Ein historischer Sieg für den Erhalt des Yasuní

Sieg für die Artenvielfalt Das Erdöl im Yasuní-Nationalpark bleibt im Boden (Foto: Vince Smith via Flickr (CC BY 2.0))

Mit der Entscheidung über die Zukunft des Yasuní, einem Nationalpark im tiefsten Regenwald des Landes, hat sich die Mehrheit der Ecuadorianer*innen für den Schutz der Natur ausgesprochen. Bei der Abstimmung am 20. August hat das „Ja” gewonnen, somit wird die Ausbeutung des Blocks 43 im Yasuní-Nationalpark gestoppt. Erwähnenswert ist außerdem, dass die Zustimmung zum Verbot des kleinen, mittleren und großen Bergbaus in der andinen Region Chocó nahe der Hauptstadt Quito bei über 68 % lag.

Trotz des klaren Ergebnisses äußerte sich Energieminister Fernando Santos Alvite skeptisch gegenüber den Auswirkungen der Abstimmung. Nur drei Tage nach dem Referendum teilte er mit, dass „die Regierung vorerst nicht an das Ergebnis des Referendums gebunden sein werde“ – eine Aussage, die im Lager derjenigen, die für das Ende der Öl-Förderung gestimmt haben, für Aufruhr sorgte. „Der Kommentar des Energieministers ist antidemokratisch. Hiermit versucht er sich gegen den Willen eines ganzen Landes zu stellen”, so Paola Ortiz Jaramillo von Yasunidos Cuenca, gegenüber LN. Alvite stützt sich bei seiner Aussage auf die Umfrageergebnisse in der Provinz, in der sich der Nationalpark befindet, in dem die Mehrheit der Menschen dafür gestimmt hat, das Öl in der Region weiter zu fördern.

Dass Alvite sich gegen die Ergebnisse der Abstimmung positioniert, ist keine Überraschung. In einem Interview mit der Zeitschrift Primicias im Juni 2023 bezeichnete er einen möglichen Erfolg der „Ja”-Kampagne als „ökonomischen Selbstmord”. Laut Ortiz spiegelt Alvites Warnung die Ansichten der Lasso-Regierung wider, die Ecuadors wirtschaftliche Stärke im Abbau von fossilen Brennstoffen und anderen Rohstoffvor- kommen sehen.

Seit 2013 ist der ITT-Block 43 Teil des Spannungsfeldes zwischen Regierung, industriellen Interessen der Erdölindustrie, indigenen Gemeinden und Umweltorganisationen. Damals kündigte der ehemalige Präsident Rafael Correa an, Förderlizenzen an die Erdölindustrie zu vergeben, obwohl er sich verpflichtet hatte, diesen Nationalpark zu schützen. Der Regenwald des Yasuní ist nicht nur eines der artenreichsten Gebiete der Erde. Er beherbergt drei indigene Gemeinschaften, die Huaorani, die Tagaeris y Taromenanes, die von den natürlichen Ressourcen im Nationalpark leben und von saisonal überschwemmten Feuchtgebieten abhängig sind. Bereits nach dem die ersten explorativen Forschungen im Block 43 im Jahr 2014 genehmigt wurden, berichteten Anwohner*innen der Region für die LN über Umweltverschmutzungen infolge der Ölförderung.

Die Zustimmung zum Bergbauverbot lag bei über 68 Prozent

Als Reaktion auf Correas Entscheidung schlossen sich indigene Aktivist*innen, Feminist*innen und Umweltkollektive aus mehreren Provinzen Ecuadors zusammen und gründeten Yasunidos. Seit seiner Gründung hat das Kollektiv zusammen mit anderen Akteur*innen, wie dem indigenen Dachverband CONAIE, versucht, Unterschriften zu sammeln, um eine Abstimmung zu fordern, in der die Bevölkerung über die Zukunft des Yasuní entscheiden sollte.

Zehn Jahre und drei Regierungen später hat Yasunidos die Umsetzung des Volksentscheids erreicht. Doch der Kampf um den Schutz des Yasuní ist damit nicht beendet. Umweltaktivist*innen leisteten weiter wichtige Aufklärungsarbeit, vor allem durch Präsenz in sozialen Medien. „Der Nationale Wahlrat (CNE) hat die Abstimmung mit der Präsidentschaftswahl zeitlich zusammenfallen lassen, was uns Zeit gekostet hat“, erklärte Paola, von Yasunidos Cuenca, im Gespräch mit LN. Der Kampf um den Yasuní hat sich in den letzten Jahren etwas abgekühlt. Das Kollektiv musste dafür kämpfen, das Interesse der Menschen für das Thema überhaupt wieder zurückzugewinnen. Paola zufolge sei der Kampf gegen Fakenews die dringendste Arbeit. Das bestätigt Pedro Bermeo, Sprecher von Yasunidos, gegenüber dem Online-Medium GK: „Die Öl- und Bergbauindustrie, sowie die gesamte Rohstoffbranche, haben die Mainstream-Medien genutzt, um zahlreiche Falschdarstellungen zu verbreiten”. Auch lokale Medien hätten ihm zufolge vor allem die Positionen der Regierung und der Ölfirmen wiedergegeben, ohne die Sichtweise der Umweltschützer miteinzubeziehen.

Am 24. August gab es eine offizielle Stellungnahme des Generalsekretariats für Kommunikation der Präsidentschaft (Segcom), in der betont wurde, dass die Exekutive sich an die Mehrheitsentscheidung der Bevölkerung halten werde. Jedoch gibt es auch andere Amtsträger und Mitglieder aus dem Privatsektor, die dem Vorbild des Energieministers nacheifern und die Rechtmäßigkeit des Referendums in Zweifel ziehen. Augusto Tandazo, Rechtsanwalt für Erdölrecht, schließt sich der Herangehensweise von Alvites an und sucht, bei einem Interview des YouTube Kanals Ingobernables, nach einer Lücke in der Verfassung, um die Legitimität der Ergebnisse und die Abstimmung selbst, infrage zu stellen.

„Es ist wichtig, dass wir uns darüber im Klaren sind, was die Verfassung vorschreibt”, betont Ortiz. „Andernfalls könnten diese Personen versuchen, diese begrenzten demokratischen Spielräume zu manipulieren, um ihre Interessen auf Kosten unserer Rechte durchzusetzen”.

Die Regierung muss die ölfördernde Infrastruktur zurückzubauen

Mit dem „Ja” für den Yasuní, ist es jetzt die Aufgabe der Regierung, sich an die aus der Abstimmung resultierenden Verpflichtungen zu halten. Dazu zählt der Rückbau der gesamten ölfördernden Infrastruktur sowie die Wiederherstellung der Natur und die Entschädigung der indigenen Bevölkerung.

„Wir werden eine Kommission bilden, um die Durchsetzung dieser Forderungen zu sichern”, versichert Paola. So sollen nationale, aber auch internationale Beobachter*innen die jetzige und zukünftige Regierung zur Verantwortung ziehen.

Podcast

Folge #10: Kolumbien, Chile und Europa: Mit grünem Wasserstoff gegen Klimawandel?

Grüner Wasserstoff soll der Hoffnungsträger im Kampf gegen den Klimawandel sein. Die Europäische Union und Deutschland investieren derzeit weltweit Millionen von Euro in die Entwicklung von diesem Energieträger, auch innerhalb Lateinamerikas.

Kolumbien und Chile arbeiten bereits an konkreten Projekten, um bald massiv produzieren zu können. Damit sollen einerseits die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Europa und Lateinamerika gestärkt und andererseits mit grüner Energie ein Beitrag zu Klimaneutralität geleistet werden.

Doch bedeutet “grün” auch gleichzeitig “gerecht”? Und wie “grün” sind die Projekte wirklich? Darüber sprechen wir mit zwei Expertinnen: Sophia Boddenberg ist freie Journalistin, lebt seit 2014 in Chile, arbeitet zu Umweltthemen, Rohstoffabbau und Wirtschaftsbeziehungen zwischen dem Globalen Norden und Globalen Süden. Kristina Dietz ist Professorin der Uni Kassel für Internationale Beziehungen mit Schwerpunkt Lateinamerika, Teil einer Forschungsgruppe zu Landkonflikten in Lateinamerika und Subsahara-Afrika.

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Folge #9: Kohleabbau in Kolumbien: Welche Verantwortung trägt Deutschland?

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#9: En español: Explotación de carbón en Colombia: Qué responsabilidad tiene Alemania?

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Folge #8: Gefängnisse in Ecuador: Gewalt wird zum Alltag

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Folge #7: Honduras – Zwischen Hoffnung und Korruption

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Folge #6: Der negierte Krieg in Kolumbien – Die Geschichte von Stella Castañeda

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Folge #5

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Política y poesia

La escritora ecuatoriana Sarawi Andrango (Foto: Sarawi Andrango)

¿Cómo llegó a la poesía?

Escribo desde niña. Siempre he sido muy introvertida, poco sociable. Las condiciones en las que crecí me forzaron a madurar muy temprano. Escribir era una forma de aislarme. Yo sentía que era más grande que los niños de mi edad. Mientras ellos hacían su grupo de  baile, canto, yo prefería escribir y los profesores vieron esa particularidad en mi y en cada actividad escolar me decían  “tú escribe un poema”. Y así me mantuve escribiendo durante mi adolescencia tambien. Publiqué mi primer libro de poesía  en 2017, y desde allí van seis publicaciones. 

¿De qué se trata tu primer libro?

En el 2006 falleció mi padre. Eso ha sido un punto quiebre en mi vida. Después de esto, inicié un proceso de búsqueda conmigo misma. Para lograr un cierto tipo de reconciliación, porque quedaron muchas cosas pendientes con mi papá que hasta ahora me pesan.

Después del fallecimiento de mi papá, inició toda una  búsqueda de identidad, cultural y espiritual.  Eso me lleva a caminar, desde hace diez años, siguiendo los rastros de mis raíces, a conversar con abuelos y abuelas, conocer medicina y sabiduría de varios territorios..  En 2017 salió mi primer libro de poesía,Vibraciones, que se conecta con la espiritualidad, el cuidado de los territorios, la filosofía de los pueblos originarios y a partir de eso  se deriva  una posición política, hacer cuestionamientos al sistema.

Su poesía es muy política y habla mucho de las estructuras del movimiento indígena. ¿Cómo ha conseguido este movimiento imponerse como actor político en Ecuador durante tantos años?

Gracias a la resistencia de más de 539 años y con lucha organizada ha reclamado su actoría en la política del país, frente a la segregación están los referentes como; Dolores Cacuango, Tránsito Amaguaña, Manuela León, Fernando Daquilema que con su vida abrieron camino hacia los derechos que ha obtenido hoy el movimiento indígena. Esto no  apareció en 2019 o 2022, al contrario estos levantamientos son el resultado de décadas de organización principalmente de Conaie desde 1986.

El movimiento Indígena, abraza todas las luchas sociales y acompaña a estudiantes, obreros, maestros, médicos, campesinos  y a todos los sectores de la sociedad a los cuales se les vulnere sus derechos básicos.  Es el estado y las bases políticas son las que vulneran a diario a los pueblos. Mientras tanto son las nacionalidades que siempre mantienen firmes y presentes al movimiento indígena dentro de la política ecuatoriana y de Abya Yala. Mi poesía lo que hace es acompañar y sostener estás luchas.

Especialmente el presidente acutal, Guillermo Lasso, ha insultado regularmente a Leonidas Iza le ha amenazado, llamándole terrorista. ¿Cómo afecta eso a la gente?

Leónidas Iza, actual presidente de la Conaie es el vocero de los pueblos y nacionalidades. Si el gobierno de Lasso impone una carga de racismo y deslegitimación sobre su nombre, pues igualmente eso afecta igualmente a los runas, campesinos, empobrecidos, racializados y explotados históricamente.

La falta de entendimiento de cómo funciona el sistema comunitario, hace que Lasso vea a Leónidas Iza como un individuo frente a la toma de decisiones cuando no es así. Él es el vocero de un sujeto colectivo, que es la Conaie. 

Las acusaciones caprichosas del presidente le llevan al punto de la desesperación, asegurando que los levantamientos de 2019 y 2022 fueron financiados por el narcotráfico, que es inaudito. Los 12 días en octubre de 2019 y los 18 días de 2022 se sostuvieron con la Minka, con el Ayni y la solidaridad de toda la población. El neoliberalismo, el capitalismo jamás comprenderá estos sistemas.

Cuando tú hablas de condiciones que en estos momentos no hay, ¿cuáles serían las condiciones para mejorar la situación? 

En las elecciones del pasado 2020 desde Pachakutik llegó mucha gente que no es orgánica. Esas personas no responden a las decisiones colectivas, y finalmente la gente que llegó de esta forma a la asamblea nos traicionaron.  Necesitamos gente orgánica, que respete el proceso colectivo y responda como tal a las demandas y necesidades de los sectores populares del pais. Es urgente que suceda una depuración para que existan condiciones que nos permitan tener un candidato propio en siguientes elecciones.

El partido del ex presidente Rafael Correa, la Revolución Ciudadana, vuelve a cobrar fuerza en la actualidad. Cómo ve esta situación y la candidatura de Luisa Gonzáles, que podría convertirse en la primera mujer presidenta de Ecuador?

Me viene a la memoria los diez años [la revolución ciudadana] hizo de todo para dividir al movimiento indígena. Sería importante tener una mujer presidenta, cómo resultado de una histórica lucha de igualdad, sin embargo ¿al servicio de quien o quienes va a estar ese gobierno? 

Volviendo a su poesía: ¿Cómo combina poesía y política?

Sostengo que la poesía no es mía. Solamente la estoy transcribiendo y publicando. La poesía se va construyendo a trazos, cómo piezas de un rompecabezas que es el sistema comunitario. La política está implícita pues el mi rol dentro de mi comunidad y pueblo es parte vital de mi cotidianidad, entonces no podría escribir de otras realidades a las que no me corresponda.

¿Qué le motiva a compartir su poesía con personas de todo el mundo?

Yo insisto en que el arte abre otros espacios. Los temas del estractivismo, derechos colectivos, filosofía de vida, cultura de los pueblos, se deben aplicar a un espectro, más allá de quienes ya estamos convencidos de esas luchas. Necesitamos hablar con  gente que desconoce de esas realidades , entonces la poesía busca llegar y conmover  

Al arte lo veo como herramienta,como insrumento aliado. Cuando tengamos eso claro habrá otro brazo en el movimiento Indígena, así como el electoral.

“Exigimos sobre todo poder vivir con dignidad”

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¿Según ustedes cuáles serán los problemas más agudos e inmediatos que se vienen con la legalización de la porta de armas en el Ecuador?
PachaQueer: Lo que hace el decreto 707 es exacerbar la violencia y poner en una mucha más amplia vulnerabilidad a los grupos que ya estaban vulnerados y que ya somos vulnerables. Al mismo tiempo esto también significa darle más poder al patriarcado, y armar a los agresores. 
Uno de los problemas principales es que justamente las poblaciones de las comunidades históricamente más desamparadas como somos las personas trans, mujeres, niñez y adolescencia, personas de movilidad, de personas también racializadas, empobrecidas seamos pues, una vez más las que quedarán desprotegidas en el contexto de esta propuesta de ley. Si ya en una vida sin armas somos asesinadas, somos desaparecidas y torturadas. En un marco en el que obviamente somos consideradas población de tercera clase en la sociedad ecuatoriana, en Latinoamérica, y creo que en general en el mundo, la legalización del porte de armas significa legalizar nuestras muertes. 

