„DIESES KOMPLOTT MUSS AUFGEKLÄRT WERDEN“

„Der Fluss hat es mir gesagt“ Treppenbild zur Erinnerung an Berta Cáceres in Cantarranas Fotos: (COPINH)

David Castillo ist als bisher einziger Auftraggeber des Mordes an Berta Cáceres angeklagt. Wird er verurteilt werden? Welche Szenarien sind wahrscheinlich?
Die Verteidigung von David Castillo hat Verzögerungen erwirkt, um den Prozess zu umgehen und ihm und den anderen, die erst noch angeklagt werden müssten, Straffreiheit zu verschaffen. Dennoch denke ich, dass es überzeugende und unwiderlegbare Beweise gibt, die zu seiner Verurteilung führen werden. Das ist für uns das wahrscheinlichste Szenario. Uns geht es nicht um eine Verurteilung um der Verurteilung willen, stattdessen möchten wir in dem Gerichtsverfahren deutlich machen, wie systematisch die Angriffe auf Verteidigerinnen der indigenen Territorien sind. Es geht um den Kontext, in dem der Mord an Berta Cáceres stattgefunden hat. Ohne den Kontext ist es unmöglich, die Ereignisse der Nacht vom 2. auf den 3. März 2016 zu verstehen. Und es geht darum, dass Berta Cáceres eine weibliche Führungspersönlichkeit war, der indigenen Gemeinschaft und der sozialen Bewegungen in Honduras.

Das zweite mögliche Szenario wäre katastrophal: Es könnte einen außergerichtlichen Deal mit den Beschützern von David Castillo geben, also mit Mitgliedern der Familie Atala Zablah (Der größte Teil von DESA gehört dieser in Honduras wirtschaftlich und politisch sehr einflussreichen Familie Anm. d. Red.). Das wäre nicht verwunderlich, denn in Honduras werden viele Abkommen zur Straffreiheit durch Bestechung geschlossen. Um das zu verhindern, ist die internationale und nationale Prozessbeobachtung sehr wichtig, ebenso wie Maßnahmen, die den Prozess der Rechtsfindung schützen. Allerdings sind wir eben in Honduras, einem Land der Straflosigkeit, einem Land, in dem Dinge passieren, von denen wir manchmal denken, dass sie nicht passieren können.

Falls Castillo verurteilt wird: Gibt es dann die Chance, auch gegen weitere Auftraggeber*innen vorzugehen?
Diese Möglichkeit besteht aufgrund der internen Hierarchien des Unternehmens und der Unterordnung Castillos unter die Mehrheitsaktionäre. Allerdings hatte der Staat nie den politischen Willen, diese Ebene anzugehen. Mitglieder der Familie Atala Zablah wurden ja nicht einmal vernommen. Solange der Staat keinen politischen Willen zeigt, werden keine Beweise gesammelt, keine weiteren Untersuchungen durchgeführt. Für den Staat ist Castillo derjenige, der geopfert wird. Er wird als der Autor des Verbrechens präsentiert, als die Person, die allein über den Mord entschieden hat. Das macht uns Sorgen. Wir haben in den vergangenen Jahren Informationen über die Finanzen des Unternehmens, die wir eingefordert hatten und wofür wir im vorherigen Prozess ausgeschlossen wurden, analysiert. Wir sehen klare Auffälligkeiten, Anzeichen von Korruption, sogar von Geldwäsche. Dazu müsste viel mehr ermittelt werden. Dann könnten auch die vielen Fragen zur Realisierung des Wasserkraftwerks Agua Zarca aufgeklärt werden.

Die betrügerischen Machenschaften in Bezug auf Agua Zarca sind Teil eines weiteren Verfahrens, das als „Betrug am Gualcarque-Fluss“ bekannt ist. Gibt es einen Zusammenhang mit dem jetzigen Prozess gegen David Castillo?
Wir haben immer betont, dass die Ermordung von Berta Cáceres mit der illegalen und illegitimen Konzession für das Wasserkraftwerk Agua Zarca zusammenhing. Und genau das bringt der Fall „Betrug am Gualcarque“ ans Tageslicht: Unregelmäßigkeiten innerhalb des Konzessionsverfahrens und die Verletzung von Grundrechten bei der Umsetzung des Projekts. Eine Staatsanwaltschaft, die wirklich an einer umfassenden Gerechtigkeit interessiert wäre, hätte die Möglichkeit, neben dem Mord weitere Verbrechen aufzudecken. Es sind dieselben Eigentümer, es sind dieselben Leute, die über ihr „politisches Kapital“ sprachen und davon, dass sie Deals mit staatlichen Institutionen gemacht haben, um zu bekommen, was sie wollten.

Wird es gelingen, neben dem wirtschaftlichen auch das politisch-militärische Geflecht hinter dem Mord aufzudecken?
Viele Informationen aus Telefongesprächen fehlen in den derzeitigen Verfahren, weil sie gar nicht ausgewertet wurden. Es besteht sogar der Verdacht, dass weitere Militärs am Mord an meiner Mutter beteiligt waren. Die Ermittlungsakte des Majors Mariano Díaz Chávez wird geheim gehalten. Der Staat hat eine große Bringschuld, dieses Komplott aufzuklären, auch was die eigene Verantwortung betrifft. Zweifelsohne wurden die Auftraggeber des Mordes geschützt. Wir von COPINH meinen, dass es mindestens eine schweigende Zustimmung von Präsident Hernández gegeben haben muss.
Angesichts des Ausmaßes der Beteiligung des militärischen Nachrichtendienstes und Generalstabs an diesem Verbrechen muss er davon gewusst haben.

Was bedeutet Bertas Vermächtnis heute, wo noch viel offensichtlicher ist, dass Honduras sich in einen autoritären, diktatorischen Narco-Staat verwandelt hat und kurz davor ist, ein failed state zu werden? Welche Möglichkeiten haben die indigenen, kleinbäuerlichen und sozialen Bewegungen in dieser Situation?
Unser Land ist in einer sehr schwierigen Lage, die von großen Frustrationen und von einer sehr tiefen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Krise geprägt ist. Wir von COPINH bemühen uns weiter, die Kämpfe der Gemeinden zu stärken. Das ist unsere Hauptaufgabe und Verpflichtung, gerade angesichts eines Verbrechens, das uns auf organisatorischer Ebene sehr getroffen hat. Die Kämpfe zur Verteidigung der Territorien gehen auch während der Pandemie weiter. Es gab sogar lokale Aktionen, um den Bau weiterer Projekte zu verhindern oder vor der drohenden Remilitarisierung in den Gemeinden zu warnen. Gleichzeitig müssen wir etwas gegen die akute Nahrungsmittelkrise und die soziale Krise tun. Zudem versuchen wir, landesweite Bündnisse zu schmieden, was eines der Hauptanliegen meiner Mutter war. Nur dadurch können wir heute überhaupt von einer honduranischen sozialen Bewegung sprechen. Wir leisten unseren Beitrag, sagen unsere Meinung, schauen, wo es hingehen könnte, versuchen, politisches Vertrauen wiederherzustellen, das soziale Gefüge wieder aufzubauen und auch die Probleme der Gewalt anzusprechen, die so viele Organisationsräume zerstört hat.

Ich glaube, dass meine Mutter immer ein Bezugspunkt dafür sein wird, wie man verschiedene Kämpfe zusammenbringt, sowohl in territorialen als auch in großen sozialen und politischen Fragen. Sie wusste, wie wir gleichzeitig lokal Widerstand leisten, das soziale Gefüge der Menschen wieder aufbauen und landesweite und sogar internationale Aktionen planen. Wir gehen das sehr langsam an, um das Land wieder auf Kurs zu bringen. Viele Menschen denken gerade darüber nach, wie wir den fortdauernden Putsch und den diktatorischen Staat praktisch überwinden können. Vor allem auch angesichts dessen, wie die Wahlen dieses Jahr ablaufen werden und was dann übrigbleibt. Denn es ist klar, dass bei diesen Wahlen nichts wesentlich anderes herauskommen wird als bisher. Obwohl das Szenario sehr entmutigend ist, müssen wir unser Engagement mittel- und langfristig aufrechterhalten. Nur so können wir der Vision einer Neugründung von Honduras wieder näherkommen, für die Berta Cáceres stand.

