Tauziehen um die Präsidentschaftswahl

Tankstelle in Caracas die Vereinigten Staaten wollen wieder Öl aus Venezuela importieren (Foto: John Mark Shorack)

Am 3. Dezember werden die Venezolaner*innen an die Wahlurnen gerufen. Allerdings nicht, um über die Führung des Landes abzustimmen. Vielmehr will sich die Regierung in einem alten territorialen Konflikt mit dem östlichen Nachbarland Guyana den Rückhalt der Bevölkerung sichern. Das sehr dünn besiedelte, etwa 160.000 Quadratkilometer große Esequibo-Gebiet (etwas weniger als die Hälfte der Fläche Deutschlands), wird faktisch von Guyana kontrolliert und macht etwa zwei Drittel von dessen Staatsgebiet aus.

Guyana beruft sich bei seinen Gebietsansprüchen auf einen Schiedsspruch von 1899, als es noch britische Kolonie war. Venezuela hingegen betont die frühere Zugehörigkeit des Gebietes zum Königreich Spanien und pocht auf den „Vertrag von Genf“ aus dem Jahr 1966. Dieser entstand im Zuge der Unabhängigkeit Guyanas und sieht Verhandlungen vor. An Brisanz gewann der Konflikt, als ein Konsortium um den US-Konzern ExxonMobil vor der Küste 2015 große Erdölvorkommen entdeckte. Die geplante Vergabe von Konzessionen facht den Streit nun weiter an.

In dem geplanten Referendum, das Guyana unbedingt unterbinden will, soll die venezolanische Bevölkerung in fünf verschiedenen Fragen die Position der Regierung in Caracas stützen. Gegenwind aus Venezuela selbst ist in diesem Fall nicht zu erwarten. Es gibt wohl kein anderes Thema, bei dem sich praktisch sämtliche politische Richtungen derart einig sind wie bei dem Anspruch auf das Esequibo-Gebiet. Inwieweit der Konflikt weiter eskaliert ist offen.

Das Referendum soll auch den Streit mit der Opposition verdecken

Die Regierung unter Nicolás Maduro nutzt das Thema aber auch, um den grundsätzlichen Streit mit der Opposition zu überdecken. Seit dem offiziellen Beginn der Wahlkampagne am 7. November trommelt sie für eine hohe Beteiligung und spielt dafür die nationalistische Karte. „Hier geht es nicht darum, ob man diesen oder jenen Kandidaten für das Amt des Gouverneurs oder des Bürgermeisters oder diesen oder jenen Kandidaten für das Amt des Präsidenten unterstützt“, erklärte Maduro in seinem eigenen Fernsehprogramm „Con Maduro+“. „Nein, hier lassen wir das alles beiseite.“

Die landesweite Mobilisierung um den Esequibo fällt just in eine Phase, in der Regierung, rechte Opposition und die USA um die Bedingungen für die Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr ringen: Am 17. Oktober hatten die Regierung und das Oppositionsbündnis Plataforma Unitaria Democrática in Barbados ein Abkommen über transparente Wahlen unterzeichnet, das als Grundlage für weitere Gespräche dienen soll. In einer zweiten Übereinkunft bekräftigen sie den Schutz der Landesinteressen. Dabei geht es zum einen um den Konflikt mit Guyana und zum anderen um die drohende Zerschlagung des venezolanischen Erdölunternehmens Citgo in den USA. Die Vereinbarungen beruhen auf diskreten Vorverhandlungen zwischen Venezuela und der US-Regierung. Diese lockerte im Gegenzug die Sanktionen gegen das südamerikanische Land.

Laut dem Abkommen soll die gemäß Verfassung für 2024 vorgesehene Präsidentschaftswahl in der zweiten Jahreshälfte stattfinden. Die politischen Lager bestimmen ihre jeweiligen Kandidaturen nach eigenen Regeln und setzen sich beim Nationalen Wahlrat (CNE) gemeinsam für umfassende Garantien ein. Dazu zählen laut der Vereinbarung unter anderem die Aktualisierung des Wählerregisters im In- und Ausland sowie glaubwürdige internationale Wahlbeobachtung. Hinzu kommen ein respektvoller öffentlicher Umgang, Gewaltverzicht, Förderung gleichen Zugangs zu Medien sowie die öffentliche Anerkennung der Abstimmungsergebnisse.

Zwar gibt es an dem Abkommen vereinzelt Kritik. So thematisiert es beispielsweise nicht die zukünftige Besetzung der staatlichen Institutionen oder die juristischen Eingriffe in die interne Führung mehrerer rechter und linker Parteien, darunter der Kommunistischen Partei (PCV). Dennoch gilt es als die weitreichendste Vereinbarung zwischen Regierung und Opposition seit dem Amtsantritt von Nicolás Maduro 2013.

In den vergangenen Jahren waren mehrere Dialogversuche zwischen Caracas und Opposition nicht zuletzt an der Haltung der US-Regierung gescheitert, ohne die aufgrund der Sanktionsfrage kaum ein Fortschritt möglich ist. Zu einer Annäherung kam es seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine, da die Vereinigten Staaten wieder Öl aus Venezuela importieren wollen. Im November 2022 lockerte Washington im Zuge einer kurzzeitigen Wiederaufnahme des Dialogs zwischen Maduro-Regierung und Opposition die Sanktionen im Erdölbereich bereits leicht. Der Energiekonzern Chevron darf über seine vier Joint Ventures mit dem venezolanischen Staatsunternehmen PDVSA seitdem Erdöl in die USA exportieren. Bis vor Kurzem lag der Dialog jedoch wieder auf Eis.

Unmittelbar nach Unterzeichnung des Abkommens von Barbados lockerte die US-Regierung die Sanktionen nun weiter. Der Handel mit und Investitionen in Erdöl, Gas und Gold sind vorerst wieder erlaubt. Die Lockerungen gelten zunächst für sechs Monate und können jederzeit zurückgenommen werden, sollte sich Caracas nicht an die vereinbarten Schritte hin zu transparenten Wahlen halten. Die US-Regierung erhielt außerdem die Erlaubnis, ab sofort Abschiebeflüge nach Venezuela durchzuführen – ein weiteres zentrales Interesse Washingtons, das aufgrund steigender Migrationszahlen aus Venezuela hinzugekommen ist.

Die Aufhebung der Sanktionen stellt aus Sicht der venezolanischen Regierung zweifellos einen Erfolg dar. Dem Staat dürfte die Rückkehr an die Rohstoffmärkte steigende Einnahmen bescheren, die die Regierung im Wahljahr dringend benötigt. Allerdings bräuchte der venezolanische Erdölsektor für eine deutliche Anhebung der Fördermenge milliardenschwere Investitionen, für die eine dauerhafte Aufhebung der Sanktionen nötig wäre.

Das Tauziehen um die Präsidentschaftskandidatur der Opposition droht die weitreichenden Vereinbarungen allerdings bereits zu torpedieren. Nur wenige Tage nach Unterzeichnung des Abkommens von Barbados hielt ein Großteil der Opposition am 22. Oktober interne Vorwahlen über eine gemeinsame Kandidatur ab. Weil mit dem CNE keine Einigung über das Datum erzielt werden konnte, lief die Abstimmung selbstorganisiert, also ohne institutionelle Unterstützung ab. Wie erwartet gewann die Hardlinerin María Corina Machado überaus deutlich. Sie erhielt 92,35 Prozent der Stimmen. Die Beteiligung gab die Vorwahlkommission mit gut 2,5 Millionen an, was die im Vorfeld eher niedrigen Erwartungen übertraf. Machado zählt seit über 20 Jahren zum rechten Rand der Opposition, hat sich in den vergangenen Jahren offen für eine US-Militärintervention in Venezuela ausgesprochen und will vor allem staatliche Unternehmen privatisieren. Seit Maduros Amtsantritt stand sie für den Flügel der Opposition, der (teils gewalttätige) Straßenproteste der Teilnahme an Wahlen vorzog.

Durch die Vorwahl ist Machado nun theoretisch die oppositionelle Präsidentschaftskandidatin. Allerdings ist ihr untersagt, für 15 Jahre öffentliche Ämter zu bekleiden. Derartige Antrittsverbote kann der Rechnungshof in Fällen von Korruption oder der Veruntreuung öffentlicher Gelder ohne Gerichtsbeschluss verhängen. Da es sich um administrative Entscheidungen handelt, die häufig intransparent erfolgen, sind sie sehr umstritten. In der Praxis setzt die Regierung dieses Instrument willkürlich ein. Davon betroffen sind nicht nur Politiker*innen der rechten, sondern auch der linken Opposition. Machado gewann die Vorwahlen auch deshalb so deutlich, weil sich der nach ihr aussichtsreichste Kandidat Henrique Capriles, der eine moderatere Linie vertritt und 2012 und 2013 unterlag, im Vorfeld zurückgezogen hatte. Als Begründung führte er das gegen ihn verhängte Antrittsverbot an.

In dem Abkommen von Barbados heißt es, dass alle Kandidat*innen, die „die rechtlichen Voraussetzungen erfüllen“, an den kommenden Wahlen teilnehmen dürften. Die Regierung machte im Anschluss an die Unterzeichnung des Abkommens aber deutlich, dass die Antrittsverbote nicht zurückgenommen werden könnten.

Die Aufhebung der Sanktionen erlaubt dem Staat die Rückkehr an die Rohstoffmärkte

Machado will dennoch Druck aufbauen, um teilnehmen zu können. Auch die US-Regierung erwartet, dass Caracas bis Ende November nicht nur einen verbindlichen Wahlkalender vorlegt, sondern zudem politische Gefangene freilässt und die Antrittsverbote zurücknimmt.

Die Opposition stellt die Kandidat*innenfrage vor ein Dilemma. Tatsächlich befürchten nicht wenige, dass Machado sich verrennt und die Regierungsgegner*innen am Ende ohne zugelassene Kandidatur dastehen. Ein fragwürdiger Schritt der Regierung führte allerdings dazu, dass vorerst sämtliche Oppositionsströmungen Machado den Rücken stärkten.

Ende Oktober erließ das regierungsnahe Oberste Gericht (TSJ) ein Urteil, mit dem es die komplette Vorwahl wegen „Betrugsvorwürfen“ für ungültig erklärt. Laut Regierung hätten sich an der Abstimmung nicht 2,5 Millionen, sondern lediglich 600.000 Menschen beteiligt. Geklagt hatte ein Vertreter der moderat-rechten Opposition, dem eine gewisse Nähe zur Regierung nachgesagt wird. Im selben Urteil bestätigte das Gericht auch das Antrittsverbot gegen Machado.

Abgesehen davon, dass derlei Schritte gegen eine privat organisierte Abstimmung fragwürdig sind, verstößt das Vorgehen nach Ansicht vieler Beobachter*innen gegen die in Barbados getroffene Vereinbarung. Noch ist unklar, ob das die gerade begonnene Annäherung zwischen Regierung und Opposition einerseits und den USA andererseits grundlegend gefährdet. Die venezolanische Regierung kalkuliert offensichtlich damit, dass die Opposition weiterhin zerstritten auftritt und spielt auf Zeit. In den kommenden Wochen steht nun zunächst das Referendum über die Esequibo-Region im Vordergrund.

„ES FINDET EIN BRUCH STATT“

 

ANTONIO GONZÁLEZ PLESSMANN
ist Soziologe, langjähriger linker Menschenrechtsaktivist und Teil der Menschenrechtsorganisation Colectivo Surgentes. Er was Vizedirektor der Universidad Nacional Experimental de la Seguridad und hat den Prozess der Polizeireform von 2006 bis 2013 begleitet. Surgentes wurde 2016 von einer Reihe linker Menschenrechtsaktivisten gegründet und legt besonderes Augenmerk auf die soziale Frage. Gemeinsam mit anderen Kollektiven initiierte Surgentes im Juli dieses Jahres die „Dialoge für eine chavistische Überwindung der Krise“. Zuvor entstand als Diskussionsgrundlage ein gemeinsames Papier, das eine Analyse der derzeitigen Situation, Vorschläge für kollektives Handeln und Forderungen an die Regierung enthält.


Anfang Juli haben sich Vertreter*innen mehrerer Basisorganisationen unter dem Motto „Dialoge für eine chavistische Überwindung der Krise“ getroffen. Worum geht es dabei?
Als Kollektive und Bewegungen wollen wir unseren bescheidenen Beitrag leisten. Wir sehen das radikaldemokratisch-sozialistische Programm des Chavismus heute sowohl durch die von den USA angeführte Rechte als auch die Regierungselite bedroht. Mit dem Argument, „die Regierung zu verteidigen, um die Revolution zu retten“ hat diese Elite einen Schwenk nach rechts vollzogen und die Räume demokratischer Partizipation eingeschränkt. Die Mehrheit der Basis sieht heute eine Diskrepanz zwischen Regierungsdiskurs und -praxis. Dies hat bisher aber nicht zu einer Neuerfindung des Chavismus geführt.

Was heißt Neuerfindung?
Als politisches Subjekt ist der Chavismus mehrheitlich basisnah und antikapitalistisch. Doch die Bewegungen sind fragmentiert und von der bürokratischen Elite vereinnahmt. Die Dialoge sollen dazu beitragen, dieses politische Subjekt zu stärken. Wir glauben, dass der Chavismus als politische Kraft jenseits der Regierung eine lange Zukunft hat.

Mittlerweile versuchen unterschiedliche politische Strömungen den Chavismus für sich zu vereinnahmen. Worin besteht für Sie Chávez’ Erbe?
Erstens in der staatlichen Kontrolle der natürlichen Ressourcen und strategischen Unternehmen. Dazu gehören politische Souveränität sowie der Austausch mit Regierungen und Bevölkerungen des globalen Südens. Zweitens in der Radikalisierung der Demokratie. Das bedeutet, allmählich die Macht der Bevölkerung zu vergrößern, und zwar im wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Bereich. In Chávez’ Worten hieß das: „Wenn wir die Armut beseitigen wollen, müssen wir den Armen Macht geben.” Während Chávez’ Regierungszeit förderte der Staat die Übernahme von Produktionsmitteln durch die Bevölkerung. Die Regierung förderte zudem sowohl Selbstregierung auf kommunaler Ebene als auch die Kontrolle des Staates durch die Öffentlichkeit und die Debatte über staatliche Politik. Im kulturellen Bereich gab es eine positive Besinnung auf das afrikanische, indigene, mestizische und volksnahe Erbe, das historisch untergeordnet und ausgegrenzt wurde.
Und drittens besteht Chávez’ Erbe in einem postkapitalistischen Ansatz. Der Sozialismus soll nach und nach von unten aufgebaut werden, in einem radikal-demokratischen Rahmen und in Allianz zwischen Staat und Basismacht (poder popular).

Diese Allianz funktioniert heute nicht mehr so wie während der Regierungszeit von Hugo Chávez. Wie lässt sich das Verhältnis zwischen Regierung und chavistischen Organisationen zurzeit beschreiben?
Zum einen gibt es den Versuch, die Bewegungen gefügig zu machen. Das drückt sich in dem Slogan „Beschützer des Volkes“ aus, den Nicolás Maduro und seine Regierung verwenden. Die protagonistische Bevölkerung unter Chávez wird bevormundet und in eine passive Rolle zurückgedrängt. Die Regierungselite erwartet Loyalität, Dankbarkeit und Demobilisierung. Das zeigt sich auch daran, dass Nicolás die „Lokalen Komitees für Versorgung und Produktion“ (CLAP), die stark subventionierte Lebensmittel verteilen, als höchsten Ausdruck der Basismacht bezeichnet.

Inwiefern deutet die Regierung hier den Begriff poder popular um?
Während die kommunalen Räte und die comunas (Zusammenschlüsse mehrerer kommunaler Räte, Anm. d. Red.) pluralistische Räume darstellten, in denen die Macht von unten, von Versammlungen und Abstimmungen ausging, werden die CLAP vom Staat und der Regierungspartei PSUV (Vereinigte Sozialistische Partei Venezuelas) kontrolliert. Ihre Mitglieder werden ernannt statt gewählt und führen Weisungen von oben aus. Diese Sichtweise der Basismacht steht im Widerspruch zu Autonomie, Protagonismus und Sozialismus. Aber die venezolanische Bevölkerung ist aufsässig und rebellisch. Organisierte comunas, Kollektive und Bewegungen, die über eine größere Autonomie gegenüber dem Staat verfügen, bieten der Regierung aus dem Inneren des Chavismus heraus häufig die Stirn, indem sie Forderungen aufstellen und Kritik formulieren.

