aus den USA und anderen Ländern ordern. Mehr als 240 Millionen US-Dollar als ursprünglich kalkuliert. Das sorgt genauso wie die Erwartungshaltung der Bevölkerung für beachtlichen Reformdruck, die Raúl persönlich noch anheizt. Mehrfach hat er für strukturelle Reformen geworben, auf die niedrigen Löhne verwiesen und an die KubanerInnen appelliert, zu kritisieren, was ihnen an ihrer Revolution nicht gefällt. Dabei geht der Staatschef mit gutem Beispiel voran und verweist selbst auf interne Defizite wie den katastrophalen öffentlichen Nahverkehr. Mittlerweile haben die staatlich kontrollierten Medien nachgezogen und sprechen vermehrt hausgemachte Defizite an. Neue Töne in Kuba, die auch dem Comandante auf seinem Krankenbett nicht verborgen bleiben dürften. Ohnehin ist der politische Diskurs unter der Ägide des zumeist in beigefarbener Uniform auftretenden Raúl Castro wesentlich weniger ideologisch gefärbt. Auch die aufwändigen Propaganda-Kampagnen, die den Alltag der KubanerInnen bis zum Tag der Notoperation im Juli 2006 prägten, sind ersatzlos gestrichen worden. Signale aus dem Büro des Armeechefs, der – anders als sein Bruder – kein Problem damit hat, die Bühne mit anderen zu teilen. Regelmäßig übernehmen Mitglieder des Führungskollektivs wie Vizepräsident Carlos Lage oder Außenminister Felipe Pérez Roque wichtige nationale und internationale Termine an Stelle des Interimsstaatschefs. Der zieht hinter den Kulissen die Fäden und unter seiner Regie hat sich Kuba so weit verändert, dass kaum ein Kubaner noch an die Rückkehr des máximo líder Fidel Castro in die Machtzentrale glaubt, so Omar Everleny Pérez. Selbst die anstehenden Parlamentswahlen werden daran nichts ändern, obwohl der Comandante dort noch einmal auf den Wahllisten steht. „Fidel Castro will oder kann seine unzähligen Ämter nicht mehr antreten. Er hat öffentlich verkündet, dass er den Weg für Jüngere freimacht“, so Everleny. Für die Insel geht damit eine Ära zu Ende, auch wenn der Comandante als elder statesman der Revolution erhalten bleibt. Die wird sich jedoch wandeln müssen, wie die aktuelle Parole zeigt, die in Havanna plakatiert ist. „Revolution bedeutet all das zu ändern, was geändert werden muss“. Ein Zitat vom Comandante, das den Weg für echte Reformen weist. Auf die warten viele KubanerInnen wie Oscar Almiñaque und Juan de Marcos González; andere haben längst die Geduld verloren und kehren der Insel den Rücken wie die steigenden Auswanderungszahlen belegen.

Alte Liebe rostet nicht

In wenigen Ländern ist ein Musikgenre so stark Teil der Nationalkultur wie der Tango in Argentinien. Tango ist weder nur ein Musikstil noch bloß ein Tanzrhythmus, sondern eine emotionale Substanz, ein eigenes kulturelles Universum, das am Rio de la Plata zu Hause ist. „Der Tango ist das Einzige, in dem wir nicht Europa um Rat fragen“, diese Definition des berühmten argentinischen Schriftstellers Macedonio Fernández bringt trotz des ihr innewohnenden Sarkasmus den argentinischen Stolz auf den Punkt. Obwohl natürlich auch in Argentinien längst andere, internationale Musik- und Tanzstile erfolgreich sind und der Tango kommerziell-touristisch ausgebeutet wird, ist er weiterhin das wichtigste einigende kulturelle Band verschiedener Generationen.
Der Dokumentarfilm Café de los maestros versammelt und erinnert an die größten noch lebenden Legenden der goldenen Epoche des Tangos, die 40er und 50er Jahre. Er ist der letzte Teil eines langjährigen Projekts des argentinischen Regisseurs und Psychoanalytikers Miguel Kohan, dessen Produktion der brasilianische Regisseur Walter Salles (Motorcycle Diaries) sowie der Musiker Gustavo Santaolalla übernommen haben. Erster Teil des Projekts war die Produktion einer Doppel-CD, die 2003 begann und 2004 veröffentlicht wurde. Dabei entstanden rund 158 Stunden Videomaterial, die die Grundlage für einen Fotoband (2005), und nun des Dokumentarfilms, bildeten. In einer eleganten Mischung verbinden sich die Musikaufnahmen zur CD und Interviews mit über 50 Jahre altem Archivmaterial. Es zeigt die inzwischen sehr gereiften KünstlerInnen – niemand ist jünger als 70, einige deutlich über 80 – als aufstrebende MusikerInnen und erinnert an das pulsierende kulturelle Leben in Buenos Aires und Montevideo der 40er Jahre. Krönender Höhe- und Schlusspunkt ist ein halbstündiger Zusammenschnitt des inzwischen legendären gemeinsamen Konzerts, das die insgesamt 18 portraitierten KünstlerInnen im August 2006 im berühmten Teatro Colón in Buenos Aires gaben.
Die Anlehnung an Buena Vista Social Club, das Film- und Plattenprojekt mit dem Wim Wenders und Ry Cooder 1999 die gealterten und teils vergessen Stars der kubanischen Musikszene (wieder) ins internationale Rampenlicht stellten, ist unübersehbar. Doch warum sollte ein Erfolgsrezept nicht wiederholt werden, vor allem wenn es sich um begeisternde Musik und charismatische Persönlichkeiten handelt? Dabei bietet der Film interessante, bisweilen intime Einblick in das Leben der Orchesterdirigenten, Instrumentalisten und GesangsinterpretInnen, deren Karrieren sehr unterschiedlich verlaufen sind. Einige konnten sich bis heute an der Spitze halten und sind international erfolgreich, andere musizierten in den letzten Jahren und Jahrzehnten nur noch zum Vergnügen, wieder andere verdienten sich bis zuletzt ihren Lebensunterhalt in kleinen Bars und Tanzlokalen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie in Würde gealtert sind und nie die Liebe zum Tango verlorenen haben, was sich in den großartigen, teils sehr bewegenden musikalischen Darbietungen widerspiegelt. Bleibt zu hoffen, dass ihnen Café de los maestros zumindest ansatzweise zu dem internationalen Erfolg und Bekanntheitsgrad verhelfen kann wie es ihren kubanischen KollegInnen mit Buena Vista Social Club gelang.

Cafe de los maestros, Regie: Miguel Kohan,
Argentinien 2007, 84 Minuten, läuft auf der Berlinale vom 7.-17. Februar im Forum-Programm

Hip-Hop mit Hindernissen

Musik erschallt auf dem Malecon, der Strandpromenade in Havanna: Stimmen, ein Beat, eine eingängige Melodie. TouristInnen bleiben neugierig stehen und betrachten die drei jungen Männer, die ein paar hundert Meter der berühmten kubanischen Strandpromenade mit ihren Tönen füllen: Doanto und Toño rappen mit kräftigen, vollen Stimmen, und Alberto, zurückhaltend im Hintergrund, ist das lebende Schlagzeug. Mit Lippen und Zwerchfell formt er immer neue Rhythmen. Reggae-Singsang wechselt sich mit aggressivem Rap und kunstvollem Zungenbrecher-Sprechgesang ab. Mit großer Leichtigkeit spult Donato blitzschnell ein paar Sätze ab, jedes Wort ist zu verstehen.
Ist die Vorstellung zu Ende, preisen die drei ihre CD an. Auf dem Cover: Donato und Toño mit Sonnenbrillen, weiten Shirts und Tüchern um den Kopf, die Arme verschränkt und die Köpfe gelangweilt schief gelegt, als ginge sie das alles nichts an. Die TouristInnen sind beeindruckt und machen Fotos. Da kommt ein Polizist herbeigeschlendert und fordert die beiden jungen Musiker auf, sich zu identifizieren. Sofort haben sie ihre Ausweise einer staatlichen Künstlervereinigung bereit. Nach einem kurzen, misstrauischen Gespräch ist der Beamte zufrieden und zieht ab. Doch auch die TouristInnen sind inzwischen weitergeschlendert. „Ist nicht leicht“, meint Toño lakonisch. Ein typischer Ausspruch, der zugleich Resignation und Trotz ausdrückt.

Der Staat rappt mit

Donato und Toño sind zwei von vielen: Um die 500 Rappergruppen soll es in Kuba geben. Die wenigsten schaffen es, von der Insel wegzukommen und sich international einen Namen zu machen. Der kubanische Staat reglementiert die Musikproduktion, und ohne Unterstützung einer staatlichen Behörde geht gar nichts. Zudem müssen die SprechkünstlerInnen immer aufpassen, was sie sagen: Nur „gesunde Inhalte“ sind erlaubt.
Auch um aufzutreten brauchen die RapperInnen die staatliche Einwilligung. Donato und Toño sind Mitglieder der staatlichen Künstlervereinigung UNEAC. Ohne ihre Ausweise dürfen sie offiziell nicht auftreten.
„Wir müssen raus aus Kuba“, seufzt Toño. Wie die Orishas, die sich 1998 in Paris neu gründeten und es weltweit zu Ruhm gebracht haben. Um Kuba verlassen zu können, hätten sie sich angepasst, meint der Malecon-Rapper. Die Band hieß ursprünglich La Amenaza (Die Drohung). Damals seien ihre Texte noch kritischer gewesen, so Toño. Um berühmt zu werden, hätten sie ihre Worte und ihren Namen geglättet: Orishas sind die Heiligen der Santeria, der afro-kubanischen Religion. Traditionsbewusst, aber nicht kritisch. Das hatte Erfolg.

Hoffen auf Unterstützung

Auch die drei Jungs von Habana 100%, Yassel, Juliet und Cesar, sollen ihren Namen ändern. Sie kommen aus Santiago de Cuba im Osten der Insel und wollen Mitglied der Asociacion Hermanos Saiz (AHS) in Habana werden. Die Nichtregierungsorganisation, die vom kubanischen Kulturministerium unterstützt wird, hilft kubanischen KünstlerInnen, die jünger als 35 sind mit Studios, Kontakten und Auftritten. In allen 14 Provinzen Kubas hat die AHS Büros; etwa 3500 KünstlerInnen – MusikerInnen ebenso wie SchriftstellerInnen und MalerInnen – sind Mitglieder. Yassel und seine Kollegen hoffen, mit ihrem Stilmix gut anzukommen: Sie mischen in ihren Songs Hip Hop, tanzbaren Merengue und kräftigen Reggaeton. Das erste Vorstellungsgespräch der drei bei der AHS verlief vielversprechend: Supermusik, hieß es. Nur der Name solle bitte geändert werden, er sei nicht kubanisch genug. Die drei grübeln. Lange. Etwas noch kubanischeres als Habana 100% will ihnen nicht recht einfallen. Sie verwerfen die Namensdiskussion zunächst, Wichtigeres steht an: Der Termin in einem unabhängigen Studio, um ein paar Songs aufzunehmen.
Seit etwa sechs Jahren stehen den RapperInnen in Kuba viel bessere technische Möglichkeiten zur Verfügung: Das Internet hat neue Spielräume eröffnet. Ist es auch teuer und daher für Kubaner schwer zugänglich, bietet es doch Möglichkeiten zum Austausch. Zum Schneiden ist nur noch ein Computer notwendig, auch die Beats kommen aus dem Rechner. Vorher griffen viele der Rapper auf Karaoke zurück um nicht ganz a capella singen zu müssen. Und die Stücke mussten sie mühsam mit der Schere zusammenschnippeln.
Yassel und Julie haben ihre Musik schon in Santiago auf eine CD gebrannt, nur ihre Stimmen fehlen noch. Die beiden sind aufgeregt, als sie sich früh am Morgen an der Eisdiele treffen. Sie waren noch nie in dem Studio, und es liegt etwas außerhalb der Stadt. Tatsächlich ist es eine Odyssee, bis sie gegen Mittag ankommen: Zwei Busse und ein Sammeltaxi bringen sie an den Stadtrand Havannas. Unterwegs an der Bushaltestelle denkt sich Juliet ein neues Lied aus: „Wenn Du wüsstest, was ich gerade durchmache, verstündest Du vielleicht, wovon ich singe.“ „Ist nicht leicht“, sagt auch Yassel.

Das erste Studio

Im Vorort sind die Straßen nicht mehr geteert, kleine Häuser reihen sich aneinander, Palmen wachsen am Straßenrand. Nach vielen Nachfragen ist schließlich das Studio gefunden: Zuerst in einen Hof, an einem Haus vorbei, vor dem die Wäsche trocknet. Dann um den Stall herum, durch einen weiteren kleinen Hof, in dem Windeln in einem Pott weichen, über eine wackelige Eisenstiege aufs Dach. Ein kleiner Betonraum mit Wellblechdach, nicht größer als acht Quadratmeter, das ist das Studio. Die Einrichtung: Zwei Stühle hinter einem Computer und einer Anlage, davor ein Mikro und eine Bank.
Hinter dem Computer sitzt Yoeslan Pérez und mixt blitzschnell zusammen, was vor ihm ins Mikro gerappt wird. Er spielt überall mit, wo Kuba Musik macht: Als Sprecher beim staatlichen Radiosender Cadena Habana, ebenso wie bei einer spanischen Produktionsfirma und als DJ. Nebenbei produziert er auf seinem Hausdach Musik. Ob das legal ist, weiß er nicht, aber: „Ich kenne viele Leute, die das machen, und bis jetzt hat noch keiner Probleme gehabt.“ Eine Grauzone also. Aber nicht billig: Eine Stunde Produktion kostet 10 Dollar. Das ist für viele KubanerInnen, die etwa soviel im Monat verdienen, unerschwinglich. Auch Yassel und Julie tut die große Ausgabe weh, aber es ist eine Investition in ihre Zukunft.

„Gesunde Inhalte“

Zappelig positioniert Yassel sich vor dem Mikrofon. Der Traum, berühmt zu werden, blitzt aus seinen Augen und macht ihn nervös. Der Refrain wird zuerst aufgenommen: „Sie will mehr Sex, Yassel!“ Obwohl das kein politischer Text ist, bewegt er sich an der Grenze des in Kuba Erlaubten. Produzent Pérez erzählt, dass er Reggaeton mit seinen häufig doppeldeutigen Texten im Radio nicht mehr spielen dürfe. „Haben sie mir einfach verboten“, sagt er spöttisch grinsend. Damit ist für viele MusikerInnen in Kuba der Traum vom Erfolg vorbei. Ist ein Lied weder im Radio noch im Fernsehen zu hören, ist es schwer, es bekannt zu machen. Manche suchen daher ihr Glück via Internet in Übersee: Die Reggaetonband Los tres gatos (Die drei Katzen) hören vor allem US-AmerikanerInnen in Miami über Internetradio. Für Kuba sind die Texte der drei zu deftig.