¿Según sus experiencias quien va a beneficiarse de este decreto? ¿Qué tipo de seguridad se está priorizando?
PachaQueer: Lo que el presidente está aplicando con el decreto no es algo que no ha pasado antes. Quienes generalmente usan armas son los grupos de poder y el decreto está legalizando el acceso a los grupos de personas que desde siempre lo han tenido.  Esos son los grupos, que, si bien no tienen un arma en su bolsillo, tienen una agencia de seguridad o guardias de sus empresas, en sus casas. Al mismo tiempo se desprotege a quienes nunca hemos tenido el acceso a armas. Estamos hablando de un país donde ni siquiera tenemos dinero para la medicina básica. ¿No? Cómo vamos a tener dinero para un examen psicológico que es unos de los requisitos necesarios para el permiso, o el dinero para sacar un certificado del ministerio. Porque todo va a tener un costo. ¿Entonces, realmente a quién está sirviendo esta ley?

¿De qué forma se representa el acceso facilitado a las armas un peligro para poblaciones marginalizadas?
PachaQueer: Esas son las personas que sí pueden cumplir con los requisitos para acceder a un permiso. Y esas son las personas que tienen más acceso a dinero y en mejores condiciones económicas. Ellas son las “ciudadanas de bien” quienes, por lo general, irónicamente, son las personas anti-derechos que no van a pensarse dos veces en disparar a una a una persona trans, una trabajadora sexual o una persona en situación de calle. Porque también el decreto para nosotras tiene mucho que ver con una limpieza social. Y esto es algo que hemos observado especialmente en cuanto a la situación de las trabajadoras sexuales trans. 

¿Qué papel desempeña la escalada de esta violencia por parte de las bandas criminales?
PachaQueer: Si es que esto es un fenómeno que se viene naturalizando desde la pandemia en el Ecuador. En esta fase es que se instauran mafias de extorsión, y el uso de violencia hacia trabajadoras sexuales trans y mujeres cis también que ejercen el trabajo sexual precarizado, para forzarlas a tomar parte en la venta de drogas. Pues la narcoviolencia es como una bola de nieve que de alguna forma iba expandiéndose, iba creciendo y la situación que atravesó Jéssica Martínez es un claro ejemplo de la naturalización del narcoestado y la normalización de toda esta red de violencia. 
El recrudecimiento de la violencia en el Ecuador está directamente relacionado a las enormes desigualdades sociales y el racismo estructural que existe en el país. Eso se ve en las condiciones de vida de millones de niñas y niños adolescentes empobrecidos, racializados, obligados a ejercer labores deshumanizantes como el sicariato, por ejemplo. Eso da paso a que incremente la exclusión, la discriminación y fomenta y normaliza la inaccesibilidad a la educación, a la cultura, al arte, al espacio público, a la salud, al empleo. Al final es como una matriz estructural de violencia. Y no solo fue Jéssica a quien asesinaron el último año. Nosotras en septiembre del año pasado, hace ocho meses aproximadamente también atravesamos un intento de asesinato. En ese entonces no pasaban ni tres semanas del asesinato de Jéssica Martínez, que nos indignó y nos dolió mucho. Pero su muerte se sumó a tantos crímenes de odio que han atravesado hermanas y compañeros de lucha en los últimos 10 años. ¡Por eso nuestra denuncia sigue latente, NOS ESTÁN MATANDO! 

¿Nos podrían contar más sobre el ataque que sufrieron el año pasado?
PachaQueer: Lo que nosotras vivimos el año pasado fue justamente un producto de la transfobia. Porque si bien comenzó como un intento de asalto, la situación cambió el momento en el que las personas se dieron cuenta de que nosotras somos trans, que nosotras somos travestis. Ahí empezó la acción de odio con insultos, con empujones, con golpes y finalmente con un disparo. Entonces, esto da cuenta de que el hecho de que haya un arma de por medio permite finalmente materializar ese odio que existe en la sociedad hacia nosotras, las personas trans.
Una de las cosas que nos agravaba mucho es no saber a qué se debía la situación por la que estábamos atravesando. No sabíamos si era una consecuencia de toda la delincuencia bajo el régimen del neoliberalismo en el que estamos viviendo. O si era una forma de persecución política a líderes y lideresas de movimientos sociales, lo que nosotras somos. Nosotras levantamos la voz, para decir que asesinaron a Jéssica y en dos semanas después nos pasa todo eso. 

¿La violencia que sufrieron es en cierta forma una continuación de la violencia que sufren a diario?
PachaQueer: Sí, digamos. Yo creo que más allá del tema actual del porte de armas, volvemos al punto de que estas personas son consideradas como el desprecio de la sociedad o digamos personas que se pueden fácilmente desechar. Somos básicamente las personas pertenecientes a diversidades sexo genéricas, personas que no encajamos en la normatividad hetero, la normatividad “blanca y de clase” e incluso la normatividad de la educación. A esto se suma que obviamente no tenemos protección del estado y en ese sentido siempre hemos estado a la merced de cualquier tipo de ataque en cualquier momento. 
Entonces ponemos en reflexión de que lo que ahora la población en general está sintiendo en cuanto a escalación de la violencia en el país, nosotras como personas trans, travestis y disidentes sexuales, lo vivimos a diario. Esa es la situación que vivimos desde el momento en el que asumimos nuestra identidad ajena al régimen normal. Ese reclamo no es nuevo, hemos estado reclamando hace tiempo que nos están torturando, matando o simplemente haciéndonos desaparecer.

¿Qué consecuencias tendría el acceso libre a las armas, y, por ende, un posible aumento de la violencia armada en cuanto a la situación de precaria seguridad que ya viven activistas sociales, ambientales y políticas como ustedes?
PachaQueer: Es decir, lo que estamos diciendo ahora es que es una estrategia de conseguir ciertos fines políticos a través de la violencia. Porque finalmente todo apunta a esto: lo que pasa últimamente en el Ecuador, las masacres en las cárceles, los paros, todas desapariciones de líderes y lideresas sociales, la criminalización a la lucha social que se vio crudamente durante en el paro. Y que se puede ver nuevamente en el tema de Jéssica Martínez y en nuestro caso. Nosotras como fundadoras del colectivo que busca cambiar los paradigmas sobre el género, identidad y sexualidades diversas, vivimos directamente esta violencia en nuestras propias vidas, en nuestras propias cuerpas. Esa forma de silenciamiento vivió el mismo colectivo al que pertenecía Jéssica Martínez. Después de su muerte las compañeras trabajadoras sexuales que eran parte de la Fundación Nueva Esperanza, decidieron suspender sus actividades y cerrar la asociación. 

¿Cerraron la organización porque se sentían amenazadas también por lo ocurrido?
PachaQueer: Por supuesto, por el amedrentamiento, por el silenciamiento, por la misma extorsión que denunciaba Jéssica y la instauración del miedo estatal.

¿La instauración del miedo estatal? ¿Qué papel juega el estado en el silenciamiento a activistas? 
Eso es algo que también, obviamente no podemos dejar de lado. O sea, lo que pensamos es que este gobierno está tratando de poner ejemplos claros ¿no? Ahora mismo hay un enjuiciamiento a todas estas personas por motivos de terrorismo o lo que el estado define como “terrorismo”. En este caso entran en esta categoría pensadores comunistas o socialistas, pensadores libres y son castigados con condenas absurdas de hasta 13 años, simplemente por legitimar la posibilidad de la organización y de la lucha social. 

Entonces la criminalización de la lucha social de parte del estado en consecuencia deja a activistas en diferentes campos más vulnerables a la violencia. ¿Violencia que viene de parte del estado, pero también por parte de otros actores?  
PachaQueer: Exacto, por eso en este contexto no podemos dejar de lado los asesinatos de muchas personas que se están defendiendo la libertad, la justicia, la dignidad en muchos campos. No, no solamente digamos en el campo de género, el campo de sexualidad o de identidades, sino también en el campo de la minería, en el campo de la agricultura, digamos en todas, en muchos, en muchos de estos espacios políticos está habiendo asesinatos. No todos son tan polémicos, o salen a la luz. 
Porque si vamos ya a la practicidad: quienes no creemos que las armas nos van a ayudar a sentirnos más seguras. Quienes nunca las hemos portado, no lo vamos a hacer ahora por un cambio de ley. En cambio, sí va a beneficiar a las personas que ya desde siempre usaban las armas para silenciar a otras. Quienes ya están acostumbradas a armas y a violencia con armas, pues simplemente para ratificar su poder y van a ratificar su hegemonía. Finalmente, el decreto lo que hace es evadir que se haga un juicio político al presidente, que se hagan reformas populares que beneficien a la clase trabajadora. Y sobre todo sirve para seguir fracturando el tejido social. Lo que es lo que generan estas políticas es la más polarización. El fin es desviar la atención publicada por la atención social para que siga habiendo impunidad, para que siga habiendo injusticia, explotación y toda la dictadura, la opresión que se vive, pues.

En el marco de la falta de seguridad y la implementación de una ley que no corresponde a las necesidades de comunidades vulnerables, ¿cuáles son sus exigencias? ¿Que sería realmente necesario para mejorar la situación?
PachaQueer: Pues yo creo que las organizaciones feministas, transfeministas, las mujeres, las disidencias, sabemos que el libre porte de armas en manos de agresores es poner en riesgo nuestras vidas. El decreto naturaliza la violencia, incrementa la impunidad de los agresores, los encubrimientos sistemáticos de la policía, de los militares por parte del Estado. Y lo que nosotros pedimos es primero la destitución del Decreto 707 y la destitución del presidente actual.
Estos son tiempos de mucha rabia, de mucha indignación, pero también, creo que ha tenido un gran efecto unir a las organizaciones trans feministas, las organizaciones feministas, el movimiento indígena, como vimos en el paro del 2022. Fue histórico ver cómo por primera vez en la historia de muchos paros en el Ecuador, hubo una mayor representatividad y la visibilization de disidencias, de discursos transfeministas, de grupos migrantes, de compas con diversidad funcional. Por eso no estamos demandando una cultura de paz, porque muchas veces la cultura de paz tiene un costo muy elevado de las mismas poblaciones históricamente excluidas. Es que no se puede vivir en paz con menos de salario mínimo. No se puede vivir en paz sin tener acceso a la salud integral, educación libre de discriminación o un CUPO LABORAL TRANS y de diversidades sexuales ¿Como podemos vivir en paz cuando a las personas nos siguen limitando acceso a vivienda o cuando aún siguen tratando de forma ajena a nuestra identidad de género? O sea, esa paz no existe. 
Lo que nosotras exigimos sobre todo es poder vivir con dignidad. Y yo creo que cada vez en este Ecuador tan violento, se nos se nos despoja con cada día que pasa, con cada asesinato más, con cada masacre, cada coche bomba, con cada persona desaparecida de nuestra dignidad. Entonces lo que demandamos son las políticas y medios necesarios para recuperarla.  

HERBE SCHLAPPE FÜR PRÄSIDENT LASSO

„Die Kandidaten von Correa” Wahlplakat der Revolución Ciudadana (Foto: Eva Gertz & Teresa Ellinger)

Im Mai nehmen sie ihre Arbeit auf: Die Präfekt*innen der 24 Provinzen, Bürgermeister*innen der 221 Kantone und 1527 Stadträt*innen, die in Ecuador am 5. Februar gewählt wurden. Die Funktionsträger*innen bilden die neuen, dezentralen autonomen Regierungen auf Provinz- und Lokalebene. Das politische System Ecuadors sieht neben der üblichen Gewaltenteilung von Judikative, Legislative und Exekutive noch zwei weitere Instanzen vor; den Bürger*innen-beteiligungsrat, für den sieben neue Mitglieder gewählt wurden und die nationale Wahlbehörde, die die Wahl organisiert.

In den Tagen vor der Wahl dominierte der Wahlkampf das öffentliche Leben in Ecuador. Werbeveranstaltungen, Informationsstände und kleine Demonstrationen der Parteien stauten den Verkehr, Plakate und Fahnen schmückten Hauswände und Landstraßen. Hausbesuche der Kandidat*innen in den jeweiligen Landkreisen, Sachspenden und finanzielle Angebote waren weitere Strategien im Werben um Wähler*innen. Auch aus entlegenen Ortschaften reisten die Menschen in die zuständigen Wahlzentren, denn es gibt eine Wahlpflicht für 18 bis 64-jährige Bürger*innen.

In Ecuador ist die Parteienlandschaft fragmentiert. Für Wahlen finden sich verschiedene Parteien zu Listen und Bündnissen zusammen, die oft nur temporär Bestand haben. Auch ist es üblich, dass einzelne Politiker*innen die Partei wechseln, sich Parteien aufteilen oder neugründen. Der Wahlkampf konzentrierte sich auf einzelne Kandidat*innen und Wahlplakate enthalten kaum Informationen über deren inhaltliche Ausrichtungen.

Für Lassos Partei CREO brachten die Wahlen erhebliche Verluste. CREO verlor auch die letzte Provinz, in der sie noch vertreten war, und erhielt keine einzige Präfektur. Zusätzlich scheiterte das zeitgleiche Referendum des Präsidenten in allen Punkten. Dagegen konnte die Partei Revolución Ciudadana (RC), die dem früheren Präsidenten Rafael Correa nahesteht, gleich neun Provinzen für sich gewinnen und stellt ab Mai die Bürgermeister der beiden größten Städte. Guayaquil, eine wichtige Hafenstadt in der Küstenregion Ecuadors, war bisher fest in den Händen des Partido Social Cristiano (PSC), der im Vergleich zu den vergangenen Lokalwahlen 2019 sechs Provinzen verlor. Mit Aquiles Álvarez tritt nach 30 Jahren das erste Mal ein Vertreter der RC das Bürgermeisterinnenamt an. Mit 25 Prozent der Stimmen wurde Pabel Muñoz von der RC zum neuen Bürgermeister von Quito gewählt. Er hatte sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem 2021 gerichtlich aus dem Amt enthobenen Jorge Yunda (Pachakutik) geliefert. Die Partei der Indigenen Organisationen, Pachakutik, gewann eine Provinz dazu und ging mit sechs Provinzen als zweitstärkste Kraft aus den Wahlen hervor.

Massiver Vertrauensverlust in Lassos Politik

„Gründe für das schlechte Ergebnis der amtierenden Regierung und den massiven Vertrauensverlust in die Politik sind die gesellschaftliche Situation der vergangenen Jahre sowie die Unfähigkeit der Regierung, die Forderungen aus der Bevölkerung zu beantworten“, sagte Politikwissenschaftlerin Maria Rosa Zury in einer Gesprächsrunde zu den Wahlergebnissen der Organisation La Raíz. Die Pandemie stürzte das Land in eine fatale Gesundheitskrise, in der der Zugang zu Medikamenten nicht gesichert werden konnte. Zudem gibt es eine massive Sicherheitskrise, die zu über 400 Toten in den Gefängnissen als Resultat von Zusammenstößen konkurrierender Drogenbanden geführt hat. Ein weiterer trauriger Indikator für die zunehmende Gewalt und Unsicherheit ist die Ermordung des Bürgermeisterkandidaten der RC, Omar Méndez, in Puerto López in der Küstenregion Manabí.