Wie antwortet die Regierung darauf?
Unterschiedlich. Zum einen versucht sie die Legitimität von Kritik zu untergraben, ohne sich direkt mit ihr auseinanderzusetzen. Andererseits geht sie aber manchmal auf Forderungen ein, um die eigene Legitimität zu erhöhen. Regierung und PSUV sind in den ärmeren Vierteln sehr präsent und kontrollieren mittels des bürokratischen Apparates die Mehrheit der chavistischen Basis. Aber die Zustimmung schwindet auch dort. Die Menschen lehnen zwar den Imperialismus ab und wollen mit der rechten Opposition nichts zu tun haben. Gleichzeitig wissen sie aber genau, dass die derzeitige Regierung das chavistische Programm verraten hat. Es findet ein allmählicher Bruch statt, von dem wir nicht wissen, welche Auswirkungen er haben wird.

Wieso hat sich der demokratische Spielraum für die Basisbewegungen in den vergangenen Jahren derart verkleinert?
Wenn linke Regierungen belagert werden, neigen sie dazu, sich zu verschanzen. Die Angriffe des Imperiums sind sehr real und finden seit 2001 statt. Nach Chávez’ Tod haben sie sich jedoch intensiviert bis hin zu den sogenannten US-Sanktionen, die wir als unilaterale, illegale und willkürliche Zwangsmaßnahmen ohne völkerrechtliche Grundlage betrachten. Diese haben katastrophale Auswirkungen für eine Ökonomie, die sich bereits in der Krise befand.
Diosdado Cabello (Vorsitzender der verfassunggebenden Versammlung und ein politisches Schwergewicht des Chavismus, Anm. d. Red.) wiederholt regelmäßig einen Gedanken von San Ignacio Loyola, den auch Fidel Castro häufig zitiert hat: „In Zeiten der Belagerung bedeutet Zweifel Verrat”. Daraus folgt die Negierung von Kritik, geduldet wird nur Zustimmung. Die Regierung schließt unbequeme Personen oder Sektoren aus, bevormundet die Basis und schränkt die autonome Partizipation ein. Niemand darf über die Korruption in den eigenen Reihen sprechen, das Regierungshandeln wird ineffizient und wir erleben eine zunehmende Privatisierung der Politik. Dadurch schwindet die Legitimität der politischen Klasse.

Seit einigen Jahren nehmen die Berichte über die verstärkte Repression in den barrios (einfache und ärmere Stadtviertel) zu. Venezolanische Menschenrechtsorganisationen und auch die Vereinten Nationen sprechen von tausenden extralegalen Hinrichtungen. Was geht da vor sich?
Nach offiziellen Zahlen gab es im Jahr 2018 10.598 Morde. Hinzu kommen 5.287 Todesfälle aufgrund von „Widerstand gegen die Staatsgewalt.“ Damit gemeint sind bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen mutmaßlichen Kriminellen und den Sicherheitskräften. Der Staat räumt also öffentlich ein, dass er selbst ein Drittel der getöteten Personen zu verantworten hat. Dies allein schon ist eine Ungeheuerlichkeit, weil sich darin eine unverhältnismäßige Anwendung von Gewalt seitens der Sicherheitskräfte ausdrückt. Dies widerspricht völlig den Zielen der Polizeireform, die Chávez ab 2006 durchgeführt hat. Doch wenn wir uns die Todesfälle genauer ansehen, stellen wir fest, dass es in den meisten Fällen gar keine Auseinandersetzungen gab. Vielmehr handelt es sich um Hinrichtungen, die später anderes dargestellt werden.

Wie ist diese Polizeigewalt zu erklären?
Im Bereich der Sicherheit findet eine Verselbständigung statt. Es gibt keine politische Kontrolle, der übelste Teil des Militärs und der Polizei gibt den Ton an. Und die Regierung toleriert dies. Die meisten der Toten sind junge Leute aus den Armenvierteln. Es handelt sich also um eine klassistische Gewalt, die die sozialen Ungleichheiten reproduziert. Als Menschenrechtler*innen haben wir dies seit 2015 angeprangert, als die Regierung damit begann, Polizeiaktionen unter dem Namen Operación de Liberación del Pueblo (OLP, Operation Befreiung der Bevölkerung) durchzuführen. Wir veröffentlichten damals ein Kommuniqué, das verschiedene Medien dokumentierten.

Wie hat die Regierung auf die Kritik reagiert?
Ohne uns beim Namen zu nennen wies Nicolás den Innenminister öffentlich an, die „kleine Gruppe Intellektueller“ einzubestellen, die sich wegen der OLP „besorgt” zeige. Das Treffen fand allerdings niemals statt. Offensichtlich hatte die Regierung kein wirkliches Interesse daran, den repressiven Ansatz der Sicherheitspolitik zu ändern.

Aktuell besteht Hoffnung auf einen möglichen Dialog zwischen Regierung und rechter Opposition. Unter Mediation Norwegens fanden bereits mehrere Treffen statt, zuletzt auf Barbados. Auch wenn kaum Details bekannt sind: Wie schätzen Sie die Möglichkeit ein, dass es zu einer Vereinbarung kommt, um die Krise zu überwinden?
Es wäre wünschenswert, dass ein Abkommen geschlossen wird. Denn die Alternativen sind Krieg, Invasion oder ein autoritärer Kurs. Und in all diesen Szenarien sind es die ärmeren Schichten, die am meisten verlieren. Ein Abkommen wird aber nicht dazu führen, dass der politische Konflikt verschwindet. Er muss vielmehr in demokratische und verfassungsmäßige Kanäle zurückkehren, die er niemals hätte verlassen dürfen.

 

NEUE MÖGLICHKEITEN ZUM DIALOG?

Norwegens Regierung vermittelt zwischen den verhärteten Fronten der venezolanischen Regierung und Opposition: Berichten zufolge wurden Gespräche mit Kommunikationsminister Jorge Rodríguez und Héctor Rodríguez, dem Gouverneur des Bundesstaates Miranda, geführt. Beide gehören der Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) von Nicolás Maduro an. Von der Opposition reiste der Vizepräsident des Parlaments, Stalin González, mit zwei politischen Beratern nach Oslo. Aus diesen Gesprächen, die jeweils einzeln mit den Vermittler*innen des norwegischen Außenministeriums stattfanden, wurden keine Ergebnisse bekannt. In einer zweiten Sitzung am 29. Mai verhandelten Regierung und Opposition direkt miteinander. Die norwegische Außenministerin Ine Eriksen Søreide betonte, beide Gesprächsparteien hätten ihre Bereitschaft gezeigt, „bei der Suche nach einer gemeinsam vereinbarten und verfassungsmäßigen Lösung für das Land voranzukommen, welche Aspekte der Politik, Wirtschaft und Wahlen einschließt“. Norwegen hat eine lange Tradition als Friedensvermittler: Seit 1990 hat das Land mehr als zwanzig Friedensprozesse begleitet, unter anderem für Guatemala und Kolumbien.
Trotz der Sondierungsgespräche gehen die Konfrontationen in Venezuela weiter. Medienberichten zufolge wurde Edgar Zambrano, Vizepräsident der Nationalversammlung, am 9. Mai vom venezolanischen Geheimdienst (SEBIN) festgenommen, nachdem seine parlamentarische Immunität von der Verfassungsgebenden Versammlung aberkannt worden war. Weitere dreizehn Abgeordnete verloren ihre Immunität. Einige wurden ebenfalls verhaftet, während andere in ausländische Botschaften in Caracas flüchteten. Der Oberste Gerichtshof klagt die Abgeordneten wegen sieben Verbrechen an, darunter Landesverrat, Verschwörung und Anstachelung zum Aufstand für den Putschversuch am 30. April (siehe LN 539).
Auch auf internationaler Ebene gibt es weiterhin Konflikte. Die US-amerikanische Regierung hat Carlos Vecchio als Botschafter des selbsternannten Interimspräsidenten Juan Guaidó anerkannt und stellt sich damit zum wiederholten Male hinter Guaidó. Vecchio übernahm anschließend das venezolanische Generalkonsulat in New York. Als Reaktion darauf ist eine Gruppe von Aktivist*innen des „Kollektivs zum Schutz der Botschaft“ auf Einladung der Maduro-Regierung am 11. April in die venezolanische Botschaft in Washington D.C. eingedrungen, um diese „zu beschützen“.
Die Mitglieder des Kollektivs blieben mehrere Wochen in der Botschaft, während Guaidó-Sympathisant*innen vor dem Gebäude protestierten. Nach dem 30. April verhärteten sich die Fronten. Die örtlichen Behörden unterbrachen die Wasser- und Stromversorgung des Gebäudes und blockierten die Zulieferung von Nahrungsmitteln. Am 14. Mai erwirkte die Polizei einen Räumungsbescheid, doch das Kollektiv weigerte sich weiterhin, die Botschaft zu verlassen.
Schließlich wurde das Gebäude am 16. Mai geräumt und die vier Aktivist*innen, die sich noch vor Ort befanden, wurden verhaftet. Allerdings wurden sie einen Tag später wieder freigelassen, mit der Auflage, am 12. Juni vor Gericht zu erscheinen. Auf einer Pressekonferenz vor dem Botschaftsgebäude verkündete Vecchio: „Heute sind wir in dieses Gebäude gekommen, aber bald werden wir in Miraflores (Anm. d. Red.: Sitz des Präsidenten in Caracas) ankommen.“
Von dort deklarierte Maduro die Übernahme des Generalkonsulats in New York als einen „illegalen Angriff“, der das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen verletze. Zeitgleich lud die Regierung im Zuge der Kampagne #TrumpDesbloqueaVenezuela (Appell für eine Aufhebung der Sanktionen gegen Venezuela, Anm. d. Red.) zu Pressekonferenzen in den europäischen Botschaften ein, auf denen es um die Auswirkungen der wirtschaftlichen Sanktionen auf Venezuela ging.

Die Reaktionen der deutschen Regierung auf die Vorkommnisse in Venezuela bleiben widersprüchlich

Laut Maduro-Regierung sind über fünf Milliarden Dollar des venezolanischen Vermögens auf internationalen Bankkonten eingefroren worden, ein Großteil davon in England. Mehrere hunderte Millionen Dollar befänden sich in der Hand von US-amerikanischen, portugiesischen und belgischen Banken. Laut dem venezolanischen Botschafter in Deutschland, Orlando Maniglia, waren diese Summen ursprünglich dafür vorgesehen, den Bedarf des Landes mit Nahrungsmitteln, Medikamenten und Ähnlichem zu decken.
Maniglia bestätigte außerdem, „normale Beziehungen” zum Auswärtigen Amt zu führen. Die Reaktionen der deutschen Regierung auf die Vorkommnisse in Venezuela bleiben indessen widersprüchlich. Einerseits hat die deutsche Regierung Otto Gebauer nicht als venezolanischen Botschafter in Deutschland anerkannt, den Guaidó für diese Position ernannt hatte. Andererseits erkennt Deutschland Guaidó prinzipiell als Präsidenten an. Während seines Besuchs in Kolumbien am 1. Mai hat sich der deutsche Außenminister Heiko Maas mit Vertretern der Opposition getroffen und die deutsche Haltung wie folgt auf den Punkt gebracht: „Für uns ist Juan Guaidó der Übergangspräsident, der den Auftrag hat, Neuwahlen zu organisieren. Das ist auch das Ziel, das wir weiter verfolgen.” Folglich wurde der Außenminister der Maduro-Regierung, Jorge Arreaza, als einziger Außenminister nicht zu der Lateinamerika und Karibik Konferenz im Auswärtigen Amt eingeladen, an der über 20 seiner lateinamerikanischen Amtskolleg*innen am 28. Mai in Berlin teilnahmen.
Inmitten dieser politischen Spannungen auf internationalem Niveau hat sich mit den Gesprächsrunden in Oslo eine neue Möglichkeit zum Dialog zwischen beiden Parteien aufgetan. Neben diesen Gesprächen eröffnet die „Allianz für ein konsultatives Referendum” (ARC) die Möglichkeit einer alternativen Lösung vor Ort in Venezuela. Die ARC ist ein Bündnis von ehemaligen Minister*innen, moderaten Oppositionellen, Intellektuellen und linken Aktivist*innen, die am 16. Mai eine Kampagne für eine „pazifistische, demokratische, souveräne und konstitutionelle“ Lösung des festgefahrenen politischen Konflikts in Venezuela gestartet hat. Eine Unterschriftenaktion soll die politischen Akteur*innen dazu bringen, ein Referendum durchzusetzen, in welchem die Bevölkerung darüber entscheiden soll, „ob es will oder nicht will, dass Nicolás Maduro weiterhin an der Macht ist“.
Diese Initiativen verfolgen, im Gegensatz zur US-amerikanischen Isolierungsstrategie, einen lösungsorientierten Ansatz. Dennoch müssen auch sie auf ein politisches Szenario reagieren, das von einer starken Polarisierung geprägt ist – sowohl unter Politiker*innen als auch bei den Bürger*innen. Der venezolanische Sozialwissenschaftler Edgardo Lander analysiert diese Situation so: „Die venezolanische Gesellschaft ist so stark polarisiert, dass die Anhänger beider Lager in unterschiedlichen Wirklichkeiten leben. (…) Im Moment haben wir eine Situation, in der sich zwei Kräfte in einer Freund-Feind-Logik gegenüberstehen und sich gegenseitig auslöschen wollen” (siehe LN 539). Mit den Oslo-Gesprächen wird versucht, dieser Polarisierung entgegenzuwirken. Bisher sieht es jedoch nicht so aus, dass die Bemühungen erfolgreich sein werden.

 

ERSTICKEN WIE DARTH VADER

Darth Vader: Methodisches Vorbild für Trumps Sicherheitsberater John Bolton (Foto: Josh Hallet, CC-BY-SA 2.0)

Wer eine unterhaltsame Nachhilfestunde in venezolanischem Verfassungsrecht haben will, kann derzeit auf die offiziellen Pressekonferenzen westlicher Regierungen zurückgreifen. So etwa Mitte März, als der US-Sondergesandte für Venezuela und frühere Unterstützer von Todesschwadronen in Zentralamerika, Elliot Abrams, die oppositionelle Interpretation der Magna Charta zum besten gab. Diese bestimmt in Artikel 233 für den Fall der absoluten Abwesenheit des Präsidenten, dass der Parlamentsvorsitzende vorübergehend einspringt. Auf die Frage, warum Venezuelas selbst ernannter Übergangspräsident Juan Guaidó nicht wie laut Verfassung vorgesehen innerhalb von 30 Tagen Neuwahlen ausgerufen habe, beteuerte Abrams, die 30 Tage zählten „ab dem Tag, an dem Maduro geht“. Nach mehreren Rückfragen versicherte er, Guaidó sei selbstverständlich dennoch Interimspräsident, nur eben „nicht in der Lage, diese Funktion auszuüben“.

Die Anekdote sorgte bei den anwesenden Journalist*innen nicht nur für den ein oder anderen Lacher. Sie zeigt auch eindrücklich, wie sehr sich die USA und weitere gut 50 Länder mit der Anerkennung Guaidós im Januar verschätzt haben. Denn anders als erwartet, trugen sie damit nicht zum schnellen Sturz Nicolás Maduros bei, der auf internationaler Ebene weiterhin unter anderem von Russland, China und der Türkei unterstützt wird. Auch die deutsche Bundesregierung hat völkerrechtswidrig und vorschnell auf Guaidó gesetzt und sich damit ins diplomatische Abseits manövriert. Nun musste sie einräumen, dass sie Guaidós Wunsch, einen eigenen Botschafter in Berlin zu akkreditieren, aufgrund der realen Machtverhältnisse in Venezuela vorerst nicht nachkommen wird.