Harmlos genug

Yassell und Juliet denken, dass ihr „Sie will mehr Sex“ harmlos genug ist. Yoeslan Pérez mischt den Refrain ab und der nächste Teil des Liedes kommt: Jetzt rappt Juliet. Seine Stimme ist viel tiefer als Yassels und wie Samt, nachdrücklich artikuliert er die Worte ins Mikrofon. Am Schluss müssen alle noch ihre Namen rappen, das ist sehr wichtig beim Reggaeton, erklärt Pérez. Die Sänger identifizieren sich in jedem Lied.
So erkennen die ZuhörerInnen die Gruppen wieder. „Wir wollen Musik machen, die sich gut verkaufen lässt“, sagt Yassel. Er ist noch nicht zufrieden mit der Aufnahme, würde sie am Liebsten gleich noch mal machen. Aber das muss bis zum nächsten Tag warten, denn jetzt ist eine weitere Gruppe dran. Bis zu fünf Gruppen produzieren an manchen Tagen in dem Dachstudio, die meisten machen Reggaeton und Hip Hop.
Wenn sie erstmal Mitglieder der AHS sind, werden Yassel und Julie diese Organisationsprobleme nicht mehr haben: Die Vereinigung stellt ein Studio zur Verfügung und dreht Videoclips mit den Bands. Aber das Wichtigste ist: Sie schickt sie ins Ausland. Wegzukommen aus Kuba, möglichst, wie die Orishas, eine ausländische Produktionsfirma zu finden, das ist der Traum aller jungen RapperInnen in Habana. Produziert eine ausländische Firma eine kubanische Band, fordert der kubanische Staat Abgaben. Deshalb behaupten böse Zungen, es sei sehr gerne gesehen, wenn die jungen MusikerInnen außerhalb Kubas Alben aufnehmen.
Donato und Toño scheint das Ausland unerreichbar fern. Donato hat die Reise schon einmal angetreten: Auf einem Floß gelangte er in die USA. Ein Freund starb auf dem Weg; er selbst landete in den Vereinigten Staaten schließlich im Knast. So will er es nicht noch einmal versuchen. Lieber arbeitet er auf Kuba weiter an seinem zungenbrecherischen Sprechgesang. Inspiration sei den beiden jede Musik, sind sie sich einig: Von Mariachi-Gesängen, die sie hervorragend nachahmen können, über Popmusik zur klassischen Trova Kubas. Aus dem Stand geben sie ein Ständchen mit zwei Gitarristen, indem sie den berühmten „Chan Chan“ mit Rap vermischen. Und es klingt gut: Die Melodie, die alle Welt aus dem Buena Vista Social Club kennt, harmoniert mit Toños kernigem Rap. Donato hat schon mit der erfolgreichen Reggaeton-Gruppe Kadima zusammen gearbeitet. Und sich mit ihr überworfen. Donato und Toño seien viel zu sehr „underground“, heißt es in der Szene, um von Kuba wegzukommen. Die beiden Rapper bestreiten das. „Wir machen nicht solche Schmuddeltexte wie die US-Rapper“, ereifert sich Toño, „hier auf Kuba sind wir gut erzogen“.

Neue Zeiten – neue Töne

Abgrenzung von den USA war ein wichtiger Schritt in der Geschichte des kubanischen Raps. Erst in den 90er Jahren, mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Beginn der entbehrungsreichen „Spezialperiode“ in Kuba, begann sich eine eigene Szene herauszubilden. So weit die Zensur es zuließ, dichteten die WortkünstlerInnen Texte über ihre alltäglichen Probleme. Oder sie reimten leise für sich, im heimischen Wohnzimmer. Zum Beispiel über Erfahrungen mit der Polizei: „Einmal wurden wir festgenommen, einfach so, weil wir uns einen halben Block von unserer Wohnung entfernt nicht ausweisen konnten“, sagt ein Musiker. „Darüber haben wir ein Lied gemacht. Aber nur für uns. Denn wenn du so was laut singst, bleibst du für den Rest deiner Tage im Knast.“
Trotz der Zensur akzeptierte der kubanische Staat die neue Musikform im Laufe der neunziger Jahre immer mehr. 1995 rief die AHS zusammen mit dem Kulturzentrum Osthavannas das Rapfestival Alamar ins Leben. Der eher arme Bezirk Alamar im Osten Havannas gilt als Geburtsstätte des kubanischen Rap. Seither ist das jährlich stattfindende Festival ein Muss für alle RapperInnen: Sie können die Konkurrenz besichtigen und treffen internationale Gäste, in der Hoffnung, gute Kontakte zu schließen.

Erfolgsgeschichte aus Guantánamo

Während Toño und Donato diese Kontakte noch immer fehlen und Yassel und Juliet sie durch die AHS zu finden hoffen, hat Skiudys es geschafft: Er kann im Herbst zum ersten Mal in Mexiko auftreten. Skiudys ist aus Guantánamo und dort seit vier Jahren Mitglied der AHS.
Die Künstlervereinigung unterstützt laut eigener Aussage „Musiker, die gesunde Musik machen und Alternativen bieten“. Skiudys will jedoch an seinem Stil und seiner Musik keine Abstriche machen. „Ich mache keinen Reggaeton, das ist mir zu kommerziell“, betont er. Sein Stil ist unverfälschter Rap, und überraschend ehrlich sind auch seine Texte: „Bildung auf einem hohen Niveau, aber das wirkliche Problem ist das soziale Niveau, Armenviertel, Kinder, die Rotz spucken, aufgeblähte Bäuche, Unterernährung…“ Vielleicht kann Skiudys all das sagen, weil er es innerhalb der Revolution verortet. Denn die will er umgesetzt sehen: „Wenn du meine Lieder hörst, wirst du merken: Hasta la victoria siempre ist nicht mehr nur ein Spruch.“ Mit seinem ehrlichen Stil ist er erfolgreich: Er ist schon oft aufgetreten und wurde dafür gut bezahlt. Über 1000 kubanische Pesos hat er für einen Gig bekommen, das fünffache des durchschnittlichen Monatslohns – und dennoch nur rund 35 Euro wert. Trotz des vergleichbar guten Lohns verortet Skiudys sich auf der Seite der Armen, Ausgeschlossenen: „Die gibt es nämlich auch auf Kuba.“ Das erste Album, das er zusammen mit seinem Kollegen Abel aufgenommen hat, heißt dem entsprechend Los Marginados – die Marginalisierten.
Wollen auch viele Skiudys Songs hören, so ist doch der Erfolg des kommerzielleren Reggaeton größer. Die 2002 auf Initiative der AHS gegründete kubanische Rapagentur unterstützt heute fast nur noch Reggaeton. Der Beat ist in ganz Lateinamerika in und verkauft sich besser als Rap.
Dass er dennoch auf Radio Cadena Habana, wo Yoeslan Pérez die Ansagen macht, nicht gespielt werden darf, ist einer der vielen Widersprüche des kubanischen Systems.

Papa Fidel

Und der steckt auch in den RapperInnen selbst. Denn so eingeschlossen sie sich fühlen in ihrem System, so sehr wissen sie es zu schätzen. „Sozial ist Kuba das beste Land der Welt, aber politisch und ökonomisch nicht“, wiegt Skiudys ab. Und Donato und Toño haben ein Lied über die Revolution gemacht: „Auch wenn viele mich kritisieren oder verfluchen, werde ich kämpfen bis zum Tod, denn (die Revolution) schickte mich in die Schule und gab mir Perspektiven….“
Präsident Castro nennen Donato und Toño „Vater Fidel“. Was wird aus Kuba ohne ihn werden? Donato wird sehr nachdenklich: „Was ist das Besondere hier?“ fragt er und beantwortet gleich seine Frage: „Die Solidarität. Die Sicherheit. Der Zusammenhalt. Das alles wird verschwinden, wenn Fidel nicht mehr da ist.“ Skiudys sagt, er sei „auf alles vorbereitet“. Denn: „Die Kubaner interessieren sich nicht für Politik. Sie sind keine Kommunisten, sondern Fidelisten.“ Und seiner Meinung nach kann es keinen neuen Fidel geben. Mit seinem Kollegen Abel gerät Skiudys in eine Diskussion, denn Abel meint, es gebe sehr wohl einen Nachfolger. Den habe Fidel sich schon herangezüchtet. Er wünscht sich eine „kooperativistischen Staat“ nach Fidel, und für sich selber das, was alle wollen: Ausreisen. Allerdings ohne seine Familie, denn seine Tochter soll in Kuba zur Schule gehen.
„Ist nicht leicht“, sagt Toño abschließend. Er blickt über die Mauer des Malecon in die schwarze Nacht. Am Horizont verschmelzen Meer und Himmel in der Dunkelheit. Toño dreht sich um, trinkt noch einen Schluck Rum und setzt zu einer neuen Strophe an.

Verstehen Sie Wolof?

Während man sich hier zu Lande noch verwundert die Ohren rieb als 1998 Khaleds Erfolgssong Aicha in einer Salsacoverversion aus den Lautsprechern drang, bastelten die Urheber dieses Treibens bereits an ihrem nächsten Coup. Mit dem Album BETECE stürmte die Gruppe Africando im Dezember 2000 von Null auf Eins der europäischen World Music Charts. Mit ihrem Salsasound lag die Band voll im Trend, denn spätestens seit Wim Wenders Film Buena Vista Social Club lauschte und schaute nicht mehr nur die bis dahin überschaubare Fangemeinde der Latino-Rhythmen nach Kuba. Was sie von Africando zu hören bekamen klang zwar kubanisch, kam ihnen aber gar nicht spanisch vor. Wie denn auch. Gesungen wird auf BETECE überwiegend in Wolof, der Sprache des Volkes der Wolof aus dem Senegal. Der Name Africando ist auch keine Wortschöpfung aus dem Spanischen, sondern heißt in der Sprache der Wolof ‘Vereintes Afrika’.

Quer über den Atlantik

Die Idee zu Africando hatten Anfang der 90er Jahre der Musiker Bocana Maïga aus Mali und der senegalesische Produzent Ibrahim Sylla. Doch es dauerte eine Weile bis sich die Wege der beiden kreuzen sollten. Maïga packte 1963 in Mali seine Flöte ein und ging nach Kuba. Zehn Jahre blieb er auf der Insel, entdeckte seine Liebe für die afrokubanische Musik, spielte zusammen mit namhaften Musikern und hatte am Ende mit Las Maravillas de Mali seine eigene Salsaband. 1973 kehrte er mit ihr nach Afrika zurück. Afrokubanische Rhythmen waren zu dieser Zeit sehr populär, nicht zuletzt durch die triumphale Afrika-Tournee der Fania All Stars, jener Salsa-Legende der späten 60er und 70er Jahre aus New York. Mit von der Party war Bocana Maïga.
In den 80ern schwand die Popularität der afrokubanischen Rhythmen. Soul, Funk und Rock dominierten die Szene. Maïga teilte seinen Frust darüber mit Ibrahim Sylla. Sylla, einer der namhaftesten Musikproduzenten aus dem Senegal, bastelte bereits Ende der 70er an einer Fusion aus Salsa und m’balax. M’balax ist der im Senegal beliebteste Tanzstil. Anfang der 90er schütteten sich beide ihr Herz aus und die Idee von Africando nahm Gestalt an. Mit drei wolofsprachigen Sängern aus dem Senegal flogen sie nach New York und gingen mit handverlesenen Musikern aus dem Umfeld der ehemaligen Fania All Stars ins Studio. 1993 erschien mit Trovador das erste Album, 1994 mit Sabador das Zweite. Gesungen wird darauf nicht nur in wolof, auch andere afrikanische Sprachen wie mandingue oder sérère sind zu hören, und: wolofspañol.

Spanisch ein Kauderwelsch?

Kam damit über den Umweg New York nach Afrika zurück, was zu Kolonialzeiten mit den versklavten Menschen der westafrikanischen Küste in die Karibik verschleppt wurde? Wohl kaum. Der Clave, jener typische 3/2 Rhythmus, der allen wichtigen kubanischen Tanzmusikstilen von traditionellem Son bis heutiger Salsa zu Grunde liegt, ist ein Nachfahre des Trommel- und Schellenrhythmus, der die Maskenparaden in Benin, Togo oder Nigeria seit jeher begleitet. Ähnliches findet sich im Kongo, der Elfenbeinküste, in Mali und auch im Senegal. Als in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts kubanische Matrosen den Clave an die afrikanische Westküste brachten, war darin nichts Fremdes zu sehen. Wendo, der alte Mann der kongolesischen Rumba sagt darüber: „Wir wussten nichts von der kubanischen Geschichte. Viele von uns glaubten, dass es eine afrikanische Musik war und, dass das Spanisch ein Kauderwelsch sei, das wir einfach nicht verstanden.“
Africando steht denn auch auf den Schultern anderer Bands. Mit Pape Seck und Nicholas Menheim kamen zwei der drei senegalesischen Sänger aus der legendären Star Band of Daca. Dagegen kam Medoune Diallo vom Orchestra Baobab.
Das Orchestra Baobab wurde 1970 in Dakar unter Mitwirkung von höchsten Regierungspolitikern gegründet, die sich in einem gleichnamigen Club eine intime Atmosphäre schafften. Der Baobab Club lag nur einen Steinwurf entfernt vom Palast des Präsidenten. Da das Orchester multiethnisch besetzt war, spielten sie querbeet von Blues bis Tango, afrikanische Stile, aber auch Son und Salsa. 1979 schloss das Baobab seine Pforten, die Band zog in ein neues Domizil.
1982 erschien der 23-jährige Youssou N’Dour auf der Bühne und mit ihm feierte der m’balax seinen Siegeszug. M’balax beruht auf dem Sound der traditionellen Sabartrommel und wurde jetzt tanzbar gemacht. Das Orchestra Baobab schwenkte zwar noch auf m’balax ein, aber so richtig wollte es nicht klappen. 1987 löste sich die Band auf. Medoune Diallo ging zu Africando, bei denen er heute noch singt.

Orchestra Baobab

Doch damit ist die Geschichte des Orchestra Baobab noch nicht zu Ende. Sorgte Anfang der 80er Youssou N’Dour mit für das Aus der Band, so bemühte sich eben jener das Orchester im Jahr 2002 wieder zu vereinen und trat als Produzent einer Comeback-CD auf. Nun geht das Orchestra auf Tournee und wird am 2., 3. und 4. August bei den HeimatKlängen 2002 im Berliner Tempodrom auftreten. Treibende Kraft hinter dem Ganzen ist das britische Label World Circuit Records. Die Firma hat bereits große Erfahrung bei der Vermarktung vergangener Zeiten, hat sie doch fast die komplette Altmusikerriege aus Kuba in ihrem Repertoire. Dennoch darf man gespannt auf Baobab sein, zumal es sich hier nicht um eine in die Jahre gekommene Rentnercombo handelt.
Africando ging hingegen ihren Weg. 1996 brachten sie mit Gombo Salsa ihr drittes Album heraus. Nicht mehr dabei war die markante Stimme von Pape Seck, der ein Jahr zuvor gestorben war. Musiker aus Benin, Guinea und Haiti erweiterten jetzt die Gruppe. Die schaffte spätestens mit ihrer vierten CD Baloba auch international den Durchbruch, nicht zuletzt wegen der erwähnten Khaled-Coverversion. Als dann Ende 2000 BETECE erschien hatte sich Africando mit einem All Star-Ensemble Verstärkung geholt, darunter klangvolle Namen wie Salif Keïta, Lukoa Kanza, Ray Martinez oder Chino Nuñez. Und wie heißt es im letzten, vielsprachigen Lied Doni Doni: „…petit à petit l’oiseau fait son nit, après le parti unique, et malgré la corruption et le tribalisme, le multipartisme finira par ouvrir une ère de vrai démocratie!“ („Stück für Stück baut der Vogel sein Nest, nach der Einheitspartei und trotz der Korruption und der Stammesfehden wird das Mehrparteiensystem eine Ära der wahren Demokratie einläuten!“)

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Die Normalität nach der „Período Especial“

In deinem jüngsten Film, „Hacerse el sueco“, auf Deutsch „Der Cuba Coup“, geht es um einen Schweden. Auch in anderen Filmen, bei denen du mitgewirkt hast, spielen weiße AusländerInnen tragende Rollen. Welche Bedeutung haben sie für die heutige kubanische Gesellschaft?