Referendum Wahlplakate in Ecuador (Foto: Eva Gertz & Teresa Ellinger)

Bereits vor der Pandemie hatten Korruptionsfälle, soziale Ungleichheit und Armut vor allem im ländlichen Raum zugenommen. Regierung und die politische Sphäre im Allgemeinen haben an Rückhalt und Glaubwürdigkeit verloren. Die Unfähigkeit, erfolgreiche Lösungen für die Krisen im Land zu präsentieren und umzusetzen, führte zu einem grundsätzlichen Misstrauen in die Regierung und dem Wunsch nach schnellen und sichtbaren Veränderungen. So wird nur das, was tatsächlich schnelle Verbesserung von Situationen herbeiführt, durch die Wählerschaft belohnt; es gebe keinen Vertrauensvorschuss auf langfristige Strategien und eine zukünftige Verbesserung der Situationen, so Zury. Das begünstigt kurzfristige Angebote und Entscheidungen und birgt die Gefahr, nachhaltige Strategien zu vernachlässigen.

Das starke Ergebnis der RC ist eine klare Positionierung der Bevölkerung gegen die aktuelle Regierung. So wird die RC, neben der indigenen Bewegung, im öffentlichen Diskurs als einzige Opposition zur neoliberalen Politik des aktuellen Präsidenten wahrgenommen. Der Zuspruch für den Correismus kann auch als nostalgische Haltung verstanden werden, so Historiker Fernando Muñoz-Miño in der Gesprächsrunde von La Raíz. So waren einige der Errungenschaften in Correas Amtszeit die Stabilisierung der politischen Institutionen und ein messbarer Rückgang der Armut. Trotz Kontroversen und Korruptionsvorwürfen gegen Rafael Correa scheint die RC der Bevölkerung aktuell mehr politische Perspektive zu bieten als die amtierende Regierung.

Präsident Lasso wollte seinen schwindenden Einfluss ebenfalls am 5. Februar durch ein Referendum stoppen. Dieses bestand aus acht Fragen zu vier Themenblöcken: Sicherheit, Nationalversammlung und politische Parteien, Staatsgefüge und Umwelt. Bei Zustimmung wären die jeweiligen verfassungsändernden Vorschläge bindend gewesen, auch bei Einwänden durch die Nationalversammlung.

Frage 1 schlug die Auslieferung von ecuadorianischen Staatsbürger*innen bei grenzüberschreitenden Straftaten vor. Aufgrund des anhaltenden Anstieges organisierter Gewalt wurde diese Frage im Vorfeld des Referendums besonders stark diskutiert. Durch eine Justizreform (Frage 2), die Verkleinerung der Nationalversammlung (Frage 3) und Mindestanforderungen in der Mitgliederzahl von Parteien (Frage 4) sollten Transparenz und Effizienz in der Regierung gefördert, sowie Unterhaltskosten für Abgeordnete eingespart werden. Frage 5 und 6 sollten den Bürger*innenbeteiligungsrat schwächen und wichtige Kontrollfunktionen an die Nationalversammlung abgegeben. Konkret ging es hierbei um die Kontrolle über öffentliche Finanzen, die Wahl von Richter*innen und die Durchführung von Referenden. In Frage 7 und 8 wurde die Sicherstellung von Entschädigung für Umweltschäden und die Einführung einer nationalen Wasserschutzbehörde vorgeschlagen, die dem Staat mehr Befugnisse und Verantwortung zuschreibt.

Der Correísmo meldet sich zurück

Vor der Abstimmung dominierte die Kampagne für das „Ja“ den öffentlichen Diskurs der traditionellen Medien. In populistischer Manier deklarierte Lasso die Ablehnung der Fragen als antipatriotisch und diffamierte so den politischen Diskurs. Erst ein wenig später tauchten Kampagnen für das „Nein“ auf, zuerst an Häuserwänden, dann zunehmend auch auf Social Media. Die Gegenkampagne wurden maßgeblich von Anhänger*innen des Correísmo, der politischen Strömung, die durch den ehemaligen Präsidenten Rafael Correas geprägt wurde, organisiert. Auch der indigene Dachverband CONAIE gehört zu den wenigen politischen Akteur*innen, die sich klar gegen die acht Punkte des Referendums positionierten. In Anbetracht der Dominanz der medialen Öffentlichkeit ist die eindeutige Ablehnung überraschend. In jeder einzelnen der acht Fragen gewann das „Nein“.

Das Ergebnis des Referendums ist zum einen Ausdruck des Unmuts über die Politik Lassos. Leonidas Isa Salazar, Präsident der CONAIE, sagte in einer Pressekonferenz nach den Wahlen, dass er das „Nein“ als Antwort derer verstehe, die unter der neoliberalen Politik der Regierung leiden. Als weiterer Grund für die Ablehnung zählt die schwer verständliche Formulierung und Komplexität der Fragen, die einem geringen Informationsangebot gegenüberstanden. Außerdem spielte die inhaltliche Ablehnung der Vorschläge, sowie eine grundsätzliche Skepsis, ob diese positive Veränderungen bewirken könnten, eine große Rolle.
Die politische Krise in Ecuador hält an. Präsident Lasso hat endgültig den Rückhalt der Bevölkerung verloren. Die miserablen Wahlergebnisse seiner Partei CREO sowie die fehlende Mehrheit im Parlament werden Lassos politische Handlungsfähigkeit erheblich einschränken. Ob er auf dieser Grundlage sein Amt bis zu den nächsten Präsidentschaftswahlen 2025 behalten kann, ist ungewiss. Eine wichtige Rolle werden seine Beziehungen zu Polizei und Militär spielen, die eine wichtige Stütze in der Machtausübung Ecuadors sind. Die Ergebnisse der Lokalwahlen lassen die erstarkte politische Linke wieder als eine ernstzunehmende Konkurrenz erscheinen. Jedoch teilt sich die Linke in eine national populäre Strömung (RC) und eine plurinationale, ökologische Vertretung indigener Interessen (Pachakutik). Dies könnte Platz für neoliberale und konservative Kräfte machen, wie es in der Geschichte Ecuadors bereits geschah, erklärt Muñoz-Miño.

GUARDIAS INDÍGENAS IN ECUADOR

Ein aktuelles Beispiel für die Ausübung von Autonomie und Selbstbestimmung durch indigene Gemeinschaften in Ecuador sind die sogenannten gemeinschaftlichen Wächter*innen (guardias comunitarias y populares). In einer Stellungnahme der guardias indígenas vom 15. September 2022 wird die Position mehrerer Gemeinschaften in Bezug auf das, was sie als Strategie zur Verteidigung der Gebiete gegen den Extraktivismus und die Intervention der kolonisierenden Lebensweisen bezeichnen, dargestellt: „Auf der Grundlage des Rechts, in den angestammten Gebieten zu regieren und Gesetze zu erlassen, sind wir entschlossen, unsere gemeinschaftliche guardia indígena zu stärken, die aus dem Mandat unserer Ältesten hervorgegangen ist“. In diesem Ansatz wird der Logik des staatlichen Gewaltmonopols teils widersprochen.

Während der Mobilisierungen 2019 war die guardia indígena in den Städten aktiv, um die Selbstverteidigung der Demonstrierenden zu organisieren und auf die staatliche Repression zu reagieren.
Der ehemalige Präsident Lenin Moreno diffamierte in Komplizenschaft mit dem Medienapparat die organisierte Form der Verteidigung und bezeichnete die guardia indígena als Terroristen. Die rassistische Propaganda geht sogar so weit, die Organisationen als bewaffneten Arm von Drogenhändlern zu bezeichnen oder sie als Paramilitärs zu brandmarken. Die Kriminalisierung von autonomen Praktiken kommt nicht nur in Mobilisierungen wie denen vom Oktober 2019 oder Juni 2022 zum Ausdruck, sondern auch im täglichen Leben der Gemeinschaften und in ihrem Kampf gegen Bergbau, Monokultur und Vertreibung, insbesondere im Hochland und im ecuadorianischen Amazonasgebiet.

Die Handlungen des Staates stehen im Widerspruch zum Verfassungsauftrag, der Ecuador als plurinationalen Staat und das Selbstbestimmungsrecht der Bevölkerungen und Nationalitäten anerkennt. Viele staatliche Maßnahmen unterstützen dieses verfassungswidrige Handeln. Das 2011 erlassene Strafgesetzbuch stellt zum ersten Mal Tatbestände wie Terrorismus und Sabotage unter Strafe. Dies wird genutzt, um die Verteidigung der Territorien und Gemeinschaften, die von anderen Kosmovisonen geprägt sind, zu stigmatisieren und kriminalisieren.

Indigene und Afro-Gemeinschaften gründen ihre politische, soziale, spirituelle und wirtschaftliche Organisation auf die Gemeinschaft und der ihr innewohnenden Beziehung zum Territorium. All dies geschieht gegen den Strom, denn die Auferlegung einer neoliberalen Logik standardisiert die Lebensweisen in Richtung einer bestimmten Norm. Diejenigen, die sich ihr widersetzen, werden, wie die Kämpfe gegen Extraktivismus und Ausbeutung zeigen, kooptiert, kriminalisiert oder ermordet.

Dieser Artikel erschien in unserem Dossier „Sein oder Schein? – Die neue progressive Welle in Lateinamerika“. Das Dossier lag der Oktober/November-Ausgabe 2022 bei und kann hier kostenlos heruntergeladen werden.

DER KAMPF UM EIN LEBEN IN WÜRDE

Foto: Karen Toro für laperiodica.net

Der nationale Streik, zu dem verschiedene soziale Organisationen für den 13. Juni 2022 aufriefen, kam nicht ohne vorherige Ansage. Der ecuadorianische Präsident Guillermo Lasso, von der Mitte-rechts Partei CREO und seit etwas über einem Jahr im Amt, nutzte die Corona-Krise für die Durchsetzung neoliberaler Sparmaßnahmen. Damit baut Lasso auf der Politik seines Vorgängers Lenín Moreno auf, unter dessen Präsidentschaft es im Oktober 2019 zu den bis dato größten Protesten in den letzten zehn Jahren kam. Vergangenen Oktober ließ der Präsident den Preis für Diesel per Dekret auf 1,90 US-Dollar pro Gallone (entspricht 3,785 Liter) einfrieren – was einer Preissteigerung um 45 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entsprach. Seit Juni 2021 versuchte die CONAIE (Konföderation der indigenen Nationalitäten Ecuadors) mehrmals, mit dem Präsidenten in Dialog zu treten, ein letztes Treffen beider Parteien fand im November 2021 statt. Konkrete Lösungen ergaben sich aus diesen Treffen allerdings nicht. Gemeinsam mit mehreren indigenen Verbänden des Landes, Gewerkschaften, Studierenden und weiteren sozialen Organisationen verkündete die CONAIE am 13. Juni in einer Pressemitteilung: „Die aktuellen Bedingungen sind unerträglich. Wir fordern mehr Arbeitsplätze sowie angemessene Einkommen in dem ‚Land der Möglichkeiten‘, das Präsident Lasso uns versprochen hat und in dem nur drei von zehn Ecuadorianerinnen eine Arbeitsstelle haben.“

Die zehn Forderungen der CONAIE, die im Vorfeld der Proteste veröffentlicht wurden und bereits Teil der bisherigen Dialogversuche mit der Regierung waren, sind eine Antwort auf die wachsende soziale Ungleichheit im Land. Nach Zahlen des nationalen Institutes für Statistik und Bevölkerungszählung (INEC) aus dem Jahr 2021 leben 32,2 Prozent der ecuadorianischen Bevölkerung in Armut. 14,7 Prozent davon sogar in extremer Armut, was bedeutet, dass die Betroffenen mit durchschnittlich 1,60 USD am Tag überleben müssen.

Perspektivwechsel „Soziale Ungleichheit ist gewaltsamer als jeder Protest“ (Foto: Karen Toro für laperiodica.net)

Gefordert werden die Senkung und das anschließende Einfrieren der Treibstoffpreise sowie faire Preise für landwirtschaftliche Produkte, um die Existenzgrundlage der Produzentinnen zu gewährleisten. Ebenso die Einführung von Kontrollinstrumenten, die der Spekulation mit Grundnahrungsmitteln Einhalt gebieten. Weiter ein verbesserter Schutz der Ökosysteme, ein Moratorium für die Ausweitung von Bergbau und Erdölförderung sowie Entschädigungen für deren soziale und ökologische Auswirkungen. Außerdem fordert das Bündnis mehr Geld für den Bildungs- und Gesundheitssektor.

Indira Vargas ist Mitglied der Basisorganisation Pakkiru und moderiert ihre eigene Radiosendung beim Sender Voz de la CONFENIAE, einem Programm des Dachverbandes indigener Organisationen im Amazonasgebiet Ecuador. Die 31-Jährige gehört der Nationalität der Kichwa an und kommt aus der Provinz Pastaza. Zur wirtschaftlichen Situation des Landes sagt Indira gegenüber LN, dass die Preise für Grundnahrungsmittel – wie Speiseöl – überdurchschnittlich stark gestiegen sind, was beispielsweise die Betreiberinnen kleiner gastronomischer Betriebe besonders hart trifft. Gleichzeitig würden sich Unternehmen, die industriell hergestellte Produkte vertreiben, durch die Preisspekulation selbst bereichern. Menschen mit niedrigerem Einkommen aber können sich diese Produkte nicht mehr leisten. Deswegen sei es so wichtig, Kontrollinstrumente zu entwickeln, die dieser Spekulation Einhalt gebieten. Die Bevölkerung aus dem Amazonasgebiet hat sich den Protesten angeschlossen, weil sie von den Folgen der extraktivistischen Agenda der aktuellen Regierung besonders stark betroffen sind.

Überraschende Einigung

Der Streik am 13. Juni begann friedlich, im ganzen Land gab es Proteste, in einigen Provinzen kam es zu Straßensperrungen durch die Demonstrantinnen. Die nicht ganz so friedliche Reaktion der Regierung ließ nicht lange auf sich warten. Bereits am ersten Tag der Mobilisierungen verkündete Lasso über seinen Twitteraccount, die ecuadorianische Bevölkerung könne es nicht zulassen, dass politische Gruppen mit dem Ziel, die Republik zu destabilisieren, das Land lahmlegen würden – nachdem sich die Lage nach der langen Zeit der Pandemie gerade erst normalisiert hätte. Darauf folgte ein weiterer Versuch der Regierung, die Protestbewegung zu delegitimieren und zu kriminalisieren. Am 14. Juni, gegen ein Uhr morgens, wurde Leonidas Iza, Präsident der CONAIE und zentrale Führungspersönlichkeit während der Proteste, von Elitegruppen der Polizei festgenommen. Vorgeworfen wurde ihm die Störung der öffentlichen Ordnung sowie Rebellion. Die CONAIE rief ihre Anhänger daraufhin dazu auf, ihre Maßnahmen zu radikalisieren, um sich für die Freiheit von Leonidas Iza und einen Kampf in Würde einzusetzen. Nach 24 Stunden wurde Iza wieder freigelassen, der Prozess gegen ihn ist jedoch lediglich vertagt.

Eine weitere Maßnahme, die nicht nur die Demonstrierenden, sondern auch viele Künstlerinnen und Intellektuelle des Landes gegen die Regierung aufbrachte, war die Besetzung des Casa de la Cultura in Quito durch die Nationalpolizei am achten Tag der Proteste. Von dort aus sollte „die öffentliche Sicherheit und Ordnung angesichts der Bedrohung durch gesellschaftliche Gruppen, die Gewalt gegen Bürger sowie öffentliches und privates Eigentum als Form des Protests einsetzen, gewährleistet werden“. Das Museum und Kulturzentrum wurde bereits bei den Protesten 2019 als Versammlungszentrum genutzt. Es dient traditionell auch als Unterkunft und Schutzzone für die Familien der Protestierenden, von denen viele von weit her mit ihren Kindern in die Hauptstadt reisen, um die Proteste zu unterstützen. Der Vorsitzende des Casa de la Cultura, Fernando Cerón bezeichnete die Besetzung als diktatorische Handlung.