Du hast deine Mutter verloren, kämpfst für umfassende Gerechtigkeit und gleichzeitig bist du ihre Nachfolgerin als Generalkoordinatorin von COPINH mit allen Aufgaben und Verantwortlichkeiten, die das mit sich bringt. Bleibt da noch Raum für Persönliches oder Zeit, mal durchzuatmen?
Wir versuchen immer, für unser emotionales und mentales Wohlergehen zu sorgen, denn manchmal wird die Erschöpfung einfach zu groß. Also versuchen wir, Momente des Ausgleichs zu finden. Ohne die könnten wir gar nicht mehr richtig denken. Wir machen kleine Wanderungen auf dem Land, in den Gemeinden, suchen uns ein Pferd zum Reiten. Aber es ist schon schwierig. Es ist ein sehr hektisches Leben. Ich bewundere meine Mutter jeden Tag mehr. Wie hat sie das nur gemacht, sich immer um alles zu kümmern, alles im Blick zu haben und obendrein vier Kinder zu haben? Meine jetzige Aufgabe ist das Schwerste, was ich je in meinem Leben angepackt habe. Von wegen Abschlussarbeit an der Uni… Was für eine Uni überhaupt? Aber wir gehen unseren Weg. Das Gute ist, dass mich viele Leute unterstützen. Das hilft sehr. COPINH wäre schon mehrmals am Ende gewesen, wenn ich alles allein stemmen müsste.

DIE WAHRHEIT VERSCHLEIERN UND VERSCHLEPPEN

Gerechtigkeit für Berta Das Bild der ermordeten Cáceres ist auf jeder COPINH-Demo präent (Foto: Giorgio Trucchi)

Bereits wenige Minuten nach Beginn des Prozesses am 17. September gab es die erste Unterbrechung. So reichten die Anwält*innen der Nebenklage, der Familie von Cáceres, einen Antrag wegen Befangenheit der Richter*innen ein, woraufhin die Anhörung zunächst suspendiert wurde. Laut Rodil Vásquez, Anwalt der Nebenklage, begründete sich der Antrag auf „Amtsmissbrauch durch Verschleierung, Verzögerung der Justiz, Nichteinhaltung der Pflichten der Beamten und Nichtbefolgung von Anweisungen durch die Staatsanwaltschaft.” Man habe seit zweieinhalb Jahren wiederholt die vollständige Einsicht in Ermittlungsakten gefordert. Dem sei nicht nachgekommen worden, so Vásquez weiter. Einen weiteren Grund für eine Voreingenommenheit des Gerichtes sah Victor Fernández, ebenfalls Anwalt der Nebenklage, zunächst in der Nichtanerkennung des Zivilen Rats der Basis- und indigenen Organisationen (COPINH) als Opfer und somit Nebenkläger.

Berta Cáceres, die im Jahr 2015 den renommierten Goldman-Umweltpreis erhielt, koordinierte COPINH. Zusammen mit den indigenen Lenca-Gemeinden widersetzte sie sich seit 2010 dem Bau des Wasserkraftprojektes Agua Zarca. Aus diesem Kontext heraus ist das Beharren auf Anerkennung des Rats als Opfer zu verstehen, denn sowohl Cáceres als auch die Mitglieder des COPINH wurden permanent diffamiert und attackiert. Mindestens drei weitere Morde wurden an Aktivisten der Organisation verübt (siehe LN 502). Über die Forderung, COPINH als Opfer anzuerkennen, wird nun ein Berufungsgericht entscheiden.

Die Zeit scheint für die Nebenklage, Opfer und Angehörige davon zu laufen

Eine Neubesetzung des Gerichtes hingegen wurde vom Berufungsgericht für Strafsachen am 25. September negativ beschieden. Insgesamt waren fünf Rechtsmittel präsentiert worden. Davon wurden die beantragte Live-Übertragung und der Mitschnitt der Verhandlungen abgewiesen. Ein weiterer Antrag der Nebenklage bezieht sich auf die Forderung, Mitglieder der Familie Atala Zablah als Zeug*innen zu laden. Laut vorläufigem Bericht der Rechtsexpert*innen im Fall Berta Cáceres äußerte sich das Gericht dazu, „dass keine Zeugen geladen würden, da das Gericht nicht über genügend Personal verfüge, und nahegelegt wurde, diese Aufgabe selbst zu erledigen.“ COPINH und die Familie von Cáceres kritisieren, dass gegen die Auftraggeber*innen des Mordes scheinbar nicht ermittelt wird. Die unabhängige internationale Expertengruppe GAIPE stellte in ihrem Abschlussbericht im November 2017 fest, dass der Mord an Cáceres in Koordination mit den Angestellten und Besitzer*innen der Firma Desarrollo Energético S.A. (Desa) sowie Militärangehörigen und Auftragsmördern ausgeführt wurde. Die Angehörigen der einflussreichen Familie Atala Zablah sind Eigentümer*innen von Desa und der mitfinanzierenden honduranischen Bank FICOHSA.

Die Ermittlungen im Mordfall sind durch gravierende Unregelmäßigkeiten geprägt. Dazu gehören unter anderem die Manipulation von Beweismittel durch Polizisten und der Diebstahl von Rechtsakten. In der Nacht des Mordes an Cáceres war ebenfalls auf den mexikanischen Umweltaktivisten Gustavo Castro geschossen worden, der sich im Haus aufhielt und verletzt überlebte. Edy Tabora, Anwalt von Castro, sagte gegenüber den Lateinamerika Nachrichten, dass es bis zum heutigen Tag zu keiner Gegenüberstellung mit einem der Beschuldigten gekommen ist, obwohl diese bereits im Februar 2017 beantragt worden war.

Die an extraktivistischen Projekten interessierte Unternehmerschaft betreibt eine Schmutzkampagne.

Unter den acht Festgenommenen befinden sich neben den fünf mutmaßlichen Auftragsmördern auch Mariano Díaz, zum Tatzeitpunkt Major der honduranischen Streitkräfte; Sergio Rodriguez, Ingenieur für Umwelt und Soziales von Desa, und der ehemalige Desa-Sicherheitschef Douglas Bustillo. Díaz und Bustillo sind nachweislich an der School of the Americas, der US-Akademie für lateinamerikanische Militärs, ausgebildet worden. Ein neunter Inhaftierter, der ehemalige Präsident und Geschäftsführer von Desa, David Castillo, wartet auf sein gesondertes Gerichtsverfahren, mit dessen Beginn im Jahr 2020 gerechnet wird. Seine Karriere als Absolvent der US-Militärakademie West Point und ehemaliger Offizier des Militärgeheimdienstes mit besten Verbindungen zu Politik und dem Energiesektor in Honduras wirft seine Schatten voraus.

Die Rechtsmittel der Nebenklage sind unabdingbar, um die Rechtsstaatlichkeit und den Respekt vor den Opfern einzufordern. Es wird darauf gehofft, dass das Gericht in Zukunft unparteiischer agiert und einen rechtsstaatlichen Prozess für die Angeklagten ebenso wie für die Nebenkläger*innen gewährleistet. „Wir wollen auf keinen Fall, dass die Angeklagten in einem zweifelhaften, von Unregelmäßigkeiten geprägten Verfahren verurteilt werden, denn das öffnet einer späteren Annullierung wegen Verfahrensfehlern Tür und Tor”, betont Bertha Zúniga, Tochter von Cáceres und aktuelle COPINH-Koordinatorin.

Aus der solidarischen Koordination JusticiaParaBerta („Gerechtigkeit für Berta“) heißt es, dass die Verhandlung sich nicht ausschließlich auf die Mordnacht konzentrieren dürfe, denn dies blende die permanente Bedrohung vor und nach dem Mord aus. Dazu müsse weiter national und international über den Prozess berichtet werden. Die Prozessbegleitung durch Mitarbeiter*innen der Diplomatie und anderer Organisationen bildet dabei einen wichtigen Baustein gegen die bisherigen Verschleierungstendenzen in dem Fall.