Tatsächlich spielen AusländerInnen, außer bei „Alicia im Dorf der Wunder“ wichtige Rollen: in „Tropicanita“, „La Vida es Silbar“ und „Hacerse el Sueco“. Auch in dem Film, den wir zu Jahresende drehen werden, geht es um einen Ausländer, einen Spanier. 30 Jahre lang kamen AusländerInnen nach Kuba vor allem in Delegationen aus sozialistischen Ländern. Tourismus wurde damals nicht als wirtschaftlich interessant betrachtet. Das hat sich natürlich mit den Veränderungen in Osteuropa dramatisch verändert. Auf einmal wurde der Massentourismus nicht nur interessant, sondern geradezu zum wirtschaftlichen Rettungsanker. Vor allem in den ersten Jahren. Jetzt hat sich das einigermaßen normalisiert. Früher wollte jeder einen Ausländer kennen lernen. Vor allem die einfachen Leute versprachen sich davon gewisse Vorteile. Mit AusländerInnen befreundet zu sein, bedeutete also Zugang zu Dollars. Man geht mit ihnen ins Bett, vermietet ihnen Zimmer oder verkauft ihnen irgendetwas. Aber diese regelrechte Verfolgungsjagd ist vorbei. Die AusländerInnen – es sind vor allem Weiße aus Europa, Kanada oder Lateinamerika – haben unsere Sozialstruktur verändert. Bis vor einigen Jahren wurde bei uns alles mehr oder weniger vom Staat subventioniert. Jetzt leben wir in einer kapitalistischen Gesellschaft wie überall in der Dritten Welt.

Manche behaupten, die Ausländer hätten Laster nach Kuba eingeschleppt: es gibt weit verbreitete Prostitution, Schwarzhandel mit Waren jeder Art, Kleinkriminalität…

Das ist sicher der negative Aspekt dieser Veränderungen und der macht uns zu einem „normalen“ Land. Natürlich bekommen Ausländer hier Mädchen und vielleicht sogar Drogen angeboten. Aber was ist daran das Besondere? Ich war vor kurzem in Hamburg und habe gesehen, dass die Reeperbahn eines der größten Hurenviertel der Welt ist. Und die Polizisten dort glauben, dass alle Schwarzen Drogenhändler sind und kontrollieren sie daher alle paar hundert Meter. Wir haben jetzt durch den stärkeren Tourismus auch Prostitution Das ist ein Laster und macht uns zu einem „normalen“ Land. Das Gute ist, dass uns der Tourismus in einer wirtschaftlich sehr schwierigen Lage gerettet hat. Die so genannte período especial ist jetzt vorbei. Wir sind immer noch arm, aber es gibt keinen Hunger mehr.

Welchen Einfluss hatte die período especial, also die extreme wirtschaftliche Austerität, auf das Kulturschaffen?

Ganz enormen. Bis 1989 wurden in Kuba jedes Jahr sechs, zehn oder zwölf Filme gedreht. Jetzt produzieren wir einen oder zwei. Es gab ein Jahr, da wurde gar keiner gedreht. Oder betrachten wir das Verlagswesen: Früher kamen 10.000 Titel pro Jahr heraus. Fünf Jahre lang gab es dann 20 oder 30. Es gab kein Papier mehr. Wer Romane schrieb, war ein Träumer. Man schrieb, ohne zu wissen, wofür und für wen. 1993 wurde jeden Tag 16 Stunden der Strom abgestellt. Jetzt sind es im schlimmsten Fall zwei Stunden wöchentlich. Das Positive daran war, dass die Regierung begriffen hat, dass Künstler eine besondere Behandlung verlangen. Jetzt kann ein Musiker im Ausland Dollars kassieren und sie behalten. Dass ein Filmemacher im Ausland bezahlt wird, ist heute normal. In den 80er Jahren musste ein Maler, der in Europa, sagen wir einen Preis von 20.000 Dollar bekommen hat, dieses Preisgeld an den Staat abliefern und bekam 20.000 Pesos dafür. Dazu kommt, dass es in Kuba immer schwierig war, zu verreisen. Früher bekamst du nicht einmal mit einer Einladung eine Ausreisebewilligung. Nur zum Arbeiten oder Studieren. Jetzt genügt eine persönliche Einladung, sie muss nicht einmal von einer Institution sein. Die KünstlerInnen waren gezwungen, im Ausland Verleger zu finden oder ihre Platten aufzunehmen, wenn sie etwas publizieren wollten. Heute steht es mir völlig frei, mein Buch im Ausland zu drucken.

Vorher gab es so etwas wie Freelance nicht.

Praktisch nicht. Jetzt herrscht Wettbewerb. Obwohl der Staat in seiner Struktur sozialistisch bleibt und alles kontrolliert, funktioniert das tägliche Leben wie in jedem anderen kapitalistischen Staat Lateinamerikas: es gibt Arme und Reiche. Man kann in jeder Bäckerei Brot kaufen, es gibt auf der Straße Pizza und Süßigkeiten für ein paar Pesos. Für manche Dinge ist es sogar besser, Pesos als Dollars zu haben. Allerdings kommst du mit einem Gehalt nicht durch, denn die Löhne sind noch immer auf dem Niveau von vor 30 Jahren, während sich die Preise verzwanzigfacht haben, manche sogar verhundertfacht. Das funktionert, weil fast jede Familie ein Mitglied im Ausland oder in der Tourismusbranche hat. Die anderen müssen halt alle Gehälter zusammenlegen.

Der jüngste Kuba-Boom in Europa hat nichts mehr mit der Revolution zu tun. Im Gegenteil, er ist unpolitisch und hängt vor allem an der vorrevolutionären Musik.

Die Kultur funktioniert über Klischees. Darum geht es auch in dem Film „Hacerse el sueco“: wir glauben, dass AusländerInnen reich und kultiviert sind, dass alle Deutsche kalt, alle Französinnen Huren, alle Mexikaner klein und dick und dass in Afrika alle schwarz sind. In Europa glaubt man, alle KubanerInnen sind Mulatten, die arm sind aber Salsa tanzen. Diese Klischees haben manchmal einen wahren Kern, aber auch nicht mehr. Der Kuba-Boom um den Buena Vista Social Club verstärkt diese europäischen Klischeevorstellungen von Kuba. Ich freue mich für die Musiker. Ich finde es toll, dass 90jährige weltweit Triumphe feiern. Aber dieser Boom verdrängt die Existenz wichtiger Kultursparten wie die Troubadoure der 60er Jahre, die für meine und die nachfolgenden Generationen so wichtig waren, den Rock, Symphonien und Kammermusik. Es scheint, als gäbe es in Kuba nur von alten Leuten gespielten Salsa und Son. Der Film „Buena Vista Social Club“ (von Wim Wenders) vermittelt den Eindruck, ganz Havanna bricht nach und nach zusammen, dass wir alle arm und fast alle schwarz sind. Für mich gibt es in diesem Film zu viel Effekthascherei: die Armutsszenen, die Begeisterung der Musiker über New York. Ich komme hierher und die Leute wundern sich, dass ich keine Salsa tanzen kann, dass ich weiß bin, lange Haare habe und gerne Rock and Roll höre.

Ist Buena Vista also nur ein Exportartikel?

Es ist das Problem der EuropäerInnen, erst jetzt erkannt zu haben, dass die Mitglieder von Buena Vista tolle Musiker sind. In Kuba waren Leute wie Compay Segundo und Omara Portuondo immer schon berühmt. Plötzlich wurden sie von Europa entdeckt: Ry Cooder kommt wie Indiana Jones nach Kuba und entdeckt dort ein paar Eingeborene, die gut singen. Die Salsa ist auch in Kuba beliebt, seit einigen Jahren schon wird sie verstärkt gehört. Da hat sich einiges verändert. Als ich auf der Uni war, lehnten wir alles Kubanische ab. Wir hörten Led Zeppelin und die Stones. In den Achtzigern kam dann der venezolanische Salsa-Sänger Oscar d’Leon und plötzlich kam die kubanische Musik mit großer Kraft zurück. Man erkannte, dass Compay Segundo noch lebte. Wenn er in Havanna ein Konzert gibt, füllt sich das Theater. Seit Anfang der 80er Jahre sind Salsa und Latin Jazz bei uns wieder in. Die NachzüglerInnen sind die EuropäerInnen, die haben das erst jetzt entdeckt.

Wenn man das kubanische Filmschaffen betrachtet, entsteht der Eindruck, es werden vor allem Komödien gedreht.

Dieser Eindruck ist richtig. Der Grund ist, dass in Kuba Presse und Fernsehen sehr dogmatisch und offizialistisch sind. Kino und Theater sind hingegen immer sehr offen gewesen. Im Kino kannst du Probleme ansprechen, die im Fernsehen tabu sind. In den 90er Jahren, als die Situation hier ziemlich schwierig war, erschien die Komödie als geeignetes Mittel, sich über Missstände lustig zu machen und die Probleme auf eine Art und Weise anzusprechen, so dass die Leute nicht Selbstmord begehen. Aber es gibt verschiedene Arten von Komödien. „La Vida es silbar“ ist Komödie und Drama in einem.

Gibt es eine Kinoproduktion für den Export und eine andere für das einheimische Publikum?

Natürlich nicht. Alle Filme, die gedreht werden, sind auch in Kuba zu sehen. „Alicia en el Pueblo de las Maravillas“ war eine Ausnahme. 1991 wurde der Streifen vier Tage lang gezeigt, dann verschwand er aus der Öffentlichkeit. Es gibt ihn in keinem Video-Geschäft zu kaufen. Es ist aber nicht verboten, eine Kopie zu besitzen. Ich habe welche für all meine Freunde gemacht.

Hat diese Erfahrung bewirkt, dass die Drehbuchschreiber jetzt vorsichtiger sind?

Ganz im Gegenteil. Die Regierung hat dazugelernt. Sie hat eingesehen, dass sie bei „Alicia“ zu weit gegangen ist. Der Beweis ist, dass Filme, die noch viel kritischer sind, wie „Fresa y Chocolate“ oder „Guantanamera“ von Tomás Gutiérrez Alea, oder auch „La Vida es Silbar“ von Fernando Pérez, keine Probleme bekamen. Im Kino gibt es nur ein einziges großes Tabu: Man darf nicht schlecht über Fidel reden. Bei allen anderen Themen findet man eine Art, sie metaphorisch darzustellen. Ich glaube, es gibt wenige Länder, die ein so kritisches Kino wie Kuba haben.

Der Regisseur Tomás Gutiérrez Alea hat einmal gesagt, das Kino erfüllt die Funktion des kritischen Journalismus, den es in Kuba nicht gibt.

Ich glaube, Presse und Fernsehen werden viel stärker kontrolliert, weil sie alltägliche Kommunikationsmittel sind, über die die Regierung ihre „Wahrheiten“ verbreitet. Kino und Theater lassen sich schwerer kontrollieren. Außerdem wäre es wirtschaftlich fatal. Kein deutscher Produzent würde ein Filmprojekt in Kuba unterstützen, wenn er fürchten müsste, dass der Film verstümmelt wird. Ich habe ein paar Mal für die Printmedien geschrieben, bin aber schließlich beim Kino gelandet, weil es ein Refugium für freies kulturelles Schaffen ist. Die meisten Filme werden aber nicht im Fernsehen gezeigt, nicht einmal „Fresa y Chocolate“, obwohl er im Ausland mit Preisen überhäuft wurde.

Wie geht Kuba mit den KünstlerInnen im Exil um?

Von offizieller Seite werden sie ignoriert. Man kann ihre Platten nicht kaufen, sie werden weder im Fernsehen noch im Radio gespielt. Aber verboten sind sie nicht. Keiner wird festgenommen, weil er mit einer CD von Célia Cruz auf der Straße erwischt wird. Im Gegenteil: wahrscheinlich sagt der Polizist: „Kannst du mir nicht eine Kopie machen?“ Je mehr ein Künstler totgeschwiegen wird, desto populärer ist er natürlich. Auf privaten Festen werden ExilkünstlerInnen oft gespielt. Exilliteratur ist eher etwas für die intellektuelle Elite. Cabrera Infante wird sehr respektiert. Bei anderen wie beispielsweise bei Zoe Valdés ist das nicht der Fall. Ich finde, sie ist ein künstliches Produkt und ich glaube, die meisten KubanerInnen sehen das auch so.

Du bist oft im Ausland gewesen und immer wieder nach Kuba zurückgekehrt. Würden die anderen genauso handeln, wenn plötzlich Reisefreiheit herrschte?

Wenn sie immer Reisefreiheit gehabt hätten, dann schon. Es war einer der größten Fehler seit der Revolution, diese Freiheit einzuschränken. Wenn die Leute einmal die Gelegenheit haben, raus zu kommen, dann denken sie, es ist ihre einzige und sie kommen nicht zurück. Viele suchen einfach bessere wirtschaftliche Perspektiven. Heute ist es einfacher zu reisen. Viele Leute kennen AusländerInnen und werden eingeladen. Aber mein bester Freund ist 38 und war noch nie im Ausland. Das ist schrecklich. Wenn du 40 bist und in Kuba herrscht Wirtschaftskrise, du siehst keine Perspektive für dein Leben und plötzlich hast du die Gelegenheit nach, sagen wir Kolumbien, zu reisen. Natürlich fährst du. Natürlich hast du dort auch Probleme, aber zumindest sind es andere Probleme. Dieses Problem wird stark politisiert. Schau dir Mexiko an: ein kapitalistisches Land und eine Demokratie nach westlichen Maßstäben. Und trotzdem verlassen tausende MexikanerInnen illegal das Land. Wenn ich zehn Minuten hätte, um Fidel Castro alles zu sagen, was mich in Kuba stört, dann wäre die Reisefreiheit eines der ersten Themen. Dafür gibt es einfach keine Rechtfertigung.

Interview: Ralf Leonhard

Eine Guajira in einer „Neuen Welt“

Fidel Castro hatte vor kurzem seinen 75-jährigen Geburtstag. Was hättest du ihm geschenkt?

Meine CD. Die kann er sich anhören, weiterverschenken oder behalten. Auch wenn er kein Salsatänzer sein sollte, ist er bestimmt ein guter Zuhörer. Das reicht mir.

Im Titelstücks der CD singst du „Eine neue Welt lernte ich kennen auf der Suche nach dem Glück“. Was hast du in Europa gesucht als du gekommen bist?

Ich habe nicht gerade Deutschland gesucht, es war Schicksal. Vor acht Jahren bin ich aus privaten Gründen gekommen, um genauer zu sein, wegen der Liebe. Deshalb kam ich auch nicht als Sängerin. In den ersten Jahren habe ich wenig Musik gemacht. Ich habe Deutsch gelernt und einfach mein Leben gelebt. Ich wollte mich vor allem an Deutschland gewöhnen und es dauerte ein paar Jahre bis ich wieder anfing zu singen. In Kuba hatte ich in typischen kubanischen Bands schon professionell gesungen, auch für Touristen. Damals haben wir Lieder von anderen nachgespielt, zum Beispiel von Celia Cruz, Gloria Estefan und anderen kubanischen Künstlern. Das hat aber auf Dauer nicht so viel Spaß gemacht, deshalb habe ich mich entschlossen meine eigene Musik zu schreiben. Ich hatte dafür sehr viele Ideen, und so ist Mundo Nuevo entstanden. Es hat auch mit Sehnsucht zu tun. Es inspiriert mich wenn ich an meine Familie oder Freunde denke. Man merkt es zum Beispiel in dem Stück „Cha ka cha“, wo ich von meinem kleinen Bruder, der Chachacha lernen wollte, erzähle.