Auf die anhaltende Kriminalisierung der Protestierenden seitens der Regierung, reagierten Frauen aus der indigenen Bevölkerung, verschiedene feministische Kollektive und LGBTIQ-Personen mit einer großen Demonstration in Quito am 25. Juni. Indira Vargas sagt über die Rolle der Frauen während der Streiks: „Die Frauen haben eine sehr wichtige und zentrale Aufgabe während dieser Proteste eingenommen. Wenn die Einheit und Solidarität aller gebraucht wurde, waren die Frauen da, in der ersten Reihe, auch wenn es um die Gesundheit und Versorgung der Menschen ging.“

Doch trotz der vielen friedlichen Proteste überschattete, wie schon in den Jahren zuvor, die ausufernde Gewalt alles andere. Die Organisation Allianz für Menschenrechte Ecuador zählte am 14. Tag des Streiks 73 Menschenrechtsverletzungen, 5 Todesopfer, 200 Verletzte und 145 Festnahmen. Die Einigung kam dann in einem Moment, in dem viele schon nicht mehr daran glaubten.

An dem Dialog, der am 27. Juni zwischen Vertreterinnen verschiedener indigener Organisationen sowie Repräsentanten der Regierung aufgenommen wurde, nahm Guillermo Lasso selbst nicht teil. Nur einen Tag später kündigte er die Gespräche einseitig auf: „Wir werden nicht an einen gemeinsamen Tisch mit Leonidas Iza zurückkehren, der nur seine eigenen politischen Interessen vertritt und nicht die seiner Basis“, sagte der Präsident im Rahmen einer Pressekonferenz. Er offenbarte damit erneut seine Ignoranz und Unkenntnis gegenüber der Organisationsstruktur der indigenen Bevölkerung. Ramira Álvila, ehemaliger Richter des ecuadorianischen Verfassungsgerichts, sagte zu der Reaktion des Präsidenten: „Eine indigene Führungspersönlichkeit zu ignorieren, bedeutet ihre kollektive Organisationsstruktur zu ignorieren, und damit begeht der Präsident einen gravierenden Fehler.“

Überwältigende Solidarität gegen Polizeigewalt

Wenige Stunden zuvor war bei Straßenschlachten zwischen Demonstrierenden und Sicherheitskräften in der Provinz Sucumbíos ein Soldat ums Leben gekommen. Auch das galt der Regierung als Anlass, die Verhandlungen einseitig aufzukündigen. Von den fünf Todesopfern, welche die Proteste zu diesem Zeitpunkt bereits unter den Demonstrierenden gefordert hatten, war dabei keine Rede. Für Entsetzen sorgte der Fall von Byron Holger Guatatuca, der ums Leben kam, als er während Auseinandersetzungen in der Stadt Puyo von einer aus unmittelbarer Nähe gegen ihn abgefeuerten Tränengasgranate am Kopf getroffen wurde.

Indira Vargas, die mit etwa 700 Delegierten aus ihrer Provinz nach Quito gereist war, berichtet neben der Polizeigewalt auch von der überwältigenden Solidarität vieler Stadtbewohnerinnen gegenüber der indigenen Bevölkerung. „Die Menschen haben Wasser gespendet, Brot, Kleidung und Decken, um das kalte Klima erträglich zu machen. Während der gesamten Reise, bis wir die Hauptstadt erreichten, haben wir sehr viel Solidarität erfahren. Die Leute haben geweint, sie haben uns mit offenen Armen empfangen.“

Die Regierung, wenn auch wieder nicht in direkter Vertretung durch ihren Präsidenten, nahm die Verhandlungen mit der CONAIE unter Vermittlung der Bischofskonferenz wieder auf. Einen Tag später wurde die Einigung zwischen den beiden Parteien und die damit verbundene Beendigung der Proteste bekannt gegeben. Die Regierung versprach eine sofortige Senkung der Treibstoffpreise um 15 US-Cent, eine Senkung der Lebensmittelpreise sowie die Einführung von Kontrollen, um Spekulation zu verhindern. Das Dekret 151 zum Bergbausektor soll reformiert werden und der Bergbau in geschützten und archäologischen Gebieten sowie in Wasserschutzgebieten untersagt. Außerdem muss das Recht der freien, vorherigen Konsultation der indigenen Bevölkerung gewährleistet werden. Das Dekret 95, welches die Verdopplung der Öl-Produktion in indigenen Territorien vorsah, wird zurückgenommen. Darüber hinaus einigten sich die Parteien darauf, die übrigen Vereinbarungen innerhalb der nächsten 90 Tage im Rahmen eines weiteren Dialoges zu evaluieren.

Die indigene Bevölkerung Ecuadors, unterstützt von Gewerkschaften, Studierenden und weiteren sozialen Bewegungen, hat erneut gezeigt, dass sie eine Politik, von der nur die oberen Schichten des Landes profitieren, nicht akzeptiert und sich von Spaltungsversuchen sowie der Gewalt des Staatsapparates nicht einschüchtern lässt. Ihr Kampf geht weiter – für eine Politik, die dem Konzept des plurinationalen Staates, wie er in der ecuadorianischen Verfassung festgeschrieben ist, angemessen ist.

Zwischen Schlangen und Smartphones

Juunt Pastaza entsari | Waters of Pastaza | Die Kinder vom Río Pastaza, Berlinale 2022 (Foto: © Inês T. Alves)

Bewertung: 3 / 5

Appetitlich sehen sie aus, die Früchte, die sich die Kinder von den Bäumen holen und öffnen, indem sie sie gegen deren riesige Stämme schlagen. Aber auch ein bisschen wie aus einer anderen Welt. So wie die übergroßen Pilze, Schmetterlinge, Käfer und Spinnen, die sie auf dem Weg durch den tropischen Regenwald finden und in die Hand nehmen. Nur ist diese Welt am Amazonas für die Kinder keine exotische, sondern ihre ganz normale Umgebung. Ohne Erwachsene durch das endlose Grün der meterhohen Vegetation streifen, mit der Machete umgehen, Fische fangen, Feuer machen – auch für Sechs- bis Achtjährige ist das Alltag. Und zu zweit mit dem Kanu über den riesigen Rio Pastaza zu fahren ist, wie für Gleichaltrige woanders den Schulbus zu nehmen.

Die portugiesische Filmemacherin Inês Alves ist für ihre Dokumentation Juunt Pastaza entsari („Die Kinder vom Rio Pastaza“) zur indigenen Gemeinschaft der Achuar gefahren, die im ecuadorianischen Amazonasgebiet an der Grenze zu Peru lebt. Eigentlich nur für ein Bildungsprojekt in der Grundschule der Gemeinschaft gekommen, war sie schon bald von der Autonomie der Kinder beeindruckt, die ihren Alltag umgeben von der spektakulären Natur fast komplett ohne ihre Eltern meistern. Sie beschloss, einen Film mit ihnen zu drehen. Die Perspektive ist dabei nicht voyeuristisch. Vielmehr folgt die Kamera den Kindern bei ihren täglichen Unternehmungen, Spielen und Aufgaben, als wäre sie selbst ein Teil der Gruppe. Einige Aufnahmen wurden sogar von den Kindern selbst gemacht. Interessant ist Juunt Pastaza entsari auch, weil die Siedlung, in der die Kinder wohnen, erst kurz vor Alves‘ Ankunft ans Elektrizitätsnetz angeschlossen wurde. Smartphones sind deshalb natürlich ein begehrtes Spielzeug, der Umgang damit ist aber bald schon so normal, wie eine Schlange um einen Stock zu wickeln.

Juunt Pastaza entsari zeigt, wie anders die Lebenswelt von Kindern in einem Umfeld aussehen kann, das sich völlig von dem den meisten Kinobesucher*innen bekannten unterscheidet. Aber es gibt auch Ähnlichkeiten: So gehören T-Shirts von Frozen oder den regionalen Fußballklubs zu den beliebtesten Kleidungsstücken. In der Berlinale-Sektion Kplus ist der Film gut aufgehoben und ein Kinobesuch für Eltern auch mit kleinen Kindern empfehlenswert. Die schönen Naturaufnahmen und die mit knapp über einer Stunde nicht allzu lange Laufzeit sollten dafür sorgen, dass es trotz eines fehlenden Narrativs oder Off-Kommentars nicht zu langweilig wird.

DER INDIGENE FAKTOR

Wenn wir für die Erde sorgen, wird die Erde auch für uns sorgen Wandbild in Baños (Fotos: Anika Pinz)

„Einmal mehr gibt die indigene Bewegung uns unsere Würde zurück“, sagte der Mediziner und Gesellschaftskritiker Jaimie Breilh im Oktober 2019 über die damalige Situation (Siehe LN 545). Damals wurde das Land durch Straßenblockaden und Massenproteste für fast zwei Wochen lahmgelegt. Am Ende standen Verhandlungen zwischen dem damaligen Präsidenten Lenín Moreno (Alianza País) und der CONAIE. Ein Delegierter der Vereinten Nationen vermittelte und noch am ersten Verhandlungstag kam die Zusage von Lenín Moreno, das umstrittene Dekret 883, das der Auslöser für die Proteste gewesen war, zurückzunehmen. Das Dekret war ein Produkt neoliberaler Sparmaßnahmen und sah die Streichung der Subventionen für Benzin- und Dieselpreise vor. Das Verhandlungsergebnis bildete einen Erfolg für die indigene Bewegung und die Demonstrierenden im ganzen Land.

Die Proteste vor zwei Jahren waren nicht der erste Anlass, bei dem sich die indigene Bewegung Ecuadors als entscheidende Akteurin gegen die neoliberale Politik der jeweiligen Regierung positionierte. Nachdem sich die CONAIE 1986 aus einem Zusammenschluss des indigenen Verbandes aus dem Hochland, ECUARANARI, und der CONFENAIE aus dem Amazonasgebiet gegründet hatte, kam es 1990 zu den ersten landesweiten Protesten, dem sogenannten Inti Raymi-Aufstand (benannt nach dem indigenen Sonnenwendenfest). Auch damals nutzen die Demonstrierenden Straßenblockaden und die Besetzung öffentlicher Gebäude zu ihrem Vorteil. Ein Manifest mit 16 Forderungen wurde vorgelegt. Ganz oben standen die Reform der ecuadorianischen Verfassung und die Erklärung des Landes zu einem plurinationalen Staat. Außerdem wurde die Anerkennung der territorialen Rechte der indigenen Kichwa, Shiwar und Achuar gefordert. Konfrontiert mit der Wucht der Bewegung, sah sich die damalige Regierung von Präsident Rodrigo Borja, der sozialdemokratischen Partei Izquierda Democrática (ID), gezwungen mit den Protestparteien in Verhandlungen zu treten. Diese wurden zwar nach einigem Hin und Her ergebnislos abgebrochen, dennoch trug dies zur Wahrnehmung der CONAIE als führende mobilisierende Kraft im Land bei. Die Kompromisslosigkeit der Regierung hatte 1992 weitere Aufstände zur Folge und Borjas erkannte schließlich die Rechte der Indigenen über mehr als eine Millionen Hektar Land an, die Hälfte des geforderten Territoriums. Die Forderung nach der Anerkennung Ecuadors als plurinationaler Staat wurde 1992 noch als „Gefährdung der nationalen Einheit“ abgelehnt.

Die 90er Jahre waren geprägt von mehreren Protestwellen, die 1999 im Sturz des damaligen Präsidenten Jamil Mahuad, der Mitte-rechts Partei christlich-demokratische Union (UDC), gipfelten, nachdem dieser zur Sanierung des Staatshaushalts unter anderem die Subventionen für Strom und Gas strich, was zu einem kurzzeitigen Preisanstieg von 400 Prozent führte. Erneut war die CONAIE die treibende Kraft der Protestbewegung. Ein weiterer Präsident musste gehen, bevor Rafael Correa 2007, als linker Hoffnungsträger, das Präsidentschaftsamt antrat. Der ehemalige Militär Lucio Gutiérrez positionierte sich vor seiner Wahl zum Präsidenten im Jahr 2003, als überzeugter Anti-Neoliberaler, unterzeichnete dann aber nur wenige Monate nach Regierungswechsel neue Kreditverträge mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF). Der politische Arm der CONAIE, die Partei Pachakutik, die Gutiérrez zuvor zur Macht verholfen hatte, brach mit dem Präsidenten nach nur wenigen Monaten und verließ die Regierung. Gutiérrez wurde 2005 vom ecuadorianischen Kongress abgesetzt. Pachakutik und respektive die CONAIE verloren nach der Koalition mit Gutiérrez nachhaltig an öffentlichem Ansehen und stürzten in eine politische Krise. Die Wahlergebnisse bei den Präsidentschaftswahlen 2006 und den Wahlen 2007 zur Verfassunggebenden Versammlung waren die schlechtesten in der Geschichte der Partei.

Trotzdem nahmen die CONAIE und Pachakutik, sowie weitere indigene Organisationen, maßgeblichen Einfluss auf die Arbeit der Verfassunggebenden Versammlung. Der Begriff der Plurinationalität wurde in den ersten Artikel der ecuadorianischen Verfassung von 2008 aufgenommen.

Nach anfänglicher Unterstützung der progressiven Agenda des Präsidenten Rafael Correa (2007-2017) seitens der CONAIE trug der Unmut über Correas zunehmende Investitionen in extraktivistische Projekte und die daraus resultierende Umweltzerstörung sowie die zunehmende Kriminalisierung jeglicher zivilgesellschaftlicher Bündnisse zur weiteren Distanzierung der beiden Parteien bei. Luis Herrera R., Fotograf, Filmemacher und Gründer des multidisziplinären Zentrums für Kichwa-Studien, arbeitet seit vielen Jahren mit indigenen Aktivist*innen. Im Gespräch mit LN sagte er über Rafael Correa, dass dieser sein politisches Projekt auf dem Rücken der Aktivist*innen austrug, die er systematisch zum Schweigen gebracht hatte.

Die 90er Jahre waren geprägt von mehreren Protestwellen

Mit Lenín Moreno kam 2017 wieder ein Präsident an die Macht, der seine neoliberale Ausrichtung vor seiner Wahl nicht zu erkennen gab. Umso deutlicher wurde diese, als Moreno im Februar 2019 einen Kreditvertrag über 4,2 Milliarden US-Dollar mit dem IWF unterzeichnete. Der Bevölkerung wurde ein Paket an drastischen Sparmaßnahmen vorgestellt, darunter das berüchtigte Dekret 883 – die Kraftstoffpreise verdoppelten sich über Nacht. Hätte Moreno die Wucht der Proteste hervorsagen können, hätte er wohl anders gehandelt. „Die Proteste von 2019 waren so wichtig für die sozialen Organisationen, weil wir zehn Jahre des Correismus hinter uns gelassen hatten. Während des Correismus wurden die sozialen Bewegungen, darunter die indigene Bewegung, die Campesinos, die Studierenden, die feministische Bewegung, und die Gewerkschaften, auf brutale Art und Weise demontiert“, so Luis Herrera R.. Doch auch Correas Nachfolger nutzte die Macht des Staates um die Proteste einzudämmen. Die Proteste hatten noch nicht einmal richtig begonnen, da hatte Moreno schon den Ausnahmezustand verhängt. Die Gewalt der Sicherheitskräfte forderte elf Todesopfer. Zur Bedeutung der Proteste in Ecuador im Angesicht der Gewalt des Staates sagte die Künstlerin Pepita Machado in einem Interview mit der feministischen Zeitung La Periódica: „In Lateinamerika wird Protest mit Gewalt verwechselt. Es gibt wenig Toleranz für die Proteste und viel Gewalt gegen sie. Die Menschen erheben berechtigterweise ihre Stimme. Deswegen ist es so wichtig, das Demonstrationsrecht zu schützen“.