Guaidó bleibt einzig die Androhung einer US-Militärintervention

Der selbst ernannte Interimspräsident scheint mittlerweile nicht mehr viel in der Hinterhand zu haben. Zwar versucht er krampfhaft, die Aussicht auf einen zeitnahen Regierungswechsel aufrecht zu erhalten, wirkt dabei aber immer hilfloser. Der nächste Versuch soll die seit Wochen angekündigte „Operation Freiheit“ mit einem „Marsch auf Caracas“ sein. Konkret terminiert war bisher allerdings nur ein „Testlauf“ am 6. April. Das klingt nicht so, als würde Guaidó selbst noch an den baldigen Umsturz glauben. Ihm bleibt momentan einzig die regelmäßig wiederholte Androhung einer US-Militärintervention. Die Landung zweier russischer Militärflugzeuge Ende März in Venezuela heizten Spekulationen über eine mögliche Konfrontation zwischen Russland und den USA an, waren jedoch laut russischer Regierung der seit Jahren bestehenden Kooperation beider Länder im militärischen Bereich geschuldet.

Konkret deutet tatsächlich nicht viel auf einen unmittelbar bevorstehenden militärischen Konflikt hin. Der US-Sondergesandte Abrams bezeichnete derartige Überlegungen Anfang April als „verfrüht“. Zudem gibt es in der Region offiziell nicht einmal bei den rechten Regierungen Rückhalt für die militärische Option. Die US-Strategie besteht zunächst darin, die Regierung Maduro mittels Sanktionen finanziell auszutrocknen und die Wirtschafts- und Versorgungskrise tatsächlich in eine humanitäre Krise zu verwandeln. Dadurch könnte irgendwann vielleicht doch noch ein Aufstand der Maduro stützenden Unterschichten und des Militärs provoziert werden, so das Kalkül. Trumps Nationaler Sicherheitsberater John Bolton drückte dies in einem Interview mit dem spanischsprachigem Fernsehsender Univision am 22. März auch für politisch weniger interessierte Leute verständlich aus: „Das ist wie in Star Wars, wenn Darth Vader jemanden erstickt. Das machen wir wirtschaftlich mit dem Regime.“ Die weitere Verschlechterung der Lebensumstände sorgt zwar tatsächlich auch in den chavistischen Hochburgen für Proteste. Doch noch größer ist dort die Ablehnung der rechten Opposition. In gewisser Weise stabilisieren die Drohungen von außen sogar das chavistische Lager. Nicht verstanden zu haben, dass der Chavismus als politische Identität weit über die Regierung hinaus geht, ist einer der großen Fehler, den die rechte Opposition immer wieder begeht. Letztlich bewegen sich die regierenden Chavist*innen und die rechte Opposition in komplett getrennten Welten. Beide erkennen heute unterschiedliche Staatsorgane an, sehen die Schuld für die Wirtschaftskrise jeweils bei der anderen Seite und beurteilen praktisch jedes öffentliche Ereignis gegensätzlich. Ein Beispiel dafür ist die von den meisten internationalen Medien verbreitete Behauptung, die Regierung Maduro habe am 23. Februar auf einer Grenzbrücke zwischen Kolumbien und Venezuela Lastwagen mit Hilfslieferungen in Brand gesetzt.

Guaidó hatte an dem Tag gegen den Willen der Regierung Maduro Hilfsgüter nach Venezuela bringen wollen. Tatsächlich ist mittlerweile unter anderem durch eine Recherche der US-Zeitung New York Times belegt, dass die Lastwagen sich durch einen fehlgeleiteten Molotow-Cocktail entzündet hatten, den ein Oppositionsanhänger in Richtung der venezolanischen Sicherheitskräfte werfen wollte. Guaidó bleibt dennoch bei seiner Sicht der Dinge, wohl weil er jeden Rückschritt im Kampf um Bilder und Narrative verhindern will. Als sich die Regierung mit dem Roten Kreuz Ende März schließlich auf die baldige Verteilung von Hilfsgütern in Venezuela einigte, erklärte Guaidó dies kurzerhand zu seinem eigenen Erfolg. Sowohl das Rote Kreuz als auch die Vereinten Nationen hatten dessen für den 23. Februar geplante Aktion aufgrund der offensichtlichen Politisierung der Hilfe abgelehnt.

Die Opposition hat den Chavismus als kulturelle Identität nie verstanden

Besonders deutlich zeigen sich die unterschiedlichen Wahrnehmungen in der Analyse der massiven Stromausfälle, mit denen Venezuela im März konfrontiert war. Zwar gingen in den vergangenen Jahren immer wieder stundenlang die Lichter aus, doch einen fünftägigen Stromausfall wie ab dem 7. März hatte das Land noch nicht erlebt. Im Laufe des Monats folgten zwei weitere längere Blackouts, die sich mit Unterbrechungen über mehrere Tage hinzogen. Auch die Wasserversorgung funktionierte häufig nicht, da die elektrischen Pumpen ausfielen. Nachdem es Ende März in Caracas und vielen anderen Orten zu nächtlichen Protesten kam, verkündete Maduro eine offizielle Rationierung des Stroms, die zunächst für 30 Tage lang einer Überlastung des Systems vorbeugen soll.

Über die Ursache der Blackouts gibt es zwei völlig unterschiedliche Versionen. Laut Regierung seien die Stromausfälle Folge eines von den USA geführten „elektrischen Krieges“. Ein „Cyberangriff“ auf das Steuerungssystem des wichtigsten Wasserkraftwerks Guri, elektromagnetische Wellen und Brandstiftung in einigen Umspannwerken hätten die Versorgung lahmgelegt. Ein weiterer Blackout Ende März sei durch einen Scharfschützen verursacht worden, der gezielt einen Brand am Wasserkraftwerk Guri hervorgerufen habe. Die Opposition hingegen macht Korruption und Missmanagement der Regierung verantwortlich. Guaidó erklärte, ein Cyberangriff sei unmöglich, da das venezolanische Stromnetz analog betrieben werde.

Wasserkraftwerk am Guri-Stausee Von hier bezieht Venezuela gut 70 Prozent der Energie (Foto: Fadi, CC-BY-SA 2.0)

Dass sich das Stromnetz in schlechtem Zustand befindet, ist kein Geheimnis. Venezuela ist einseitig von Wasserkraft abhängig und bezieht alleine gut 70 Prozent seiner Energie aus dem Guri-Stausee im Süden des Landes. Anhaltende Dürreperioden führten zuletzt in den Jahren 2003, 2010 und 2016 beinahe zum Kollaps. Die Regierung unter Hugo Chávez hatte privatisierte Energieunternehmen zurückgekauft und 2007 unter dem Dach des neu gegründeten staatlichen Elektrizitätsunternehmens Corpoelec gebündelt.

Das Szenario eines anhaltenden Stromausfalls ist in Handbüchern für Regime Change beschrieben

Doch die angekündigte Modernisierung der Infrastruktur fand nicht ausreichend statt. Hinzu kommt, dass in den vergangenen Jahren aufgrund der Krise und drastischen inflationsbedingten Reallohnverlusten viele Arbeiter*innen ihre Jobs gekündigt oder gleich das Land verlassen haben. Ansätze der Selbst- und Mitverwaltung im staatlichen Elektrizitätsunternehmen, die möglicherweise einige der heutigen Probleme hätten verhindern können, hatte die staatliche Bürokratie bereits vor Jahren ausgebremst. Und auch aufgrund der US-Sanktionen ist derzeit nicht ausreichend Treibstoff für den Betrieb von Wärmekraftwerken vorhanden, die zur Stabilisierung des Stromangebots dienen könnten.

Doch anders als Guaidó behauptet, funktioniert das Stromnetz nicht komplett analog. Das computergestützte Steuerungssystem des Guri-Kraftwerks könnte unter Umständen auch ohne Internetanbindung attackiert worden sein. Das 2010 entdeckte Schadprogramm Stuxnet etwa war auch in das nach außen geschlossene iranische Atomprogramm eingeschleust worden. Die Vorstellung, dass die USA eine Cyberattacke durchführen, ohne dabei Spuren zu hinterlassen, bezeichnete der Computerexperte Kalev Leetaru im US-amerikanischen Wirtschaftsmagazin Forbes am 9. März als „durchaus realistisch“.

Für die These der Sabotage spricht vor allem der aus oppositioneller Sicht günstige Zeitpunkt der Blackouts. Der Plan, Präsident Nicolás Maduro zu stürzen, war Anfang März bereits gehörig ins Stocken geraten. Das Szenario eines anhaltenden Stromausfalls ist in Handbüchern für Regime Change beschrieben und fand auch vor dem Putsch gegen Salvador Allende in Chile 1973 Anwendung.

Unmittelbar nach Beginn des Stromausfalls am 7. März versuchten rechte Opposition und US-Regierung denn auch, politisch Kapital aus dem Vorfall zu ziehen. Floridas Senator, Marco Rubio, heizte die Stimmung durch dramatisierende Tweets und Falschmeldungen an und erweckte durch einzelne Äußerungen den Verdacht, bereits vorab von dem Blackout gewusst zu haben.

Belege für ihre jeweiligen Theorien haben bisher aber weder Regierung noch Opposition geliefert. Und es ist kaum vorstellbar, dass irgendein Beweis die jeweils andere Seite überzeugen würde. Maduro entließ mittlerweile den bisherigen Energieminister Luis Motta Domínguez, der zu Beginn des Blackouts am 7. März noch versichert hatte, dieser werde innerhalb von drei Stunden behoben sein. Zum neuen Minister und Chef des staatlichen Energieversorger Corpoelec ernannte der Präsident den Ingenieur Igor Gavidia, der langjährige Erfahrung im Stromsektor mitbringt. Bereits Mitte März hatte Maduro angekündigt, sein Kabinett grundlegend umzugestalten, nannte bisher jedoch keine weiteren Namen.

Nachdem die Opposition an Schwung verloren hat, gehen die Regierung und die von ihr kontrollierten Institutionen nun verstärkt gegen Guaidó und sein Umfeld vor. Bereits am 21. März verhaftete die Geheimdienstpolizei Sebin Guaidós Büroleiter Roberto Marrero. Der Vorwurf lautet, er habe gemeinsam mit anderen Mitgliedern von Guaidós Partei Voluntad Popular terroristische Anschläge geplant. Eine Woche später verhängte der Rechnungshof gegen Guaidó ein 15-jähriges Verbot, öffentliche Ämter zu bekleiden. Begründet wurde dies mit finanziellen Unregelmäßigkeiten.

Am 2. April dann hob die regierungstreue Verfassunggebende Versammlung (ANC), die weitgehend die Funktionen des von der Opposition dominierten Parlamentes (Nationalversammlung) ausübt, Guaidós parlamentarische Immunität auf. Ermittelt wird gegen ihn wegen Missachtung der Verfassung im Zuge seiner Selbstausrufung als Interimspräsident und wegen mutmaßlicher Sabotage des Stromnetzes.

Damit könnte Guaidó früher oder später festgenommen werden. Mit diesem Schritt war bereits Anfang März gerechnet worden, nachdem er sich gegen ein gerichtlich verhängtes Ausreiseverbot widersetzt hatte. Am 22. Februar war er nach Kolumbien gereist, um die Hilfslieferungen nach Venezuela zu bringen. Nach einer zehntägigen Lateinamerika-Reise, auf der er mehrere Präsidenten der Region besuchte, kehrte er unbehelligt nach Venezuela zurück. Die Frage ist, welche Auswirkungen eine Festnahme haben würde. Innerhalb der Opposition rechnen einige damit, dass dies die Proteste erneut anheizen könnte. Andererseits könnte es aber auch das Ende des jüngsten Umsturzversuchs bedeuten. Viel dürfte davon abhängen, ob sich die Drohungen aus den USA als real oder als heiße Luft entpuppen werden.

US-Senator Rubio schrieb auf Twitter, eine mögliche Inhaftierung Guaidós sollte „von jedem Land, das ihn als legitimen Interimspräsidenten Venezuelas anerkannt hat, als Putsch betrachtet werden.“ Damit hätte jede Seite einmal mehr ihre eigene Wirklichkeit. Für die einen wäre Guaidó Putschist, für die anderen Opfer eines Staatsstreichs.

 

RÜCKSCHLAG FÜR GUAIDÓ

Aussicht vom alten Militärmuseum: Die kontrastreiche Skyline von Caracas (Foto: John M Shorack)

Es waren brachiale Bilder. Bei dem Versuch, die Einfuhr von Hilfsgütern zu erzwingen, kam es an den Grenzen Venezuelas am 23. Februar zu schweren Ausschreitungen. Tausende Freiwillige hatten im kolumbianischen Cúcuta mehrere Lastwagen bis zur Grenze begleitet, wo das venezolanische Militär unter dem Einsatz von Tränengas und Gummigeschossen jedoch ein Weiterkommen verhinderte. Auf der kolumbianischen Seite ließen die Sicherheitskräfte derweil auch Protestierende gewähren, die mit Steinen und Molotowcocktails ausgestattet waren. Laut schwer zu überprüfenden Medienberichten wurden fast 300 Menschen verletzt, zudem brannten zwei Lastwagen aus. Beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig, die Hilfsgüter bewusst in Brand gesetzt zu haben. In der venezolanischen Stadt Santa Elena de Uairén an der Grenze zu Brasilien erlitten laut der venezolanischen Nichtregierungsorganisation Foro Penal 34 Protestierende Schussverletzungen, mindestens vier Menschen starben. Demon­stra­tionen von Regierungsanhänger*innen und der rechten Opposition in Caracas blieben hingegen friedlich.

Guaidó und die USA betrachten die humanitäre Hilfe vor allem als Hebel für einen regime change

Seit Wochen hatte der selbsternannte Interimspräsident Juan Guaidó den 23. Februar zum Tag der Entscheidung hochstilisiert, an dem die humanitäre Hilfe „unter allen Umständen“ ins Land kommen solle. Er selbst und Vertreter der US-Regierung forderten die venezolanischen Soldat*innen nahezu täglich dazu auf, die Hilfsgüter passieren zu lassen und drohten andernfalls mit Konsequenzen. Laut Informationen der kolumbianischen Migrationsbehörde desertierten seit dem 23. Februar mehr als 400 Militärs – angesichts von bis zu 200.000 aktiven Soldat*innen eine überschaubare Zahl. Das Kalkül der rechten Opposition bestand darin, dass die Regierung am Ende gewesen wäre, wenn venezolanische Militärs sich massenhaft den Befehlen Maduros widersetzt hätten. Dieser hatte die vermeintliche humanitäre Hilfe als „Show“ bezeichnet, die das alleinige Ziel verfolge, einer militärischen Intervention das Feld zu bereiten. Um die schwierige Versorgungslage zu verbessern, fordert Maduro stattdessen die Aufhebung der US-Sanktionen, die das Land ein Vielfaches der von den USA in Aussicht gestellten Hilfsgüter kosten. Tatsächlich machen Guaidó und die US-Regierung kaum einen Hehl daraus, dass sie die humanitäre Hilfe vor allem als Hebel für den von ihnen angestrebten regime change in Caracas betrachten. Sowohl die Vereinten Nationen als auch das Rote Kreuz hatten aufgrund der Politisierung der Hilfe im Vorfeld eine Beteiligung an der Aktion abgelehnt.