Hast du in Kuba eine musikalische Ausbildung gemacht?

Musik war für mich erst einmal Hobby, ich habe aus Spaß gesungen. In Moa, dem Ort wo ich geboren bin, habe ich eine kleine Musikschule besucht, aber nicht sehr lange. Ich bin eher eine Autodidaktin. Ich war in einigen professionellen Gruppen, wo ich sehr viel lernen konnte. Ich war damals sehr jung und die Gruppenmitglieder hatten schon sehr viel Bühnenerfahrung. Bei denen habe ich in zwei Jahren am meisten gelernt. Ich hatte auch einfach Glück und kam in immer bessere Gruppen.

Du hast in einem Tourismuszentrum als Sängerin gearbeitet. Was bedeutet diese Arbeit für kubanische Musiker?

Jede kubanische Musikgruppe würde dort gerne spielen. Für viele ist es ein Ziel, weil es ein bequemes Leben bedeutet. Man lebt da, meistens muss man tagsüber nichts machen, nachts spielt man immer am gleichen Ort und man muss sich deswegen nicht soviel Mühe geben. Es ist eine sichere Arbeit, deshalb will jeder sie machen. Auch hier hatte ich aber einfach Glück. Ein Direktor hat mich gehört und fand, dass ich die Richtige für den Job sei. In dem Touristenzentrum konnte ich viel über den Geschmack des europäischen Publikums lernen. Für mich war es neu, leise zu spielen und am Anfang konnte ich mich gar nicht gut daran gewöhnen. Wir Kubaner wollen immer laute Musik zum Tanzen. Selbst wenn wir reden tun wir es sehr laut. Durch die Arbeit im Touristenzentrum wusste ich schon ein wenig über die Mentalität der Menschen in Europa, wo die Leute eher zuhören und nicht tanzen wollen.

In deiner aktuellen Gruppe Q’ba sind alle Musiker aus Kuba. Welche Schwierigkeiten haben kubanische Künstler, um außerhalb der Insel arbeiten zu dürfen?

Stimmt, alle sind Kubaner, aber zwei leben schon lange in Holland und nur zwei sind für unsere Tournee aus Kuba gekommen. Es war nicht so einfach sie hierher zu holen und wir mussten dafür richtig kämpfen. Erst hieß es, es gebe keine Reisepässe, aber schließlich ist es uns gelungen, dass sie eine einjährige Erlaubnis bekamen. Andere Gruppen bekommen diese nur für drei Monate und müssen danach zurück. Früher war es noch schwieriger im Ausland spielen zu dürfen. Aber durch den Film Buena Vista Social Club hat sich viel geändert. Da ich mit einem Deutschen verheiratet bin, ist es für mich einfacher. Weil ich hier „legal“ bin, darf ich auch jederzeit zurück. Die Kubaner, die auf Einladung kommen und danach einfach bleiben, können große Probleme bekommen. Entweder dürfen sie nicht nach Kuba zurück oder müssen sehr lange mit ihrer Rückkehr warten. Ich kenne ein paar Kubaner, die zehn Jahre warten mussten, bis sie wieder in Kuba auftreten durften.

Wie wird in Kuba gesehen, dass kubanische Künstler im Ausland spielen, um sich dort weiterzuentwickeln?

In Europa oder in den USA zu spielen, ist der Traum der meisten kubanischen Musiker. Viele glauben, es sei einfach hier Erfolg zu haben, und kommen mit falschen Erwartungen. Das ist ein großes Missverständnis. Man muss sehr hart arbeiten, um beispielweise das zu erreichen, was ich geschafft habe. Ich habe acht Jahre gebraucht.

Die Musik mancher Musiker ist in Kuba tabu. Ist deine Musik dort zu hören?

Wir kennen einen Kubaner bei einem Radiosender. Er spielt meine Liedern problemlos im Radio. Die Kritik war bis jetzt immer sehr gut, auch wenn es vielleicht Leute gibt, die meine Musik nicht mögen, weil sie ihnen zu fremd ist, oder weil es nicht so „typisch kubanisch“ klingt. Auch wenn ich kein Datum sagen kann, bin ich mir sicher, dass ich irgendwann wieder in Kuba spielen werde.

Man vergleicht deinen Stil mit dem von verschiedenen kubanischen Sängerinnen wie Celia Cruz, La Lupe und vor allem Gloria Estefan. Man hat dich sogar als „Enkelin des Buena Vista Social Club“ genannt. Stört dich das?

Nein, es freut mich, dass man mich mit diesen Musikern vergleicht. Aber sie haben ihren Stil und ich habe meinen. Die Musik von Buena Vista Social Club ist im Vergleich zu meiner sehr traditionell. Durch sie sind viele Leute in Deutschland erst auf kubanische Musik aufmerksam geworden. Aber sie spielen uralte Lieder, die ich schon als Kind gehört habe, und die mein Vater mit der Gitarre mit mir gesungen hat. Meine Musik ist moderner, meine Kompositionen sind von Pop und Soul beeinflusst.

Addys d´Mercedes, Mundo Nuevo, Media Luna, 2001.
Tourdaten: Addys d’Mercedes & Ibrahim Ferrer, Leverkusen-Jazzfestival, 21.10.2001.

Ein Institut sucht nach seinem Profil

Vor wenigen Jahren ging noch eine Meldung durch die Presse, dass das Iberoamerikanische Institut wahrscheinlich geschlossen oder ohne eigenen Forschungs- und Bibliotheksbereich der Staatsbibliothek Berlin angegliedert werden müsste. Mittlerweile kann das Ibero seinen 70. Geburtstag feiern, und es geht ihm wohl besser als je zuvor, soweit man das von außen erkennen kann. Was ist passiert in der Zwischenzeit?

Die Gefahr ist nicht überstanden. Wir befinden uns jetzt in einer Moratoriumsphase. Der Stiftungsrat der Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat entschieden, dem Iberoamerikanischen Institut einen Zeitraum von fünf Jahren einzuräumen, um seine Aufgaben und Funktionen sowie seine inneren Strukturen neu zu definieren. Der formale Grund dafür war die Übernahme von Hauptstadtfunktionen in Berlin. In diesen fünf Jahren befinden wir uns jetzt. Mein Vertrag ist auch auf diese Phase beschränkt, und ich gehe davon aus, dass wir irgendwann im Jahre 2004 zu einer definitiven Entscheidung über die Zukunft dieses Hauses kommen werden.

Wie sind die Aussichten?

Ich bin Berufsoptimist. Wir unternehmen alles, um ein Profil anzubieten, das dem Niveau des Hauses und seinem internationalen Ruf entspricht. Als außeruniversitäre Einrichtung wollen wir zeigen, dass wir im Forschungsbereich einen konzeptionellen Ansatz haben, der geeignet ist, sich selbst zu tragen – und dass das auch hinreichend interessant ist für ganz Deutschland, für West- wie Osteuropa sowie für Lateinamerika, Spanien und Portugal.

Welche Schwerpunkte beinhaltet dieser Ansatz?

Es hat hier eine interdisziplinäre Expertenkommission gearbeitet, die gemeinsam mit den Mitarbeitern des Institutes ein Forschungsprofil definiert hat. Sie hat auch eine Empfehlung zur Gestaltung des Veröffentlichungsprofils vorgelegt, das Erwerbungs- und Erschließungskonzept des Hauses überprüft, das heißt, uns auf Herz und Nieren abgetastet. Innerhalb des Forschungskonzeptes ist festgelegt, dass wir an zwei Forschungsdächern arbeiten. Das eine sind die Beziehungen zwischen Europa und Lateinamerika in Vergangenheit und Gegenwart, das zweite geht über kulturelle Globalisierungstendenzen und Identitäten in Lateinamerika. Unter diesen Forschungsdächern befinden sich jeweils einzelne Forschungsprojekte. Beim ersten geht es zum Beispiel um das Verhältnis einzelner europäischer Staaten zu Lateinamerika, das ja oft stark von den klassischen Bindungen der Migration und der revolutionären Solidarität geprägt ist. Unter dem anderen Forschungsdach versuchen wir einzugehen auf die Rolle der Medien in Lateinamerika, die Rolle von Technokraten in Entwicklungsprozessen, auf die Frage, wie sich territoriale Globalisierungsprozesse zum Beispiel im Bereich der mexikanischen Nordgrenze, im Bereich der Karibik niederschlagen … Eine Fülle von Themen ist da angedacht, so dass das Institut für die nächsten Jahre gut zu tun hat.

Das Verhältnis zwischen Europa und Lateinamerika betrifft ja das Iberoamerikanische Institut selbst, derzeit beschäftigt man sich intensiv mit der Vergangenheit des Ibero im Nationalsozialismus. Was sind die Ergebnisse, worauf ist man gestoßen, was lässt sich als Generallinie erkennen?

Es gibt ja eine Fülle von Veröffentlichungen, die sich auf die Rolle des Institutes bezogen haben, die letzte von Víctor Farías über Chile und den Nationalsozialismus, wo dem Institut eine starke Koordinationsrolle für die Beziehungen mit Lateinamerika über die Person des damaligen Direktors Faupel zugewiesen wird. In der Tat hat ein breites Netzwerk von Beziehungen bestanden, oftmals stellte es sich aber nach außen als mehr dar, als eigentlich da war. Es wurden eine Fülle von Vereinigungen der deutsch-lateinamerikanischen Ärzte oder sonstwas gegründet, die haben sich gegenseitig irgendwelche Orden um den Hals gehängt, irgendwelche Titel verliehen.
Aber es hat in der Tat eine Fülle von Versuchen gegeben, die Realitäten Lateinamerikas in den Dienst des Nationalsozialismus zu stellen; typisches Beispiel sind die Feiern zum “Día de la Raza”. Dabei wird allerdings auch erkennbar, dass der Faupel oft dynamischer war, als es den Machthabern des Nationalsozialismus recht war, und er dann teilweise wieder zurückgepfiffen wurde. Für uns ist diese Auseinandersetzung noch nicht abgeschlossen.

Die Forschungsergebnisse sind im Oktober mit einer kleinen Ausstellung im Lesesaal des Instituts präsentiert worden, die aber nicht allzu viele Interessierte erreicht haben dürfte. Wie kann man sich in der Folge darüber informieren?

Wir haben vor, die drei laufenden Studien zur Nazivergangenheit im Rahmen einer Veranstaltung offen zu legen und mit Interessierten zu diskutieren. Die Auseinandersetzung mit der Rolle des Institutes ist darüber hinaus Ausgangspunkt für ein eigenes Forschungsprojekt, nämlich über Lateinamerika im Nationalsozialismus und über den Nationalsozialismus in Lateinamerika. Das ist auch in Lateinamerika kein abgeschlossenes Kapitel. Es enthält eine Fülle von Dimensionen, die wir demnächst angehen wollen.
Dem Kapitel Spanien kommt noch eine besondere Bedeutung zu, da ja Faupel eine Zeit lang Botschafter des Nationalsozialismus in Spanien war, von Franco aber wegen zu großer Einmischung in innere Angelegenheiten nach Hause geschickt wurde, um hier als Direktor weiterzumachen. Es ist ein sehr komplexes Themenfeld, aber ich halte es auch deshalb für sehr spannend, weil es in Lateinamerika bisher öffentlich noch nicht ausgetragen worden ist, wenn man sich so einige Länder wie Chile, Uruguay, Paraguay, Argentinien ansieht.

Wie hat sich das Iberoamerikanische Institut zur Solidaritätsbewegung in den siebziger und achtziger Jahren verhalten?

Das Institut hat, nicht zuletzt infolge dieser nationalsozialistischen Erfahrung, sich durch eine relativ starke politische Abstinenz ausgezeichnet. Das hat auch institutionelle Gründe, weil nach 1945 das Institut ja erst einmal wieder nur als Bibliothek existierte, da die Alliierten unsere gesamten Akten abtransportiert haben und in die National Archives nach Washington verlegt haben. Insofern war man zunächst – weil man der Auffassung war, dass es sich hier um eine Zentralstelle der nationalsozialistischen Propaganda handelte – darauf aus, sich nicht in politische Sachen einzumischen, sondern das Institut eher im akademisch-kulturellen Bereich anzusiedeln.
Das Institut hat wohl von der Konjunktur der revolutionären Utopien und Solidaritäten gelebt, aber sich nicht in einer sehr dynamischen Weise da mit hineinziehen lassen. Andererseits findet man diese Zeit in den Beständen des Hauses doch in vielfacher Weise ausgeprägt. Wer in die Phonothek geht und unter Guatemala, Nicaragua und El Salvador nachsucht, findet eine Fülle von Revolutions-, Protest- und sonstigen Liedern, die quasi das gesamte Angebot dieser Länder enthalten. Erst heute streben wir wieder eine stärkere politische Funktion des Hauses an, indem wir auf die Hauptstadtfunktionen in Berlin verweisen. Heute muss es eine Aufgabe des Hauses sein, mit Entscheidungsträgern, die sich mit Lateinamerika befassen, einen Dialog zu führen über das, was dort passiert – und wie es einzuschätzen ist.

Gab es denn von der anderen Seite her Versuche – gerade zur Zeit der Diktaturen, etwa von Pinochet-freundlichen Kreisen aus –, das Ibero politisch zu instrumentalisieren?

Berlin war immer eingebettet in ein eher linksorientiertes Umfeld. Aber Versuche, das Institut auf die eine oder andere Weise – auch von rechts – für eine bestimmte Position einzunehmen, hat es immer wieder gegeben. Mir ist das selber aus dem zentralamerikanischen Fall bekannt, wo hier im Institut in der Abgrenzung von den Sandinisten über die Rolle der Kirche stärkere Positionen durchgesetzt werden sollten. Das Institut hat sich da stets sehr reserviert und distanziert verhalten.

Das Image des Iberoamerikanischen Instituts hat sich in den vergangenen Jahren stark verbessert, die Bibliothek ist benutzerfreundlicher geworden, das Auftreten nach außen wirkt moderner und, was die Veranstaltungen anbelangt, von der Programmatik her auch interessanter. Welche Impulse gab es dafür, und welches inhaltliche Interesse steckt dahinter?

Ich habe bei meiner Bewerbung dem Präsidenten und dem Stiftungsrat ein gewisses Konzept vorgetragen, wie ich einschätzen würde und wie ich meine, dass das Institut zu agieren hätte. Im Rahmen des Auswahlverfahrens ist dieses Konzept in meiner Person so gebilligt worden. Auf dieser Grundlage haben wir jetzt zu arbeiten begonnen. Das bedarf in vielfacher Hinsicht noch erheblich der konzeptionellen Konturen und auch einer Vernetzung mit den verschiedenen Institutionen, die in ähnlichen Bereichen arbeiten, europäisch und auch international. Für meinen Geschmack ist das Institut immer noch zu sehr ein Stand-Alone-Akteur. Es muss sich stärker in internationale Vernetzungen einbringen.
Das war die Arbeitsgrundlage. Ich habe entsprechend dem Präsidenten und dem Stiftungsrat im vergangenen Jahr ein Konzept vorgelegt, das auch in die Beratungen der Expertenkommission eingegangen ist, die ich schon erwähnte. Ich glaube, dass das, was die Expertenkommission den Gremien der Stiftung vorgelegt hat, ein Konzept ist, was diesen Weg im Wesentlichen so nachzeichnet. Damit haben wir da eine ganz gute Arbeitsgrundlage.