In der neuen ecuadorianischen Verfassung haben sich die indigenen Rechte erkämpft Wandbild in Baños

2021 gewann mit Guillermo Lasso wieder ein konservativer Politiker, der seine neoliberale Agenda bereits während des Wahlkampfs präsentierte. Und wieder ließen die Proteste nicht lange auf sich warten. Im September wurde der Abschluss neuer Milliardenkreditverträge mit dem IWF bekannt und die Regierung kündigte an, innerhalb der nächsten vier Jahre 20 Freihandelsabkommen mit den wirtschaftsstärksten Staaten der Welt abschließen zu wollen. Nach mehreren Demonstrationen lud Lasso die CONAIE Anfang Oktober zum Dialog ein. Der Präsident der Organisation, Leonidas Iza, sagte in einem Radiointerview über das Resultat: „Beim Bergbau gibt es keinen Fortschritt. Deswegen fordern wir den Präsidenten dazu auf, zumindest die territorialen Rechte (der indigenen Bevölkerung, Anm. der Redaktion) zu respektieren. Selbst diese grundlegende Forderung scheint jedoch nicht gesichert. So kamen Anfang Oktober Satellitenbilder an die Öffentlichkeit, die den Bau einer Straße im Yasuní-Nationalpark sowie die Abholzung von Wäldern für eine Ölplattform zeigen. Diese endet nur kurz vor der sogenannten Buffer Zone, welche die in freiwilliger Isolation lebenden Völker vor dem Extraktivismus schützt. Die Organisation YASunidos twitterte dazu: „Wir fordern einen Baustopp der Straße sowie der Ölplattformen im Yasuni-Nationalpark. Nichts könnte der Zukunft Ecuadors und seiner Rolle in der Welt mehr schaden, als einen Ethnozid an den isolierten Völkern zu begehen.“

Auch Lassos wirtschaftspolitische Sparmaßnahmen sorgen weiterhin für Aufsehen. Per Dekret ließ er die Preise für Benzin auf 2,55 US-Dollar einfrieren und die Preise für Diesel auf 1,90 US-Dollar – dies entspricht einer Preissteigerung um 45 Prozent im Vergleich zum Juni 2020. Die CONAIE bezeichnete das Vorgehen des Präsidenten als betrügerisch und forderte das Einfrieren des Preises von Benzin auf 2 US-Dollar und des Preises von Diesel auf 1,50 US-Dollar, um die Familien des Landes zu entlasten.

Die indigene Bewegung gibt uns unsere Würde zurück

Am 26. und 27. Oktober kam es erneut zu landesweiten Streiks. „So lange sich der Präsident nicht um die zentralen Probleme der Bevölkerung kümmert und die wirtschaftliche Lage weiter die Ärmsten des Landes belastet, werden die Menschen weiter auf die Straßen gehen“, so Leonidas Iza. Diverse Menschenrechtsorganisationen verurteilten das aggressive Vorgehen der Sicherheitskräfte gegenüber den Demonstrierenden. Den Ausnahmezustand hatte Lasso bereits am 18. Oktober, unter Berufung auf „schwere innere Unruhen“ ausgerufen und bezog sich damit auch auf die jüngsten Gefängnisaufstände – die bisher schwersten in der Geschichte Ecuadors. Das Bündnis „Allianz der Menschenrechtsorganisationen“ kritisierte die Regierung auf Twitter für die Aushängung dieses Ausnahmezustands kurz vor angekündigten Demonstrationen, bei denen die Menschen vom Staat einfordern, dass er ihre Rechte garantiert. Der Präsident versprach den Protestparteien erneut, mit ihnen in Dialog zu treten, jedoch erst nach seiner Europareise, zu der er unter anderem aufbrach, um auf dem Weltklimagipfel in Glasgow zu sprechen. Jedoch – und auch das kann als Folgewirkung der Proteste von vor zwei Jahren betrachtet werden – sitzt der Präsident nicht unbedingt am längeren Hebel. Lassos mitte-rechts Partei CREO ist lediglich die fünftstärkste Kraft in der Nationalversammlung, Pachakutik hingegen erreichte bei den vergangenen Wahlen ihr historisch bestes Ergebnis und wurde zweitstärkste Kraft. „Lasso hat die großen Medien des Landes auf seiner Seite, aber die Mehrheit im Parlament hat er nicht“, so Luis Herrera. Der Großteil der Bevölkerung unterstütze Lassos Wirtschaftspolitik nicht; das seien nur wenige Finanzeliten und die Unternehmerklasse, so Herrera weiter. Lasso gewann nicht, weil er die große Mehrheit der Bevölkerung hinter sich hat, sondern weil er für viele das kleinere Übel zu Andrés Arauz, dem politischen Zögling Rafael Correas darstellte. Sollte Lasso nicht weitere Schritte auf die sozialen Bewegungen und die Opposition zugehen, wird er es schwer haben, die folgenden dreieinhalb Jahre seiner Präsidentschaft zu überstehen. Denn die Historie der sozialen Bewegungen in Ecuador unter der Führung der CONAIE zeigt, dass die Ignoranz der Regierenden gegenüber der Bevölkerung selten ohne deren Widerstand geschieht.

PANDORA PAPERS BELASTEN POLITIKER MEHRERER LÄNDER

14 ehemalige und amtierende Staats- und Regierungschefs aus Lateinamerika stehen nach der Veröffentlichung der Pandora Papers unter Verdacht, einen Teil ihres Vermögens in Briefkastenfirmen vor der Öffentlichkeit versteckt zu haben. Darunter sind die amtierenden Präsidenten Sebastián Piñera (Chile), Guillermo Lasso (Ecuador) und Luis Abinader (Dominikanische Republik). Auch Regierungsmitglieder anderer Länder sind von den Enthüllungen betroffen, wie der brasilianische Wirtschaftsminister Paulo Guedes oder der mexikanische Staatssekretär für Kommunikation und Transport Jorge Arganis Díaz Leal.

Ein Zusammenschluss von mehr als 600 Journalist*innen aus 117 Ländern hatte in einer geheimen Recherche fast 12 Millionen vertrauliche Dokumente ausgewertet. Die Daten wurde dem International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) von einer anonymen Quelle zugespielt. Am 3. Oktober wurden die Ergebnisse ihrer Analysen unter dem Namen Pandora Papers weltweit veröffentlicht. Namhafte internationale Medien wie BBC, die Washington Post oder El País beteiligten sich an den Analysen und deren Veröffentlichung.

Die vertraulichen Dokumente stammen von 14 sogenannten Offshore-Providern. Diese Firmen helfen ihren Kunden dabei, in Steueroasen Briefkastenfirmen zu gründen. Der Besitz einer Offshore-Firma ist nicht illegal, wird aber häufig zur Geldwäsche oder Steuerhinterziehung genutzt. Gerade bei Regierungsmitgliedern wird der Versuch, dem Staat Steuern zu entziehen, als unethisch betrachtet, oft auch gesetzlich sanktioniert.

Brasilien: Wirtschaftsminister besitzt Briefkastenfirma

Paulo Guedes, seit 2019 „Superminister“ für Wirtschaft und Finanzen und neoliberaler Hardliner, wird von den investigativen Recherchen der Pandora Papers belastet. Er wird als Besitzer der Offshore-Firma Dreadnoughts International Group genannt, die in der Steueroase der Britischen Jungferninseln angesiedelt ist. Die Zeitschrift Piauí berichtete am 3. Oktober 2021, dass die Briefkastenfirma im September 2014 eröffnet wurde. Mitgesellschafterin von Guedes war seine Tochter Paula Drumond Guedes. Beide zahlten insgesamt 8 Millionen US-Dollar auf ein Konto der Crédit Suisse in New York ein, indem sie 50.000 mal den Betrag von 160 US-Dollar überwiesen. Bis August 2015 wurde die Einlage auf 9,5 Millionen US-Dollar erhöht.

Nach Aussagen seiner Anwälte verließ Guedes das Management seiner Offshore-Firma im Dezember 2018, bevor er das Amt als Minister antrat. Seither habe er auf jegliche Beteiligung an den finanziellen Entscheidungen des Unternehmens verzichtet und weder Überweisungen auf, noch Abhebungen von Konten im Ausland getätigt. Durch die Abwertung des Real während seiner Amtszeit stieg sein Vermögen in der Landeswährung allerdings von 35 auf 51 Millionen Reais.

In Brasilien ist der Besitz einer Offshore-Firma – auch in Steueroasen – nicht illegal, solange der Besitz der Steuerbehörde gemeldet wird. Dies ist laut Guedes der Fall. Die Opposition spricht jedoch von einem potenziellen Interessenkonflikt, da sich der Wirtschaftsminister indirekt durch seine Politik bereichert haben könnte. Am 6. Oktober wurde im Parlament entschieden, dass der Finanzminister dazu vor dem Plenum und vor zwei Kommissionen Stellung nehmen muss. Gegenüber Journalist*innen sagte Guedes, er sei „sehr gelassen“ und habe nie privat von seinem Amt profitiert.

Am 7. Oktober fanden vor dem Wirtschaftsministerium mehrere Proteste gegen Guedes statt. Morgens regnete es dort Dollar-Spielgeld mit dem Gesicht des Ministers, am Nachmittag wurde das Gebäude mit Slogans wie „Guedes im Paradies und das Volk in der Hölle“ oder „Guedes verdient am Hunger“ besprüht.

Chile: Transaktionen bedrohen Naturschutzgebiet

In Chile deckten die Pandora Papers neue Details zu Geschäften von Präsident Piñera im Zusammenhang mit der geplanten Eisen- und Kupfermine Minera Dominga auf. Der Milliardär Piñera war zu Beginn seiner ersten Amtszeit Hauptaktionär des Projekts, verkaufte jedoch Ende 2010 seine Anteile für 152 Millionen US-Dollar an seinen Schulfreund Carlos Alberto Délano. Davon wurden 138 Millionen mittels einer Transaktion auf den Britischen Jungferninseln bezahlt, einer Steueroase in der Karibik. Der Betrag sollte in drei Raten bezahlt werden, die letzte Rate war jedoch nur fällig, sofern das für das Projekt vorgesehene Küstengebiet nahe der Stadt La Higuera nicht zu einem Naturschutzgebiet erklärt würde. Darauf hatte Piñera als Präsident maßgeblichen Einfluss.

Die Region um La Higuera gilt als Hotspot der Biodiversität. Dort, wo für die geplante Mine ein eigener Hafen gebaut werden soll, befindet sich ein wichtiges Brutgebiet der vom Aussterben bedrohten Humboldt-Pinguine, auch Wale und Delfine leben dort. Piñera ignorierte jedoch die Umweltbewegung, die letzte der drei Raten wurde bezahlt und im August 2021 genehmigte die zuständige Behörde das Bergbauprojekt.

Der Präsident bestreitet einen Interessenskonflikt und beruft sich darauf, dass seine Beteiligung an dem Projekt bereits im Jahr 2017 Gegenstand von Ermittlungen gewesen sei, die zu seinem Freispruch führten. Da die Bedingung für die Zahlung der dritten Rate damals jedoch nicht untersucht wurde, hat die Staatsanwaltschaft nun die Wiederaufnahme von Ermittlungen beschlossen. Die Oppositionsparteien haben angekündigt, ein Amtsenthebungsverfahren einzuleiten.

Ecuador: Das Geld zieht um

In Ecuador gibt es seit einem Referendum im Februar 2017 ein Gesetz, welches es politischen Funktionsträgern verbietet, Geld in Steueroasen zu haben. Die Pandora Papers weisen dem amtierenden Präsidenten des Landes, Guillermo Lasso, die Nutzung von 14 verschiedenen Offshore-Firmen nach. Etwa drei Monate nach Erlass des genannten Gesetzes wurden im US-amerikanischen Bundesstaat South Dakota zwei Trusts gegründet, auf die die Anteile der meisten von Lasso angeblich aufgelösten Unternehmen überschrieben wurde. Lasso verteidigte sich damit, keinerlei Besitz, Kontrolle, Nutzen oder Interesse an diesen Einrichtungen zu haben und behauptet, sich immer an geltendes ecuadorianisches Recht gehalten zu haben.

Wie die Süddeutsche Zeitung (SZ) am 3. Oktober 2021 berichtete, hatte Lasso für die Konten in South Dakota keine Adresse in Ecuador, sondern in Florida (USA) angegeben. Mit diesem „Umzug“ nach South
Dakota war Lasso laut SZ in gewisser Weise auch Vorreiter für andere, die nach den Enthüllungen Panama Papers ihre Gelder aus Steueroasen in den US-Bundesstaat brachten.

Aus den in den Pandora Papers enthaltenen Dokumenten soll nicht hervorgehen, wer die Begünstigten der Trusts sind. Sollte Lasso allerdings noch immer Verbindungen zu dem Geld haben, könnte es ungemütlich für ihn werden. Die für Steuerfragen zuständige Kommission im ecuadorianischen Parlament kündigte Untersuchungen gegen Lasso an.

Peru: Ex-Präsident Kuczynski kaufte Offshore

Der Name des neoliberalen peruanischen Ex-Präsidenten Pedro Pablo Kuczynski (2016-2018) taucht ebenfalls in den Pandora Papers auf. Kuczynski (PPK) hatte im Jahr 2004, als er das Amt des Finanzministers unter Alejandro Toledo innehatte, die Offshore-Firma Dorado Asset Management auf den britischen Jungferninseln erworben. Diese soll nicht nur als Holding für Immobilien fungiert haben, sondern auch Finanzberatung zum Ziel gehabt haben, wie das Investigativportal Convoca schreibt.

In die Ermittlungen gegen PPK wegen Geldwäsche im Rahmen von Schmiergeldzahlungen durch das brasilianische Bauunternehmen Odebrecht war Dorado bereits 2019 einbezogen worden. Von Odebrecht als Beratungshonorare getarnte Gelder an PPKs Beraterfirma Westfield Capital sollen von Dorado zum Kauf zweier Immobilien in PPKs Besitz verwendet worden sein. Seit 2019 befindet sich PPK im Hausarrest, die betroffenen Immobilien wurden beschlagnahmt.

Nach Ansicht des zuständigen Staatsanwaltes Domingo Pérez ist das bisher unbekannte Ziel des Unternehmens, die Verschleierung des wahren Zwecks „eindeutig ein Verhalten, das mit Geldwäsche zu tun hat“, wie er gegenüber Convoca angab. Man werde nun weitere Transaktionen von Dorado aus dem Zeitraum von 2004-2014 prüfen. 2014 hatte PPK die Firma unter verändertem Namen nach Peru transferiert.

IN 76 TAGEN VOM VERLIERER ZUM PRÄSIDENTEN

Wahlentscheidend? Die indigene Bewegung rief dazu auf, ungültig zu wählen (Foto: Karen Toro)

Im dritten Anlauf hat es Guillermo Lasso geschafft: Am 24. Mai wird der langjährige Geschäftsführer einer der größten Banken des Landes die Präsidentschaft in Ecuador antreten. Er gewann die Stichwahl am 11. April mit 52,36 Prozent der gültigen Stimmen gegen den Vertreter des Correismus Andrés Arauz. Gleichzeitig stimmte ein historisch hoher Anteil ungültig – über 16 Prozent. Der Dachverband der Indigenen CONAIE und die ihr nahestehende Partei Pachakutik hatten dazu aufgerufen.