Neben dem Prozess betreibt die an Extraktivismus interessierte Unternehmer*innenschaft eine mediale Schmutzkampagne. In sozialen Medien, korporativen Fernsehsendern und Printmedien erscheinen diffamierende Beiträge gegen COPINH und besonders gegen die Anwälte Victor und Martín Fernández, die sich mit ihrer Organisation Movimiento Amplio seit über zehn Jahren umweltpolitisch engagieren. In Honduras sind Diffamierungen und Hetze im Vorfeld von schweren Gewalttaten immer wieder zu beobachten. Ziel ist dabei die systematische Einschüchterung, Bedrohung und Kriminalisierung bis zur Beseitigung der Opposition. Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte in Honduras äußerte sich kürzlich besorgt über diese Diffamierungen und wies darauf hin, dass die Interamerikanische Menschenrechtskommission den Anwälten spezielle Schutzmaßnahmen zuerkannt habe. Die aggressive Kampagne wird ebenfalls durch die von Desa engagierte US-amerikanische Anwaltskanzlei Amsterdam & Partners geführt. Sie initiierte mit dem Prozessbeginn eine Anzeigenkampagne in großen Printmedien des Landes, in denen sie COPINH als radikal und per se-Opposition gegen Entwicklung und Rechtsstaat darstellt. Auch Nina Lakhani, unabhängige Journalistin, sieht sich seit September einer Hetzkampagne ausgesetzt. Sie berichtet seit Cáceres Ermordung für The Guardian regelmäßig über Strukturen, Interessengruppen und die Umstände des Mordes.

COPINH bestätigt, dass indessen Klage gegen die niederländische Entwicklungsbank FMO wegen deren Finanzierung von Agua Zarca in den Niederlanden eingereicht wurde (siehe LN 531/532). Neben der FMO finanzierten auch die finnische Entwicklungsbank Finnfund und die Zentralamerikanische Bank für wirtschaftliche Integration (BCIE) das Wasserkraftprojekt. Nach Aussagen von COPINH behält Desa die Konzession über den Fluss Gualcarque für 50 Jahre, was bedeutet, dass das Projekt nicht beendet ist, sondern nur ruht. Es wird vermutet, dass Zeit vergehen soll, bevor man den Bau wieder aufnimmt. Amsterdam & Partners schrieb kürzlich an die 50 Abgeordneten des Europäischen Parlaments. Die Kanzlei teilte mit, dass die unabhängige Expert*innenkommission GAIPE Fehlinformationen verbreiten würde. Außerdem kündigte die Kanzlei einen eigenen Besuch in Brüssel an.

Die Zeit scheint davonzulaufen, denn fünf der Inhaftierten müssten entsprechend der am 2. November ablaufenden Präventivhaft entlassen werden. Allgemein wird befürchtet, dass die honduranische Justiz den Prozess schnell abwickeln möchte, ohne die kriminellen Strukturen, die bis in Politik, Militär und Wirtschaft reichen, aufzudecken.

EIN ANDERES KONZEPT DES LEBENS

Kurz nach dem Mord an Berta Cáceres verteidigte der Weltbankpräsident Jim Yong Kim in Bezug auf Staudammprojekte das Recht auf Energie und Arbeit gegenüber dem Recht auf Land. Was würden Sie dieser Idee von „Entwicklung“ entgegensetzen?

Dieser Entwicklungsdiskurs basiert auf der Ausbeutung der Umwelt und hat schreckliche soziale Folgen. Den derzeitigen Funktionären der Weltbank ist vielleicht unbekannt, dass die Weltbank im Jahr 2000 den Bericht der Weltkommission für Staudämme finanziert hat. Das Resultat war für sie so schrecklich, dass sie den Bericht lieber verheimlichten. Durch die 45.000 großen Staudämme, die bis zum Jahr 2000 gebaut wurden, mussten 40 bis 80 Millionen Menschen umziehen. Außerdem sind tausende Hektar Wald und Mangroven verschwunden und die Bevölkerung ist nicht reicher, sondern ärmer geworden. Die Wasserkraftwerke haben 30 Prozent weniger Energie produziert als vorhergesagt, sodass sich die afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Staaten mit den Staudammbauten verschuldet haben. So lässt sich der wachsende Widerstand erklären, der sich nicht nur in Lateinamerika, sondern in vielen Ländern des Südens, gegen das uns verkaufte Entwicklungsmodell richtet. Sie wollen uns weismachen, dass mit den Staudämmen Arbeitsplätze geschaffen werden, aber das stimmt nicht. Sie sagen, die Gemeinden würden elektrischen Strom erhalten, aber es gibt Gemeinden, die vor 40 Jahren umgesiedelt wurden und immer noch keinen Strom und kein Wasser haben, geschweige denn entschädigt wurden. Vor allem wird die Energie für weitere Megaprojekte gebraucht. Die Bergbauprojekte, die in Lateinamerika angeschoben werden, verbrauchen gigantische Mengen an Strom und Wasser, das dient als Rechtfertigung für die Staudämme.

Sind Ihnen Beispiele aus Honduras bekannt, bei denen die Energie aus einem Megaprojekt für den Bergbau oder eine andere Industrie genutzt wird?

In Honduras haben viele Menschen kein Trinkwasser und keinen Strom. Im Zuge des Staatsstreichs 2009 wurden viele Konzessionen für den Bau von Staudämmen und Minen vergeben. Dieser Prozess beinhaltet die Erkundung des Gebietes, bevor eine Mine oder ein Staudamm dann wirklich gebaut werden. In dieser Zeit müssen die Unternehmen ihre Finanzierung und den Grundbesitz sicherstellen. Das ist es, was die Leute derzeit in Honduras erleben: Gemeinden werden für den Bau von Wasserkraftwerken vertrieben. Der öffentliche Diskurs bleibt jedoch, dass ein Projekt wie Agua Zarca Elektrizität in die indigenen Gemeinden bringe. Und warum ist das bislang nicht geschehen?

Es gibt Gemeinden, die sich als frei von Bergbau erklärt haben. Haben diese Gemeinden bereits ihr eigenes Modell des „Guten Lebens”, des „Buen Vivir“?

Genau darüber hatte ich mit Berta angesichts der Welle von Konzessionen, die ja alle nach Grundbesitz verlangen, gesprochen. In Mexiko wurden 45.000 Bergbaukonzessionen vergeben, was 25 Millionen Hektar und damit der halben Landesfläche entspricht. In Guatemala sind es 30 Prozent, in Honduras ist man noch in der Konzessionsvergabe. Wir haben darüber gesprochen, dass wir immer erst reagieren, wenn wir bereits die Auswirkungen spüren. Aber wir bemerken nicht, dass das Projekt schon fünf Jahre früher begonnen hat. Das bedeutet, dass es auf Unternehmensseite bereits starke Interessen gibt und Millionen von Dollar oder Euro investiert worden sind: in die Erkundung, in Bestechungsgelder, in Verträge mit Transportunternehmen. Das Unternehmen wird das Projekt nicht mehr einfach so aufgeben. Statt direkten Widerstand zu leisten, sollten wir vorbeugen, indem wir von bergbaufreie und staudammenfreie Territorien schaffen. Wenn die Gemeinden reflektieren und analysieren, welche Ressourcen bei ihnen vorhanden sind, merken sie, dass diese früher oder später konzessioniert werden. Und wenn die Unternehmen einmal da sind, wird es sehr schwer, sie wieder loszuwerden. Das impliziert Mobilisierung, Repression, Tote, Gefängnis, all das, was wir tausendfach erlebt haben. Schützen wir unser Territorium also vorher!

Was heißt das konkret?