Wo liegen zurzeit die größten Schwierigkeiten des Instituts?

Die größten Schwierigkeiten des Instituts liegen in der deutschen Öffentlichkeit, darin, dass Lateinamerika einfach kein Thema auf der Agenda ist! Wir tun uns, und das wird Ihnen [den LN] nicht anders gehen, ungemein schwer, über die oberflächliche kulturelle Identifikation mit Buena Vista Social Club und Son hinaus die alten Identifikationen, die wir jedenfalls in den sechziger und siebziger Jahren kannten, wo man sich einmal tiefer auf ein Land oder eine Region eingelassen hat, wieder herzustellen. Wir müssen uns heute Terraingewinne in dem Bereich sehr viel härter erarbeiten.
Nach meiner Auffassung besitzt das Institut dafür eine hervorragende Konstellation durch diesen Hybridcharakter, Kulturelles, Akademisches und Wissenschaftlich-Politisches miteinander verbinden zu können. Da kann man in der Bibliothek Bücher, Zeitschriften, Landkarten, Musik und Videos anbieten und im Veranstaltungsbereich dies entsprechend nachvollziehen. Aber die Bedeutung Lateinamerikas für Deutschland und Europa herauszuarbeiten, ist eine der wichtigsten Herausforderungen auf der Makroebene.
Auf der Mikroebene der eigenen Institution ist für uns ganz wichtig, dass es uns gelingt, die Koordinaion zwischen Bibliothek, Veranstaltungen und Forschung stärker zu entwickeln. Wir haben da schon ein paar Schritte nach vorne gemacht, aber es gilt deutlich zu machen, dass wir nur so arbeiten können, weil wir die Bibliothek im Kreuz haben, und dass auch die Bibliothek versteht, dass die Tatsache, dass wir Forschungskontakte knüpfen und dass wir internationale Symposien und Kulturaustausch betreiben, für sie ein wichtiges Projektionsfeld darstellt. Das muss im Hause noch erheblich weiter gedeihen, damit wir zu einer homogenen Einheit kommen.

Mittlerin zwischen AutorIn und Verlag

In den USA gehören Literaturagenten ganz selbstverständlich zum Literaturbetrieb; fast jeder Autor arbeitet mit einem Agenten zusammen. In Deutschland hingegen ist dieser Beruf kaum bekannt. Könnten Sie Ihr Arbeitsfeld kurz beschreiben? Was sind die Aufgaben einer Literaturagentin?

Wenn Sie zehn Agenturen fragen, bekommen Sie zehn verschiedene Antworten, weil sich alle auf einer Skala zwischen Kultur und Kommerz an unterschiedlicher Stelle ansiedeln. Wenn ich zum Beispiel mit nordamerikanischer oder deutschsprachiger Literatur arbeite, sind das völlig andere Vorzeichen, als wenn ich mit Portugiesisch und Spanisch arbeite, zumal Portugiesisch, das viel weniger zugänglich ist.
Ich übernehme einen Autor, weil ich Bücher von ihm schätze und meine, sie sollten übersetzt werden. Ich betreue ihn, indem ich ihn, wenn möglich, an verschiedene Länder vermittle und mich auch mit ihm darüber berate, mit welchem Buch man zuerst anfängt. Ich bin also eine Gesprächspartnerin für den Autor, eine korrigierende Gesprächspartnerin, wenn es um die Vermittlung an Verlage geht, weil nämlich die Vorstellungen von Autoren oft auch ganz unrealistisch sind. Eigentlich geht es einem ja darum, dass man zwischen beiden Seiten gut vermittelt und zu beiden Seiten ein gutes Verhältnis hat. Das klappt nicht immer, man kann es sich auch mit Verlagen verscherzen, indem man zum Beispiel mit einem berühmten, großen Autor den Verlag wechselt. Das heißt, die Hauptarbeit besteht darin, den Autor zu vermitteln und den Autor auch davon zu überzeugen, dass man für ihn den richtigen Verlag sucht. Dahinter stecken in meinem Fall achteinhalb Jahre Brasilien, davor einige Jahre in Spanien, überhaupt eine sehr frühe Bindung an Latino-Welten. Diese Brasilienerfahrung, die sehr intensiv und wichtig für mich gewesen ist, weiter zu geben, ist einfach spannend.

Wie sind Sie überhaupt zu diesem Beruf gekommen?

Durch meinen Wegzug aus Brasilien, wo ich Lektorin beim DAAD war. Ich hockte in New York ohne Arbeitserlaubnis und musste mich als Freelancer betätigen. Da hab ich angefangen zu übersetzen, zunächst für Suhrkamp. Dann gab es einen Kontakt zu einem New Yorker Agenten, der damals so unerfahren und jung war wie ich, aber schon angefangen hatte. Als ich fünf Jahre später wieder nach Deutschland zog, habe ich als Agentin begonnen. Dieses Jahr ist meine zwanzigste Buchmesse.

Sie vermitteln ja nicht nur Autoren aus Lateinamerika, sondern auch aus Afrika, Portugal und Spanien. Wie ist denn da die Gewichtung?

Es hat angefangen mit Brasilien und Portugal. Damit alleine hätte ich die Agentur schließen können, das war einfach zu wenig. Sie kennen ja sicher die Übersetzungsstatistiken, Spanisch ist wenig vertreten und Portugiesisch ist ein Sechstel, ein Fünftel von Spanisch. Ich habe dann nach Lateinamerika ausgeweitet, über Portugal kamen Angola und Mosambik hinzu. Zur Zeit vertrete ich zum Beispiel Autoren aus Chile, Angola, Portugal, Mosambik, Uruguay, Argentinien, Kuba und Kolumbien – kreuz und quer verteilt.
Wenn ich für einen Autor nicht genug habe tun können, finde ich es ehrlicher, ihm zu sagen, „Lass uns aufhören, der Vertrag ist abgelaufen, vielleicht hast du mit jemand anderem mehr Glück“. Manchmal gelingt es, jemanden sofort unterzubringen, manchmal gelingen auch Erfolgsstorys, dass man jemanden vermittelt, der dann in 30 Ländern gedruckt wird.

Das heißt, Sie haben sowohl junge, unbekannte Autoren wie auch ältere, etablierte?

Wir haben aus Chile gerade zwei ganz junge Autoren übernommen, die sind 30. Und dann gibt es ältere: Da ist zum Beispiel ein sehr guter Autor aus Argentinien, der wollte, dass sich jetzt jemand um seine Verträge und Bücher kümmert, damit er das nicht mehr selbst tun muss. Ich habe einen ganz anderen Überblick als ein Autor. Ich habe Hunderte von Verträgen abgeschlossen und kann ein Angebot viel besser einordnen als ein Autor. Außerdem kann ich für jemand anderes viel besser verhandeln als für mich selber, und ich denke, ein Autor sollte sich dem auch nicht aussetzen. Man hat eine Stellvertreterfunktion, der Autor muss nicht selber anklopfen und sagen: „Hier ist mein Buch“. Das halte ich für sehr wichtig.

In den 80er Jahren war die sogenannte engagierte Literatur sehr präsent, Eduardo Galeano, Rigoberta Menchú, Ernesto Cardenal gehörten in Solidaritätskreisen zur Pflichtlektüre. Heute werden kaum noch Bücher publiziert, die Literatur und Politik miteinander verbinden. Und wenn, dann finden sie nur ein sehr kleines Publikum.

Das hat damit zu tun, dass das Interesse für die Länder immer dann besonders stark war, wenn politische Umbrüche stattfanden. Das Interesse an bestimmten Ländern lässt wieder nach, und dann ist auch das Interesse, entsprechende Bücher zu machen, einfach nicht mehr so groß. Als ich in den Achtzigerjahren anfing, haben wir viele Autoren zur Diktatur in Brasilien und zur politischen Öffnung gehabt. Das hat sich dann wieder gelegt, diese ganze Testimonio-Literatur ist als bessere Landeskunde gelesen worden. Das Sachbuch ist wieder zum Sachbuch geworden und die Literatur wieder zur Literatur, was auch richtig ist.
Ich konnte das in Brasilien verfolgen, wo ich zur schlimmsten Zeit der Diktatur gelebt habe. Die Diktatur hat eine bestimmte Literatur zur Folge gehabt, die wegen der Zensur als Zeitungsersatz diente. In den Büchern ist vieles an Engagement und Information versteckt worden, was die Zeitung nicht bringen konnte, und so nicht ausgesprochen werden konnte. Das Buch war relativ ungefährlich, wurde nicht so häufig zensiert. Als das alles vorbei war, war die Notwendigkeit für solche Bücher nicht mehr gegeben. Es folgte eine Welle von history revisited, man begann, die eigene Geschichte neu zu überdenken. Eine ganze Reihe von Sachbüchern entstand, eine Art Standortbestimmung. Und Literatur wurde wieder zur Literatur, ohne solche Nebenfunktionen zu haben.
Diese Entwicklung hat es überall gegeben. In anderen Ländern kommt hinzu, dass es seit dem sogenannten Boom die großen Namen gibt, die leider wenig oder gar nichts getan haben für die Literatur in ihrem Land, so dass immer der Eindruck entstand, wir haben für Kolumbien nur García Márquez, für Peru Vargas Llosa und so weiter. Die Boom-Autoren waren so erfolgreich, dass die jüngeren Autoren, die sich jetzt zu Wort melden, völlig im Schatten gestanden haben, als gäbe es in all diesen Ländern hinter diesen großen Namen nichts. Das hat mich immer sehr geärgert. Und es reizt einen natürlich auch, das aufzubrechen.

Gemeinsam mit der Literatur hat sich ja auch verändert, welche Verlage lateinamerikanische Literatur publizieren. Verlage, die sich bisher kaum für lateinamerikanische Literatur interessiert haben, werden aktiv, dagegen scheinen sich Verlage aus dem Solidaritätsbereich eher zurückzuziehen. So antwortete Hermann Schulz vom Peter Hammer Verlag in einem Interview mit den Lateinamerika Nachrichten auf die Frage, warum sein Verlag kaum noch lateinamerikanische Literatur herausbringe, dass eine große Langeweile bei Autoren und Lesern in Lateinamerika eingetreten sei.

Das glaube ich nicht. Da tut sich doch immer wieder eine ganze Menge. Ich kann nicht sagen, dass das langweilig geworden wäre. Es gibt Länder, in denen mehr oder weniger los ist. Brasilien ist zur Zeit weniger interessant. Und es gibt andere Länder, wo sich mehr tut, in Chile ganz sicher, in Kolumbien oder auch in Peru. Bolivien ist ein weißer Fleck für uns. Was die Verlage angeht: Ich habe früher schon mehrmals gesagt, Literatur sei kein Vehikel für Landeskunde. Wenn Bücher gut sind, dann können sie in jedem literarischen Verlag erscheinen. Ich habe von Anfang an versucht, ganz weit zu streuen. In Lateinamerika ist der Suhrkamp Verlag identisch mit dem deutschen Verlagswesen. Sie hatten so eine Art Monopolstellung. Das hat sich geändert.

Stichwort Cubanissimo. Was glauben Sie, was diesen Kuba-Boom ausgelöst hat?

Ich habe das Gefühl, dass es ein bisschen Mode geworden ist. Und da haben wir wieder das Phänomen politischer Veränderung, also, mal gucken, was da passiert. Ich fahre jetzt zum ersten Mal nach Kuba, und es wird höchste Zeit, weil ich dieses Kuba noch erleben will, ehe die Amerikaner es wieder vereinnahmen. Ich denke, viele andere sehen das auch so und wollen einfach dieses Kuba erleben und sehen und mitnehmen. Buena Vista Social Club hat sicher auch noch ein bisschen dazu beigetragen.

Glauben Sie, dass dieser Kuba-Boom langfristig Auswirkungen haben wird auf die lateinamerikanische Literatur, dass die Literatur dadurch mehr Chancen auf dem deutschsprachigen Büchermarkt hat?

Nein, das halte ich für ziemlich unwahrscheinlich. Ich glaube nicht, dass ein Land oder ein Bereich sich so auswirken kann, dass dies auf alle anderen einen Einfluss hat. Generell ist ein Interesse an lateinamerikanischer Literatur da, es hat in den letzten Jahren eher wieder zugenommen und bleibt glücklicherweise ein stetig vorhandenes Interesse.

Interview: Ann-Catherine Geuder

Argentinischer Triumph in Kuba

Einiges war anders am diesjährigen „Festival des Neuen Lateinamerikanischen Films“ als in früheren Jahren. Aus kalendarischen Gründen kann der Anlaß für sich beanspruchen, mit Sicherheit das weltweit letzte große Filmereignis vor dem Millenium gewesen zu sein. Doch das war ein Detail und wurde nur in den Eröffnungs-und Schlußansprachen des charismatischen Festival- und Filminstitutsdirektors Alfredo Guevara wortreich gewürdigt. Auffallend gegenüber den Vorjahren war dagegen die bessere Organisation; chaotische Prügelszenen in den Warteschlangen vor den Kinos, in denen die Publikumsrenner liefen, gab es in diesem Jahr nicht. „Eyes Wide Shut“, der in einer der zahlreichen Nebensektionen außerhalb des Wettbewerbs seine Kuba-Premiere erlebte, wurde vom hiesigen Publikum heiß geliebt, er lief praktisch von Beginn des Festivals an in so zahlreichen Zusatzvorstellungen, daß die Nachfrage (fast) befriedigt werden konnte.
Neu war in diesem Jahr – für AusländerInnen – die fast freie Verfügbarkeit von Internet und e-mail im wenig kontrollierten Pressezentrum des Fünfsternehotels „Nacional“, dem traditionsreichen Knotenpunkt des Festivals. Und daß die Gesamtzahl der Filmtitel, in den letzten zwei Jahren jeweils 500, diesmal bei „nur“ noch 300 lag und daß in der Hauptkategorie des Wettbewerbs statt 50 nur noch 38 lange Spielfilme aus Lateinamerika figurierten, wurde allgemein eher als Wohltat, denn als Verlust empfunden. Traditionsreich sind am Festival von Havanna schließlich neben den Filmen die zahlreichen Zusatzveranstaltungen wie Seminare, Ausstellungen, Theateraufführungen und Konzerte. Glanzlichter bildeten dabei die Auftritte des ewig jugendlichen Brasilianers Caetano Veloso am Eröffnungsabend und der Altherrenriege von Buena Vista Social Club (minus Ry Cooder) an der Abschlußgala.