Deshalb werfen Teile der Linken der indigenen Bewegung, die die treibende Kraft bei den Protesten im Oktober 2019 gegen neoliberale Sparmaßnahmen war, nun vor, einem Neoliberalen zum Sieg verholfen zu haben. Aus der Ferne betrachtet schienen die Rollen klar verteilt: Links gegen rechts, Progressive gegen Neoliberale. Warum also unterstützten viele Linke − die indigene und andere soziale Bewegungen in Ecuador − Arauz nicht gegen den Kandidaten der Rechten, sondern riefen auf, ungültig zu wählen?

Vor allem wegen schlechter Erfahrungen mit dem Correismus, benannt nach dem langjährigen Präsidenten Rafael Correa. Dieser bekannte sich zum „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“, aber seine Politik setzte mehr auf eine Modernisierung des Kapitalismus mit einem starken Staat als auf ein gesellschaftsveränderndes Programm. In anderen Fragen ist er schlicht katholisch-konservativ: Als Teile seiner Partei die Legalisierung von Abtreibungen nach einer Vergewaltigung bereits 2013 durchsetzen wollten, drohte er mit Rücktritt.

Arauz selbst war vor den Wahlen in Ecuador weitgehend unbekannt. Gewählt und beworben wurde er als Kandidat Correas. Sein Versprechen: Nach vier Jahren Unterbrechung zurück zu den goldenen Jahren des Correismus. Angesichts der von der Pandemie noch verschärften Krise sehnten sich tatsächlich viele Bürger*innen nach stabileren Verhältnissen zurück und wählten Arauz. Die ersten Regierungsjahre Rafael Correas brachten für die meisten Ecuadorianer*innen sichtbare Errungenschaften, vornehmlich Bauprojekte, und spürbare Vorteile: sozialversicherte Jobs, Stipendien und Sozialprogramme.

Die Erinnerung an die fetten Jahre reichte für viele Wähler*innen aber nicht aus. Viele sahen die Verantwortung für die aktuelle Krise auch bei den Correisten. Und tatsächlich stiegen die Auslandsschulden trotz Rohstoffbooms und mit fallenden Ölpreisen mussten Sozialausgaben gekürzt werden. Ab 2015, also noch unter der Regierung Correas, gab Ecuador wieder mehr für den Schuldendienst aus als für Gesundheit und Bildung zusammen.

Neuer Präsident ohne Mehrheit im Parlament

Vor diesem Hintergrund erreichte Arauz zwar bei der ersten Runde am 7. Februar die meisten Stimmen. Allerdings konnte er mit nur 32 Prozent nicht an frühere Erfolge seines politischen Ziehvaters anknüpfen. Die traditionelle Rechte wurde abgestraft. Lasso schaffte es nur knapp in die Stichwahl, trotz seines Bündnisses mit der wichtigsten Konkurrenz innerhalb des rechten Spektrums, der Sozial-christlichen Partei (PSC). Im Parlament kommen Lassos CREO und PSC zusammen nur auf knapp 22 Prozent der Sitze, ein historisch schlechtes Ergebnis. 2017 waren es noch fast 36 Prozent.

Die größte Überraschung des ersten Wahlgangs war der Erfolg von Pachakutik und ihrem Kandidaten Yaku Pérez, der sich als ökologischer Linker bezeichnet. Pérez kam landesweit auf 19,39 Prozent. Und seine Partei Pachakutik, die als parlamentarischer Arm der CONAIE gilt, wird als zweitgrößte Fraktion ins Parlament einziehen (siehe LN 561).

Während der Auszählung der Stimmen lag Pérez zunächst an zweiter Stelle, konnte also mit einem Platz in der Stichwahl rechnen. Im offiziellen Endergebnis überflügelte ihn dann Lasso mit einem Vorsprung von gut 32.000 Stimmen. Pachakutik reichte über 27.000 Akten mit Unstimmigkeiten ein. Von diesen Akten ließ der Wahlrat aber nur 31 zur Überprüfung zu. Diese verringerten den Abstand von Pérez zu Lasso tatsächlich um 485 Stimmen − viel für 31 Wahltische, viel zu wenig um den Abstand zu Lasso aufzuholen. Ob es Wahlbetrug gab oder nur Schlamperei bei einem von der Pandemie erschwerten Wahlprozess, bleibt offen. Den Antrag auf eine weitere Nachzählung lehnte das Wahlgericht am 14. März ab.

Eine weitere Überraschung war das gute Abschneiden der sozialdemokratischen Traditionspartei Izquierda Democrática (Demokratische Linke) mit ihrem Kandidaten Xavier Hervas. Von dem Frust über den korrupten Politikbetrieb konnten in Ecuador keine Rechtspopulisten à la Bolsonaro profitieren, sondern Pachakutik und Sozialdemokraten.

Im Wahlkampf für die zweite Runde begannen beide Kandidaten ihre Wahlkampfrhetorik zu ändern, um Wähler*innen von Pérez und Hervas zu gewinnen. Arauz nahm in sein Wahlprogramm die Einrichtung von Frauenhäusern auf sowie die Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Binden und Tampons. Auch Lasso sah sich gezwungen, sein Image als erzkonservativer Opus-Dei-Anhänger abzuschwächen und sprach vom „unermüdlichen Kampf der Frauen für Gleichberechtigung und gegen Gewalt”. Auch ökologische Themen hatte er auf einmal im Programm.

Entscheidender für den Wahlsieg von Lasso waren aber vermutlich andere Faktoren. So schaffte er es, sein steifes Image weitgehend loszuwerden. Sein erneuertes Wahlkampfteam verordnete ihm Tiktok-taugliche Sprüche statt langer wirtschaftspolitischer Belehrungen. Außerdem trug er auf einmal rote Turnschuhe.

Auch Arauz versuchte sein Image zu ändern. Er sprach jetzt von Fehlern in der Regierung Correas und viel von Liebe, um sich vom konfrontativen und arroganten Stil seines Ziehvaters abzusetzen. So ließ er Wahlkampfmützen mit dem Slogan „Más amor, menos hate“ (mehr Liebe, weniger Hass) produzieren. Die meisten Wahlanalysen sind sich aber einig, dass er es letztlich nicht schaffte, aus dem Schatten Correas zu treten.

Nach der ersten Wahlrunde reagierten einige, vor allem internationale, Unterstützer*innen des Correismus auf den Überraschungserfolg des indigenen Kandidaten Pérez mit persönlichen Angriffen auf diesen. So wurde beispielsweise insinuiert, er sei von den USA gekauft oder vom Machtwillen seiner brasilianischen Partnerin Manuela Picq getrieben. Als Antwort riefen Intellektuelle und Akademiker*innen aus den USA, Lateinamerika und Europa in einem offenen Brief dazu auf, die „frauenfeindlichen und rassistischen Angriffe auf eine entstehende indigene und ökofeministische Linke in Lateinamerika” zu stoppen. Ihre Hoffnung war, dass der relative Wahlerfolg von Pachakutik in der ersten Runde eine Tendenz markiert: Hin zu einer neuen Linken und weg von den progressiven Regierungen und ihren Erb*innen, geführt von autoritären Persönlichkeiten und gestützt auf die Umverteilung der Einnahmen aus dem Extraktivismus.

Aber auch Linke, die Pérez nicht als Rechten abstempeln, kreiden ihm an, in der Stichwahl nicht Arauz unterstützt zu haben. Ein Beispiel ist der brasilianische Soziologe und Linksintellektuelle Emir Sader. Yaku Pérez und Xavier Hervas stellten, so Sader, „zweitrangige Widersprüche mit der Regierung Correa – Konflikte mit der indigenen Bewegung, Fragen des Umweltschutzes – vor den fundamentalen Widerspruch unserer historischen Periode, den zwischen Neoliberalismus und Post-Neoliberalismus.“ Zweifellos war der Kampf gegen den Neoliberalismus eine wichtige ideologische Klammer für die „Pink Tide“ (rosa Flut), die in den frühen 2000er Jahren viele progressive Regierungen in Lateinamerikas hervorbrachte.

Aus der Perspektive großer Teile der indigenen Bewegung, von Feminist*innen und Öko-Aktivist*innen in Ecuador sind jedenfalls Naturzerstörung, Menschenrechte oder das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper keine Nebensache. Auch werfen sie den Regierungen unter Correa vor, die Justiz für politische Zwecke missbraucht zu haben, etwa um Proteste gegen Bergbauprojekte als Terrorismus abzustempeln. Diese Erfahrungen machen es für sie schwer, zu der von Sader geforderten Einheit zurückzukehren.

Auch ohne diese Vorgeschichte bliebe der Grundkonflikt zwischen den verschiedenen Zukunftsvorstellungen bestehen. Karikaturenhaft werden die beiden Entwicklungsfantasien eingefangen in zwei Tiktok-Videos von Arauz und Pérez: Während sich Pérez filmen lässt, wie er mit seiner Mutter eine Kuh melkt, jongliert Arauz wie im Werbefilm eines Telefonanbieters mit leuchtenden Icons und verspricht Internet für alle, bevor er in einer beschleunigten Welt aus Leuchtziffern verschwindet. Hier eine agrarökologische, kleinbäuerliche Idylle, dort der Sprung in eine Hochtechnologiegesellschaft.

Auf dem Weg zu einer neuen, sozial-ökologischen Linken?

Könnten sich zumindest jetzt, nach Lassos Wahlsieg, beide Lager von den Karikaturen verabschieden und sich als Teil einer pluralen Linken sehen, und so die Niederlage der Rechten in der ersten Wahlrunde mittelfristig in einen Sieg für eine linke, sozial-ökologische Perspektive umzumünzen? Danach sieht es nicht aus.

Und so können sich bisher die internationalen Gläubiger*innen über die Wahl von Lasso freuen und auf regelmäßige Überweisungen hoffen: Die Risikobewertung Ecuadors verbesserte sich sofort, wenn auch bescheiden. Denn bei aller weichgespülten Rhetorik in der zweiten Wahlrunde hat Lasso ein Programm, das den Finanzmärkten gefällt: Er verspricht zwar eine Erhöhung des Mindestlohns, will aber privatisieren, Steuern senken, setzt auf Freihandelsverträge, auf Ankurbelung des Exports und damit auf mehr Extraktivismus. Ob er dieses Programm durchsetzen kann, ist eine andere Frage: Er hat keine Mehrheit im Parlament und wurde vor allem als kleineres Übel gewählt.

Ein Teil der Linken und Aktivist*innen sozialer Bewegungen hoffen jetzt auf Straßenproteste – wie im Oktober 2019 –, um Lassos Politik zu verhindern. Correa sendet dagegen versöhnliche Töne aus seinem belgischen Exil. In einer Ansprache an das ecuadorianische Volk bot er Lasso die Zusammenarbeit zum Wohle Ecuadors an: „Zählen Sie auf uns für alles, was positiv für unser Vaterland sein könnte. (…) Zählen Sie auf unsere Fraktion im Parlament, um die Regierungsfähigkeit zu erhalten.“

CREANDO, CRIANDO Y REVOLUCIONANDO

Illustrationen: Manai Kowii, @narymanai

Ich möchte ausgehend von mir und meinem Leben als Mutter, Frau, Indigene und Filmemacherin erzählen. In anderen Zeiten war das für viele eine undenkbare Kombination, denn die Filmbranche ist ein exklusiver und elitärer Raum, bestimmt für weiße Männer und „bestenfalls” für mestizos.

Seit etwa 30 Jahren haben wir als audiovisuelle Medienschaffende aus indigenen Gemeinden in Ecuador unsere Selbstdarstellung und -bestimmung selbst in die Hand genommen. Wir wollen die Logik zerstören, die uns als Studienobjekte behandelt und uns auf der Basis von externen Interpretationen darstellt.

Wir sollten meinen, dass es im 21. Jahrhundert nicht mehr notwendig sei, unsere Rechte einfordern zu müssen, aber die Realität ist eine andere. Ich kenne keine Filme, in denen professionelle indigene Filmemacher*innen ausgewählt wurden, das Filmteam zu leiten. In vielen Filmen tauchen indigene Figuren im besten Fall als Statist*innen auf. Und wenn als Protagonist*innen, dann aus einer Perspektive, die uns zu Objekten macht. Wir glauben, dass es notwendig ist, die nicht erzählte Geschichte sichtbar zu machen, jene andere Seite, die wir alle aus Bequemlichkeit oder Nachlässigkeit „vergessen” haben, zu erwähnen.

Mit meinen Filmen zeige ich einen Teil von dem, was wir indigenen Gemeinden erleben. In Wahrheit sind es universelle Geschichten. Abseits der romantisierenden Sichtweise, mit der manche uns sehen und behandeln, versuche ich Gefühle und Empfindungen zu erzeugen, die Erzählungen, Diskurse, Ästhetiken und Narrative stören und bekämpfen sowie die Objektifizierung in Frage stellen, der wir durch die patriarchale Dynamik unterworfen wurden.

Diese Linse, durch die wir betrachtet und dargestellt werden, hat uns dazu veranlasst, selbst Schauspielerinnen und Regisseurinnen unserer eigenen Geschichten zu werden. Wir lassen es nicht zu, dass die Medien uns weiterhin folklorisieren, infantilisieren oder jeglicher Menschlichkeit berauben. Obwohl sich die Zeiten geändert haben und mit ihnen die Wahrnehmung von Frauen, ist die machistische Crux immer noch die selbe: Wir werden verzerrt, voller Hass und homogenisierend betrachtet. Das Patriarchat ist die Wurzel aller anderen Formen von Diskriminierung und Unsichtbarmachung, mit denen indigene Frauen behandelt werden.

Sie haben versucht, uns unsere Stimme auf verschiedene, auf subtile und auf brutale Art und Weise, wegzunehmen. Sie haben uns auf alle erdenklichen, vorstellbaren und unvorstellbaren Weisen umbringen wollen, denn die indigenen Gemeinden und Frauen verkörpern den Ungehorsam und die Rebellion gegen die etablierte Ordnung, die auf patriarchalen und kolonialen Strukturen beruht.

Hierzu möchte ich eine Erfahrung teilen: Vor etwa zehn Jahren erzählte ich einer indigenen Autoritätsperson, dass ich einen Dokumentarfilm über indigene Schwule und Lesben machen wollte. Der compañero schaute mich ungläubig an und sagte: „Wie wollen Sie einen Dokumentarfilm über dieses Thema machen, wenn es doch in unseren Gemeinden gar keine Schwulen oder Lesben gibt?” Ich erklärte ihm, dass in den indigenen Gemeinden von Abya Yala (indigene Bezeichnung für den amerikanischen Kontinent, hier: Amerika vor der Kolonialisierung, Anm. d. Red.) jene, die sich ihrer sexuellen Vielfalt seit ihrer Kindheit bewusst waren, nicht isoliert wurden, sondern ihnen eine größere Wertschätzung und Respekt zuteil wurde. Er wollte mir nicht glauben und bezweifelte, dass meine Worte wahr seien. In mir brodelt immer noch das Bedürfnis diese und andere Geschichten zu erzählen.

Ich spreche das an, weil in diesem compañero, wie in vielen anderen, unsere Familien eingeschlossen, das patriarchale Erbe immer noch festsitzt. Es ist notwendig, die Vorstellung nicht zu romantisieren, dass alles, was wir indigenen Gemeinden tun, richtig ist. Wir sind lebendige Kulturen, die sich in ständiger Bewegung und Veränderung befinden. Wir sind Menschen, die – wie alle anderen auch – ihr Leben und ihre Beziehung zu anderen und der Umwelt auf der Grundlage einer strukturellen Herrschaft entwickelt haben. Wir sind nicht von der realen Welt und ihrer Komplexität isoliert. Deshalb müssen wir Gewalt identifizieren und hinterfragen, wo auch immer sie herkommt.