Bei den Treffen mit dem Lateinamerikanischen Netzwerk gegen Staudämme oder der Mesoamerikanischen Bewegung gegen Extraktivismus und Bergbau tauschen wir Erfahrungen aus und begeben uns an die Orte konkreter Bergbauprojekte. Wir sprechen mit den Betroffenen. So beginnen wir, Bewusstsein für Widerstand und Prävention zu schaffen. Aber das Problem bleibt immer: Was ist die Alternative, die wir uns wünschen, wenn wir nicht auf diese Weise Wasser und Energie haben wollen? Wir denken zumeist, dass das Problem technischer Natur ist, dass wir also nur die Energiequelle wechseln müssen. Die Bergbauunternehmen versichern daher, dass sie grünen Bergbau betreiben. In jedem Fall roden sie tausende Hektar Wald, weil sie immer noch Tagebau betreiben. Sie benutzen trotzdem eine Million Liter Wasser pro Stunde und 15 Tonnen Zyanid am Tag. Wenn die Leute an Krebs sterben, was ist grün an der Sache? Nun, die Maschinen werden nicht mit Benzin oder Diesel betrieben, sondern mit Biotreibstoffen.
Es geht daher nicht darum, die Energiequelle zu wechseln, um das Gleiche zu tun wie vorher. Das Problem ist politischer Art. Beispielsweise ist nicht die Windkraft problematisch, sondern die Verteilung. Baut man einen riesigen, zentralisierten Windpark oder gewinnen wir die Energie auf unseren eigenen Dächern? Dezentrale Lösungen werden vielfach bestraft. In Spanien gibt es eine Steuer auf Solarenergie. In Arizona ist es verboten, Regenwasser aufzufangen und zu nutzen, das Wasser muss bei den Wasserbetrieben gekauft werden. Das Problem ist auch, wie man mit den verschiedenen Ressourcen Energie erzeugt, ob man beispielsweise einen riesigen Stausee baut, und damit tausende Hektar Land überflutet und die Bevölkerung vertreibt. Nur weil Wasser „natürlich“ ist, wird diese Energie als grün und sauber angesehen. Das Schmutzige daran ist aber, wie die Dinge vonstattengehen.
Wenn wir nach Alternativen suchen, wollen wir immer, dass uns die Gemeinden die Lösung präsentieren. Es gibt keine globale Lösung. Jede Region muss zunächst herausfinden, was ihr politisches Problem ist, und nicht, was ihr technisches Problem ist. Wir müssen uns fragen, welche Art von Projekt wir aufbauen wollen, und dann erst, welche Art von Energie wir dafür brauchen. Und das nicht nur bei der Erzeugung von Strom, sondern auch bei der Erzeugung von Nahrungsmitteln.

Stehen beispielsweise Kaffeekooperativen für die Vision einer anderen ökonomischen Basis? Dabei geht es ja darum, im solidarischen Handel einen gerechten Preis zu erzielen.

Wir tauschen nur die Feldfrucht aus, aber die Logik bleibt gleich. In einigen Gemeinden wird bereits diskutiert, ob das Problem mit dem Palmöls ist, dass sie dir viel oder wenig zahlen, oder ob es das System an sich ist. Genauso beim Kaffee oder beim Mais oder jeder anderen Monokultur. Eine andere Logik wäre es zu sagen: Lasst uns nicht nach außen denken! Es gibt schon fantastische Erfahrungen, wie in Kolumbien, und in Chiapas versuchen wir nun, Ähnliches umzusetzen. Wir werden für uns, für den Eigenbedarf produzieren. Als erstes müssen wir den Anbau diversifizieren und die Biodiversität erhöhen. Dann beginnt man Kriterien zu entwickeln, wie man ein agrarökologisches Projekt aufzieht, in dem keine Chemikalien eingesetzt werden und eine Vielzahl von Nahrungsmitteln erzeugt werden, die wiederum auf einem lokalen Markt verteilt werden. Das ist eine andere Herangehensweise als die, an die wir gewöhnt sind, nämlich die der Spezialisierung, der Monokulturen und des Exports. Dazu gehört auch der Kaffee. Wenn wir in Chiapas einen guten Preis erzielen, liegt es vielleicht daran, dass die Indigenen in Vietnam, in Brasilien oder in Guatemala von einem Hurrikan betroffen waren. Wir freuen uns, weil wir bessere Preise erzielen, aber auf wessen Kosten?

Sie wollen auf ein anderes Konzept von Entwicklung hinaus …

Ein anderes Konzept des Lebens, weil der Begriff Entwicklung aus dem Diskurs der Unternehmen und der Staaten stammt. Diese unendliche Entwicklung ist nicht nachhaltig, wir können damit nicht weitermachen. Das Bild ist zwar abgedroschen, aber wenn wir die gleiche Entwicklung für alle wollen, brauchen wir fünf Planeten. Deswegen hat man das Konzept des “Buen Vivir”, des “Guten Lebens”, entwickelt. Aber wie erhält es einen politischen Inhalt? Ich habe keine Ahnung, was das Gute Leben ist. Das Konzept muss erst entwickelt werden. In den indigenen Gemeinden von Chiapas gibt es das Lekil Kuxlejal, ein Konzept, unter dem die Indigenen eine gesunde Umwelt verstehen, die sich im Gleichgewicht befindet: Leben, Wasser, ausreichend Nahrungsmittel und dass es allen gut geht. Andere, in Oaxaca, sprechen von Kommunalität „comunalidad“, andere davon, eine gemeinsame Einheit, die „comun unidad“ aufzubauen. In jeder Region beginnen Menschen neue Konzepte zu entwickeln oder wiederzuentdecken, die nicht diesem Begriff der linearen, kapitalistischen Entwicklung entsprechen. Grundlegend erscheint mir dabei die Tatsache, dass es nicht um ein Konzept geht, das global angewendet wird. In jeder Region folgt es den eigenen Erfahrungen und Bräuchen. Und ich glaube, es gibt viele Arten glücklich zu sein. Es gibt viele Formen, das gute Leben aufzubauen.

 

 

PARALLELE ERMITTLUNGEN

Als Berta Cáceres in der Nacht vom 2. auf den 3. März 2016 ermordet wurde, bestand sofort der Verdacht, dass das Energieunternehmen DESA (Desarrollos Energéticos) in die Tat verwickelt sein könnte. Die Morddrohungen gegen Berta Cáceres und die indigene Nichtregierungsorganisation COPINH waren im Laufe der Protestaktionen gegen den Bau des Staudamms Agua Zarca immer massiver geworden. Sicherheitskräfte der DESA gingen gewaltsam gegen die Protestierenden vor, drei Mitglieder von COPINH waren bereits ermordet worden.

Die Staatsanwaltschaft in Honduras ermittelte ebenfalls in diese Richtung und stellte acht Honduraner unter Mordanklage, darunter zwei Angestellte von DESA und einen Militär. Doch auch acht Monate nach der Tat gab es keine Hinweise, dass die Staatsanwaltschaft nicht nur gegen die direkten Täter, sondern auch gegen die Auftraggeber des Mordes ermittelte. Gleichzeitig wurde der Familie die Einsicht in Akten und gesicherte Beweismittel trotz Rechtsanspruchs als Nebenklägerin verweigert.

Im November 2016 nahm daher ein Team von fünf internationalen Anwält*innen aus den USA, Kolumbien und Guatemala, die das Vertrauen der Familie von Berta Cáceres besitzen, eigene Ermittlungen auf. Die internationale Expert*innenkommission GAIPE (Grupo Asesor Internacional de Personas Expertas) sichtete rund 40.000 WhatsApp-Nachrichten, Anrufe und Videos eines Telefons aus dem Büro der DESA sowie von zwei Telefonen der Angeklagten, interviewte mehr als 30 Beteiligte auf vier Reisen nach Honduras und erhielt Zugang zu Teilen der Beweisen der Staatsanwaltschaft. Die Expert*innen kamen zu dem Schluss: „Die vorhandenen Indizien beweisen eindeutig die Beteiligung von zahlreichen staatlichen Vertretern (Polizei, Militär, Beamte) sowie ranghohen Managern und Angestellten von DESA an der Planung, Durchführung und Vertuschung des Mordes.“ Ziel der Operation seien die Auflösung von COPINH und das Ende des Widerstandes gegen das Wasserkraftwerk Agua Zarca gewesen.

GAIPE dokumentierte außerdem zahlreiche Unregelmäßigkeiten bei der Untersuchung des Mordes und kritisierte die bis heute nicht erfolgte Weitergabe von Informationen an die Nebenklage, die im Gegensatz dazu an Teilhaber*innen und Direktoren von DESA weitergeleitet wurden. GAIPE konstatiert auch eine „vorsätzliche Fahrlässigkeit“ der Finanzpartner, darunter die holländische Entwicklungsbank FMO und Finnfund. Diese hätten vorab Kenntnis der Strategien von DESA erhalten, Studien von Menschenrechtler*innen und internationalen Berater*innen aber ignoriert. Angemessene Maßnahmen zum Schutz der Rechte der indigenen Gemeinden, die von dem Staudammbau betroffen sind, hätten sie nicht ergriffen. FMO und Finnfund wiesen öffentlich „jede Behauptung von Ungesetzlichkeit in unserer Beteiligung an irgendeinem Projekt“ zurück.
Die strafrechtlichen Ermittlungen sind weiterhin nicht abgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft in Honduras bestätigte, dass die Auftraggeber des Mordes noch nicht identifiziert wurden. DESA reagierte nicht auf den Bericht von GAIPE, wies aber bisher jede Verantwortung für die Gewalt gegen COPINH und den Mord zurück. Der Bau des Staudamms ist seit Juli 2017 für unbestimmte Zeit ausgesetzt, nachdem sich Finnfund und FMO von dem Projekt zurückgezogen hatten.