Imperialistische Kinderräuber
Zusatzveranstaltungen der bizarren Art waren dann ab der zweiten Festivalwoche die allnachmittäglich durchgeführten „spontanen“ Massenmobilisierungen des „kämpfenden Volkes“, mit denen die kubanische Regierung ihrer Forderung nach Repatriierung des sechsjährigen Elián Nachdruck verleihen will. Der kleine Junge ist einer von drei Überlebenden einer Gruppe von 14 Bootsflüchtlingen, die Ende November versucht hatten, in die USA zu gelangen. Das Kind, dessen Mutter bei diesem Fluchtversuch ertrunken ist, lebt seither bei Verwandten in Miami und wird von seinem in Kuba verbliebenen Vater zurückgefordert. Die Tatsache, daß die US-Administration den Entscheid über den definitiven Verbleib von Elián den Juristen und nicht den Politikern überlassen will, wird von der kubanischen Regierung propagandistisch als „Entführung eines unschuldigen Kindes durch die Imperialisten“ dargestellt. Das tragische Schicksal des Jungen dient der Entfesselung von nationalistischen Massenmobilisierungen, die mittlerweile, da der Fall in seinen dritten Monat geht, ein Ausmaß angenommen haben, das ohne Beispiel ist in der jüngeren Geschichte Kubas.
Das Hotel Nacional, das etwas erhöht und nur einen Steinwurf von der in den Fall involvierten US-Interessensvertretung entfernt liegt, mutierte während des Filmfestivals mit seinem Park jeden Nachmittag zum Logenplatz für die Festivalteilnehmer.
Kuba war schon immer ein Land größter Gegensätze, das gehörte stets zum Reiz des Festivals. Deshalb werden jeweils die neuesten Filme aus einheimischer Produktion mit besonderer Spannung erwartet. Dieses Jahr waren sie eine Enttäuschung. Vier an der Zahl waren es. Zwei kubanisch-spanische Koproduktionen wurden präsentiert, „Un paraíso bajo las estrellas“ von Gerardo Chijona, der 1991 noch mit „Adorables mentiras“ begeistert hatte, und „Las profecías de Amanda“ von Pastor Vega, der 1979 mit „Retrato de Teresa“ bekannt geworden war. Zwei weitere internationale Koproduktionen liefen im Wettbewerb: „Cuba“, ein Historienfilm des Spaniers Pedro Carvajal, und „Operación Fangio“, ein Politthriller des Argentiniers Alberto Lecchi.
Nach dem künstlerischen Höhenflug des kubanischen Kinos mit Fernando Pérez’ „La vida es silbar“, beim letztjährigen Festival mußte man dieses Mal ernüchtert feststellen, daß es auch in Kuba Regisseure gibt, die den Weg des geringsten Widerstands gehen. Pastor Vegas Film über die Wahrsagerin Amanda ist ein Stück hausbackenes Erzählkino ohne inhaltliche oder stilistische Ecken und Kanten. Lediglich das Schauspiel von Daisy Granados, die 1968 in Tomás Gutiérrez Aleas Meisterwerk „Memorias del subdesarrollo“ debütiert hatte, in ihrer Rolle als Amanda reißt den Film ein wenig aus der Mittelmäßigkeit heraus. Und Gerardo Chijonas Musikkomödie aus Havannas weltberühmtem Klub „Tropicana“, der Filmtitel „Ein Paradies unter den Sternen“ ist direkt dem Werbeslogan für das Lokal entnommen – zeigt ein Kuba, das weitgehend der Tourismus-Werbung entspricht: Music, dance and funny and lucky people. Der Streifen ist hervorragend gefilmt, für die Fotografie zeichnet wieder Kubas Kameramagier Raúl Pérez Ureta verantwortlich, der schon in „La vida es silbar“, „Madagascar“, „Quiéreme y verás“ und anderen Meilensteinen des kubanischen Kinos der Neunziger Jahre brilliert hatte. Auch ist der Film gekonnt choreografiert und mit einer mitreißenden Musik und Tonspur versehen. Er konnte damit handwerklich einigermaßen überzeugen, avancierte zu einem der Publikumslieblinge und erhielt schließlich auch den entsprechenden Preis.
Ansonsten aber folgt der Handlungsaufbau von „Un paraíso bajo las estrellas“ so exakt den Hollywood-Schemen, daß das unvermeidliche Happy-End nur noch wie das Tüpfchen auf dem i wirkt. Wenn man sich überlegt, daß Gerardo Chijona fast sieben Jahre für diesen Film gearbeitet hat und dabei auch ziemlich viele der knappen Ressourcen des staatlichen kubanischen Filminstituts ICAIC beansprucht hat, muß man sich schon fragen, ob das der Weg ist, den das kubanische Kino in Zukunft einschlagen will.

Perspektiven für 2000

Als ob das ICAIC allfälligen zu harten Kritiken an seiner Förderpolitk den Wind aus den Segeln nehmen wollte, veranstaltete es während des Festivals erstmals eine Pressekonferenz, auf der ausschließlich und ausführlich Filmprojekte vorgestellt wurden, die bis zum nächsten Festival im Jahr 2000 fertiggestellt sein sollen. Juan Carlos Tabío, Daniel Díaz Torres und Orlando Rojas werden ihre neuesten Werke in „Havanna 2000“ präsentieren – und was sie da erzählten, klang vielversprechend. Wenn alles gut läuft, sollen darüberhinaus sogar noch zwei weitere neue kubanische Filme projektionsreif sein, einer von Juan Carlos Cremata und einer von Humberto Solás. Noch besteht also Hoffnung für das kubanische Kino. Trotzdem darf nicht übersehen werden, daß die finanzielle Lage des ICAIC desolater ist denn je, alles hängt von ausländischen Koproduzenten ab, ohne sie läuft gar nichts mehr. Wie leer die Kasse des ICAIC ist, zeigte sich in diesem Jahr denn auch drastisch daran, daß erstmals nach dem Festival kein einziger Festivalfilm in den Kinos der Hauptstadt im regulären Programm zu finden war. In Kuba ist das Filminstitut ICAIC auch für die Programmierung sämtlicher Kinos des Landes zuständig, und der Umstand, daß Produzenten und Verleiher immer weniger bereit sind, Filme zu Vorzugsbedingungen einer „armen“ Institution wie dem ICAIC zu überlassen, tat noch zusätzlich seine Wirkung.
Den stärksten Eindruck hinterlassen vom diesjährigen Festival schließlich eine Reihe von Filmen aus Argentinien, teilweise von Regisseuren, die noch kaum bekannt sind. Überhaupt fiel auf, daß im Wettbewerb in diesem Jahr größtenteils die bekannten Namen des gesamten lateinamerikanischen Kinos, nicht nur des argentinischen, fehlten. Eine Ausnahme bildete da fast schon der Kolumbianer Sergio Cabrera, einst weltbekannt geworden mit „Die Strategie der Schnecke“, dessen gefällige Fußballkomödie „Golpe de estadio“ (Stadionsstreich) einen zweiten Publikumspreis erhielt, ansonsten aber leer ausging.
Die internationale Jury, präsidiert vom Bolivianer Jorge Sanjinés, vergab in diesem Jahr sämtliche Hauptpreise an argentinische Filme. Nur zwei Ausnahmen sind zu verzeichnen: „Un dulce olor a muerte“, ein gekonnt inszeniertes, morbides Drama des Mexikaners Gabriel Retes, und das Erstlingswerk „Ave Maria“ von Eduardo Rossoff, ebenfalls aus Mexiko. Den Spezialpreis erhielt „Mundo grúa“ (Welt der Kräne), das Erstlingswerk des 28jährigen Pablo Trapero, eine an italienischen Neorealismus und an frühe sowjetische Filme erinnernde Low-Budget-Produktion. In expressiven Schwarzweißbildern von großer Schönheit erzählt „Mundo grúa“ die unspektakuläre Geschichte vom Schicksal eines arbeitslosen Kranführers im heutigen Argentinien und zeigt in lakonischer Weise ein Land ohne jegliche Zukunftsperspektiven.
Mit dem dritten Preis wurde das wunderschön-poetische Werk „Yepeto“ von Eduardo Calcagno, einem schon gestandenen Regisseur der älteren Generation, ausgezeichnet. Der argentinische Starschauspieler Ulisses Dumont spielt darin auf anrührende Weise einen alternden Literaturprofessor, der eine platonische Liebe zu einer jungen Schülerin und deren Freund beginnt. Im Verlauf des Films durchlebt er einen schmerzlichen Prozeß, der ihn erkennen läßt, daß sein Leben sich eigentlich nur noch in der Literatur abspielt. Schon lange gelang keinem Film mehr eine derart totale Synthese von Kino, Literatur und Poesie.
Ähnliches läßt sich auch von einem ungewöhnlichen Film sagen, der in der Sparte der Dokumentarfilme den ersten Preis gewann, obwohl er mit einem konventionellen Dokumentarfilm herzlich wenig zu tun hat: „Borges, los libros y la noche“ (Borges, die Bücher und die Nacht) des Argentiniers Tristán Bauer (vgl. die Rezension in dieser Ausgabe, d. Red.).

Arbeitsloser Kranführer

Der Hauptpreis des Festivals ging schließlich an „Garaje Olimpo“ von Marco Bechis, ein Werk, das mit beklemmender Intensität, größtmöglicher Sachlichkeit und ohne Voyeurismus den Horror nachzeichnet, dem eine junge Linksaktivistin in der „Garaje Olimpo“, einem Folterzentrum in der Zeit der Militärdiktatur, ausgesetzt ist, bevor sie von ihren Peinigern ermordet wird.
Am Ende dieses Jahrhunderts dem Andenken an die Opfer eines Jahrhundertverbrechens in Lateinamerika ein filmisches Denkmal zu setzen, ist das erklärte Ziel des Kosmopoliten Marco Bechis, der, in Chile als Kind argentinischer Eltern aufgewachsen, später in Brasilien und Argentinien wohnte, wo er selber in die Mühlen des Repressionsapparates geriet. Schließlich konnte er vor der Militärjunta fliehen und lebt seither in Italien. Die Jury hat diesen Film zu Recht mit dem ersten Preis ausgezeichnet.

Wim Wenders kann kein Spanisch

Herr De Marcos, haben Sie mittlerweile den Dokumentarfilm von Wim Wenders zum Buena Vista Social Club gesehen, und was halten Sie von dem Film?

Ja, natürlich habe ich ihn gesehen. Zuerst möchte ich einmal festhalten, daß der Film sehr verkaufsfördernd für unsere Platte war. Mir persönlich gefällt der Film jedoch nicht sonderlich gut.

Und warum?

Die Sprache des Films gefällt mir nicht. Es ist die Sprache und die Ausdrucksweise der Industriestaaten, und hat wenig mit Kuba zu tun. Das liegt an der Einstellung, den Parametern von Wim Wenders, der sicherlich ein guter Regisseur ist, aber mir gefällt seine Herangehensweise und somit auch seine Darstellung nicht.

Wer hatte denn überhaupt die Idee, die alten Soneras und Soneros zusammenzutrommeln und den prämierten Buena Vista Social Club aufzunehmen? War es die Idee von Ry Cooder, war es die Ihre oder war es eine gemeinsame Idee?

Die Idee, eine Platte mit den alten Soneros und Soneras Kubas zu machen, stammte von mir. Die Idee den Buena Vista Social Club aufzunehmen, was ursprünglich eine Platte werden sollte, in der afrikanische auf traditionelle Musik aus dem Osten Kubas trifft und sich mischt, stammte von Ry Cooder. Als er nach Kuba kam, wollte er gemeinsam mit einigen Musikern aus Afrika, die nie ankamen, und einigen kubanischen Musikern eine Session aufnehmen. Aber die Idee, die alten Soneras und Soneros in Kuba aufzusuchen und ins Studio zu bitten, kam von mir.

Hat es Sie nicht geärgert, daß die Darstellung im Film Buena Vista Social Club eine ganz andere ist? Dort tauchen Sie nur am Rande auf, und die Darstellung in den Medien bezieht sich weitestgehend nur auf Ry Cooder, dem die Idee zugeschrieben wird, obgleich sie von Ihnen stammt.

Natürlich ist diese Darstellung außerordentlich seltsam, zumal Wim Wenders und Ry Cooder oder zumindest letzterer es schließlich besser wissen mußten. Vielleicht dachten Sie sich, daß sich der Film so besser verkaufen läßt. Vielleicht klingt es ja besser für das amerikanische oder europäische Publikum, wenn da steht “Ry Cooder in Havanna” und daß er die Sachen ins Rollen gebracht hat, aber das ist nun einmal eine Lüge.

Wenn Sie den Film vor dem inneren Auge Revue passieren lassen, würden Sie dann sagen, daß der Film dem Zuschauer etwas über kubanische Musik, deren Geschichte und ihre Akteure vermittelt?

Der Film ist eine europäische Interpretation und recht schematisch. Sowohl Soneras und Soneros als auch den Musikern werden die gleichen Fragen gestellt, so daß der Film meiner Meinung nach wenig über unsere Musik und Kultur vermittelt.
Es gab nicht allzuviel Kontakte zwischen Wim Wenders, den Kubanern und der kubanischen Musik und Kultur. Er war nie zuvor in Kuba und sein einziger Kontakt war sein Freund Ry, mit dem er in vielen Filmen zusammengearbeitet hatte. Dann kam der Erfolg der Platte, die Wim Wenders natürlich aufgrund seiner Freundschaft zu Ry recht früh gehört hat. Darauf hin hatte er die Idee einen Dokumentarfilm zu drehen, wobei es aber niemals einen echten Kontakt zwischen ihm und den Protagonisten des Buena Vista Social Club gab. Soweit ich weiß, war auch die Zeit, die dem Dokumentarfilm für Recherchen vorausging recht kurz. Vielleicht erklärt dies, warum der Film den Ablauf des Geschehens so darstellt – es ist eben die Sichtweise des Regisseurs.

Spricht Wim Wenders denn überhaupt spanisch?

Nein, absolut nicht.

Aber ist dies nicht eine Grundvorraussetzung, um in Kuba zu arbeiten?

Natürlich ist es besser, wenn man spanisch spricht, aber er hatte natürlich einen Dolmetscher. Er hat sich auch bemüht zuzuhören, aber letztlich konnte er die Leute nicht verstehen; doch das war weniger ein sprachliches als ein kulturelles Problem. Das ist auch der Hauptgrund, weshalb mir der Film nicht gefällt – er ist eine Interpretation aus europäischer Sicht, ohne den eigentlichen Charakter Kubas zu erkennen. Doch das ist meine persönliche Meinung. Andererseits habe ich mich natürlich gefreut, daß der Verkauf der Alben durch den Film weiter angekurbelt wurde. Aber das eine ist nun einmal die ökonomische, das andere die künstlerische Perspektive.

Die gerade erschienene Platte der Afro Cuban All Stars, Distinto, diferente unterscheidet sich beträchtlich vom Vorgänger A toda Cuba le gusta – warum haben sie die Stücke im Stile der 90er Jahre arrangiert und produziert?

Die Platte sollte sich von der vorherigen unterscheiden, weil es mir nicht gefällt, das Gleiche noch einmal zu machen. Ich bin kreativ. Mir macht es Spaß neue Sachen auszuprobieren, anstatt alte Konzepte drei oder vier mal aufzuwärmen. Deshalb ist die aktuelle CD Distinto, diferente sehr viel breiter angelegt als die erste. Die erste Platte hatte eine zentrale Botschaft: die Botschaft der alten Soneras und Soneros, die gemeinsam mit jungen Musikern die Musik der 50er und 60er Jahre noch einmal aufleben ließen.
Die erste Platte der Afro Cuban All Stars A toda Cuba le gusta wurde auch vor dem Buena Vista Social Club aufgenommen – allerdings mit den gleichen Musikern, die ich für diese Aufnahme ausgesucht habe.
Dabei gibt es drei spezifische Ausnahmen: Compay Segundo, Eliades Ochoa und Omara Portuondo. Die anderen Musiker sind identisch mit den Musikern, die bereits für A toda Cuba le gusta im Studio waren. Die neue Platte der Afro Cuban All Stars unterscheidet sich, wie der Titel schon sagt, von der ersten. Sie hat einen ganz anderen Sound und ein wesentlich größeres Repertoire. Die Idee war, zur Jahrtausendwende ein Album vorzulegen, das die wichtigsten kubanischen Musikstile dieses Jahrhunderts vereint. Diesmal allerdings im Stil der 90er und nicht wie zuvor im Stil der 50er und 60er Jahre produziert und arrangiert.
Wir beziehen uns auf die Wurzeln der kubanischen Musik, aber es ist trotzdem Musik des Jahres 1999. Besonders deutlich wird das an dem Stück Reconciliación, einem Son, der starke Einflüsse der kubanischen Timba hat, dem derzeit populärsten Stil der kubanischen Jugend. 75 Prozent der Musikstile, die Kuba hervorgebracht hat, sind auf dem aktuellen Album vertreten, das gleichzeitig eine Hommage an die längst verstorbenen Künstler wie Caridad Cuervo, Eddy Gaitán, Laíto Sureda, aber auch an meinen Vater ist.