Straßenszene in Caracas Einkaufen an einem Samstagmorgen (Foto: John M Shorack)

Auf medialer Ebene tobt nun ein Kampf um die Interpretation der Bilder und Ereignisse, bei dem Guaidó klar im Vorteil ist. Einen Monat nach seiner Selbstausrufung zum Interimspräsidenten steht er dennoch weitgehend mit leeren Händen da. Zwar hat er die Rückendeckung der USA, mehr als 50 weiterer Regierungen – darunter der meisten EU-Staaten – sowie gewichtiger Teile der venezolanischen Bevölkerung. Kompetenzen als Interimspräsident übt er bisher jedoch nur außerhalb Venezuelas aus. Laut dem Verfassungsartikel 233, der die absolute Abwesenheit des Staatspräsidenten behandelt und auf den sich Guaidó maßgeblich beruft, hätten innerhalb von 30 Tagen Neuwahlen stattfinden müssen. Der Umsturzversuch droht sich somit in die Liste der glücklosen Versuche der letzten Jahre einzureihen, Maduro zu stürzen. Spätestens wenn sich das Gefühl durchsetzt, dass die rechte Opposition wieder einmal unrealistische Erwartungen geweckt hat, dürften die internen Streitereien erneut aufbrechen und Guaidó wäre am Ende. Er muss also um jeden Preis die Spannung hochhalten, damit der oppositionelle Protest nicht wieder einschläft. Bei einem Treffen von Guaidó mit US-Vizeminister Mike Pence und den Außenminister*innen lateinamerikanischer Staaten der so genannten Lima-Gruppe wurde am 25. Februar aber deutlich, dass es anscheinend gar keinen Plan B gibt. Sowohl die US-Regierung als auch Guaidó haben sich offensichtlich verschätzt, indem sie davon ausgingen, das venezolanische Militär würde zeitnah die Seiten wechseln. Zudem vernachlässigen sie, dass Maduro keineswegs nur die Militärführung, sondern noch immer mehrere Millionen Anhänger*innen hinter sich hat. Hinzu kommt ein Teil der Bevölkerung, der sich als chavistisch versteht und die rechte Opposition ablehnt, ohne aber offen die Regierung zu unterstützen.

Mit dem Scheitern der medienwirksam inszenierten Hilfsaktion wächst die Gefahr einer gewaltsamen Eskalation des Konfliktes weiter. Laut US-Regierung liegen nach wie vor „alle Optionen auf dem Tisch“, das heißt auch eine mögliche Militärintervention. Guaidó hat mittlerweile die US-amerikanische Formulierung übernommen. Innerhalb Lateinamerikas stößt ein mögliches militärisches Eingreifen aber selbst bei rechten Regierungen weitgehend auf Ablehnung, die Lima-Gruppe sprach sich vorerst dagegen aus. Die USA wollen nun weitere Sanktionen beschließen und die Maduro-Regierung wirtschaftlich in die Knie zwingen. Bereits Ende Januar hatte Trump erstmals Sanktionen verhängt, die direkt die Öllieferungen aus Venezuela in die USA treffen. Die Einnahmen landen seitdem auf einem Sperrkonto, auf das Guaidó Zugriff bekommen soll. Leidtragende des immer zynischer ausgetragenen Machtkampfes ist somit in erster Linie die venezolanische Bevölkerung, deren Zugang zu Lebensmitteln und Medikamenten sich voraussichtlich weiter verschlechtern wird. Unklar ist, ob die USA auch ohne Rückendeckung in der Region militärisch eingreifen würden. Wenn es nach der Rhetorik der Hardliner um Präsident Trump herum geht, fehlt dazu nur noch ein konkreter Anlass. Vor allem US-Außenminister Mike Pompeo, der Senator für Florida, Marco Rubio und der nationale Sicherheitsberater von Trump, John Bolton, drohen der Regierung Maduro unverhohlen ein gewaltsames Ende an. Bolton stellte dem venezolanischen Präsidenten einen Aufenthalt im US-Gefangenenlager Guantánamo in Aussicht, Rubio twitterte ein Bild des libyschen Revolutionsführers Muammar al-Gaddafi, das ihn kurz vor dessen Ermordung im Jahr 2011 zeigt. Als Sondergesandter für Venezuela dient mit Elliott Abrams zudem ein alter antikommunistischer Haudegen, der in den 1980er Jahren in die Unterstützung von Todesschwadronen in Zentralamerika und die illegale Finanzierung der nicaraguanischen Contras verwickelt war.

Auch innerhalb Venezuelas dringen mäßigende Stimmen kaum durch. Und es deutet einiges darauf hin, dass Venezuela nur der Anfang sein soll. Sicherheitsberater Bolton spricht mittlerweile in Anspielung auf die von George W. Bush vor Jahren als „Achse des Bösen“ bezeichneten Länder Irak, Iran und Nordkorea von einer „Troika der Tyrannei“. Gemeint sind Venezuela, Kuba und Nicaragua. Die Lage ist vor allem deshalb so gefährlich, weil es in Venezuela bisher keine Anzeichen für eine mögliche Verhandlungslösung gibt. Dass so viele Staaten Guaidó anerkannt haben, der de facto überhaupt keine Macht über den staatlichen Sicherheitsapparat ausübt, ist nicht nur völkerrechtlich höchst fragwürdig. Es führt auch dazu, dass auf internationaler Ebene nur wenige Akteure wie Mexiko und Uruguay glaubhaft auf einen Dialog hinarbeiten könnten. Damit verstärkt sich die Dynamik des Alles oder Nichts, des unbedingten Willens beider politischer Lager, sich gegen das jeweils andere durchzusetzen. Dies aber kann nicht zu einer tragfähigen Lösung der venezolanischen Krise führen. Weder wird Maduro einfach wie bisher weitermachen und die Krise aussitzen können, noch die rechte Opposition nach einem Umsturz gegen den chavistischen Teil der Bevölkerung regieren können.

Auch innerhalb Venezuelas dringen mäßigende Stimmen bisher kaum durch. Aus den Reihen der linken Maduro-Kritiker*innen der Bürgerplattform zur Verteidigung der Verfassung stammt ein Vorschlag, mittels Wahlen und der Neubesetzung der staatlichen Gewalten eine demokratische Lösung der Krise auszuhandeln. Um die dafür nötigen Schritte demokratisch zu legitimieren, solle zunächst ein laut Verfassung mögliches verbindliches Referendum stattfinden. In der Bürgerplattform haben sich mehrere ehemalige Minister*innen unter Chávez sowie kritische linke Akademiker*innen und Aktivist*innen zusammengeschlossen, darunter der bekannte Soziologe Edgardo Lander. Für Kritik innerhalb des chavistischen Spektrums sorgte allerdings ein Treffen mit Guaidó, bei denen Mitglieder der Plattform ihm ihren Vorschlag präsentierten. Der frühere chavistische Bildungsminister Héctor Navarro betonte anschließend, dass die Bürgerplattform Guaidó lediglich als Parlamentspräsidenten anerkenne und den Vorschlag des Referendums ebenso Maduro unterbreiten wolle. Dieser reagierte allerdings nicht auf den Vorstoß. Innerhalb der venezolanischen Linken kontrovers zu diskutieren ist zurzeit ohnehin kaum möglich, Kritik an der Regierung wird meist in die rechte Ecke gestellt. Die wichtigste linke Nachrichtenseite und Debattenplattform Venezuelas, aporrea.org, bei der sowohl Regierungs­anhänger­*innen als auch linke Kritiker*innen Maduros publizieren, wird in Venezuela seit Wochen vom staatlichen Internetanbieter CANTV blockiert. Eine Begründung dafür gibt es nicht.

„Zusammen mit Maduro gestaltet das Volk Zukunft” Wandbild in Caracas (Foto: John M Shorack)

Eine weitere Eskalation könnte bereits kurz bevorstehen. Denn seit dem 22. Februar, als er in Cúcuta ein unter dem Motto „Venezuela Aid Live“ organisiertes Konzert besuchte, befindet sich Guaidó außer Landes. Da er sich damit einem gerichtlich verhängten Ausreiseverbot widersetzte, könnte er bei der Wiedereinreise festgenommen werden. Maduro betonte bereits, dass sich Guaidó in diesem Fall „der Justiz stellen muss“. Der selbsternannte Interimspräsident zeigte sich zunächst unbeeindruckt. „Ein Gefangener bringt niemandem etwas, aber ein exilierter Präsident auch nicht“, versicherte er und kündigte seine baldige Rückkehr an. Eine Inhaftierung komme einem Staatsstreich gleich und werde seitens der Bevölkerung und der internationalen Gemeinschaft „eine beispiellose Antwort“ nach sich ziehen, drohte Guaidó. Nicht bekannt ist, welche Garantien er für diesen Fall seitens der US-Regierung erhalten hat. Aber bis auf Weiteres liegen alle Optionen auf dem Tisch.

 

MADUROS RISIKOSPIEL

Absurd hohe Preise Der IWF schätzt die Inflation für 2018 auf eine Million Prozent (Foto: flickr.com / Ruperto Miller CC0 1.0)

Es waren ungewohnte Bilder. Ende August trafen am Flughafen Simón Bolívar nahe Caracas etwa 90 Venezolaner*innen ein, die ihr Glück zuvor in Peru versucht hatten. „Wir erhalten tausende Anfragen aus aller Welt“, erklärte Kommunikationsminister Jorge Rodríguez. Präsident Nicolás Maduro betonte, dass viele Menschen „falschen Versprechen“ gefolgt seien und heute „Klos putzen“ würden. In den Nachbarländern entwickele sich zudem „eine Kampagne aus Hass, Verfolgung und Fremdenfeindlichkeit gegen die venezolanische Bevölkerung“.

Tatsächlich regt sich angesichts der anhaltend hohen Zahl emigrierender Venezolaner*innen zunehmend Unmut in der Region. Sinnbildlich dafür ist die Meldung aus dem brasilianischen Grenzort Pacaraima, wo Mitte August ein wütender Mob mehr als 1.000 Geflüchtete zurück über die Grenze gejagt hatte. Auslöser war ein Überfall mit mutmaßlich venezolanischer Beteiligung. Doch auch aus Ländern wie Kolumbien, Ecuador oder Peru häufen sich die Beschwerden über venezolanische Einwanderer*innen, die angeblich die Löhne drückten und die Kriminalität ansteigen ließen. Ecuador und Peru verschärften vorübergehend die Einreisebestimmungen, Brasilien schickte Soldaten an die Grenze. Laut den Vereinten Nationen haben mittlerweile 2,3 Millionen Menschen das Land verlassen, darunter viele Fachkräfte und junge Menschen.

Auf einem Sondergipfel Anfang September erklärten elf lateinamerikanische Länder, die Grenzen für Venezolaner*innen vorerst offen zu lassen. Gleichzeitig fordern sie finanzielle Unterstützung und dass Venezuela humanitäre Hilfe akzeptiert. Davon allerdings will die venezolanische Regierung nichts wissen. Dabei sind es längst nicht mehr nur Oppositionelle, die das Land verlassen – die Fluchtursachen liegen überwiegend in der desolaten wirtschaftlichen Situation begründet. Der Internationale Währungs­fonds (IWF) schätzt die Inflationsrate für das laufende Jahr mittlerweile auf eine Million Prozent. Ohne staatliche Lebensmittelzuwendungen kämen viele Menschen nicht annähernd über die Runden.

Die Regierung hat eine Mitschuld an der Krise jahrelang abgestritten, nun gib es auch selbstkritische Töne

Hatte sie eine Mitschuld an der Krise jahrelang abgestritten und einen „Wirtschaftskrieg“ seitens der rechten Opposition und der USA beklagt, gibt es seit kurzem auch selbstkritische Töne. Im Vorfeld des IV. Kongresses der regierenden Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) etwa äußerte Freddy Bernal aus der Parteiführung, dass nach 19 Jahren Revolution „nur wir für das Gute und Schlechte verantwortlich“ seien. Am 20. August startete die Regierung das sogenannte Programm für wirtschaftliche Erholung, Wachstum und Wohlstand. „Dieser Plan wird funktionieren“, versicherte Regierungschef Maduro. Indirekt räumte er ein, die hohen Haushaltsdefizite der vergangenen Jahre mithilfe der Notenpresse finanziert zu haben. Künftig solle es einen ausgeglichenen Haushalt geben.

Kernstück des Plans, der sowohl liberale als auch staatsinterventionistische Elemente enthält, ist eine Währungsreform. Der neue „Souveräne Bolívar“ hat fünf Nullen weniger als der bisherige „Starke Bolívar“ und ist an die staatliche Kryptowährung Petro gekoppelt, die als Wertanker wiederum an die venezolanischen Erdölvorräte gebunden ist. Je nach Entwicklung des Erdölpreises verändert sich auch der Wert des Petro, zurzeit liegt er bei 60 US-Dollar. Der Basismindestlohn pro Monat, der zuletzt laut Schwarz­­marktkurs nur noch einen halben US-Dollar betrug, wird auf etwa 30 Dollar erhöht und soll einem halben Petro entsprechen. Hinzu kommen Lebensmittelgutscheine, deren Wert allerdings in deutlich geringerem Maße angehoben wurde und die nun umgerechnet gerade einmal drei US-Dollar pro Monat betragen. Um unmittelbaren Preissteigerungen entgegen zu wirken, übernimmt der Staat für kleinere und mittlere Unternehmen 90 Tage lang die Differenz zum alten Mindestlohn. Steuern und Zölle für staatliche und private Erdölunternehmen werden gesenkt, die Mehrwertsteuer wird unter Ausnahme wichtiger Güter wie Lebensmittel hingegen angehoben.

Ab Ende September soll der Preis für das bisher praktisch gratis erhältliche Benzin schrittweise auf internationales Niveau steigen, auch die Tickets des öffentlichen Nahverkehrs werden künftig deutlich teurer. Die Subventionierung des Benzins kostet Venezuela bisher jährlich zweistellige Milliardenbeträge in US-Dollar, große Mengen werden illegal nach Kolumbien geschmuggelt. Besitzer der carnet de la patria (Ausweis des Heimatlandes) – eines von der Regierung ausgestellten Ausweises, der für den Bezug bestimmter Sozialleistungen erforderlich ist – sollen zukünftig direkt subventioniert werden, um billiges Benzin beziehen zu können.

Wenn die Regierung erneut die Notenpresse anwirft, könnte auch die neue Währung rasant an Wert verlieren
Zudem werden die seit 2003 bestehenden Devisenkontrollen gelockert. Der Handel mit Fremdwährungen ist demnach nicht mehr strafbar, das bisherige Monopol der Zentralbank entfällt. Laut offiziellem Kurs kostete ein US-Dollar nach der Währungsreform etwa 60 Bolívares. Auf dem Schwarzmarkt, den die Regierung eigentlich austrocknen will, waren es gut zwei Wochen später bereits 90 Bolívares. Die meisten Ökonomen sind denn auch skeptisch und fürchten, dass die Regierung erneut die Notenpresse anwerfen und so auch die neue Währung rasant an Wert verlieren werde (siehe auch das Interview mit Manuel Sutherland in dieser Ausgabe).

Für Maduro steht viel auf dem Spiel. Zwar ist die rechte Opposition derzeit gespalten und liegt politisch am Boden, jedoch konnte die Regierung ihre Macht in den vergangenen Jahren auf Kosten zentraler demokratischer und sozialer Errungenschaften des Chavismus konsolidieren.
Doch eine weitere Verschlechterung der Lage könnte zu weiteren Protesten führen. Einzelne Sektoren gehen schon jetzt immer wieder auf die Straße. Im Juli etwa war die Regierung durch einen Marsch von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern sowie Proteste im Gesundheitssektor unter Druck geraten. Weder den Kleinbauern, die mehr als 400 Kilometer zurücklegten und letztlich von Maduro im Präsidentenpalast empfangen wurden, noch den Protestierenden im Gesundheitsbereich geht es dabei um den Sturz der Regierung. Vielmehr wenden sie sich gegen die prekäre Sicherheitslage und Korruption sowie für bessere Arbeitsbedingungen, existenzsichernde Löhne und eine adäquate Ausstattung mit medizinischen Geräten und Medikamenten. Insbesondere die Situation der staatlichen Unternehmen und Dienstleistungen ist verheerend. Die Erdölproduktion ist in den vergangenen Jahren von etwa drei Millionen auf heute nur noch gut 1,3 Millionen Barrel täglich gefallen. Und auch um die marode Wasser- und Stromversorgung zu verbessern, wären immense Investitionen nötig.