Ein anderes Bild, das ich in meinem Herzen und meinem Verstand als Zeugnis der verbreiteten Existenz patriarchaler und kolonialer Muster trage, ist die Oktoberrebellion. Im Oktober 2019 erlebte Ecuador eine der stärksten sozialen Mobilisierungen des letzten Jahrzehnts. Sie wurde von der Unzufriedenheit der Bevölkerung über das Dekret 883 ausgelöst, das die Abschaffung der Subventionen für Treibstoffe anstrebte, wodurch das Leben aller Ecuadorianer*innen teurer geworden wäre.

In den elf Tagen, die der Aufstand dauerte, waren wir Frauen zentrale politische Akteurinnen. Meine persönliche Erfahrung wurde durch unzählige Gefühle und Empfindungen gelenkt. Nicht nur, weil ich die Ereignisse inmitten der Brutalität der Polizei auf Audio und Video aufnehmen musste, sondern auch, weil die Widerstandskämpferin in mir das Bedürfnis verspürte, die Organisation der Aktionen zu unterstützen. Hinzu kam die Tatsache, dass ich als Mutter besorgt um meinen jugendlichen Sohn war, der zum ersten Mal an einem Aufstand teilnahm. An vorderster Front verhinderte er als matalacri, dass uns das Tränengas vollständig erstickte (matalacris sind die Personen, die für andere Demonstrant*innen Trängengasattacken neutralisieren, Anm. d. Red.).

Alles in mir brach in Empörung, Angst, Wut und Zorn aus, als ich sah, dass nicht unterschieden wurde, gegen wen sich die Repression richtete. Egal, ob du eine Frau, ein Kind oder eine ältere Person warst – mit demselben Hass warfen sie Gasbomben nach links und nach rechts. Die übliche Praxis der Gemeinden ist die Arbeit im Kollektiv, die darauf abzielt, die eigene Identität und die Organisationsprozesse zu stärken. Wenn es zum Beispiel notwendig ist, eine minka (kommunitäre Gemeinschaftsarbeit, Anm. d. Red.) zu machen, nehmen wir alle daran teil, Männer, Frauen, Kinder. Diese Praxis gibt es mittlerweile weniger als früher, aber sie besteht weiterhin. In diesem Fall war es der Oktoberaufstand, der Frauen, Kinder und ältere Menschen zusammenführte, die bei den politischen Aktionen blieben und die gleiche oder noch brutalere staatliche Polizeigewalt erleben mussten, obwohl sie sich in „friedlichen Bereichen” aufhielten.

Die Mutter in mir wollte meinen Sohn nicht nur vor den Bomben und den Kugeln, sondern auch vor dem Ausnahmezustand und der Ausgangssperre schützen. Aber die Widerstandskämpferin in mir wollte, dass er etwas von alledem erlebt, was unsere Mütter und Großmütter erlebt haben, damit seine Erinnerungen, sein Körper, seine Knochen wissen, dass wir alles, was wir jetzt haben, der Macht entrissen haben. Uns ist nichts geschenkt worden. Und diese Erkenntnis hätte durch Gespräche nicht erlangt werden können, sondern nur durch die Erfahrung dessen, dem wir die Stirn boten. Obwohl der Staat uns daran hinderte, frei zu berichten, versuchte die Filmemacherin in mir alles aufzuzeichnen, was passierte. Nicht nur, um das was geschah und was die großen Medien zu verbergen versuchten, anzuklagen, sondern auch, um es als Werkzeug für unsere Erinnerung zu nutzen.

Indigene Frauen werden willkommen geheißen, wenn wir Teil eines kulturellen Aktes sind, wie beim Tanz oder beim Essen. Aber wir werden kriminalisiert und vergewaltigt, wenn wir unsere politische Handlungsmacht ergreifen und es wird versucht, unseren Handlungsspielraum auf den häuslichen oder kulturellen Bereich zu reduzieren. Es ist unerlässlich, all jenes zu dekonstruieren, was sie durch Gesetze und weiß-mestizische Legitimität, die uns in jeglichem Sinne auszulöschen sucht, normalisieren wollten.

Aber wir sind hier, wir sind zurückgekommen und wir sind Millionen. Unsere Lebensenergie hat es verstanden, sich zu widersetzen. Und wir sind stärker und geeinter. Unsere Stimme, die zum Schweigen gebracht wurde, hallt zwischen Flüssen, Bergen und Wäldern, erklingt wie ein tiefes Echo, das aus dem Innersten der Erde, dem Leben, geboren wird.

EIN TAUZIEHEN

(Foto: Fluxus Foto)

Am Abend des 13. Oktober hatte sich die Regierung Moreno dann doch auf Verhandlungen mit den Indigenen eingelassen. Im Ergebnis der Gespräche, die live übertragen wurden, zog die Regierung das umstrittene Dekret 883 zurück und kündigte an, in einer Kommission mit Protestvertreter*innen an einem Ersatzdekret arbeiten zu wollen. Daraufhin endeten die Proteste, bald strömten die Einwohner*innen von Quito zu einer großen minga (kommunitäre Gemeinschaftsarbeit) zusammen, um die Spuren der Zerstörung zu beseitigen. Bands gaben spontane Konzerte, während in ausgelassener Stimmung aufgeräumt, repariert und gefegt wurde.

Mindestens elf Tote sowie Tausende Verletzte und Inhaftierte nach zehn Tagen Protest

Nach zehn Tagen Protest bilanziert der Ombudsmann mindestens elf Tote sowie Tausende Verletzte und Inhaftierte. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission ist derzeit vor Ort, um Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen. Der Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten, Luis Almagro, lobte hingegen bei einer regionalen Sicherheitskonferenz die Regierung für ihre Dialogbereitschaft und Umsicht während der Krise.

Die Regierung um Präsident Lenín Moreno ist seitdem nicht nur bemüht, den Protest systematisch zu kriminalisieren und zu delegitimieren; sie rüstet für künftige Protestwellen militärisch, polizeilich und geheimdienstlich auf. Mehrere prominente Anhänger*innen von Expräsident Rafael Correa wurden verhaftet oder baten in Botschaften um politisches Asyl. Scharfgemacht von Verteidigungsminister Oswaldo Jarrín spricht man nicht mehr nur von einer Verschwörung der Anhänger*innen Correas und einem gescheiterten, aus Venezuela und Kuba gesteuerten Putschversuch, sondern von einer ganzen Reihe bewaffneter Gruppen, die eingeschleust worden seien und neue Antiterrormaßnahmen notwendig machten. Für die tatsächliche Anwesenheit solcher Gruppen gibt es wenige Indizien, auch während des Aufstands war lediglich improvisierte, meist defensive Bewaffnung zu beobachten.

Die sozialen Netzwerke quillen über von rassistischen Kommentaren

Leonidas Iza, Präsident der Indigenen Organisationen der Provinz Cotopaxi, sieht in den Behauptungen der Regierung einen Vorwand, um die heftige Reaktion der Bevölkerung auf eine verfehlte Wirtschaftspolitik kleinzureden: „Es ging ausschließlich um wirtschaftliche Forderungen. Wenn dahinter eine politische Absicht oder gar eine politische Manipulation aus dem Ausland gestanden hätte, hätten die Leute nach dem Rückzug des Dekrets weiter protestiert“. Die Mobilisierung und dahinterstehende Logistik sei spontan und selbstorganisiert gewesen.

Derweil wird die Legitimität der indigenen Anführer, die seit der Ausstrahlung des Dialogs recht bekannt sind, medial und politisch untergraben. Gegen viele von ihnen wurde Anklage erhoben, etwa wegen Entführung von Polizist*innen. Auch wurden Recherchen über angebliche Reichtümer der indigenen Autoritäten veröffentlicht – diese hätten „sogar Kleinflugzeuge“, obwohl es für indigene Gemeinschaften im Amazonasgebiet lebensnotwendig ist, kollektiv Zugang zu diesem oft einzig möglichen Verkehrsmittel zu haben, dessen hohe Kosten die Mobilität auf ein Minimum beschränken.

Die Diskussion um Subventionen für Treibstoffe wird auf das gesamte Wirtschaftsmodell ausgeweitet

Die sozialen Netzwerke quillen unterdessen von rassistischen Kommentaren einer weißen und mestizischen Mittelschicht über, die vorgibt, eine Demokratie gepachtet zu haben, die den Frieden der Privilegierten und die systematische und allgegenwärtige Diskriminierung von Schwarzen und Indigenen bedeutet. Regionalzeitungen veröffentlichen mitunter Stimmen, die offen zur Gewalt gegen Indigene aufrufen. Die Klassenfrage ist neben dem Wiederaufflammen des Rassismus heute so aktuell wie lange nicht mehr.

Die Indigenen weiten die Diskussion um Subventionen für Treibstoffe auf das gesamte Wirtschaftsmodell aus und thematisieren vor allem die Verteidigung und Anerkennung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft. „70 Prozent der in Ecuador konsumierten Lebensmittel werden von Kleinbäuer*innen produziert. Die Agrarunternehmen, die die Bewässerung und das Land auf sich konzentrieren, ernähren uns nicht, die produzieren für den Weltmarkt“, so Leonidas Iza.

Die indigene Konföderation CONAIE berief Ende Oktober alle sozialen Organisationen ein „Parlament des Volkes“ ein. Gewerkschaften, Studierende, Akademiker*innen, Frauenorganisationen und Umweltschützer*innen arbeiteten dort zusammen an Vorschlägen für eine zukünftige Wirtschaftspolitik. Als das Dokument Ende Oktober offiziell der Regierung übergeben wurde, hieß es herablassend, man werde den Vorschlag genauso berücksichtigen wie 60 andere, die man schon erhalten habe. Wurden die Indigenen beim Dialog am 13. Oktober noch als legitime Repräsentant*innen der Bevölkerung behandelt, so degradieren Regierung und rechte Presse sie nun wieder zu unbequemen Hinterwäldler*innen.
Der erarbeitete Vorschlag beansprucht eine tiefgreifende Veränderung. „Es ist uns bewusst, dass die Diskussion um Treibstoffsubventionen in eine langfristige Strategie der Energiewende eingebettet sein muss, um in einer postextraktivistischen Gesellschaft der globalen Erwärmung entgegenzuwirken“, heißt es etwa. Um die Staatskassen zahlungsfähig zu halten und gleichzeitig den im Land produzierten Reichtum gerecht zu verteilen, schlägt man eine progressive Einkommenssteuer vor, die für die 270 größten Unternehmensgruppen im Land um vier Prozent erhöht werden soll, sowie eine Vermögenssteuer von einem Prozent bei gleichzeitiger Senkung der Mehrwertsteuer. Für einen „zivilisatorischen Perspektivwechsel“ soll unter anderem die Gemeinschaftsökonomie gestärkt werden. Alle Bergbaukonzessionen sollen einem Audit unterzogen und die Großkonzessionen zurückgenommen werden. Auch die Ausweitung der Ölförderung im Amazonasgebiet soll gestoppt werden. Neben der Förderung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft und der traditionellen Fischerei soll auch der Tourismus ausgebaut werden, jedoch umwelt- und sozialverträglich. Zuletzt wird eine Offenlegung der Vereinbarungen mit dem IWF gefordert.

Ein Maßnahmenpaket der Regierung für die Förderung ländlicher Gebiete kritisierte die CONAIE als „unglaublich“. Viele dieser Maßnahmen hätten sie bereits vor zwei Jahren in einem Dialogprozess gefordert, heißt es in einer Presseerklärung. Das Paket sieht u.a. neue Kreditlinien für Bäuer*innen, die landesweite Direktvermarktung landwirtschaftlicher Produkte, die Registrierung von Fahrzeugen, die der Landwirtschaft und dem Personentransport dienen, sowie die Wiedereröffnung von 500 ländlichen Schulen vor. Auch hat Moreno dem Parlament einen Gesetzentwurf für die „Transparenz der staatlichen Haushaltspolitik“ vorgelegt. Eine Gruppe von Wirtschaftsexpert*innen äußerte in einem Manifest ihre Sorge darüber, dass dieses Gesetz genau den vom IWF gestellten Bedingungen entspricht und gleichzeitig die wirtschaftliche Stabilität und die Dollarisierung gefährdet – in Ecuador ist seit der Bankenkrise 1999 der US-Dollar Landeswährung. Moreno möchte die Stabilitätsauflagen für private Banken lockern und so ihren Einfluss auf die staatliche Finanzpolitik und die Zentralbank stärken.

Wie es scheint, hat die Moreno-Regierung aus dem Aufstand nur „gelernt“, dass sie beim nächsten Mal besser vorbereitet sein will. So nimmt sie offenbar auch ein Wiederaufflammen der Proteste in Kauf. Bisher ist das Tauziehen um die künftige wirtschaftspolitische Ausrichtung Ecuadors noch in vollem Gang, genauso wie das um Legitimität in der Öffentlichkeit.

 

ECUADORS INDIGENE MELDEN SICH ZURÜCK

Brennende Barrikaden Straßenproteste in Ecuadors Hauptstadt Quito // Foto: Miriam Lang

Die Übereinstimmung der Zahlen ist frappierend: Einen Kredit von vier Milliarden und 200 Millionen Dollar will die ecuadorianische Regierung unter Lenín Moreno vom Internationalen Währungsfonds. Um den zu bekommen, muss sie bestimmte Strukturanpassungsmaßnahmen durchführen: Unter anderem die staatlichen Subventionen für Treibstoffe streichen und die Diesel- und Benzinpreise dem Weltmarktniveau anpassen; aber auch Arbeitnehmer*innenrechte zurücknehmen, um den Arbeitsmarkt zu flexibilisieren. Soziale Organisationen haben errechnet, dass es genau vier Milliarden und 295 Millionen Dollar sind, die Lenín Moreno in den vergangenen Jahren Banken und großen Unternehmen an Steuerzahlungen erlassen hat. Es handelt sich also, so wird argumentiert, um eine eindeutige Umverteilungsmaßnahme von unten nach oben.
Die breite Bevölkerung muss zahlen, damit die Eliten noch reicher werden. 554 Millionen Dollar Profit sollen die Banken allein 2018 gemacht haben, während nun die Gehälter von Staatsangestellten mit Gelegenheitsverträgen pauschal um 20 Prozent gekürzt werden sollen. Zehntausende werden aus dem Staatsapparat entlassen, in eine Ökonomie, die stagniert und kaum Arbeitsplätze zu bieten hat.
Eine Erhöhung der Benzin- und vor allem Dieselpreise bedeutet eine unmittelbare Verteuerung der allgemeinen Lebenshaltungskosten. Die Busfahrkarten im öffentlichen Nahverkehr werden um zehn Cent teurer, aber auch Lebensmittel und Dienstleistungen. Nicht nur, weil die Transportkosten aufgrund des zunächst um 123 Prozent verteuerten Treibstoffs tatsächlich steigen, sondern weil Transportunternehmen und Zwischenhändler*innen obendrein die Gelegenheit nutzen, ihre Gewinnspanne zu erhöhen. Das ist der Hauptgrund für die massiven Proteste, die seit dem 3. Oktober in Ecuador ausgebrochen sind und das Land lahmgelegt haben.
Es geht nicht etwa um eine umweltfreundliche Politik, die die Menschen von der privaten PKW-Nutzung auf öffentliche Verkehrsmittel umlenken soll – dafür müsste in einen sauberen öffentlichen Nahverkehr investiert werden, um eine reale Alternative zu schaffen. Der Effekt wird vielmehr eine weitere Vertiefung der Ungleichheit sein in einem Land, in dem die Ökonomie bereits stark monopolisiert ist. Auch die Ökologiebewegung hat sich den Protesten angeschlossen. Eine konsequente Umwelt- und Klimapolitik, so die Organisation Acción Ecológica, würde eine Rücknahme der vielfachen Subventionen und Steuerausnahmen für Erdölfirmen, Bergbau- und Palmölunternehmen erfordern, die jedoch ihre zerstörerischen Tätigkeiten im Land immer mehr ausweiten.
Seit Beginn der Proteste brennen in allen Teilen des Landes Barrikaden, die wichtigsten Verkehrsadern sind blockiert, Zehntausende Menschen sind auf den Straßen und mehrere Präfekturen besetzt. Einige Tage lang waren auch drei der wichtigsten Ölfelder im Amazonasgebiet lahmgelegt, was den Staat an seiner empfindlichsten Stelle trifft. Während Taxifahrer*innen und Transportarbeiter*innen mit den Protesten begonnen hatten, führt nun die indigene Bewegung den Aufstand an, mit Unterstützung der Gewerkschaften und einiger Sektoren der Mittelschichten. Als Antwort auf den von der Regierung für 60 Tage ausgerufenen Ausnahmezustand, der Tausende von Soldat*innen und schweres Gerät auf die Straßen brachte, rief auch die Konföderation der Indigenen Völker Ecuadors (CONAIE) in ihren Territorien den Ausnahmezustand aus und kündigte an, Polizist*innen und Soldat*innen festzunehmen, die diese ohne Erlaubnis betreten. Dies geschah dann auch prompt in der Provinz Chimborazo in den Anden, wo knapp 50 Uniformierte für mehrere Tage festgesetzt wurden.