Ist ein derartiges Konzeptalbum für das europäische Publikum nicht wesentlich schwieriger zu verstehen als das mittlerweile legendäre Album A toda Cuba le gusta?

Das ist richtig, aber mir gefällt es nun einmal zu experimentieren, etwas neues zu machen. Das ist mir wichtiger als der ökonomische Erfolg. Wenn sich das Album nicht verkauft, haben wir eben Pech. Jedoch glaube ich, daß das Album sehr tanzbar ist und den Leuten gefällt es überall zu tanzen. Da fällt es vielleicht nicht so ins Gewicht, daß es ein modernes Album ist und nicht im Stil der 60er, sondern der 90er Jahre arrangiert und produziert ist. Natürlich fallen Stücke wie „Warariansa“ etwas aus dem Rahmen und sind für das europäische Publikum schwer zu verstehen. Dieses Stück, eine Rumba, ist eine Hommage an meinen Vater und die afrokubanische Religionsgemeinschaft der Abakuá.

Weshalb ist Raúl Planas, einer der besten Soneros Kubas, zwar auf dem Album vertreten, aber nicht bei der Tour dabei?

Für Raúl, den ich als Sänger und Freund sehr schätze, ist die vierwöchige Tournee einfach zu lang. Er ist nicht mehr so belastbar wie Rubén González mit seinen 79 oder Compay Segundo mit seinen 92 Jahren. Raúl ist zwar jünger, aber seine Konstitution ist nicht mehr so gut, so daß ich kein Risiko eingehen möchte. Damit würde ich ihm und mir bestimmt keinen Gefallen tun.

Wie sehen Ihre Pläne für das kommende Jahr aus? Werden Sie die geplanten Aufnahmen mit Omara Portuondo und Teresa García Caturla machen?

Omara wird für World Circuit ein Album aufnehmen, aber ob ich dabei sein werde ist noch nicht klar. Ich werde zwar weiterhin mit World Circuit zusammenarbeiten, habe aber auch ein eigenes Label gegründet. Ich möchte eigene Aufnahmen nach eigenem Gutdünken machen können. Auf der einen Seite kann World Circuit nicht die ganze Bandbreite kubanischer Musik betreuen, zudem gibt es Sachen, die ich aufnehmen möchte, die nicht mit den Parametern von World Circuit vereinbar sind. Ich möchte meinen eigenen Interessen verstärkt nachgehen und habe mir mit dem eigenen Label einen Traum erfüllt.
Natürlich werde ich aber auch weiterhin mit World Circuit zusammenarbeiten. Bestimmt wird in den nächsten zwei Jahren auch wieder ein Album der Afro Cuban All Stars bei World Circuit erscheinen, aber ich will eben auch unabhängig arbeiten. Mit Künstlern zusammenarbeiten, die den Leuten bei World Circuit unbekannt sind und mit denen ich bisher noch nicht zusammengearbeitet habe – mit einem eigenen Label habe ich diesen Freiraum und kann auch andere musikalische Genres für mich neu entdecken.

So zum Beispiel den hierzulande weitgehend unbekannten El Guayabero?

Ja, zum Beispiel. Ich würde gern einmal mit ihm arbeiten, aber er ist bei einem kanarischen Label (Sonido Tropical) unter Vertrag. Aber es gibt andere Künstler, die ich im Auge habe, so zum Beispiel Teresa García Caturla, die jetzt bei der Tour dabei ist und mit der ich gerne Aufnahmen machen würde. Pepecito Rey wäre ein anderes Beispiel.
Darüber hinaus gibt es viele talentierte junge Musiker, mit denen ich Lust habe zu arbeiten und die kaum jemand kennt. Mir macht es Spaß Generationen zusammenzuführen und unsere Musik, die lange Zeit international ein Schattendasein führte, für die Nachwelt zu erhalten.
Letztlich gibt es in einigen Bereichen Übereinstimmung zwischen World Circuit und mir und in anderen nicht. Ich bin in erster Linie Künstler und nicht Geschäftsmann. Mir geht es nicht vorrangig ums Geld, sondern darum, Ideen zu realisieren, auch wenn es das Risko gibt, damit baden zu gehen. Der ökonomische Aspekt spielt natürlich immer eine Rolle, aber interessiert hat er mich eigentlich nie sonderlich.

Wo werden Sie aufnehmen, in Havanna in den Egrem-Studios oder außerhalb Kubas?

Hauptsächlich in den Egrem-Studios natürlich, aber ich habe auch bei mir zuhause einige Möglichkeiten. Ich besitze zwei Computer und mehrere Aufnahmegeräte, da läßt sich schon ein bißchen mit basteln.
Zum Schluß möchte ich noch eines klarstellen: in den Medien in Deutschland wurde immer mal wieder behauptet, daß bei den kubanischen Künstlern kein Geld von World Circuit angekommen ist. Das ist nicht richtig, alle Musiker haben Ihr Geld erhalten und leben ganz gut davon. Ibrahím Ferrer hat sich zum Beispiel ein Haus in der Altstadt von Havanna gekauft und wohnt nun mit der ganzen Familie zusammen. Nick Gold von World Circuit ist wahrlich kein Geizhals und haut die Leute nicht über das Ohr – die Verträge sind nach internationalen Maßstäben gemacht worden.

Humboldts Konzerthinweise

Humboldts Reise vor 200 Jahren bildet den Rahmen der HeimatKlänge 99 in Berlin. Venezuela, Kuba, Kolumbien und Mexiko heißen die Stationen des Musikfestivals im Tempodrom vom 16. Juli bis 22. August, ab der zweiten Woche jeweils von Mittwoch bis Sonntag. Vom neuen Kanzleramt aus dem grünen Tiergarten verscheucht, steht die Zeltarena jetzt vorübergehend am Ostbahnhof, wo das Grau der Häuserwände dominiert. Kein schlechtes Ambiente für die Auftaktgruppe aus Venezuela.

16.- 18. Juli: Desorden Público

LatinSka aus Venezuela. Die Heimat ist Caracas, wo zwei Szene-DJs sich 1985 zusammentun. Sie nennen ihre Schöpfung Desorden Público, Öffentliche Unordnung, in Anlehnung an die Fahrzeuge der Nationalgarde „Orden Público“. Fast 15 Jahre später ist die Gruppe auf acht Musiker angewachsen, hat mittlerweile vier Platten veröffentlicht und sich auch auf internationaler Bühne etabliert. Ihre Experimentierfreude hat sie den Ska mit Ragga, Cumbia, Salsa, Merengue und afro-venezolanischen Trommelrhythmen mischen lassen. Die Anfänge der Gruppe lassen sich auf ihrer jüngsten CD verfolgen, die eine Zusammenfassung der ersten beiden Platten und anderes Material aus der Zeit von 1988 bis 1990 darstellt.
Aktuelle CD: ¿Dónde está el futuro?, CBS

21.– 25. Juli: Sin Palabras feat. Proyecto F

Tribal House und Rap Cubana. Housemusik trifft auf afrokubanische Perkussion und ruft die Gottheiten der santería auf den Dancefloor. Nachdem der französische DJ Jean Claude Gué Anfang der 90er nach Kuba ging, faszinierten ihn die Lieder der santería, jener Religion, in der die Yoruba-Gottheiten der aus Afrika verschleppten Sklaven verehrt werden. Aber er konnte seiner musikalischen Prägung durch die New Yorker Housemusik nicht entkommen. 1996 war es dann so weit, die Perkussionsinstrumente rückten in den Mittelpunkt, verbanden sich mit den Yoruba-Gesängen und mischten sich mit elektronischen Klängen. Seine Unterstützung auf der Bühne findet das Ganze durch die Rapper von Proyecto F, die zum ersten Mal außerhalb von Kuba zu erleben sind.
Aktuelle CD: House of Drums, Piranha

28. Juli – 1. August: Los de Abajo

PunkSalsa aus Mexiko. „Der Kontext, in dem wir uns entwickelten, war geprägt von Ungerechtigkeit, Vernachlässigung der Armen und dem Fehlen von Wegen zur freien Entfaltung“, sagt Drummer und Gründungsmitglied Yocu Arrellano, und fügt hinzu, „unsere Texte sind politisch, radikal links.“ Die Mehrzahl der sieben Musiker studierte an der UNAM, der autonomen nationalen Universität. Kein Wunder, daß sie 1992 ihren Bandnamen Mariano Azuelas Roman zur Mexikanischen Revolution entlehnten, nach dem Veränderung nur von unten kommen kann. So sind sie also die von unten, los de abajo. Yocu: „Selbstverständlich hat diese Idee Einfluß auf die Musik.“ Aber nicht nur auf ihre Musik. Auch die Energie, die sie auf der Bühne versprühen, vermittelt die Kraft derer von unten. Yocu: „Wir sind kein Mosaik, wir sind ein Kaleidoskop des mexikanischen Lebens.“
Aktuelle CD: Los de Abajo, LuakaBop/Warner

4.- 8. August: Asere meet Totó la Momposina

Son und Cumbia aus Kuba und Kolumbien. Keine Frage, in dieser Woche werden alle ins Tempodrom strömen, die derzeit auch zum Buena Vista Social Club pilgern. Zwar werden sie Vertrautes hören, aber nicht sehen: Das Durchschnittsalter der Jungs von Asere ist 27 Jahre. So wird der Son die Chance haben, jenseits vom Charme der alten Männer sein Publikum zu finden, denn musikalisch stehen die Jungen den Alten in nichts nach. Die Erfolgsstory von Asere begann 1996, als sie der kolumbianschen Sängerin Totó la Momposina begegneten und diese sie unter ihre Fittiche nahm. In Berlin werden sie gemeinsam auf der Bühne stehen, und wir dürfen gespannt sein, was das Zusammenspiel der kubanischen Insel und der kolumbianischen Karibikküste hervorbringen wird.
Aktuelle CD: Asere, Cuban Soul, Bleu-Indigo.
Totó, Carmelina, Bleu-Indigo.

11.- 15. August: Adriana Lucía

Vallenato Joven aus Kolumbien. Hand auf’s Herz: Auf der Bühne steht ein junges Mädel im Dirndl, und derweil die Trachtenkapelle im Hintergrund bläst, singt sie Ihnen davon, wie verliebt sie ist. Was werden Sie tun? Nein, Sie werden nicht davonlaufen! Denn die 17-jährige Adriana Lucía wird ganz sicher nicht im Dirndl auftreten, und sie wird „Enamorate como yo“ und „Siempre te voy a esperar“ singen. Und das klingt doch viel besser als: „Ich werde immer auf dich warten.“ Aber vor allem wird es die Musik sein, die Sie gefangen halten wird, dieser Vallenato mit seinem tanzenden Akkordeon, der sich Anfang des Jahrhunderts im Grenzgebiet von Kolumbien und Venezuela entwickelte. Und denken Sie daran, Adriana Lucía ist zu Hause ein Star. Sie kommt das erste Mal nach Europa, und nur an diesen Tagen.
Aktulle CD: Dos Rosas, Danza y Movimiento

18.- 22. August: Son de México

mit Guillermo Veláquez, La Negra Graciana und Dinastía Hidalguense. Das mußte dann doch noch sein: Die Verneigung vor den alten Soneros. Aus der Pressemitteilung: „Zum Abschluß von Humboldts Reise stellt das Projekt Son de México drei herausragende Vertreter und drei Stile des mexikanischen Son vor. Guillermo Velázquez aus Xichú, Guanajuato, ist der vielleicht am besten bekannte traditionelle Musiker des Landes, als Trovador Erbe der mittelalterlichen Troubadoren, mit seiner eigenen Band Los Leones de Xixú spielt er den son arribeño. Die Sängerin und Harfenspielerin La Negra Gracianan war bis zur Aufnahme ihrer ersten CD im Alter von 60 Jahren nicht über die Bars des Hafenviertels von Veracruz hinaus bekannt, heute ist sie eine lebende Legende. Ihr Stil ist der son jarocho. Abgerundet wird das Projekt durch den son huasteco der Dinastia Hidalguense.“
Aktuelle CD: VA, Son de México, CoraSon

HeimatKlänge im Radio

Leider ist nicht bekannt, ob einer der MusikerInnen oder Gruppen nach dem Auftritt bei den HeimatKlängen noch an anderen Orten gastieren wird. Deshalb zum Trost der Hinweis: Ab der zweiten Woche gibt es jeden Mittwochabend ab 22.05 Uhr einen Livemittschnitt im Hörfunk über SFB4 MultiKulti, angeschlossen ist WDR Radio 5 Funkhaus Europa und Radio Bremen Mittelwelle 936kHz.

„Weniger Titanic – mehr Juliette“

Ist der lateinamerikanische Filme out?

Es gibt, und das ist ja nicht nur auf den Film beschränkt, ein klar abnehmendes Interesse an Lateinamerika. Bis vor einigen Jahren gab es in sehr vielen Städten regelmäßig lateinamerikanische Filmtage. Das ist jetzt kaum noch der Fall, und das hängt damit zusammen, daß es die Basis dafür nicht mehr gibt. Die Initiativen, die zu Lateinamerika gearbeitet haben, wo Lateinamerika bestimmte Emotionen bei vielen Leuten hervorgerufen hat, sind weg. Wir hatten „Tupamaros“ im Kino und die Leute, die ihn gesehen haben, waren begeistert. Der Film hatte sich auch stark an die Überreste von Linken gerichtet. Aber es sind eben Reste, und man schafft es mit solchen Filmen kaum, über diese Zielgruppe hinauszukommen. Das ist aber ein allgemeines Phänomen, das mit Film nur am Rande etwas zu tun hat.

Welche Filme aus Lateinamerika sind denn hierzulande erfolgreich gelaufen?

„Erdbeer und Schokolade“ lief relativ gut, also relativ gut heißt 120.000 Zuschauer. Er wäre vielleicht noch besser gelaufen, wenn er von Anfang an auch in der Originalfassung gelaufen wäre. Kuba ist gerade total angesagt und alle lieben kubanische Musik. Das heißt, wenn der Film „Buena Vista Social Club“ von Wim Wenders jetzt herauskommt – von Wim Wenders gedreht! – dann hat man den Namen Wim Wenders’ und hat den Namen Buena Vista Social Club. Der Film wird funktionieren, da werden die Leute massenweise reinrennen. Weil das ganze auch, ohne jetzt jemandem Böses zu wollen, auf der Abkocherschiene fährt. Das Publikum mag etwas, was nett ist, wo alte Herren agieren, die so authentisch sind und relativ harmlos. Man geht ins Kino, lehnt sich zurück, wippt ein bißchen mit, weil die Musik so schön ist und geht anschließend raus und hat zwei wunderschöne Stunden hinter sich. Es gibt den anderen Film „Lagrimas Negras“, der hatte keinen richtigen Verleih gefunden, aber dort, wo er gezeigt wird, läuft er ebenfalls sehr gut. „Wer zum Teufel ist Juliette“, ebenfalls ein Film über Kuba, läuft auch gerade einigermaßen gut und hatte bisher um die sechs- bis siebentausend Zuschauer. Was für einen kleinen Film mit dieser Herausbringungsgröße absolut o.k. ist.