 

DIFFAMIERUNG STATT AUFKLÄRUNG

Ein Jahr ist seit dem Mord an Berta Cáceres vergangen. Der Schock über den Verlust und die grausame Tat ist längst nicht überwunden. Berta Cáceres war eine nicht nur in Honduras herausragende Persönlichkeit, die sich schwer in Kategorien einordnen ließ. Sie war mehr als eine Umweltschützerin oder Menschenrechtsverteidigerin, sie war Kämpferin für indigene Rechte, Feministin, Antikapitalistin. Sie hatte den Zivilen Rat für Indigene und Basisbewegungen Honduras (COPINH) maßgeblich mit aufgebaut und dafür gesorgt, dass nicht nur die Verteidigung der Territorien der indigenen Gruppe der Lenca auf dem Programm stand, sondern auch ein kritischer Umgang mit patriarchalen Strukturen innerhalb der eigenen Organisation. Sie war trotz all ihrer Reisen am liebsten vor Ort in den Lenca-Gemeinden.

Die Botschaft der Mörder bleibt: Wenn wir Berta töten können, können wir jeden töten.

„Sie haben geglaubt, dass sie auf diese Art nicht nur die in Lateinamerika und weltweit bekannte Führungspersönlichkeit vernichten, sondern zugleich auch die Idee, den Kampf, das politische Projekt und die Organisation COPINH, dessen Mitbegründerin und Tochter Berta war“, schreibt COPINH über die Intention der Mörder. Gelungen ist ihnen das nicht, nach wie vor fordern solidarische Gruppen weltweit Gerechtigkeit für Berta. Berta Cáceres’ Name fand sich bereits im Jahr 2013 auf einer Todesliste. Sie erhielt über die Jahre eine Vielzahl von Morddrohungen. Viele glaubten, dass man es nicht wagen würde, Berta Cáceres zu ermorden, weil sie zu bekannt war. Doch in der Nacht vom 2. auf den 3. März 2016 erschossen Auftragsmörder sie in ihrem eigenen Haus. Der Zeuge Gustavo Castro, mit dessen Anwesenheit die Mörder nicht gerechnet hatten, wurde angeschossen. Er überlebte, weil er sich tot stellte. Die schockierende Botschaft der Mörder an die Öffentlichkeit bleibt: Wenn wir Berta töten können, können wir jeden töten. In dem Jahr seit Bertas Tod wurden weitere Menschenrechts- und Umweltaktivist*innen ermordet: Nelson García und Lesbia Urquía von COPINH, José Ángel Flores und Silmer Dionisio George von der Bauernbewegung MUCA, José Santos Sevilla, aus der Führung des indigenen Volks der Tolúpan. Honduras ist, wie die internationale NGO Global Witness in ihrem Ende Januar erschienenen Bericht feststellt, das gefährlichste Land weltweit für Umweltschützer*innen und Kämpfer*innen für Landrechte. Der Mordfall Berta Cáceres droht sich als beispielhaft für eine Gesellschaft zu erweisen, in der Morde und Attentate durch die höchsten politischen und wirtschaftlichen Kreise gedeckt werden.

Global Witness stellt aktuell fünf Fälle von Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit Landkonflikten ausführlich dar und benennt Mitverantwortliche aus Politik, Wirtschaft und Militär. Seither läuft eine Diffamierungskampagne gegen die Verfasser*innen des Berichts sowie gegen die Gemeinden und Organisationen, die Informationen dazu beigetragen haben. Einmal mehr handeln die honduranischen Autoritäten nach dem Motto: diffamieren und kriminalisieren anstatt ernsthaft zu ermitteln. Am 8. Februar 2017 wurde Óscar Aroldo Torres Velásquez als achter Tatverdächtiger im Mordfall Berta Cáceres verhaftet. Er soll derjenige sein, der auf den einzigen Zeugen Gustavo Castro geschossen hat. Zwei der Beschuldigten haben Verbindungen zum Staudammunternehmen Desarrollos Energéticos S.A. (DESA), das für den Bau des von COPINH abgelehnten Wasserkraftprojekts Agua Zarca auf indigenem Territorium verantwortlich ist. Vier der Beschuldigten sind Militärs oder Ex-Militärs.

Bereits im Juni 2016 sprach ein weiterer ehemaliger Militärangehöriger gegenüber der Zeitung The Guardian von einer Todesliste, auf der Cáceres’ Name gestanden habe. Im September 2016 entdeckten Mitglieder von COPINH einen Militärspion in ihren Reihen, der Informationen über ihre Aktivitäten an das Präsidialamt schickte. „DESAs Verflechtungen mit dem honduranischen Militär reichen bis in die obersten Ränge. Dem Unternehmensregister zufolge, in das Global Witness Einsicht hatte, ist DESAs Präsident Roberto David Castillo Mejía ein ehemaliger Geheimdienstoffizier und Angestellter des staatlichen Energieunternehmens Empresa Nacional de Energía Eléctrica“, so Global Witness. Bereits 2009 habe es Indizien für korrupte Geschäfte Castillos gegeben. Unter anderem bezog er noch ein Gehalt der Armee, nachdem er dort ausgeschieden war und verkaufte überteuerte Waren an seinen ehemaligen Arbeitgeber. In DESAs Vorstand sitzen Vertreter der gut vernetzten wirtschaftlich-politischen Elite wie Ex-Minister Roberto Pacheco Reyes oder der Präsident der Bank BAC Honduras, Jacobo Nicolás Atala Zablah, der zu einer der reichsten und einflussreichsten Familien des Landes gehört.

Die international investigativ tätige NGO Global Witness zeigt sich in ihrem Bericht davon überzeugt, dass die Auftraggeber*innen im Mordfall Cáceres in der gesellschaftlichen Hierarchie weiter oben stehen als die bisher Verhafteten. Die Verfasser*innen der Recherchen halten es jedoch für unwahrscheinlich, dass die Hintermänner gefasst werden, wenn sie wirklich Verbindungen in die oberen Ebenen des Staudammprojekts oder des Militärs besitzen.

Nicht nur im Mordfall Berta Cáceres hat Global Witness belastendes Material gegen führende Unternehmer*innen, Politiker*innen oder Militärs zusammengetragen, etwa gegen die Vorsitzende der Nationalen Partei, Gladis Aurora López. So ist die Diffamierungskampagne, die bereits vor der Vorstellung der Studie begann, kaum verwunderlich. Es tauchten manipulierte Plakate im Internet auf, auf denen die Lenca- Organisationen MILPAH und COPINH, das Honduranische Zentrum zur Förderung der Gemeindeentwicklung CEHPRODEC sowie die NGO Global Witness bezichtigt werden, Honduras in Misskredit zu bringen sowie ökonomisch davon zu profitieren. Auf einem solchen Plakat abgebildet ist unter anderem Berta Isabel Zúñiga, Tochter von Berta Cáceres. Während eines Auftritts in der Fernsehtalkshow Frente a frente wurden Billy Kyte von Global Witness sowie zwei Vertreter von MILPAH als „Lügner“, „Entwicklungsfeinde“ und „Feinde des honduranischen Volkes“ verbal attackiert. Der Staatssekretär für Energie, Ressourcen, Umwelt und Bergbau, José Antonio Galdames, forderte in einem Telefonanruf während der Sendung, dass die Staatsanwaltschaft Kyte verhaften solle.

Auch dem Mord an Berta Cáceres war eine Diffamierungskampagne vorausgegangen, in der die Koordinatorin des COPINH der Lüge bezichtigt wurde und COPINH-Mitgliedern Vandalismus unterstellt wurde. Besonders im Monat vor dem Mord häuften sich die Diffamierungen. Global Witness betonte nach der jüngsten Rufmordkampagne, dass ihre Mitarbeiter* innen durchaus ein positives Bild der honduranischen Bevölkerung hätten: „In der vergangenen Woche haben uns die Führungspersonen der Gemeinden und der Indigenen erneut inspiriert, die Frauen und Männer, die die Menschenrechte verteidigen, die Mitglieder der Nichtregierungsorganisationen. Sie sind Heldinnen und Helden. Wenn der Regierung ein besseres Honduras wirklich am Herzen liegen würde, würde sie deren Sicherheit garantieren und ihre Stimmen anhören.“

SHOWDOWN OLYMPIAHALLE

Am 1. Februar 2017 fand die Jahreshauptversammlung der Siemens AG statt. Tausende Aktionär*innen konnten zuhören, wie sich der Vorstand selbst für ein erfolgreiches Geschäftsjahr beglückwünschte. Doch die Aktionär*innen konnten auch ihre Fragen an den Vorstand stellen und Kritik üben.