Maduro beschuldigte Juan Manuel Santos, hinter dem versuchten Drohnenangriff zu stecken

Dass auch eine erneute Eskalation politischer Gewalt keineswegs ausgeschlossen ist, zeigt der Drohnenangriff auf Maduro am 4. August. Anlässlich des 81. Jahrestages der Gründung der Nationalgarde hatte der venezolanische Präsident im Zentrum von Caracas eine Rede vor Soldaten gehalten, die live im Fernsehen übertragen wurde. Als er gerade über die ökonomische Lage sprach, war plötzlich ein dumpfer Knall zu hören. Sicherheitsbeamte schirmten den Präsidenten mit kugelsicheren Schutzmatten ab, zahlreiche Soldaten auf der Straße verließen die Formation und rannten davon. Aus Sicht der Regierung zeugten diese Bilder nicht gerade von Stärke. Und dennoch waren die ersten Reaktionen seitens der rechten Opposition in Venezuela und vieler internationaler Medien von Zweifeln darüber geprägt, ob überhaupt ein Attentat stattgefunden habe. Maduro beschuldigte den scheidenden kolumbianischen Präsidenten Juan Manuel Santos und vom US-Bundesstaat Florida aus operierende Gruppen, hinter dem versuchten Drohnenangriff zu stecken. Im Internet bekannte sich eine zuvor unbekannte Gruppe namens soldados de franela (in etwa T-Shirt-Soldaten) zu dem Anschlag.

Nachdem Videoaufnahmen der Drohnen auftauchten, verlagerte sich die öffentliche Debatte zu der Frage, ob die Regierung das Attentat möglicherweise selbst inszeniert habe, um von Problemen abzulenken und einen weiteren Vorwand zu haben, gegen die Opposition vorzugehen. Tatsächlich stellte sie kurz darauf direkte Verbindungen zu oppositionellen Politikern her. So habe Juan Requesens, Abgeordneter des gewählten, aber juristisch kalt gestellten Parlaments, auf Geheiß des in Kolumbien exilierten Parlamentspräsidenten Julio Borges dabei geholfen, den ehemaligen Nationalgardisten Juan Carlos Monasterios über die Grenze nach Kolumbien zu bringen. Der wegen eines Überfalls auf einen Militärkomplex ein Jahr zuvor bereits gesuchte Monasterios sei dort für das Attentat trainiert worden. Die umstrittene regierungstreue Verfassunggebende Versammlung (ANC), die das Parlament zurzeit weitgehend abgelöst hat, hob daraufhin im Schnellverfahren die Immunität der beiden Parlamentarier auf. Die Regierung präsentierte im Fernsehen Vernehmungsvideos von Monasterios und Requenses, in denen diese ihre Beteiligung gestanden. Oppositionelle Jurist*innen und Politiker*innen warfen der Regierung jedoch vor, die Aussagen unter Folter und der Verabreichung von Drogen erwirkt zu haben. Zudem sei Requesens gesetzeswidrig isoliert. Ein weiteres in den sozialen Netzwerken veröffentlichtes Video zeigt den Abgeordneten offenbar in Gefangenschaft des Geheimdienstes Sebin mit geweiteten Augen und mit von Exkrementen beschmierten Boxershorts. Bisher wurden im Rahmen der Ermittlungen 25 Menschen fest­ge­nom­men, weitere 15 stehen auf der Fahndungsliste. Auf den Zustand des Rechtsstaates in Venezuela wirft der Fall einmal mehr ein schlechtes Licht.

MADUROS ERWARTBARER SIEG

Wandbild in Merida // Quelle: Flickr.com David Hernández (CC-BY-SA 2.0

Die Überraschung blieb aus. Wie von den meisten Beobachter*innen erwartet, sicherte sich der venezolanische Präsident Nicolás Maduro bei der umstrittenen Wahl am 20. Mai eine weitere Amtszeit. Mit 67,8 Prozent der abgegebenen Stimmen lag er knapp 50 Prozent vor seinem wichtigsten Herausforderer Henri Fálcon, der gerade einmal 21 Prozent erreichte. Der evangelikale Pastor Javier Bertucci kam auf 10,8, der dissidente Chavist Reinaldo Quijada auf lediglich 0,4 Prozent der Stimmen. Doch mit gerade einmal 46 Prozent war die Beteiligung so niedrig wie bei keiner Präsidentschaftswahl seit dem Sturz der Militärdiktatur 1958. Bei Maduros erstmaliger Wahl 2013 hatte sie noch bei knapp 80 Prozent gelegen. Der von den meisten Oppositionsparteien propagierte Boykott der Wahl scheint also zumindest teilweise aufgegangen zu sein.

Den hohen Abstand zum zweitplatzierten Falcón feierte Maduro dennoch als „historischen Rekord“ und rief zu einem „nationalen Dialog“ auf. Tatsächlich begann der Präsident kurz darauf, Gespräche mit verschiedenen politischen und sozialen Sektoren des Landes zu führen, um Vorschläge einzuholen, wie seine Regierung die tief greifende Wirtschafts- und Versorgungskrise beenden könne. Auch ging er demonstrativ auf seine politischen Gegner*innen zu und brachte die Entlassung zahlreicher Personen auf den Weg, die aufgrund politischer Delikte inhaftiert waren. „Es gibt jetzt weniger politische Gefangene, aber dadurch wird Nicolás Maduro weder weniger Diktator noch gewinnt er an Legitimität“, versicherte das intern zerrüttete Oppositionsbündnis „Tisch der Demokratischen Einheit“ (MUD) in einem Kommuniqué. Große Teile der Regierungsgegner*innen setzen unverhohlen auf einen Sturz der Regierung mit allen Mitteln. Unterstützt werden sie dabei von externen Akteuren wie der US-Regierung, die Venezuela international zu isolieren versucht und aus der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) ausschließen möchte. Den chavistischen Machtapparat versucht US-Präsident Donald Trump mittels gezielter Sanktionen zu Fall zu bringen. Zahlreiche weitere Staaten aus Europa und Lateinamerika hatten bereits vorab angekündigt, das Wahlergebnis nicht anzuerkennen.

Die Impulse können nur von unten kommen

Dabei hätte die Opposition dieses Mal realistische Chancen gehabt, Maduro demokratisch zu besiegen – wenn sie sich denn auf eine gemeinsame Kandidatur geeinigt hätte.

Fálcon schwenkte noch in der Wahlnacht mehr oder weniger auf die Linie seiner Oppositionskolleg*innen ein, die die Wahl im Vorfeld als „Farce“ bezeichnet hatten. Noch vor Bekanntgabe der offiziellen Wahlergebnisse verkündete er, diese nicht anzuerkennen. Eine Breitseite in Richtung der Mehrheit der rechten Opposition konnte er sich dennoch nicht verkneifen. „Je höher die Enthaltung, desto mehr Möglichkeiten der Kontrolle für die Regierung“, sagte der frühere Gouverneur des Bundesstaates Lara. Vor allem kritisierte er die Verquickung von Sozialleistungen und Wahlverhalten. Wie bei vorangegangenen Abstimmungen hatten Regierungsanhänger*innen nahe der Wahllokale so genannte rote Punkte aufgebaut, kleine Zelte mit Tischen, an denen sich die Wähler*innen registrieren lassen können und im Gegenzug für die Teilnahme Bonuszahlungen in Aussicht gestellt bekommen. Ähnliche „blaue Punkte“ hatte in der Vergangenheit auch die Opposition zur

Mobilisierung genutzt. Für wen jemand im Wahllokal stimmt, kann jedoch niemand kon­trollieren. Die Wahl entschieden hat wohl auch weniger die klientelistische Einflussnahme auf die chavistischen Stammwähler*innen, als die Spaltung der Opposition und der Zeitpunkt der Abstimmung. Mittels der von ihr kontrollierten Verfassunggebenden Versammlung hatte die Regierung den Wahltermin von Dezember auf Mai vorgezogen.

Damit scheint der seit Jahren laufende Machtkampf vorerst entschieden. Die Opposition, die derzeit vor allem damit beschäftigt ist, internationale Verbündete gegen die Regierung zu suchen, muss sich nun neu formieren. Die Regierung hingegen hat ihre Macht auf Kosten zentraler demokratischer und sozialer Errungenschaften des Chavismus konsolidiert und steht vor der schwierigen Aufgabe, die wirtschaftlichen Probleme in den Griff bekommen. Doch ist es für Maduro keineswegs der proklamierte „historische Sieg“. Zwar kann die Regierung inmitten einer tief greifenden Wirtschafts-krise noch immer ein Potenzial von 25 bis 30 Prozent der Wahlberechtigten abrufen. Das liegt zum Teil an klientelistischen Strukturen, dem Druck, der auf Staatsangestellte ausgeübt wird und der Angst, dass sich unter einer rechten Regierung noch mehr Räume für linken Aktivismus schließen würden. Gegen einen starken, gemeinsamen Kandidaten oder eine starke, gemeinsame Kandidatin der Opposition hätte es jedoch wahrscheinlich nicht gereicht.

Die Probleme Venezuelas wird die Wahl ohnehin kaum lösen. Maduro bleiben nach dem Wahlsieg keine Ausreden mehr. Doch wenig deutet im Moment darauf hin, dass es der Regierung gelingen könnte, die Hyperinflation in den Griff zu bekommen und die Lebensbedingungen der Venezolaner*innen in näherer Zukunft wieder zu verbessern. Sobald die rechte Opposition erneut eine gemeinsame Linie findet, könnten die politischen Konflikte wieder deutlich zunehmen. Letztlich ist es vor allem die verheerende Wirtschaftslage, die Maduro doch noch zu Fall bringen könnte. Im Vergleich zu anderen Ländern gibt es in Venezuela zwar noch immer eine breite linke Bewegung, die bei einem möglichen Regierungswechsel nicht einfach verschwinden würde. Je länger die derzeitige Krise andauert, desto leichter hätte es allerdings eine rechte Regierung, die letzten Überbleibsel chavistischer Errungenschaften abzubauen. Allein das Versprechen, die Hyperinflation zu beenden, könnte eines Tages ausreichen, um eine neoliberale Agenda durchzusetzen. Um das zu verhindern, muss der Chavismus sich erneuern, konkrete Lösungen anbieten und die bald 20-jährige Regierungszeit kritisch aufarbeiten. Die Impulse dafür können nur von unten kommen.

DOCH NOCH EIN ECHTER GEGNER

Amtsinhaber Maduro geht als Favorit in’s Rennen um die Präsidentschaft (Foto: Joka Madruga CC BY 2.0)

Nun wird es also doch noch einen richtigen Wahlkampf geben. Nach einigem Hin und Her sollen in Venezuela am 20. Mai vorgezogene Präsidentschaftswahlen stattfinden – die der Großteil der Opposition boykottiert. Bis zuletzt war daher unklar, ob Amtsinhaber Nicolás Maduro überhaupt einen ernsthaften Gegenkandidaten bekommen würde. Ende Februar ließ sich mit Henri Falcón von der kleinen Partei Avanzada Progresista nun ein namhafter Kandidat beim Nationalen Wahlrat (CNE) registrieren. „Wir sind uns sicher, dass wir gewinnen werden“, ließ der ehemalige Gouverneur des westlichen Bundesstaates Lara verlauten, der dem Oppositionsbündnis Tisch der demokratischen Einheit (MUD) mit seiner Kandidatur endgültig den Rücken kehrt. Der Ex-Militär Falcón stammt selbst aus den Reihen des Chavismus. Zwischen 1999 und 2010 führte er mehrere Ämter für die Regierungspartei aus, bevor er mit dem damaligen Präsidenten Hugo Chávez brach. Schon zuvor bezeichnete er sich selbst als „light-Chavisten“.

Henri Falcón bezeichnete sich selbst als “light-Chavisten”

Unterstützt von insgesamt zehn Parteien schrieb sich auch Maduro offiziell als Kandidat ein. Der amtierende Präsident forderte Falcón zu einer „großen Debatte“ auf und kündigte an, der Opposition „mit zehn Millionen Stimmen eine Klatsche zu verpassen“. Neben der regierenden Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) stehen hinter Maduro auch traditionelle chavistische Verbündete wie die Kommunistische Partei Venezuelas (PCV) und die aus der Gewerkschaftsbewegung hervorgegangene Partei Patria Para Todos (PPT). Beide hatten zuletzt allerdings Kritik an der Regierung geübt und waren bei den Kommunalwahlen sogar teilweise mit eigenen Kandidaten gegen die PSUV angetreten. Zudem verkündete Maduro Ende Januar die Gründung einer neuen Partei namens Somos Venezuela (Wir sind Venezuela), die ihn bei den Präsidentschaftswahlen als eigenständige politische Kraft unterstützt. Somos Venezuela war Mitte 2017 zunächst als Bewegung entstanden, die bei der Umsetzung staatlicher Sozialprogramme mitwirkt. Als Parteichefin fungiert die Präsidentin der umstrittenen Verfassunggebenden Versammlung (ANC), Delcy Rodríguez. Mit der Neugründung will die Regierung nach eigenen Angaben vor allem Wähler*innen erreichen, die sich von den bisherigen Parteien nicht repräsentiert fühlen.

Am 23. Januar hatte die ANC beschlossen, die eigentlich für Dezember vorgesehene Präsidentschaftswahl auf einen Termin vor dem 30. April vorzuverlegen. Wie erwartet folgte der Nationale Wahlrat (CNE) dem Ansinnen und legte die Wahl zunächst auf den 22. April. Zuvor waren in der Dominikanischen Republik mehrmonatige Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition gescheitert. Weil die Opposition derzeit schwach und zerstritten ist, kommt ein früherer Wahltermin der Regierung entgegen. Diosdado Cabello, Vizepräsident der PSUV und Delegierter der ANC, hatte sogar vorgeschlagen, zeitgleich das Parlament neu wählen zu lassen, das oppositionell dominiert, jedoch derzeit juristisch kalt gestellt ist. Maduro unterstützte den Vorstoß und regte an, zusätzlich auch noch die ausstehenden Wahlen der regionalen und kommunalen Legislativen auf den selben Tag zu legen. Doch der CNE lehnte die Vorschläge mit der Begründung ab, das die Zeit dafür nicht ausreiche. Am 1. März dann folgte die nächste Überraschung: Als neuen Wahltermin verkündete der CNE den 20. Mai, an dem nicht nur der Präsident, sondern auch die regionalen und kommunalen Legislativen gewählt werden sollen. Die ANC erteilte unmittelbar danach ihre Zustimmung. Die Terminfindung zeigt eindrücklich, wie informell in Venezuela mittlerweile derart weitreichende Entscheidungen getroffen werden. Auf den neuen Termin hatte sich die Regierung mit Falcóns Partei Avanzada Progresista sowie den kleineren Oppositionsparteien Movimiento al Socialismo (MAS) und der christdemokratischen Copei geeinigt, die Falcóns Kandidatur ebenfalls unterstützen.

Maduro will der Opposition “mit zehn Millionen Stimmen eine Klatsche verpassen””

Sie vereinbarten, die Wahlergebnisse anzuerkennen, einen ausgewogenen Zugang zu den Medien sicherzustellen und eine Wahlbeobachtermission unter Leitung der Vereinten Nationen einzuladen, die alle Phasen des Urnengangs überwachen soll. Auch sollten die Wahlbedingungen wieder hergestellt werden, die bis 2015 galten. So hatte der CNE bei den vergangenen Regional- und Kommunalwahlen im Oktober und Dezember vergangenen Jahres wegen der vorherigen gewalttätigen Proteste einige Wahllokale von oppositionellen Hochburgen in chavistisch dominierte Gebiete verlegt.

Die nun vereinbarten Punkte ähneln jenen, über die Regierung und Opposition bis Ende Januar in der Dominikanischen Republik verhandelt hatten, die dem MUD aber nicht weit genug gingen. Der Generalsekretär von Avanzada Progresista, Luis Romero, bekräftige, die ausgehandelten Bedingungen seien „zwar nicht optimal, garantierten den Venezolanern aber vollkommen, ihr Wahlrecht auszuüben“.
Da die Regierung für die Legitimität der Wahl auf mindestens einen ernsthaften Konkurrenten angewiesen ist, kam sie um Zugeständnisse nicht herum. Denn der MUD erklärte am 21. Februar, die Wahl zu boykottieren. Zuvor hatten schon dessen größte Parteien Acción Democrática, Primero Justicia, Un Nuevo Tiempo und Voluntad Popular getrennt voneinander ihre Ablehnung der Wahl bekundet. Stattdessen wolle man eine „breite Front“ unterschiedlicher Akteure wie Parteien, Kirchen und Universitäten aufbauen, um einen politischen Wandel und faire Wahlbedingungen zu erreichen. Dass sowohl der MUD als Ganzes, als auch dessen Einzelparteien Primero Justicia und Voluntad Popular im Zuge einer umstrittenen Neuregistrierung kürzlich ihren Parteienstatus verloren haben, erschwerte die Einigung auf eine gemeinsame Kandidatur möglicherweise zusätzlich. Auch nach der erneuten Verlegung blieb das Bündnis bei seiner Position und forderte Falcón dazu auf, seine Kandidatur zurück zu ziehen. „Leider hat er der Versuchung einer Wahlteilnahme nachgegeben und spielt damit der Regierung von Nicolás Maduro in die Hände“, sagte Juan Pablo Guanipa von Primero Justicia. Auf internationaler Ebene stützen unter anderem die USA, die Europäische Union sowie mehrere lateinamerikanische Länder die Haltung des MUD.