Was aber auch herzlich wenig ist.

Das sind die Dimensionen in denen kalkuliert wird, macht man dann mehr, ist das super. Als wir den Dokumentarfilm „Tupamaros“ ins Kino gebrachten, kalkulierten wir ihn auf 5000 Zuschauer. Es gibt nunmal kein großes Publikum für so einen Film, und es gibt wenig neugieriges Publikum, das in einen Film geht, den es nicht kennt. Außer, es gibt gerade eine irrsinnige Kampagne dazu. Dann wollen die Leute hingehen und nachher den Arbeitskollegen sagen: Ich habe „Titanic“ gesehen, und dann kann man sich über den Film unterhalten. Über „Wer zum Teufel ist Juliette“ kann man sich nicht unterhalten. Bei „Juliette“, den Pegasus verleiht, sind es in der zehnten Woche bundesweit 8643 Zuschauer, wobei fünf Kopien unterwegs sind. Ein Film wie „Das Fest“, den aus unserer Szene jeder gesehen hat, und der für einen Programmkinofilm außerordentlich gut gelaufen ist, hat nach 17 Wochen 380.000 Zuschauer. Das ist aber kein Vergleich zu dem, was die Major-Filme einspielen. „Titanic“ ist jetzt bei über zwanzig Millionen Zuschauern. Der Film kam gleich mit sechs- bis siebenhundert Kopien ins Kino und in der dritten Spielwoche waren schon 1000 Kopien im Einsatz. Man kann sich vorstellen, wieviele Leinwände mit diesem einen Film blockiert sind. Und entsprechend wird der Druck für alle größer. Das geht immer weiter runter und es gibt wenig Programmkinos, die es sich noch leisten können, kleine Filme zu spielen. Ein Beispiel ist das 3001Kino in Hamburg, das in Bezug auf Lateinamerika ein gutes Publikum hat, da laufen solche Filme außerordentlich gut. Es ist aber falsch, zu glauben, mit einen kleinen Film müsse man nur in ein großes Kino, das bekannt ist und gute Zuschauerzahlen macht.

Und was ist mit den Festivals?

Da bekommt man regelmäßig lateinamerikanische Filme zu sehen. Zum Beispiel das Festival in Dresden. Die haben seit vielen Jahren eine Kooperation mit der Filmschule in Havanna und haben ein paar Filme gezeigt von Regisseuren, die gerade die Filmschule hinter sich hatten. Das war zwar alles sehr interessant, aber das war nichts von dem ich sagen würde, das könnte man hier in die Kinos bringen.

Was bedeutet es für einen Film, auf einem Festival wie der Berlinale zu laufen?

Filme, die auf der Berlinale gelaufen sind, ereilt im Normalfall das gleiche Schicksal wie alle Filme, die auf einem internationalen Festival laufen. Sie werden vom nächsten Festival eingeladen und haben am Ende eine Liste von 20 – 30 Festivals, auf denen sie gezeigt wurden. Sie kommen aber in den einzelnen Ländern kaum ins Kino.

Und was bringt eine Auszeichnung, beispielsweise der Goldene Bär für „Central do Brasil“?

Das läßt zumindest den Preis steigen, zu dem so ein Film verkauft wird. Aber „Central do Brasil“ wäre auch ohne Bär ins Kino gekommen, weil alle an ihm dran waren. Für die Herausbringung ist es dagegen völlig gleichgültig. Es gibt einen Film von Ken Loach, „Ladybird, Ladybird“, der hat damals den Silbernen Bären bekommen, der hat dann in Deutschland 12.000 Zuschauer gehabt. Und wer weiß heute noch, wer wann einen Bären bekommen hat. Genauso ist es mit Venedig, Cannes und den anderen großen Festivals.

Ein guter Festivalfilm ist also noch kein Kinofilm, der einen Verleih findet?

Nein, man sieht einen Film aus Lateinamerika auf dem Festival mit vier- bis fünfhundert anderen Lateinamerikainteressierten. Alle sind da und finden den Film großartig. Dann stellt man sich aber die Frage: Wird der Film auch das ‘normale’ Publikum anlocken, und dann ist es oft so, daß man nein sagen muß. Es ist ein großer Unterschied, ob ein Film auf einem Festival beim Publikum gut ankommt, oder danach auch im Kino. Das Normalpublikum kommt mit viel weniger Neugier ins Kino als das Festivalpublikum.

Ist es denn nicht möglich, daß ein Film, der nicht die Massen bringt, einfach mal für eine Woche in einem Kino läuft, ohne ihn gleich groß herausbringen zu müssen?

Es ist möglich. Es gibt auch eine Reihe von Verleihern, die noch kleiner sind als wir. Das sind Verleiher, die nebenher ein Kino betreiben. Die sind genau auf die Idee gekommen, weil sie auf Festivals Filme gesehen haben, die kein Verleiher genommen hat. Es gibt in Deutschland rund 15 Kinos, die spielen diese Filme. Dann besorgt man sich ohne großen Aufwand die Festivalkopie, die untertitelt ist, übernimmt die Plakate meinetwegen vom französischen Verleih und schickt sie herum. Am Ende kommen dann vielleicht zwei- bis dreitausend Zuschauer, aber das ist zumindest eine Chance, daß die Filme überhaupt ins Kino kommen.

Ist es ein genereller Trend, daß das Interesse an Filmen, die nicht aus Europa oder den USA kommen, nachläßt, oder hat es sich verlagert – weg von Lateinamerika nach Afrika, Asien, Osteuropa…?

Nach Afrika sicherlich nicht, Afrika ist immer noch der vergessenste der Kontinente. Was immer gut läuft, sind Filme über Buddhismus, über Tibet.

Also Esoterik?

Ja, so ein wenig in Richtung Esoterik, obwohl diese Filme mitunter gar nicht so esoterisch sind, aber sie holen die Leute auf der Ebene ab. Ich weiß allerdings nicht, ob das eine Verlagerung ist, denn die waren immer stark und die laufen auch weiterhin gut. Eine Interessenverlagerung, die ich durchaus positiv empfinde, ist die hin zu Themen, die in Europa stattfinden. Das birgt auf der anderen Seite die Gefahr, daß man sich für Dinge außerhalb seines Wahrnehmungsbereichs nicht mehr interessiert. Unterhaltsamkeit ist im übrigen ein sehr wichtiges Kriterium für das Publikum. Auch der Film „Das Fest“ mit seiner sehr harten Thematik muß unterhaltsam sein. Die Leute wollen auch in diesem Film lachen. Dennoch gibt es verstärkt den Trend, sich mit den Realitäten und Zuständen hier zu beschäftigen. Das macht vielleicht den Erfolg des neueren britischen Kinos aus, das sich mit sozialen Realitäten wie Arbeitslosigkeit auseinandersetzt. Ein anderes Beispiel ist die Auseinandersetzung mit der jüdischen Kultur. Es gibt eine Reihe von Filmen, die sich mit der jüdischen Kultur in der Vergangenheit oder in der heutigen Zeit auseinandersetzen. Hier spürt man das Bedürfnis der Leute nach etwas exotischem, etwas authentischem, etwas, das woanders liegt. Ich glaube, daß das bei Lateinamerika lange Zeit genauso war, daß Lateinamerika für das Exotische, das Angenehme stand, in das man Dinge hineinprojizieren konnte. Genauso wie in die jüdische Kultur und die Klezmermusik heute das Bedürfnis nach Authentizität reinprojiziert wird, wird auch viel in lateinamerikanische Filme oder Kultur projiziert.

Auf welche Kriterien wird geachtet, wenn ein Film aus Lateinamerika relativ erfolgreich sein soll?

Beim Dokumentarfilm ist es ziemlich klar. Es muß für den Film eine Zielgruppe geben. Und wenn der Film wirklich erfolgreich sein soll, muß er eine gewisse Harmlosigkeit haben. Er muß dem Bedürfnis nach Unterhaltung und Entspannung entgegen kommen. Spielfilme müssen mir in erster Linie gefallen, ich möchte im Kino sitzen und mich unterhalten, gespannt sein oder heulen oder lachen, und danach überlege ich: Ist dieser Filme verleihbar? Ist er vielleicht zu speziell, ist die Thematik zu eingegrenzt, oder wird mit ihm eine Geschichte erzählt, die etwas Universelles hat? Die US-Filmindustrie ist Meister darin, Geschichten so zu erzählen, daß sie sich auf einen allgemein menschlichen Kern reduzieren lassen. Zum Teil bedienen sie sich dabei schamlos irgendwelcher Mythen, um Grundthemen anzusprechen wie Liebe, Tod, Angst, Glück, Familie. Das sind immer noch die wichtigsten Kriterien. Wenn es ein lateinamerikanischer Film schafft, einen universellen Zug zu haben, so wie es „Central do Brasil“ letztlich auf einer sehr sentimentalen Ebene geschafft hat, oder der Film „Die Strategie der Schnecke“, der an dem Wunch nach kollektiver Aktion gerührt hat, dann wird er auch erfolgreich sein. Und wenn sie erfolgreicher sind, geraten sie sofort unter die Fittiche der Majors und gehen in die USA und drehen dort. Stichwort „Central do Brasil“, Walter Salles, sein darauffolgender Film ist natürlich zusammen mit einem Major aus den USA gemacht.

Um welche Filme bemüht sich der Ventura Film?

Wir verleihen in erster Linie Filme, die wir selber mögen. Dabei gibt es bei uns ein klares Übergewicht zu Filmen, die sich auf die eine oder andere Weise mit sozialer Realität befassen. Und da ist es mir persönlich nicht so wichtig, ob es gesellschaftliche Realität in Uruguay ist oder eine, die hier stattfindet. Er sollte aber einen Bezug zur Wirklichkeit haben. In der Filmbranche haben wir sicher ein bestimmtes Image, weil wir eher die ungewöhnlichen Filme herausbringen. Nimm Ken Loach. Der dreht einen Film über Nicaragua, Carla’s Song. Jetzt macht man eine Kampange dazu und überlegt, wen man einlädt. Ken Loach dreht schon an seinem neuen Film und der männliche Hauptdarsteller, Robert Carlyle, war aber auch gerade wieder am Drehen. Also lädt man jemand aus Nicaragua ein, was teuer und aufwendig ist. Oyanka Cabezas kommt nach Deutschland. Und dann ist sie da, man versucht der Presse zu erklären, ihr könnt ein Interview mit der Hauptdarstellerin des neuen Ken Loach-Film machen, und die Reaktion darauf ist irrsinnig gering, das interessiert weiter nicht. Letztlich, und das will ich jetzt noch in dein Micro sagen, das Publikum hat es sehr stark in der Hand, die guten Ausgangsbedingungen für kleinere, für schwierigere, ungewöhliche Filme und auch lateinamerikanische Filme zu schaffen. Weniger „Titanic“, mehr „Wer zum Teufel ist Juliette“.

A toda Cuba le gusta

Beginnen wir mit der ersten Session: Gleich ein halbes Dutzend soneros, vom 43jährigen José Antonio ‘Maceo’ Rodríguez bis hin zum 80jährigen Pío Leyva, stellen hier ihre Gesangskünste unter Beweis, begleitet von Rubén González (Piano), Orlando ‘Cachaíto’ López (Kontrabaß), Juan de Marcos González (tres) und Miguel Angá (Congas), um nur einige herauszustellen. Zum großen Teil also Musiker, die die Blütezeit des son mit geprägt haben und wahrlich Rechtfertigung genug für den Namen Afro-Cuban All Stars. Die ausschließlich akustisch instrumentierten Titel auf A Toda Cuba le Gusta bieten einen Querschnitt durch den Formenreichtum der afrokubanischen Musiktradition. Arrangiert im Stil der legendären Orchester der fünfziger Jahre, klingen sie auf charmante Weise altmodisch, doch messerscharfe Bläsersätze und mitreißende Percussion lassen jeden Gedanken daran vergessen, daß hier Männer weit jenseits des Rentenalters musizieren. Einige willkürlich herausgegriffene Perlen: ein musikalischer Wettstreit der Leadsänger in ‘Alto Songo’, der Auftritt des 80jährigen Gastflötisten Richard Egües in ‘Habana del Este’, die gefühlvolle tres-Einleitung zu dem guagancó ‘Fiesta de la Rumba’.
Auf Buena Vista Social Club, dem zweiten Album (benannt nach einem Rentnerclub in Havanna), überwiegen ruhigere sones und boleros. Wieder treffen wir auf verschiedene Sänger, unter ihnen Compay Segundo, der mit seinen 89 Jahren (!) gerade einen neuen Exklusivvertrag unterzeichnet hatte (!!) und daher an den Aufnahmen beinahe nicht hätte teilnehmen können. Die einzige weibliche Stimme auf diesen Aufnahmen gehört Omara Portuondo, zu hören mit einer einfühlsamen Interpretation von María Teresa Vera’s bolero an eine verflossene Liebe ‘Veinte Años’. Produziert wurde das Album von dem Bluesgitarristen Ry Cooder, der auch auf allen Titeln dabei ist. Dank seines respektvoll zurückhaltenden Spiels klingt das Ergebnis aber keineswegs weniger kubanisch. Vollends in seinem Element ist der Gitarrist auf zwei Titeln, die eine wenig bekannte Seite der kubanischen Musik repräsentieren, nämlich den Einfluß US-amerikanischer Gospel- und Jazzbands in den dreißiger Jahren.
Die eigentliche Entdeckung jedoch ist für mich der auf beiden Sessions mitwirkende Rubén González, der schon in den frühen Fünfzigern für Arsenio Rodríguez am Piano saß, später über Jahrzehnte mit Enrique Jorrín zusammenarbeitete und hier ein atemberaubendes Solo nach dem anderen abliefert. Der 77jährige Pianist, der kein eigenes Klavier mehr besitzt, seit sein altes auseinanderfiel, erschien jeden Morgen als erster im Studio, wärmte seine arthritischen Finger auf, begann zu spielen und war nicht mehr zu stoppen. Seine Art, den Rhythmus gegen den Strich zu bürsten, sein perkussiver Anschlag und die schroffe Harmonik verleiteten Ry Cooder gar zu dem Vergleich mit der Bebop-Legende Thelonious Monk. Bei aller Liebe für den Jazz macht González jedoch unverkennbar kubanische Musik. Nach Fertigstellung der beiden Alben waren die Musiker perfekt aufeinander eingespielt, man wählte einige Standards aus (darunter ‘La Engañadora’, den Ur-cha-cha-cha von Jorrín), ließ im Stil der kubanischen descarga viel Platz für Improvisationen, und innerhalb von zwei Tagen war ‘Introducing Rubén González’ im Kasten. Wie auch schon auf ‘Buena Vista Social Club’ ist hier von der Bläsersektion nur noch Manuel ‘Guajiro’ Mirabal vertreten, der einige jazzige Trompetensoli beiträgt. Eine wunderbare CD!
Musik zum Tanzen, Träumen und Zuhören. Ergänzt wird das Hörvergnügen durch die sehr schön gemachten Begleithefte, mit allen Texten, englischen Übersetzungen und vielen Fotos und Hintergrundinformationen. Die Frage lautet eigentlich weniger: welche der drei? sondern allenfalls: welche zuerst? Die anderen folgen unweigerlich.

Vertrieb über Eastwest-Record:
Afro-Cuban All Stars: A Toda Cuba le Gusta, 1997, World Circuit WCD 047
Buena Vista Social Club, 1997, World Circuit WCD 050
Rubén González: Introducing Rubén González, 1997, World Circuit WCD 049

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