Genau das tat ein Bündnis von NGOs, ausgestattet mit Rede- und Stimmrecht vom Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre. Sie äußerten ihre Kritik an der mangelhaften menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht der Siemens AG, zu der die Firma nach den UNLeitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte verpflichtet ist.

Mit dabei war Tomás Gómez Membreño vom Indigenen und Volksrat von Honduras, COPINH. Gómez Membreño ist der Nachfolger der am 2. März 2016 ermordeten Koordinatorin des COPINH, Berta Cáceres. Er thematisierte in seinem Redebeitrag die Beteiligung von Siemens (über sein Joint Venture mit der Voith GmbH, VoithHydro) am Wasserkraftwerkprojekt Agua Zarca in Honduras. Das Kraftwerkprojekt wurde auf illegale Weise genehmigt, die betroffene indigene Bevölkerung wurde nicht angemessen konsultiert. Berta Cáceres war ermordet worden, weil sie maßgeblich den Protest gegen dieses Kraftwerk organisiert hatte (siehe LN 502).

Tomás Gómez machte den Siemens- Vorstandschef Joe Kaeser darauf aufmerksam, dass Aktivist*innen sein Unternehmen bereits 2013 auf die Repressionen und Menschenrechtsverbrechen hingewiesen hatten, die im Kontext dieses Projektes von Sicherheitskräften und Mitarbeiter*innen der Firma Desarrollos Energéticos S.A. (DESA) begangen werden. Dennoch verblieb das Unternehmen in dem Geschäft. Tómas Gómez machte deshalb Siemens mitverantwortlich für die Morde, die an Berta Cáceres und anderen Aktivist*innen des COPINH in den letzten Jahren begangen worden sind.

Darauf entgegnete Joe Kaeser, dass er mit Uwe Lienhard, Chef von Voith, übereingekommen sei, alle Lieferungen von VoithHydro nach Honduras zu stoppen. Dies sei im Frühjahr 2016 passiert. Er räumte aber auch ein, dass Siemens als Miteigner von VoithHydro eine Mitverantwortung habe, dafür zu sorgen, dass an den Maschinen „kein Blut klebe“. Das Prozedere der Jahreshauptversammlung erlaubte es den Aktivist*innen um Tomás Gómez nicht, eine Erwiderung auf Kaesers Antwort zu geben. Zu sagen wäre gewesen, dass Kaeser nicht auf die Tatsache einging, dass VoithHydro an seiner Beteiligung am Wasserkraftprojekt Agua Zarca festhielt, obwohl Siemens und Voith bereits seit 2013 von Aktivist*innen mehrfach auf bestehende Menschenrechtsprobleme hingewiesen worden waren.

VoithHydro hat sich darauf verlassen, dass die Lizenzvergabe für das Wasserkraftprojekt schon seine Ordnung habe. In einem Land wie Honduras ist dies bestenfalls naiv und geht an der Realität vorbei, da die rechtsstaatlichen Institutionen in dem Land völlig dysfunktional sind. Sich bei seinem unternehmerischen Handeln auf diese schwachen Institutionen zu verlassen, widerspricht dem Geist der UN-Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte. Antworten konnten die NRO-Vertreter*innen auf Kaesers Einlassungen nicht; aber sie konnten mit ihren Stimmkarten dagegen stimmen, dass der Vorstand entlastet wird. Dem schlossen sich aber nur weniger als ein Prozent der Stimmberechtigten an.

DAS TÖTEN NIMMT KEIN ENDE

Jose Angel Flores und Silmer Dionosio George verließen gerade ein Treffen der Vereinigten Bewegung der Kleinbauern im Aguan (MUCA), als bewaffnete Männer das Feuer eröffneten. Beide starben bei dem Attentat. Angel Flores war Präsident des MUCA, George ein Koordinator der Bewegung in der Region Bajo Aguán, die in besonderem Maße vom agroindustriellen Anbau von Palmöl betroffen ist. Beide waren von der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) schon länger als „gefährdet“ eingestuft worden, so dass der honduranische Staat eigentlich dafür verantwortlich war, ihr Leben durch geeignete Sicherheitsmaßnahmen zu schützen. Eigentlich.
Tomás Gómez Membreño, seit der Ermordung der Menschenrechtsverteidigerin Berta Cáceres am 3. März dieses Jahres Koordinator der indigenen Organisation COPINH, fuhr am 9. Oktober einen Wagen von COPINH, als Unbekannte das Feuer  auf ihn eröffneten. Gómez überlebte das Attentat nur mit viel Glück. Bereits im Morgengrauen desselben Tages hatten Unbekannte das Haus beschossen, in dem Alexander García, lokaler Koordinator von COPINH, mit seiner Frau und seinen Kindern schlief. Nur durch Zufall wurde niemand verletzt. COPINH wehrt sich seit mehreren Jahren friedlich gegen die Errichtung des Wasserkraftwerks Agua Zarca, das mit internationalen Krediten finanziert wird. Auch für Gómez und García hatte die CIDH geeignete Schutzmaßnahmen gefordert.
Am 30. Oktober verließ Fernando Alemán Banegas eine Diskothek in der Stadt Ceiba, als ein Bewaffneter unvermittelt auf ihn schoss. Der 28-Jährige war der Sohn von Esly Emperatriz Banegas, Präsidentin der Koordination der Basisorganisationen von Aguan (COPA). Sie war an demselben Tag von der oppositionellen Partei LIBRE (Libertad y Refundación) als Kandidatin für das Bürgermeisteramt in Tocoa nominiert worden. Esly Banegas steht für eine kritische Haltung gegenüber internationalen Bergbau-Unternehmen und hat im April dieses Jahres an den öffentlichen Anhörungen der Interamerikanischen Menschenrechtskommission teilgenommen. Bereits seit längerem erhält sie Todesdrohungen gegen sich und ihre Familie, ihr Haus wurde dauerhaft überwacht, Unbekannte verfolgten sie. Auch für den Schutz von Esly Banegas war der honduranische Staat nach Anordnung von Schutzmaßnahmen durch die Interamerikanische Menschenrechtskommission in besonderem Maße verantwortlich.
Drei verschiedene Komitees der Vereinten Nationen haben in diesem Jahr die Menschenrechtslage in Honduras untersucht: Das Komitee für ökonomische, kulturelle und soziale Rechte, das Komitee gegen Folter und das Komitee zum Schutz der Rechte aller Arbeitsmigranten und ihrer Familien. In den Anhörungen fragten die UN-Expert*innen insbesondere nach den Maßnahmen des honduranischen Staates, um die Arbeit und die Sicherheit von Menschenrechtsvertei­diger*innen zu garantieren. Die staatliche Antwort: Die Arbeit der Menschenrechtsverteidiger*innen werde anerkannt, das Gesetz zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen sei verabschiedet und implementiert und die 38 Personen, die Schutzmaßnahmen bis Juni 2016 beantragt hätten, würden ausreichend geschützt.
Wie die honduranische Menschenrechtsorganis­tion COFADEH angesichts der jüngsten Mordfälle in einem offenen Brief feststellte, „hat sich dieser Mechanismus als wenig effektiv erwiesen, da sowohl ausreichende Ressourcen fehlen als auch keine konkreten und spezifischen Maßnahmen ergriffen werden, um die gefährdeten Personen zu schützen; ohne Risiko-Analyse wird allein mit Notmaßnahmen reagiert und nicht mit einem professionell geplanten Schutz.“ 170 internationale Organisationen und 16 Wissenschaftler*innen haben am 26. Oktober einen Appell der Internationalen Plattform gegen Straflosigkeit unterzeichnet, in der die zuständigen staatlichen Stellen in Honduras aufgefordert werden, endlich die Sicherheit von Menschenrechtsverteidiger*innen im Land zu garantieren.
Doch die honduranischen Behörden handeln vor allem dann professionell und entschlossen, wenn es darum geht, das Land vor einem „Imageschaden“ zu bewahren. Der internationale Menschenrechtsbeobachter Luis Díaz de Terán López wollte am 25. Oktober aus Spanien über den internationalen Flughafen in Tegucigalpa in Honduras einreisen. López hat in den vergangenen Monaten die Arbeit von COPINH, die auch nach dem Tod von Berta Cáceres ständig Repression und gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt war, über einen längeren Zeitraum begleitet. Er wollte nach Honduras zurückkehren, um die Begleitung als internationaler Menschenrechtsbeobachter wieder aufzunehmen. Unmittelbar vor der Einreise wurde López jedoch festgenommen und umgehend nach El Salvador und anschließend nach Kolumbien deportiert; von wo aus er nach Spanien zurückkehrte. Während der Verweigerung der Einreise wurde ihm die Unterstützung durch Anwält*innen der honduranischen Menschenrechtsorganisation C-Libre verwehrt. Die Regierung beschlagnahmte unter anderem die Festplatte seines Computers und sein Handy. Der Vorwurf: López schädige das Image des Landes.
Eine Image-Offensive hat auch Präsident Juan Orlando Hernández gestartet: Er nahm eine US-amerikanische PR-Firma unter Vertrag und reiste in den vergangenen vier Monaten viermal in die USA. Offensichtlich erfolgreich: Am 30. September bescheinigte das US-amerikanische State Department dem honduranischen Staat, effektive Maßnahmen zur Verbesserung der Menschenrechtslage durchgeführt zu haben. Damit wurde der Weg frei für die Zahlung von Hilfsgeldern in Höhe von 55 Millionen US-Dollar.
Im US-amerikanischen Abgeordnetenhaus formiert sich allerdings Widerstand gegen die unabhängig davon seit dem Militärputsch 2009 stetig erhöhte Hilfe für Militärausgaben. Nicht nur im Fall des Mordes an Berta Cáceres ließ sich eine Verbindung zwischen der Ermordung von Men-schenrechtsverteidiger*innen und dem Militär oder spezieller Polizei-Einheiten belegen. Im Juni 2016 brachten 42 Kongress-Abgeordnete das „Berta Cáceres Menschenrechte in Honduras“ – Gesetz HR5474 im Parlament ein. Einmal angenommen, würde das Gesetz die Finanzierung und Unterstützung des honduranischen Militärs und der nationalen Polizei ebenso beenden, wie die Finanzierung von Mega-Projekten, die gegen die Wünsche der Bevölkerung durchgesetzt werden. Die Unterstützung für HR5474 im Abgeordnetenhaus wächst.
Die Ermittlungsakten im Mordfall Berta Cáceres wurden derweil am 29. September aus dem Wagen eines staatlichen Justizangestellten gestohlen und sind seither nicht wieder aufgefunden worden. Es gibt in Honduras offensichtlich viele Wege, Straflosigkeit statt Strafverfolgung zu garantieren.