Das Oppositionsbündnis fordert unter anderem eine Neubesetzung des fünfköpfigen Nationalen Wahlrats, die Freilassung aller als politische Gefangene angesehenen Personen und die Rücknahme der Antrittsverbote, mit denen populäre Oppositionspolitiker wie Leopoldo López und Henrique Capriles Radonski belegt sind. Laut inoffiziellen Informationen trafen sich auch Vertreter*innen von MUD Ende Februar nochmals mit der Regierung, um über die Wahlbedingungen zu verhandeln. Doch während die rechte Opposition im vergangenen Jahr, als sie politisch Oberwasser hatte, noch sofortige Neuwahlen forderte, benötigt sie nun vor allem mehr Zeit. Seit dem Scheitern der Straßenproteste befindet sich der MUD in einer schweren internen Krise und wäre kurzfristig gar nicht in der Lage, sich auf einen gemeinsamen Kandidaten oder eine Kandidatin zu einigen.

Aufgrund des oppositionellen Wahlboykotts gilt Falcón bisher als klarer Außenseiter im Rennen um die Präsidentschaft. Auch haftet ihm der Makel an, im vergangenen Oktober bei den Regionalwahlen in Lara seinen Gouverneursposten an die PSUV verloren zu haben. Seine wichtigste Aufgabe wird in den kommenden zweieinhalb Monaten sein, all jene Wähler*innen zu mobilisieren, die einen Regierungswechsel wollen.

Maduro rief den MUD nach seiner Einschreibung derweil abermals dazu auf, einen eigenen Kandidaten einzuschreiben, da alle Garantien gegeben seien. „Nur eines kann ich euch nicht garantieren“, sagte er ironisch, „und zwar, dass ihr die Wahl gewinnt“.

DANKE FÜR DIE IMPFUNG, PRESIDENTE

Er scheint sich seiner Sache ziemlich sicher zu sein. „Am Sonntag, den 20. Mai, werden wir zehn Millionen Stimmen holen“, rief der venezolanische Präsident Nicolás Maduro seinen Anhänger*innen auf einer Kundgebung am 1.Mai zu. Nach dem Wahlsieg wolle er sich „um die Wirtschaftsmafia kümmern und unserer gesamten Bevölkerung den ökonomischen Frieden bringen“. Zehn Millionen Voten hatte schon Maduros politischer Ziehvater und Amtsvorgänger Hugo Chávez stets als Ziel vorgegeben. Erreicht hat er es trotz immenser Mobilisierungsfähigkeit nie. Wie die regierenden Chavist*innen diese magische Zahl knacken wollen, rechnet Jorge Sierra Machado vor. Der 31-Jährige steht in der Backstube des selbst verwalteten, sozialistischen Wohnkomplexes Campamento de Pioneros Kaika Shi in La Vega, im Westen der venezolanischen Hauptstadt Caracas. „Die Regierungspartei PSUV hat über fünf Millionen Mitglieder und von denen bringt jeder mindestens eine weitere Person mit“, sagt er, während er den Teig für das Brot knetet, das hier zum staatlich festgelegten Preis von 10.000 Bolívares verkauft wird. Laut dem Schwarzmarktkurs, an dem sich die meisten Preise in Venezuela orientieren, sind das nicht einmal zwei Cents. Doch in Caracas ein Brot zu diesem Preis zu finden, gleicht einer Schatzsuche. Die überwiegend privat betriebenen Bäckereien argumentieren, so nicht kostendeckend produzieren zu können. Stattdessen bieten sie Sorten mit alternativer Rezeptur, die nicht der Preisbindung unterliegen, für mindestens das zwanzigfache an.

Venezuela wählt Trotz Hyperinflation gilt Nicholás Maduro als Favorit (Fotos: Tobias Lambert)

Ähnlich ist es mit anderen Lebensmitteln. Außer vereinzelten Produkten wie Frischmilch ist dieser Tage fast alles erhältlich – aber schier unbezahlbar. Die Hyperinflation bestimmt den Alltag der meisten Menschen, die viel Zeit dafür aufbringen müssen, zielgenau dort einzukaufen, wo einzelne Produkte günstiger zu haben sind als anderswo. Gezahlt wird wegen Bargeld­mangels mittlerweile fast alles elektronisch. Offizielle Wirtschaftsdaten gibt es schon seit Jahren nicht mehr, der Internationale Währungsfonds (IWF) prognostiziert für 2018 eine Teuerungsrate von 14.000 Prozent. Nach der jüngsten Erhöhung am ersten Mai liegt der Mindestlohn inklusive Lebensmittelgutscheinen bei gut 2,5 Millionen Bolívares, auf dem Schwarz­markt bekommt man dafür gerade einmal noch knapp vier US-Dollar. Ein Kilo Reis kostet regulär über 300.000 Bolívares, für ein paar neue Turnschuhe werden schnell drei bis vier Millionen fällig. Hinzu kommt der Verfall der öffentlichen Dienstleistungen. Viele Medikamente sind nicht mehr erhältlich. Die staatlichen Transport-, Elektrizitäts- und Wasserunternehmen haben spürbar Probleme, die Versorgung aufrecht zu erhalten.

Jorge Sierra Machado vertraut trotzdem darauf, dass die Regierung die Krise beenden kann. „Zuerst gewinnen wir die Wahl und dann den Wirtschaftskrieg“, ist er sich sicher. „Die Inflation betrifft uns schon, aber sie wird von außen gesteuert.“ Internetseiten wie das von Miami aus betriebene Portal Dolar Today legten den Schwarzmarktkurs für US-Dollar nach politischen Erwägungen fest. „Noch nie wurde Venezuela derart attackiert wie heute“, sagt Sierra Machado. „Die Medien verfälschen und die US-Regierung verhindert mit ihrer Blockade, dass wir Kredite bekommen.“ Aber Maduro habe Maßnahmen getroffen, um dem etwas entgegen zu setzen. Schließlich würden Anfang Juni im Zuge einer Währungsreform drei Nullen gestrichen und sorge die Ausgabe der staatlichen Kryptowährung Petro für frisches Geld in den Kassen.

Jorges Mutter Mariela Machado sieht das ähnlich. „Maduro gibt sich Mühe“, sagt sie, „aber er hat nur wenige gute Leute um sich herum“. Mit glänzenden Augen führt die 58-Jährige durch die Wohnsiedlung Kaika Shi, die es ohne die Revolution nicht gäbe. Die Mauern im Eingangsbereich sind von großflächigen, sozialistischen Wandbildern geziert, direkt dahinter wachsen auf einem kleinen Hügel Tomaten, Zucchini und andere Gemüsesorten. Im Hof zwischen den mehrstöckigen Gebäuden spielen Kinder. Im hinteren Bereich steht ein Versamm­lungs­haus, das einen öffentlichen Speisesaal (comedor popular), die Bäckerei und eine kleine Nähwerkstatt beherbergt. Vor dem flachen Gebäude verweist eine Statue des 2013 verstorbenen Chávez darauf, wem die politische Loyalität in der Siedlung gehört. „Ohne ihn hätten wir das alles nicht erreicht und deshalb führen wir seinen Kampf weiter“, zeigt sich Machado entschlossen. Anfang 2011 hatte Chávez den zukünftigen Bewohner*innen das von diesen zuvor besetzte städtische Grundstück übertragen, öffentliche Kredite sorgten für das nötige Baumaterial. Die 94 Familien, die hier heute leben, haben alles gemeinsam beschlossen und sämtliche Gebäude eigenhändig hochgezogen.

In Caracas günstiges Brot zu finden, gleicht einer Schatzsuche

Durch die Krise seien sie heute gezwungen, mehr anzubauen und sich ihre Kleidung auch mal selbst zu nähen, sagt Machado. Und pünktlich einmal im Monat komme die Lebensmittelkiste: „Davon esse ich immerhin zwei Wochen lang.“

So wie Millionen anderer Venezolaner*innen erhalten die Bewohner*innen des Kaika Shi direkte Zuwendungen der Regierung, ohne die ein Überleben in Zeiten der Hyperinflation kaum möglich wäre. Am wichtigsten sind die im April 2016 als Antwort auf die Versorgungskrise und die Korruption in den staatlichen Supermärkten gegründeten „Lokalen Versorgungs- und Produktionskomitees“ (CLAP). Diese verteilen überwiegend importierte Grundnahrungsmittel wie Pasta, Reis, Maismehl, Zucker und Milchpulver zu einem symbolischen Preis. Während die Versorgung in Caracas vergleichsweise gut funktioniert, kommen die Lebensmittel in anderen Regionen mitunter unregelmäßig. Auch sind die Kisten nicht immer vollständig. „Es gibt Leute, die klauen und verkaufen CLAP-Produkte dann auf der Straße teuer weiter“, weiß Machado. „Wir haben hier in Venezuela eine jahrzehntelange Kultur des Raubes, nicht nur ganz oben, sondern auch bei den Ärmeren“.


Chávez blickt auf Kaika Shi Die Bewohner*innen haben die Siedlung eigenhändig erbaut

Nicht nur weil die Regierung wie im Fall von Kaika Shi noch über einen gewissen Rückhalt verfügt, könnte Maduro die Präsidentschaftswahl am 20. Mai trotz Wirtschaftskrise und Hyperinflation tatsächlich gewinnen. Denn die rechte Opposition ist gespalten. Von den insgesamt fünf Kandidaten werden nur Maduro und Henri Falcón, dem ehemaligen Gouverneur des Bundesstaates Lara, reelle Siegchancen zugerechnet. Obwohl Falcón durch das Land tourt und dabei auch chavistische Hochburgen nicht auslässt, verläuft der Wahlkampf insgesamt nur schleppend. Als früherer Chavist wäre er einerseits zwar ein geeigneter Übergangspräsident. Tatsächlich aber stößt Falcón in beiden politischen Lagern auf Skepsis. Der Großteil der Opposition setzt auf Boykott, wenngleich völlig unklar ist, ob die Basis diesen am Wahltag mittragen wird. Das rechte Oppositionsbündnis „Tisch der demokratischen Einheit“ (MUD) ist praktisch zerfallen, dessen beide prominentesten Politiker Leopoldo López und Henrique Capriles sind von der Wahl ausgeschlossen. Die USA, die EU und eine Reihe lateinamerikanischer Länder haben angekündigt, das Wahlergebnis nicht anzuerkennen. Dabei unterscheiden sich Falcóns Forderungen kaum von jenen anderer Oppositionsführer. Er will den US-Dollar als Zahlungsmittel einführen, um die Inflation zu stoppen, die Verstaatlichungen der vergangenen Jahre auf den Prüfstand stellen und den staatlichen Erdölkonzern PDVSA für privates Kapital öffnen.

Aufgrund der Schwäche der Opposition, die in den vergangenen zwei Jahren mehrfach erfolglos ihre Strategie änderte, hatte die Regierung die Wahl von Dezember auf Mai vorgezogen. Ein harter Kern von etwa 20 bis 30 Prozent chavistischer Wähler*innen könnte für Maduro also ausreichen, um zu gewinnen, zumal die Regierung über eine eingespielte Maschinerie zur Mobilisierung zurückgreifen kann.

Dass der Präsident im Amt bleiben wird, glaubt auch Andrés Antillano. Seit 30 Jahren ist der Kriminologe als Aktivist in stadtpolitischen Bewegungen aktiv, derzeit unter anderem in der Siedlerbewegung, aus der auch das Campamento Kaika Shi hervorgegangen ist. So weiter gehen wie bisher könne es aber nicht. „Zentrale wirtschaftliche und politische Ansätze, die es unter Chávez gab, sind einfach verschwunden“, bemängelt er. „Dazu zählen die Förderung der Industrialisierung, von Kooperativen und produktiven Kommunen sowie die Übertragung von Macht auf die Bevölkerung.“ Das sich erschöpfende Modell der Erdölrente versuche die Regierung nun verzweifelt durch eine Ausweitung des Bergbaus zu ersetzen. „Das Wichtigste ist: Die Lösung der Krise muss friedlich und demokratisch ausgehandelt werden und zwar von den Venezolanern ohne Einmischung von außen“, betont Antillano. Die meisten linken Bewegungen seien zurzeit nicht unabhängig genug, um einen eigenen, revolutionären Ausweg aus der Krise durchzusetzen. Deswegen eine rechte Regierung in Kauf zu nehmen, sei jedoch nicht die Lösung. „Es reicht, nach Brasilien oder Argentinien zu blicken, um zu sehen, dass die Räume dann keineswegs größer werden“.

“Wenn nicht 350 Milliarden US-Dollar veruntreut worden wären, wären wir nicht in dieser Lage.”

Santiago Arconada sieht das anders. „Für eine echte Erneuerung muss der Chavismus als Ganzes in die Opposition gehen“, ist sich der Basisaktivist sicher. Er wohnt in einem barrio in Antímano, südlich von La Vega, sitzt jedoch am Rande der Plaza Bolívar in Chacao, einer Hochburg der rechten Opposition im Osten der Hauptstadt. Dies sei kein politisches Statement, stellt er klar, er habe hier lediglich ein paar Dinge zu erledigen und der Platz sei angenehm ruhig. Jemanden wie ihn in die rechte Ecke zu stellen, so wie es die Regierung mit vielen ihrer Kritiker*innen macht, ist ohnehin kaum möglich. Seit fast 40 Jahren ist der längst ergraute Basisaktivist in der venezolanischen Linken als Gewerkschafter, Dozent und Sozialforscher aktiv. In den barrios baute Arconada eine partizipative Wasserverwaltung mit auf, unter Chávez und Maduro war er Berater des Umweltministeriums und der Wasserwerke. Wenn er von den ersten Regierungsjahren des Chavismus und der schöpferischen Kraft in den Armenvierteln erzählt, gerät er genau so schnell ins Schwärmen, wie er den Kopf über das schüttelt, was daraus geworden ist. „Laut den vorsichtigsten Schätzungen sind während der Regierungszeit des Chavismus 350 Milliarden-US-Dollar verschwunden. Davon alleine hätte man zehn Jahre lang alle Venezolaner ernähren können“, schimpft er. „Stattdessen haben wir nun unterernährte Kinder, und Krebspatienten bekommen keine Therapie, weil jede Hilfe als imperialistisch gebrandmarkt wird. Aber es ist ganz einfach: Wenn nicht 350 Milliarden US-Dollar veruntreut worden wären, wären wir jetzt nicht in dieser Lage.“

Die Regierung habe eine riesige klientelistische Struktur geschaffen, die nicht einmal verhehle, dass sie klientelistisch sei, kritisiert Arconada. „Es beschämt mich, wenn ich im Staatsfernsehen ein junges Mädchen sehe, das in die Kamera sagt: ‘Danke für die Impfung, Präsident Maduro.’ Eine Impfung ist doch keine milde Gabe, das Mädchen hat ein Recht darauf!“ Dieser Klientelismus entferne die Menschen immer weiter davon, selbst über ihr Leben entscheiden zu können, mit ihrer eigenen Arbeit das zu verdienen, was sie brauchen. „Niemand aus der chavistischen Bevölkerung sagt: Das ist das, was wir wollten, davon haben wir geträumt, dafür haben wir damals Chávez auf der Straße verteidigt.“

Seine Stimme bei der anstehenden Wahl will Arconada dem politischen Außenseiter Reinaldo Quijano geben, der für eine linke Kleinstpartei antritt. „Natürlich hat Quijano keine Chance, aber die Kandidatur eröffnet die Möglichkeit zu sagen: Ich lehne die Korruption der Regierung strikt ab, aber warte auch nicht mit verschränkten Armen auf den IWF und die Dollarisierung, die Falcón angekündigt hat.“ Einen Sieg des rechten Herausforderers hält er durchaus für möglich. „Ich bin mir absolut sicher, dass Maduro verliert, wenn die Wahlbeteiligung bei über 60 Prozent liegt“, sagt Arconada. Je niedriger sie ausfalle, desto größer sei die Gefahr eines Betruges wie er bei der Wahl der Verfassunggebenden Versammlung Ende Juli vergangenes Jahres stattgefunden habe. Damals hatte die komplette Opposition die Wahl boykottiert.