Zum ersten Mal in zwölf Jahren hebt die Bevölkerung wieder den Kopf


Die größten Demonstrationen von bis zu 40.000 Menschen gibt es in der Hauptstadt Quito. Lastwagenweise kommen Indigene sowie Bauern und Bäuerinnen aus den umliegenden Provinzen und schlagen ihr Lager im zentralen Parque el Arbolito und in Universitäten auf. Die Bevölkerung der Hauptstadt heißt sie mit Decken, warmer Kleidung, Lebensmittel- und Medikamentenspenden willkommen, Großküchen werden spontan eingerichtet, um die Ernährung der Landbevölkerung solidarisch zu gewährleisten. Die massiven Protestmärsche wurden von heftigen Krawallen begleitet, an denen sich vor allem Studierende und andere junge urbane Männer beteiligen und von denen die indigenen Protestteilnehmer*innen sich deutlich distanzieren. Polizei und Armee antworten mit einem Niveau an Repression, wie sie das kleine Andenland bisher kaum kannte, inklusive Angriffe auf Krankenhäuser und Unis. Bis Redaktionsschluss bilanzierte der ecuadorianische Ombudsmann landesweit fünf Tote, über 1000 Festnahmen und über 800 Verletzte. Eine Lösung des Konflikts ist nicht in Sicht. Es geht heute in Ecuador nicht nur darum, eine Regierung zu zwingen, ein vom IWF aufgezwungenes neoliberales Maßnahmenpaket rückgängig zu machen oder sie zu stürzen. Zum ersten Mal seit zwölf Jahren hebt die Bevölkerung Ecuadors wieder den Kopf und zieht mit Massenmobilisierungen gegenüber den Mächtigen und der Oligarchie eine rote Linie. „Einmal mehr gibt die indigene Bewegung uns unsere Würde zurück“, bewertet der Intellektuelle Jaime Breilh die Situation.

Zehntausende auf den Straßen Die indigene Bewegung führt den Aufstand an // Foto: Miriam Lang

Anders als in einigen ausländischen Medien behauptet, drücken die Proteste im Oktober 2019 keineswegs den Wunsch der Bevölkerung aus, den Expräsidenten Rafael Correa (2007-2017) an die Regierung zurückzuholen. Dessen Partei wurde vielmehr bei den Regionalwahlen im März 2019 deutlich abgestraft und gewann lediglich zwei von 23 Präfekturen. Ein harter Kern von Correa-Anhängern und der Expräsident selbst, der sich nach wie vor im belgischen Exil befindet und aufgrund mehrerer Strafverfahren nicht nach Ecuador zurückkehren kann, versuchten jedoch schnell, den Protest politisch für sich zu instrumentalisieren. Während ihre Kritik an der Vertiefung neoliberaler Politik durch die Moreno-Regierung zutreffend ist, vertuschen sie systematisch, dass sie selbst den Weg für diese Politik bereitet und ihre ersten Stadien bereits umgesetzt hatten, beispielsweise durch die Unterzeichnung des Freihandelsabkommens mit der Europäischen Union. Die CONAIE distanzierte sich denn auch deutlich von den correistischen Vereinnahmungsversuchen, während diese der Moreno-Regierung einen willkommenen Vorwand lieferten, um zu behaupten, der Oktober-Aufstand sei lediglich eine von den Correisten aus dem Ausland gesteuerte Verschwörung, und kein Ausdruck echten Unmuts in der Bevölkerung.
Auffällig ist, dass keine der offiziellen Verlautbarungen der CONAIE den Rücktritt von Präsident Moreno fordert, sondern lediglich den seiner Innenministerin María Paula Romo und seines Verteidigungsministers Oswaldo Jarrín. Politischen Analysen zufolge sieht die Moreno-Regierung sich als eine Übergangsregierung, die der expliziten Rechten um den Christdemokraten Jaime Nebot den Weg ebnen soll. Dies hat eine Entsprechung in einem deutlichen Rechtsruck in offiziellen Medien und sozialen Netzen, wo die protestierenden Indigenen und Arbeiter*innen vielfach klassistisch und rassistisch diskriminiert werden. Ein Rücktritt Morenos könnte den Aufstieg der Rechten katalysieren, während der Verbleib dieses relativ schwachen Präsidenten im Amt den Organisationen die Chance gibt, sich wieder stärker in die gesellschaftliche Debatte um die Zukunft des Landes einzumischen.
Hierbei ist es wichtig zu betonen, dass es den Indigenen mehrheitlich um ganz andere Dinge geht als Wahl- und Parteipolitik. Im Vordergrund steht nicht nur die Rücknahme des IWF-Pakets, sondern auch die Abkehr vom Extraktivismus, der rücksichtslosen Ausbeutung von Rohstoffen mit Billigung der Politik. Diese Praxis dringt immer weiter in ihre Territorien vor und bedroht ihre nackte Existenz, sowohl in materieller als auch in kultureller Hinsicht. Wie die Indigenen aus Chimborazo in einer Erklärung darlegten, verlangen sie Reparation für die seit der Kolonialzeit erlittene Ausplünderung. Und zwar nicht etwa in barer Münze, sondern in Form einer radikal anderen Agrarpolitik, die nicht auf die Ausrottung der Kleinbauern- und bäuerinnen und der kommunitären Subsistenzökonomie abzielt, sondern sie stärkt: Der Zugang zu Bewässerung, nicht patentiertem Saatgut und fruchtbarem Land im Kollektivbesitz stehen dabei im Vordergrund, sowie eine systematische Förderung ökologischer Anbaumethoden anstelle von korporativen Saatgut-Kunstdünger-Pestizid-Kits, die die Bauern und Bäuerinnen in die Abhängigkeit des transnationalen Kapitals zwingen. Plurinationalität, seit den 90er Jahren die zentrale Forderung der Indigenen, meint außerdem territoriale Selbstregierung mit eigenen Justiz-, Erziehungs- und Gesundheitssystemen, aber vor allem auch eigenen Formen der Versammlungsdemokratie. Das Recht auf eine Lebensweise, die nicht vom globalen Kapitalismus diktiert wird und von der Moderne nur das nimmt, was die Gemeinschaft souverän entscheidet, das ist es, worum Ecuadors indigene Bewegung im Grunde kämpft.

“ES TUT WEH EINE FRAU ZU SEIN”

Legale Abtreibung! Feminist*innen während der Parlamentssitzung zum Abtreibungsverbot (Foto: Asamblea Nacional del Ecuador, Flickr BY-SA 2.0)

„Am 8. Januar 2015 wurde ich von zwei Männern entführt und auf das Schlimmste sexuell missbraucht. Die Ärztin gab mir keine Notfall-Verhütung, um eine ungewollte Schwangerschaft zu verhindern. Um die Medikamente zur AIDS-Abwehr musste ich betteln. Vor einigen Monaten forderte das Parlament die Staats­anwalt­schaft auf, in meinem Fall zu ermitteln – vier Jahre später.“ Mit dieser Schilderung beginnt die Rechtsanwältin Dr. Jéssica Jaramillo am 5. Februar 2019 ihre Rede vor dem ecuadorianischen Parlament. Sie und andere Frauenrechtler*innen wollen die Abgeordneten dazu bewegen, Schwangerschaftsabbrüche nach Vergewaltigungen, sowie bei Inzest und Missbildungen des Fötus zu legalisieren. Bisher ist das nur erlaubt, wenn die Frau durch die Schwangerschaft in Lebensgefahr schwebt oder wenn eine Frau mit Behinderung Opfer einer Vergewaltigung wurde. Mindestens 243 Frauen wurden bislang wegen Abtreibung verurteilt.
Außerdem fordern die Frauenrechtler*innen, dass Sexualstraftäter konsequent verfolgt werden. „Das ist mir geschehen, die ich eine juristische Ausbildung habe“, sagt Jaramillo. „Ich möchte mir nicht vorstellen, wie es den Mädchen und Frauen ergeht, die in dieser Situation nicht wissen, was sie tun sollen.“ Zwar gibt es seit 2017 ein Gesetz zur Abschaffung der Gewalt gegen Frauen, doch die zu diesem Zweck veranschlagten Gelder von umgerechnet ca. 530.000 Euro reichen laut der Frauenrechtsaktivistin Virginia Gómez bei weitem nicht aus. Offizielle Berechnungen ergaben, dass 17,6 Millionen veranschlagt werden müssten, um alle gefährdeten Frauen angemessen zu versorgen.

Erst im Januar hatte der Fall Martha die Hauptstadt Quito erschüttert. Martha, so der Schutzname der 35-Jährigen, war mutmaßlich von drei ihr bekannten Männern in einer Bar vergewaltigt worden. Dort wurde sie ohnmächtig, nackt und von Hämatomen übersät gefunden. Die Polizei registrierte Blutflecken in ihrem Intimbereich, auf der Kleidung der Männer, einer Bierflasche, einem Glas, an den Wänden, auf dem Billardtisch und an beiden Enden eines Billardqueues, mit dem sie Martha wahrscheinlich intim verletzt hatten. Auf dem Handy eines der Männer entdeckte die Polizei Fotos des Tathergangs. Der Anwalt der Überlebenden, Fabrizzio Mena Ríos spricht von einem noch nie da gewesenen Gewaltakt.

Die Nachricht von Marthas Schicksal rief, wie andere Missbrauchsfälle, eine Welle der Solidarität hervor. Frauenrechtler*innen organisierten am 20. und 21. Januar Protestmärsche vor die Staatsanwaltschaft in Quito. Sie demonstrierten für harte strafrechtliche Konsequenzen für Marthas Aggressoren. Auf Facebook verkündeten Feminist*innen: „Was sie dir getan haben, haben sie uns getan, denn während sie dich vergewaltigen, verletzen sie uns, brechen sie uns und füllen uns wieder neu mit Ängsten. Aber du, Kriegerin, bist nicht stumm geblieben, und uns bleibt nur zu sagen, dass du nicht allein bist! Du bist mutig, du bist wunderbar, du hast Freiheit und Würde verdient. Wir werden wachsam sein, Schwester, wir glauben dir!“

„Lass mich entscheiden!“

Proteste der Frauenrechtler*innen, wie der Abtreibungsgegner*innen, begleiten auch die Parlamentssitzungen zur Reform des Strafrechts seit Januar. Die Feminist*innen sind an ihren grünen Halstüchern zu erkennen mit der Aufschrift #dejamedecidir – „lass mich entscheiden“. Wie Gómez sagt: „Der ecuadorianische Staat hat bei seinen Frauen viele Schulden zu begleichen. Die Abtreibung bei Vergewaltigung ist das Mindeste, was er seinen Frauen schuldig ist.“ Die Aktivist*innen wirken auf verschiedenen Ebenen auf Politiker*innen ein. 2016 sprach Jaramillo vor dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen vor und erwirkte eine Resolution, die die ecuadorianische Regierung aufforderte, Abtreibung im Fall von Vergewaltigung zu legalisieren. Bereits 2015 hatte die UN-Frauenrechtskommission dasselbe gefordert. Katherine Mosquera und Kolleginnen von der Organisation Mujeres por el Cambio (Frauen für den Wandel) appellierten in der Stadt Cuenca im Süden Ecuadors an die Abgeordneten ihrer Region.

Mosquera stellte in einem Pressegespräch am 21. Januar aktuelle Zahlen der Gewalt an Frauen vor. In den letzten 13 Jahren seien demzufolge knapp 14.000 Frauen vergewaltigt worden, also durchschnittlich elf Frauen am Tag. Mehr als 700 von ihnen waren Mädchen im Alter unter zehn Jahren. 17.448 Mädchen unter 14 wurden zwischen 2009 und 2016 gezwungen, zu gebären, heißt es an anderer Stelle. Die Abtreibungsgegner*innen argumentieren dem zum Trotz, dass der ungeborene Fötus ab der Zeugung ein Recht auf Leben habe.
Mosquera hält dem entgegen, dass „das Abtreibungsverbot bedeutet, die Frauen nicht als Rechtssubjekte, sondern als Objekte zu behandeln. Sie werden aufgrund ihres Geschlechtes diskriminiert, weil nur ihnen diese Sanktionen auferlegt werden. Das Gesetz bestraft nicht die Abtreibung, sondern verurteilt, dass die Frauen keine Mütter sein wollen.“ Wie Jaramillo betont sie, dass durch das Abtreibungsverbot vor allem armen Frauen der Zugang zum Gesundheitssystem verwehrt wird. Vor allem aber sprechen die Feminist*innen in konkreten Bildern, um eine Gesellschaft zu erreichen, „die sich an die Gewalt an Frauen gewöhnt hat“, so Jaramillo. Im November hatte Gómez in einer Rede vor dem Parlament gesagt: „Sie können sich nicht vorstellen, wie die jungen Mädchen leiden, um die Köpfe der Babys durch ihre schmalen Becken zu gebären.“ Immer wieder erinnern die Feminist*innen an die akute Brisanz ihrer Appelle: „Jetzt gerade töten sie uns, vergewaltigen sie uns, bedrängen sie uns.“

Auf Facebook schreibt eine Nutzerin: „Es tut weh, eine Frau zu sein, aber es tut noch mehr weh, die Mutter von drei Töchtern zu sein. Wenn die Männer nicht selbst vergewaltigen, klagen sie die Frau an und rechtfertigen die Aggressoren.“ Rechtliche Beschlüsse können die Frauen unmittelbar in ihrer Unversehrtheit, ihrem nackten Überleben, betreffen. So macht Gómez deutlich, dass bloße Unversehrtheit nicht das Ziel ist: „Wir wollen leben. Mehr noch: Wir wollen leben und glücklich sein – ¡Vivas y felices nos queremos!“

 

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