“DIESEM MEXIKANER SCHIEBEN WIR DAS IN DIE SCHUHE”

„Niemand ahnte, dass ich dort sein würde“. Nahezu Minute für Minute erzählt Gustavo Castro die Tage und Stunden nach, während derer er mehr als Verdächtiger denn als Opfer betrachtet wurde. In der Nacht, in der er Zeuge der Ermordung von Berta Cáceres wurde, wurde er selbst von einer Kugel getroffen. Abgesehen von dem Schmerz und dem Risiko, dem er sich ausgesetzt sah, ist er dankbar, an diesem Morgen vor genau sechs Monaten vor Ort gewesen zu sein. Wäre es nicht so gewesen, wäre er nicht Zeuge an der Ermordung der anerkannten Aktivistin geworden. „Dann wäre es unmöglich, die offizielle Version der Ereignisse zu widerlegen. Sie hätten sich alles Mögliche ausdenken können“, erklärt der Umweltaktivist in der Zentrale von Amnesty International Spanien. „Aber es ist ihnen nicht gelungen. Ich war dort“.

Es sind nun sechs Monate seit der Ermordung von Berta Cáceres vergangen. Was sind Ihre Erinnerungen an jenen Tag, als die Mörder in das Haus in dem Ort La Esperanza eindrangen, in dem Sie beide sich aufhielten?
Es war 20 Minuten vor Mitternacht. Alles war ganz ruhig. Einer der Männer ging in Bertas Zimmer, der andere in meins, obwohl sie nicht davon ausgehen konnten, dass ich da war. Niemand wusste das. Auf mich wurde geschossen, die Kugel streifte meine Hand und mein Ohr (zeigt die Narben an seinem linken Ohr und der linken Hand). Als sie gingen, schrie Berta aus ihrem Zimmer nach mir. Ich verließ verletzt mein Zimmer und eilte zu ihr. Eine Minute darauf starb sie.
Ich begann, die Leute von COPINH (Zivile Kommission Sozialer und Indigener Organisationen von Honduras, Anm. d. Red.) anzurufen, aber niemand nahm ab, sie schliefen alle. Ich habe Leute aus Mexiko kontaktiert, um Mitternacht, die legten los, um jemanden von der COPINH zu erreichen, damit ich dort rausgeholt werde. Um Viertel nach zwei haben sie mich aus Bertas Haus geholt. Wir warteten in einem Pick-up mit brennenden Scheinwerfern, Polizei und Militär kamen. Aber die Staatsanwaltschaft rief mich an und sagte, ich solle nicht mit der Polizei mitgehen, bis sie selbst da sei.

Hatten Sie Angst, sie wüssten, dass Sie am Tatort waren?
Als die Polizei zum Haus kam, haben sie gemerkt, dass jemand dort gewesen ist, sie sahen das Blut, da stand mein Koffer, mit Namen. Sie kannten schon die Identität des Zeugen, sie wussten bereits, dass ich es war.
Sie haben nicht erwartet, mich dort anzutreffen. Sie haben Berta überwacht, aber in dieser Nacht bin ich einfach spontan geblieben. Ich musste an etwas arbeiten und Berta hat mir gesagt, ich könne bleiben und die Internetverbindung nutzen. Und jetzt, sechs Monate danach, bin ich immer mehr davon überzeugt, dass sie einen sauberen Mord durchführen wollten. Dann, wenn sie allein zu Hause ist, so dass jede mögliche Erklärung des Mordes glaubwürdig oder sehr schwer zu widerlegen gewesen wäre.
Man hätte sagen können, es wäre ein Raub oder ein Überfall gewesen. Es war das perfekte Szenario. Aber ich war da und sie haben es nicht fertig gebracht, mich zu ermorden, darum greifen sie auf ihre anderen Pläne zurück.

Die Polizei ging anfänglich davon aus, dass es Mitglieder von COPINH gewesen seien. Warum glauben Sie, wollten die Polizei sie anschuldigen?
Das war ihr Plan B. Die Polizei nahm mich mit, um meine Aussage aufzunehmen. Sie hatten bereits ein Mitglied von COPINH festgenommen, sie sperrten ihn ein als ob er verdächtigt würde, aber davon wusste ich noch nichts. Zu dem Zeitpunkt war ich bei der Polizei und sprach mit dem Phantomzeichner. Er zeichnete mit dem Computerprogramm eine Person, die nicht auf meine Beschreibung passte.
Ich sagte zu ihm: Das ist nicht die Person, die ich gesehen habe, das ist jemand anderes. Er hat alles gelöscht und nochmal genau dieselbe Person gezeichnet. Es wurde mir erst nachher klar, aber er zeichnete Aureliano. Er hat das Mitglied von COPINH gezeichnet, das sie bereits in Gewahrsam hatten. Ich wusste das nicht, ich kannte ihn ja nicht. Es wurde mir erst Tage später klar, als ich sein Foto in der Zeitung sah.
Meine Aussage passte einfach nicht mit dem zusammen, was die versucht haben daraus zu machen. Das zeigt doch, dass sie die klare Absicht hatten, Leute von COPINH mit dem Mord in Verbindung zu bringen. Aber das schaffen sie nicht.