Präsident Maduro stellte Anfang Mai indes klar, was er tun würde, sollte eine rechte Regierung die Reichtümer Venezuelas verscherbeln. „Ich wäre der erste, der ein Gewehr in die Hand nimmt, um eine bewaffnete Revolution zu machen.“

KRYPTISCHER SCHULDENPOKER

Die Aussagen sind kryptisch: In seiner fünfstündigen Fernsehsendung sagte Venezuelas Präsident Nicolás Maduro am 3. Dezember, das digitale Geld mit dem Namen Petro werde das Land ins 21. Jahrhundert führen: “Damit werden wir unsere Währungshoheit zurückerlangen. Der Petro wird uns gegen die US-Finanzsanktionen helfen. Wir können neue Formen der internationalen Finanzierung schaffen, die der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung unseres Landes dienen. Gestützt wird der Petro durch unsere Reserven an Gold, Erdöl, Gas und Diamanten.” Dabei ließ Maduro offen, wie mit dem Petro Finanzsanktionen umgangen werden sollen. Die USA haben im Sommer Sanktionen gegen Venezuela verhängt. Unter anderem ist der Handel mit venezolanischen Staatsanleihen untersagt.

Was aus dem Petro wird, bleibt vorerst ein Rätsel, die Schuldenproblematik Venezuelas ist indes akut. Die Bedienung der drückenden Schuldenlast verschlingt durch Zins- und Tilgungszahlungen zig Milliarden Dollar, die dann nicht für Importe zur Verbesserung der teils desaströsen Versorgungslage zur Verfügung stehen. Venezuela ist mit geschätzten 155 Milliarden Dollar (133 Milliarden Euro) bei ausländischen Gläubiger*innen verschuldet und derzeit müssen mindestens zehn Milliarden Dollar pro Jahr für den Schuldendienst aufgebracht werden.

Anfang November kündigte Maduro an, zu den laufenden Konditionen keine Schuldenzahlungen mehr leisten zu wollen, und forderte die Anleihegläubiger*innen auf, über eine Refinan­zierung oder eine Restrukturierung der Schulden zu verhandeln. Dabei geht es nicht um die gesamten Schulden, sondern ausschließlich um die Auslandsschulden Venezuelas und die internationalen Schulden der staatlichen Erdölfirma PDVSA: rund 66 Milliarden Dollar.

Einen ersten Erfolg kann Maduro vorweisen: Mit Russland gab es Mitte November eine Einigung. Caracas bekommt demnach mehr Zeit, um einen Kredit aus dem Jahr 2011 zurückzuzahlen. Gemäß der neuen Vereinbarung können die 3,15 Milliarden Dollar in den kommenden zehn Jahren getilgt werden. Zwar ist China mit 21 Milliarden Dollar Forderungen ein größerer Gläubiger als Moskau, doch Russland ist stärker direkt verflochten: Russlands Ölkonzern Rosneft gewährte seinem Pendant PDVSA von 2015 bis 2017 Vorauszahlungen für Rohöllieferungen über fast 6 Milliarden Dollar. Die sollen bis Ende 2019 durch Öllieferungen beglichen werden. Zudem hat Rosneft sich in Venezuela in fünf Förder- und Explorationsprojekte von PDVSA eingekauft.

Die Sicherheitsleistungen von PDVSA entbehren nicht einer gewissen Pikanterie: PDVSA hinterlegte bei Rosneft unter anderem einen Anteil von 49,9 Prozent an Citgo, einem großen Raffinerie- und Tankstellenbetreiber in den USA, den PDVSA seit 1990 mehrheitlich kontrolliert. Die USA haben deswegen ein Eigeninteresse, dass PDVSA nicht zahlungsunfähig wird: Denn dann könnte sich Rosneft bevorzugt aus der Konkursmasse bedienen und durch die Hintertür in den US-Markt einsteigen.

Die USA sind der wichtigste Abnehmer venezolanischer Ölexporte. Von den täglich zwei Millionen Barrel, die in Venezuela noch gefördert werden, gehen rund 700 000 in die USA. Dafür fließen derzeit täglich rund 30 Millionen US-Dollar nach Caracas, was die schwindsüchtige Staatskasse gut gebrauchen kann. 96 Prozent der Exporterlöse und 60 Prozent der Staatseinnahmen Venezuelas kommen aus der Ölindustrie. Der Ölpreisverfall seit 2014 belastet die Zahlungsfähigkeit schwer und der Poker ist noch nicht zu Ende.

 

UNERWARTETER RÜCKSCHLAG

Die Ergebnisse überraschten. Entgegen den Vorwahlprognosen gewann die regierende Vereinte Sozialistische Partei Venezuelas (PSUV) bei den Regionalwahlen am 15. Oktober in 18 von 23 Staaten. Landesweit holte sie etwa 54 Prozent der Stimmen. Das rechte Oppositionsbündnis Tisch der Demokratischen Einheit (MUD) errang mit fünf Gouverneursposten zwar zwei mehr als bei den vorangegangenen Wahlen 2012. Doch angesichts der tief greifenden Wirtschaftskrise und verbreiteten Unzufriedenheit in der Bevölkerung hatten sich die Regierungsgegner*innen deutlich mehr erhofft.

Laut Verfassung hätten die Regionalwahlen eigentlich bereits Ende 2016 stattfinden müssen. Mit fast einem Jahr Verspätung wurden nun zumindest die Gouverneur*innen, nicht aber die legislativen Vertretungen gewählt. Die Opposition konnte immerhin die beiden strategisch bedeutsamen Staaten Zulia und Táchira an der Grenze zu Kolumbien für sich entscheiden. Darüber hinaus gewannen MUD-Kandidat*innen im angrenzenden Mérida, dem zentralen Anzoátegui sowie dem Inselstaat Nueva Esparta. Der PSUV dagegen gelang eine symbolischer Erfolg im bisher oppositionell regierten Küstenstaat Miranda. Hier setzte sich der Nachwuchspolitiker Héctor Rodríguez durch.

Noch am Wahlabend sah es zunächst danach aus, als weise der MUD die Wahlergebnisse geschlossen zurück: „Zum jetzigen Zeitpunkt erkennen wir keines der Resultate an“, verkündete der Leiter der oppositionellen Wahlkampagne, Gerardo Blyde. Vereinzelt sprachen MUD-Vertreter*innen direkt von Betrug.

Vor allem sah sich die Opposition aber bereits im Vorfeld der Wahl benachteiligt. Dem Nationalen Wahlrat (CNE) warf sie vor, auf die Demobilisierung ihrer Wählerschaft hingearbeitet zu haben. Unter anderem hatte der CNE 212 Wahllokale (knapp 1,5 Prozent) „aus Sicherheitsgründen“ kurzfristig verlegt, häufig von Hochburgen der Opposition in chavistisch dominierte Viertel. Zudem durfte die Opposition ihre in internen Vorwahlen unterlegenen Kandidat*innen nicht löschen, so dass diese auf den Bildschirmen der Wahlcomputer erschienen, obwohl sie eigentlich gar nicht mehr zur Wahl standen.

Die Opposition sah sich im Vorfeld der Wahl benachteiligt.

Die Beteiligung stieg gegenüber den letzten Regionalwahlen zwar um sieben Prozentpunkte auf gut 61 Prozent, dass die Opposition im Vergleich zur Parlamentswahl Ende 2015 jedoch fast drei Millionen Stimmen verlor, liegt allerdings vor allem an eigenen Fehlern. Die von Anfang April bis Ende Juli andauernden Proteste, bei denen mindestens 120 Menschen ums Leben kamen, hatten dem MUD außer auf internationalem Pakett keinerlei Erfolg eingebracht. Eine unklare Strategie, interne Uneinigkeit und die offene Diskreditierung des Wahlsystems dürfte zudem viele Wähler*innen verprellt haben. Die beiden rechts außen stehenden kleineren Parteien Vente Venezuela und Alianza Bravo Pueblo hatten die Regionalwahlen außerdem von vornherein boykottiert und fühlen sich nun bestätigt.

Nach einem aus Sicht der Opposition völlig verkorksten Jahr zeigt sich, wie schwach der Zusammenhalt bei den Regierungsgegner*innen ist. Nur wenige Tage nach den verlorenen Regionalwahlen brach offener Streit über den Umgang mit der Regierung und die zukünftige Teilnahme an Wahlen aus. Auslöser war zunächst die Haltung der früheren sozialdemokratischen Regierungspartei Acción Democratica (AD), die vier der insgesamt fünf oppositionellen Gouverneursposten erringen konnte. Deren gewählte Gouverneur*innen Laidy Gómez (Táchira), Juan Barreto Sira (Mérida), Alfredo Díaz (Nueva Esparta) und Ramón Guevara (Anzoátegui) leisteten ihren Amtseid zwei Tage nach der Wahl vor der umstrittenen Verfassunggebenden Versammlung ab. Die Regierung hatte andernfalls mit Neuwahlen in den betroffenen Staaten gedroht. Der fünfte oppositionelle Gouverneur, Juan Pablo Guanipa von der Partei Primero Justicia (PJ, Zulia), weigerte sich hingegen und darf sein Amt nun nicht antreten.

Die Verfassungsgebende Versammlung wurde unter dem Boykott der Opposition gewählt.


Hintergrund ist, dass die Opposition die Verfassunggebende Versammlung nicht anerkennt. Diese war Ende Juli unter Boykott aller Oppositionsparteien gewählt worden und steht laut ihren Statuten über allen anderen staatlichen Gewalten. Die vier oppositionellen Gouverneur*innen brachen den bisherigen Konsens innerhalb des MUD, wonach die Verfassung-gebende Versammlung eine illegale Institution sei und gegen die bestehende Verfassung verstoße. Bereits bei deren Wahl, an der sich laut offiziellen Angaben gut 41 Prozent der Wähler*innen beteiligt hatten, gab es Betrugsvorwürfe. Im Gegensatz zu den Regionalwahlen waren Vertreter*innen der Opposition damals allerdings nicht in den Abstimmungslokalen präsent.

Henrique Capriles von der PJ (Foto: Wikimedia (CC BY-SA 3.0) )

Nach der Vereidigung der oppositionellen Gouverneur*innen traten die schon länger schwelenden internen Spannungen offen zu Tage. Der zweifache Ex-Präsident­schaftskandidat Henrique Capriles Radonski von Primero Justicia warf AD-Chef Henry Ramos Allup vor, seit dem oppositionellen Sieg bei den Parlamentswahlen Ende 2015 nur auf eine eigene Präsidentschaftskandidatur geschielt zu haben und sich bei der Regierung anzubiedern. „Ich spreche nur für mich und nicht meine Partei. So lange Herr Ramos Allup Teil des MUD ist, werde ich dort nicht weitermachen“, verkündete Capriles. Ramos Allup reagierte verschnupft. Für viele sei die Vereidigung der Gouverneur*innen nur ein willkommener Anlass, Acción Democrática anzugreifen, diesbezüglich werde er aber „mit niemandem diskutieren“. Doch eindeutig ist seine Position aber nicht: Hatte der AD-Chef den gewählten Gouverneur*innen kurz nach der Wahl noch frei gestellt, ob sie sich vor der Verfassunggebenden Versammlung vereidigen lassen würden, behauptet er nun, sie hätten gegen die Parteilinie gehandelt und sich daher „selbst ausgeschlossen“.

Der abgewählte Ex-Gouverneur des Staats Lara, Henri Falcón von der Regionalpartei Avanzada Progresista, bezichtigte derweil Primero Justicia und Voluntad Popular bei den Regionalwahlen „gegen ihn gespielt“ zu haben. Als einer der wenigen Oppositionspolitiker gestand er seine Wahlniederlage ein.

Die internen Streitigkeiten spielen der geschwächten Regierung unter Nicolás Maduro in die Hände, die nach einem langen Umfragetief wieder aufatmen kann. Hatte die Regierung die Regionalwahlen noch um fast ein Jahr verzögert, beschloss die Verfassunggebende Versammlung nun, dass die ebenfalls noch ausstehenden Kommunalwahlen bereits am 10. Dezember stattfinden sollen.

Die drei wichtigsten Oppositionsparteien Voluntad Popular, Primero Justicia und Acción Democrática kündigten daraufhin getrennt voneinander an, die anstehenden Wahlen zu boykottieren. Stattdessen wollen sie sich für eine transparente Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr einsetzen. Viele kleinere Parteien des MUD-Bündnisses nehmen an den Kommunalwahlen hingegen teil. Einzelne Mitglieder der größeren Parteien treten zudem auf dem Ticket kleinerer Parteien an.

Der prominenteste Fall ist Yon Goicoechea. Anfang November wurde der junge Politiker der rechten Partei Voluntad Popular überraschend aus der Haft entlassen. Im August vergangenen Jahres war bei ihm im Vorfeld einer geplanten Großdemonstration nach offiziellen Angaben Sprengstoff gefunden worden. Obwohl ein Gericht im darauf folgenden Oktober seine Freilassung angeordnet hatte, verbrachte er über ein Jahr inhaftiert im Hauptsitz des Geheimdienstes Sebin. Nun kündigte Goicoechea an, als Kandidat von Henri Falcons Partei Avanzada Progresista für das Bürgermeisteramt der oppositionellen Hochburg El Hatillo im Großraum von Caracas zu kandidieren. „Es ist ein großer Fehler, nicht an den Kommunalwahlen, dann aber an den Präsidentschaftswahlen teilzunehmen“, begründete er den Schritt. Seine Partei Voluntad Popular wolle er trotz der Diskrepanzen über das taktische Vorgehen jedoch nicht verlassen. Beinahe zeitgleich mit Goicoecheas Freilassung suchte dessen Parteifreund, der Parlamentsabgeordnete Freddy Guevara, Zuflucht in der chilenischen Botschaft. Zuvor hatte das Oberste Gericht seine Immunität aufgehoben, ihm soll wegen Aufrufen zu Gewalt der Prozess gemacht werden.

Goicoecheas Ankündigung sorgte für harsche Kritik seitens der großen Oppositionsparteien. Gleiches gilt für die Kandidatur Manuel Rosales‘ von der viertgrößten Oppositionspartei Un Nuevo Tiempo. Der Präsidentschaftskandidat von 2006 und ehemalige Gouverneur von Zulia will bei der ebenfalls am 10. Dezember stattfindenen Neu-wahl in dem westlichen Bundesstaat antreten. Aufgrund von Korruption dürfte er eigentlich zurzeit keine offiziellen Ämter bekleiden. Kurz nach den Regionalwahlen hob das Oberste Gericht (TSJ) den Beschluss allerdings auf. In einem gemeinsamen Kommunique wendeten sich Voluntad Popular und Primero Justicia gegen Politiker*innen der Opposition, die „die derzeitige Situation ausnutzen, um ihre persönlichen Projekte voranzutreiben“.

Streitigkeiten in der Opposition spielen der geschwächten Regierung in die Hände.

Doch auch der Chavismus tritt nicht überall geschlossen auf. Die kleineren Bündnispartner der PSUV bemängeln, dass die Regierungspartei vielerorts eigenmächtig ihre Leute durchsetze. In Libertador, dem größten Teilbezirk von Caracas, registrierten sich gleich mehrere chavistische Kandidat*innen. Zudem hat sich mit Nicmer Evans ein Vertreter des so genannten kritischen Chavismus eingeschrieben, der die Regierung Maduro ablehnt.