Glauben Sie, sie wollten ihnen den Mord an Berta anhängen?
Das war ihr Plan C, nach dem Motto: Diesem Mexikaner schieben wir das in die Schuhe. Ich war mir der Tatsache bewusst, dass die Militärs, die Polizei, eben die Killer, nur darauf warteten, zu Ende zu bringen, was sie angefangen hatten. Mit jedem weiteren Tag, den ich in La Esperanza verbrachte, stieg das Risiko. Ich habe zwei Tage nicht geschlafen, zwei Polizisten überwachten meine Unterkunft, aber das hätten auch dieselben sein können, die vorher Berta zugesetzt haben.
Zwei Tage nach dem Mord durfte ich gehen. Aber am nächsten Morgen baten sie mich freundlich, noch für eine Überprüfung zu bleiben. Das tat ich. Sie wollten eine weitere Rekonstruktion der Ereignisse. Als sie fertig waren, das war im Morgengrauen gegen vier oder fünf Uhr, sagten sie mir, jetzt könne ich gehen. Die Botschaft (von Mexiko, Anm. d. Red.) organisierte mir den Flug, aber noch bevor ich einsteigen konnte, tauchten mehrere Chef-Ermittler und Polizisten auf und blockierten den Einstieg. Ich fragte sie, wer sie seien, aber sie sagten es mir nicht. Sie antworteten lediglich: „Sie dürfen nicht gehen“. „Warum?“ „Sie dürfen nicht gehen”, wiederholten sie, ohne irgendetwas vorzuzeigen, nicht mal einen Ausweis. Es war eine Entführung.
Danach schlug die Botschafterin, die das Ganze nicht glauben konnte, vor, dass wir zur Botschaft gehen. Sie hinderten mich am Verlassen des Flughafens und sagten, dass ich mit ihnen gehen müsse, ohne Begründung. Da ich nicht bereit war, in ihr Auto zu steigen, drohten sie damit, mich festzunehmen.
Die Botschafterin und der Konsul hakten sich rechts und links bei mir unter und sagten: „Diplomatischer Schutz. Von hier bewegt er sich nicht weg”. Gegen die Botschafterin und den Konsul unternahmen sie natürlich nichts, das trauten sie sich nicht, darum ließen sie mich schlussendlich zur Botschaft gehen.

Sie durften das Land 30 Tage lang nicht verlassen.
Sie wollten mich als Kriminellen hinstellen, mir den Mord in die Schuhe schieben und mich dort behalten, falls es ihnen gelänge. Danach wies meine Anwältin das Gericht auf diverse juristische Ungereimtheiten hin, woraufhin die Richterin veranlasste, dass meine Anwältin an der Ausübung ihres Berufes gehindert wurde.
Diese Zeit war für mich sehr belastend, jeden Moment hätten sie mit fadenscheinigen Begründungen kommen und mich mitnehmen können. Sie versuchten sogar, meine Schuhe mit den Abdrücken an der von den Mördern eingetretenen Eingangstür in Verbindung zu bringen.

Im Moment sind fünf Personen verhaftet, unter ihnen ein Militärangehöriger, ein Manager und ein Arbeiter der Firma DESA (AG Energetische Entwicklung). Glauben Sie, dass das alle sind?
Nein, aber es blieb ihnen ja keine andere Möglichkeit. Alle sind daran beteiligt: Die Firma, das Militär, die Killer, die Richter … Sie haben die Unbedeutendsten geopfert, für sie das geringste Übel. Wir sind der Überzeugung, dass es noch mehr Beteiligte gab. Sie haben nicht allein gehandelt, dieser Killer war nicht allein, es gab noch mehr. Es sind Amtsträger der honduranischen Regierung daran beteiligt, einflussreiche honduranische Familien.

In der Nacht des Attentates an Berta konnten Sie das Gesicht des Killers sehen, der auf Sie geschossen hat. Haben Sie ihn als einen der fünf Verhafteten wiedererkannt?
Die Regierung hat mich bisher nicht dazu aufgefordert, an einer Gegenüberstellung mit den Beschuldigten teilzunehmen. Sie wurden aufgrund sehr schwacher Beweisen verhaftet, wohl wissend, dass sie somit im Laufe eines Jahres wieder frei sein werden. Und, ich wiederhole, es gibt noch mehr Beteiligte. Der Leiter der honduranischen Staatsanwaltschaft ist Partner in der Anwaltskanzlei, deren Klient die Firma DESA ist.

Der Name von Berta Cáceres tauchte nach Informationen von The Guardian auf einer Todesliste des Militärs auf. Wissen Sie, ob die Ermittlungsbehörden dem nachgehen?
Soweit wir wissen, wurde diesbezüglich nicht ermittelt. Da die Information von einem der mutmaßlichen Killer stammt, wollte die Regierung nicht weiter bohren.

Warum ist es so riskant, sich für Umweltbelange einzusetzen?
Es geht um Geschäfte, bei denen Millionen und Abermillionen auf dem Spiel stehen. Wir sprechen hier von Gas, von Fracking, Strom, von Kontrolle und Zugang zu Wasser, von Agrarprodukten und deren Export, von Holz, von Zellstoffen … Von einer großen Anzahl an Produkten, die für den Konsum in Europa und den USA vorgesehen sind. Damit aber das Unternehmen investiert, musst du die Regularien in deinem Land abschaffen. Während früher die Parlamente ausländischen Investoren den Zugang zu Stränden, zu Küstengebieten und zum Öl im Sinne des Gemeinwohls verweigerte, werden heutzutage die Gesetze geändert, um solche Güter privatisieren zu können. Das ruft eine Konfrontation zwischen der Bevölkerung, die ihre natürlichen Ressourcen verteidigt, und der Regierung, die nicht bereit ist, Abfindungen für Gewinnausfälle zu zahlen, hervor.
Freihandelsabkommen zwingen die Regierungen dazu, ihre Gesetze für Investitionen ohne größere Hürden anzupassen. Wenn sie das nicht tun, oder einem Unternehmen die Konzession aufgrund von Verstößen gegen die Menschenrechte, illegaler Abholzung oder Umweltverschmutzungen entziehen, kann die Firma sie verklagen. Ein Schiedsgericht entscheidet dann über eine Abfindung der Regierung an das Unternehmen. Die Regierungen wollen es vermeiden, überhaupt an diesen Punkt zu gelangen. Diese Schlussfolgerung wird selten wahrgenommen. Wir sehen nur den Aktivisten, der ankommt, verprügelt wird, ermordet wird, und wir wissen nicht warum. Arme Schweine.

Diese Situation führt dann dazu, dass Umweltaktivist*innen verstärkt unter Druck gesetzt werden?
Von Seiten multinationaler Unternehmen wird sehr starker Druck ausgeübt. Die Regierung sagt sich: Für mich ist es günstiger, Menschen zu unterdrücken, als den Unternehmen die Konzessionen zu entziehen. Die sind für den Abbau von Gold, Silber und den Anbau von Monokulturen… Dann werden die Gesetze in Lateinamerika so angepasst, dass Gegenproteste kriminalisiert werden. Ich gehe auf die Straße, weil ich ohne Wasser dastehe und das wird zu einem Verbrechen gemacht, zu einem Terrorakt, zu einem Raub natürlicher Ressourcen. Weil du Investitionen im Wege stehst.

Für Sie sind dementsprechend auch Freihandelsabkommen für den Tod von Berta Cáceres verantwortlich?
Freihandelsabkommen sind der Mechanismus. Transnationale Unternehmen wollen um jeden Preis an die Ressourcen ran und die Regierungen, die so etwas zulassen, sind mitverantwortlich an der Ermordung von Aktivisten wie Berta Cáceres. Freihandelsabkommen nehmen diese Länder an die Leine, damit Verletzungen gegen die Menschenrechte zugelassen werden.

Inwieweit hat die Ermordung von Berta diesen Kampf beeinflusst?
Der Mord an Berta machte einige unterbewusste Erkenntnisse bewusst. Auch wenn Auszeichnungen wie der Goldman-Preis oder Menschenrechtspreise bedeutend sind, werden durch sie nicht die Leben der Aktivisten geschützt. Es ist auch nicht ausreichend für uns, dass staatliche Organe zum Schutz von Menschenrechten uns eigentlich schützen sollen. Sie sind schließlich Teil derselben Regierung, die uns beschützen soll, aber das nützt nichts. Das ist eine sehr bittere Botschaft, nicht nur für Lateinamerika, sondern für alle. Berta sendet uns aber auch eine klare Botschaft: Menschheit, wach auf! Berta ist nicht gestorben, sie hat sich vervielfacht: Es ist beeindruckend, wie sie sich überallhin verteilt hat. Wir begraben Berta nicht. Wir säen sie. Sie hat überall zu blühen begonnen.

Newsletter abonnieren