Sollte die Opposition ihre internen Probleme nicht bald in den Griff bekommen, hätte Maduro sogar bei den Präsidentschaftswahlen Ende 2018 reelle Siegchancen. Gefährlicher als der MUD dürfte für ihn vorerst die weitere wirtschaftliche Entwicklung sein. Nach weit verbreiteter Meinung steht Venezuela kurz vor der Staatspleite. Maduro kündigte Anfang November eine Neustrukturierung der Auslandsschulden an, die vor allem China und Russland, aber auch private Banken und Fonds, beträfe. Sollten sich einzelne Gläubiger widersetzen, droht ein sofortiger Zahlungsausfall. Die Ende August verhängten US-Sanktionen erschweren eine weitere Schuldenaufnahme Venezuelas. Auch die EU drängt derzeit auf die Verabschiebung von Sanktionen. Und wenige Tage nach den Kommunal-wahlen wird das Europäische Parlament die „demokratische Opposition“ Venezuelas mit dem diesjährigen Sacharow-Preis für geistige Freiheit ehren. Entgegennehmen soll die mit 50.000 Euro dotierte Auszeichnung Parlamentspräsident Julio Borges von der Partei Primero Justicia. Ob dieser dann überhaupt die Mehrheit der rechten Opposition repräsentiert, darf nach der gerade ausgebrochenen internen Krise bezweifelt werden.

 

DER FLUCH DER TEUFLISCHEN SCHEIßE

Venezuelas Wirtschaft kämpft mit des „Teufels Scheiße“. So bezeichnete der einstige venezolanische Erdölminister und Mitbegründer der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) Juan Pablo Pérez Alfonzo einst das Erdöl, um die Schwierigkeiten wirtschaftlicher Gestaltung angesichts der übermächtigen Dominanz des schwarzen Goldes zu beschreiben. Eine Herausforderung, die schlicht darin besteht, „Öl zu säen“, wie es der venezolanische Schriftsteller Arturo Uslar Pietri bereits in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts plastisch auf den Punkt brachte: mittels Öleinnahmen die Gesellschaft zu entwickeln und die Wirtschaft zu diversifizieren. Die erste Konzession zur Ausbeutung der Ölquellen Venezuelas war schon im Jahre 1866 erteilt worden, der Ölboom setzte ab den 1930er Jahren ein und veranlasste Uslar Pietri zu seiner weitsichtigen Aussage. Alle Ansätze in Venezuelas Geschichte, seine ökonomische Abhängigkeit vom Öl durch eine Diversifizierung der Wirtschaft abzubauen, scheiterten seitdem unterm Strich.

Mit des „Teufels Scheiße“ haben und hatten sich alle venezolanischen Regierungen herumzuschlagen, auch die derzeit amtierende Regierung von Nicolás Maduro und die seines Vorgängers Hugo Chávez, der von 1999 bis zu seinem Tod 2013 als Präsident amtierte. Chávez propagierte den sogenannten Sozialismus des 21. Jahrhunderts und das Schmiermittel dafür war das Erdöl: Chávez’ großes Verdienst war es, das staatliche Erdölunternehmen PDVSA, das sich zu einem „privaten“ Staat im Staate entwickelt hatte, wieder unter staatlichen Zugriff zu bekommen. PDVSA wurde zusätzlich zu einer Art Sozialministerium. Aus dem Haushalt der Ölfirma werden Sozialprogramme wie die misiones finanziert – die von Bildung (misión Robinson und misión Ribas) über Gesundheit (misión barrio adentro) bis hin zur Versorgung mit subventionierten Lebensmitteln (misión mercal) reichen. Damit trieb Chávez den Umbau der staatlichen Strukturen voran und vermochte, bedeutende soziale Fortschritte in der Armutsbekämpfung und dem Zugang zu Gesundheit, Bildung und Lebensmitteln für alle zu erreichen. Im Jahr 2011 flossen fast 40 Milliarden US-Dollar in Sozialprogramme und Sonderfonds des Präsidenten. Laut dem Nationalen Statistikinstitut in Venezuela (INE) ist der Anteil extrem armer Haushalte (1,25 US-Dollar pro Kopf pro Tag) von 1998 bis 2009 von 21 Prozent auf sechs Prozent massiv gesunken. Der Anteil der relativ armen Haushalte (unter 50 Prozent des Durchschnitts-einkommens) sank im selben Zeitraum von 49 auf 24 Prozent.

Als Hugo Chávez im zweiten Halbjahr 1998 seine erste Wahl gewann, dümpelte der Ölpreis im Zuge der Asienkrise bei rund zehn US-Dollar pro Barrel (ein Barrel sind 159 Liter). Kein Wunder, dass Chávez schon zu Beginn seiner Amtszeit 1999 verkündete, dass er neben der Neuordnung der Ölgesellschaft PDVSA auch Landwirtschaft, Industrie und Tourismus neu ausrichten werde, um dem Auf und Ab des Ölpreises mit all seinen Konsequenzen für die venezolanische Konjunktur weniger ausgeliefert zu sein. Die Diversifizierung der Wirtschaft unter Chávez gelang nur ansatzweise und brachte unterm Strich nur dürftige Ergebnisse.

Das grundlegende Problem Venezuelas ist die sogenannte Holländische Krankheit.

Das grundlegende Problem Venezuelas ist die sogenannte Holländische Krankheit. In den Niederlanden wurde in den 1960er Jahren nach dem überraschenden Fund reichhaltiger Erdgasvorkommen zum ersten Mal festgestellt, dass sich Rohstoffreichtum in einen Fluch verwandeln kann. Der Zufluss von reichlich US-Dollar aus dem Rohstoffexport führt zu einer Aufwertung der eigenen Währung. Der angenehme Aspekt daran ist, dass sich die Importkapazität des Landes erhöht, sprich sich das Land mehr Güterimporte leisten kann. Der schwerwiegende Nachteil besteht darin, dass einheimische Produzent*innen nahezu unweigerlich an Wettbewerbsfähigkeit verlieren, sowohl gegenüber Importeur*innen als auch auf dem Weltmarkt, sofern es sich um Unternehmen handelt, die etwas anderes als Rohstoffe exportieren. Denn der unangenehme Aspekt der Aufwertung der venezolanischen Währung besteht darin, dass sich venezolanische Güter im Vergleich zu Importgütern verteuern. Der Verlust an Arbeitsplätzen in den nicht rohstoffnahen Sektoren ist fast unumgänglich. Die ganze Volkswirtschaft bekommt so mehr und mehr Schlagseite in Richtung des dominanten Rohstoffsektors, in Venezuela des petrochemischen Bereichs.

In Venezuela hat die Holländische Krankheit unter anderem die einheimische Landwirtschaft befallen. Das Land ist seit Jahrzehnten auf beträchtliche Nahrungsmittelimporte angewiesen, obwohl es potenziell an geeigneten Agrarflächen nicht fehlt. So ist Venezuela das einzige südamerikanische Land mit einer negativen Agrarbilanz. Dabei war die Regierung Chávez nicht untätig. Schon im Jahr 2001 wurde mit einem Landgesetz der Weg für eine Agrarreform geebnet. Das Nationale Landinstitut INTI verteilte in den Jahren 2003 und 2004 insgesamt 2,3 Millionen Hektar brachliegendes Staatsland an Kooperativen, danach wurden noch über 100.000 landlose Familien mit enteignetem ungenutzten Privatland ausgestattet. All dies hat zwar die nationale Produktion bei Agrargütern nach oben getrieben, doch noch kräftiger wuchsen die Kaufkraft und dementsprechend der Konsum der ärmeren Bevölkerungsschichten. Venezuela muss rund 70 Prozent seiner Lebensmittel einführen.

Die Regierung Maduro hat 2016 einen Plan zum Ausbau der Landwirtschaft vorgestellt. Der „Agrarplan Zamora Bicentenario 2013-2019“ sieht zahlreiche Maßnahmen zur Erhöhung der Nahrungsmittelproduktion vor. Besonderes Augenmerk gilt der städtischen Landwirtschaft und dem Einbezug lokaler Gemeinschaften sowie der Streitkräfte des Landes in die Produktion. Ob und wann der Plan greift, lässt sich noch nicht absehen.
Auch im Jahr 2017 machen Ölexporte mehr als 90 Prozent der Exporterlöse des Mitglieds der Organisation Erdölexportierender Länder (OPEC) aus, die Öl- und Gasindustrie ist für etwa ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts verantwortlich und trägt rund die Hälfte zu den Staatseinnahmen bei. Ohne die Öleinnahmen läuft so gut wie nichts.

Der rapide Ölpreisverfall und der Rückgang der Fördermenge wegen unterlassener Investitionen haben die Importkapazität massiv gesenkt.

Der rapide Ölpreisverfall seit 2014 und der Rückgang der Fördermenge wegen unterlassener milliardenteurer Investitionen haben die Importkapazität massiv gesenkt. Die Folge ist eine sich vertiefende Versorgungskrise, für die die Regierung Maduro bisher keine Lösung zu finden vermochte.
Der Holländischen Krankheit und der Überbewertung des Bolívar könnte theoretisch durch eine gezielte Strategie der Unterbewertung des Bolívar seitens der venezolanischen Zentralbank begegnet werden. Dafür müssten die Devisenzuflüsse in ihrer Wirkung auf die heimische Geldmenge und Währung so weit wie möglich sterilisiert werden, indem sie in einen Zukunftsfonds fließen und dort langfristig angelegt werden. Ein solches Modell praktiziert Norwegen mit beachtlichem Erfolg. Im dortigen Ölfonds werden seit dem Jahr 1990 die enormen Erträge aus dem Ölexport angelegt. Dies geschieht ausschließlich auf ausländischen Märkten, um einem Überhitzen der inländischen Wirtschaft und einer Aufwertung der Norwegischen Krone entgegenzuwirken.
Angesichts der enormen sozialen Schuld, die in Venezuela über die vergangenen Jahrzehnte akkumuliert wurde, ist ein solches Modell in Venezuela wohl schwer politisch durchsetzbar.

Die Öldollar gleichzeitig aufzuschatzen und auszugeben, geht logischerweise nicht. Entwicklungsökonomisch wäre Venezuela immer gut beraten, zumindest einen Teil der Öleinnahmen langfristig anzulegen, um auf lange Sicht einen nachhaltigen Umbau der Wirtschaft mit einer Stärkung des Binnensektors zu erreichen. Dazu bedarf es neben der Unterbewertungsstrategie einer selektiven Protektion, bei der die Zollsätze mit dem Verarbeitungsgrad ansteigen. Damit könnte Venezuela das erreichen, was bisher verfehlt wurde: eine breitere Produktpalette der heimischen Wirtschaft und eine konkurrenzfähige Binnenmarktentwicklung.

Diese grundlegenden Weichen in Zeiten der aktuellen Versorgungs- und Liquiditätskrise zu stellen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Nach vier Jahren Rezession und angesichts einer galoppierenden Inflation von über 1.000 Prozent sind viele soziale Fortschritte der Vergangenheit hinfällig geworden. Noch 2013 würdigten die Vereinten Nationen die Erfolge des Landes im Kampf gegen Hunger und Unterernährung. Davon ist wenig geblieben. Nicht wenige teilen die Sicht von Menschenrechtsaktivist Rafael Uzcátegui: „Heute sind in Venezuela wieder genauso viele Menschen arm wie im Jahr 2000.“
Als Chávez 1999 an die Regierung kam, lagen Venezuelas Auslandsschulden bei etwa 30 Milliarden Dollar. Heute betragen sie ein Vielfaches. Der Staat sowie der Staatskonzern PDVSA haben insgesamt Anleihen im Wert von 110 Milliarden Dollar aufgelegt. Zusammen mit den Zinszahlungen und Krediten summieren sich die Gesamtforderungen gegen Caracas auf bis zu 170 Milliarden Dollar. Rund zehn Milliarden Dollar an Schuldendienst muss die Regierung Maduro im Jahresverlauf 2017 aufbringen.

Wie klamm Venezuelas Staatskasse ist, dafür liefert der Deal mit Goldman Sachs Hinweise. Über Mittelsmänner kaufte Goldman Ende Mai von der venezolanischen Zentralbank Anleihen des staatseigenen Ölkonzerns PDVSA im Nennwert von 2,8 Milliarden Dollar für knapp ein Drittel des Ausgangswerts. Dabei soll die Bank laut dem Wall Street Journal (WSJ) nicht einmal den normalen Marktpreis gezahlt, sondern einen speziellen Abschlag ausgehandelt haben. Laut WSJ zahlte Goldman lediglich 31 Cent für die Papiere, die an den Börsen noch bei deutlich über 40 Cent notierten, was einem Discount von mehr als 30 Prozent entspricht. Nur für den Discountpreis von 31 Cent pro Dollar Nennwert war Goldman Sachs bereit, 865 Millionen Dollar Cash in die venezolanische Staatskasse zu spülen.

Maduro helfen kurzfristig nur steigende Ölpreise: Ende des Jahres werden erneut Anleiherückzahlungen in Höhe von 3,6 Milliarden fällig. Allein Hauptgläubiger China hat Venezuela bereits 60 Milliarden Dollar geliehen, die mit künftigen Öllieferungen abgesichert sind. Neues Kapital kommt derzeit nur noch aus Russland. Im April hat der Staatskonzern Rosneft PDVSA für künftige Erdöllieferungen 1 Milliarde Dollar überwiesen. 2016 kaufte sich Rosneft zudem für 1,5 Milliarden Dollar bei der PDVSA-Tochter Citgo ein, an der das Unternehmen 49,5 Prozent hält. Seit 1990 kontrolliert Venezuelas staatlicher Ölkonzern PDVSA in den USA drei Raffinerien, Pipelines und ein vor allem an der Ostküste gelegenes riesiges Tankstellennetz von Citgo, einer US-Tocher von PDVSA. Diese Gemengelage senkt die Wahrscheinlichkeit, dass die US-Regierung Sanktionen gegen den Ölsektor verhängt. Aber selbst wenn diese ausbleiben, gilt: Dümpelt der Ölpreis weiter um 50 US-Dollar, droht die Zahlungsunfähigkeit. Es wäre die erste in der Geschichte Venezuelas.

ÜBER DEN STAATSGEWALTEN

Aus Sicht der venezolanischen Regierung scheint alles nach Plan gelaufen zu ein. „Die Verfassunggebende Versammlung hat den Frieden gebracht“, versicherte Präsident Nicolás Maduro im August. Tatsächlich sind die teils gewalttätigen Proteste, bei denen zwischen April und Juli mehr als 120 Menschen gestorben sind, praktisch zum Erliegen gekommen. Die Opposition muss akzeptieren, dass sie innenpolitisch kaum etwas erreicht hat. Maduro hingegen kann für sich in Anspruch nehmen, die am 1. Mai angekündigte Einberufung einer Verfassunggebenden Versammlung (ANC) gegen jegliche Widerstände durchgesetzt zu haben. Und doch hat die Regierung ein gewichtiges Problem: Um die politische Krise in Venezuela zu überwinden, besitzt die ANC kaum ausreichend Legitimität.

Am Abend des 30. Juli teilte der Nationale Wahlrat (CNE) mit, dass sich an der Wahl mehr als acht Millionen Menschen – 41,5 Prozent aller Wähler*innen – beteiligt hätten. Da rechte wie linke Opposition die Wahl zur ANC boykottiert und keine eigenen Kandidat*innen aufgestellt hatten, war die Höhe der Wahlbeteiligung tatsächlich entscheidend. Die Messlatte hatte das Oppositionsbündnis „Tisch der demokratischen Einheit“ (MUD) zwei Wochen zuvor angelegt. An einer selbst organisierten Volksbefragung nahmen damals nach Oppositionsangaben gut 7,5 Millionen Menschen teil.

Dass Maduro inmitten der politischen und wirtschaftlichen Krise nun mehr Wähler*innen mobilisieren konnte als sein Vorgänger Hugo Chávez zu seinen besten Zeiten wirft zumindest einige Fragen auf. Ein Teil der Stimmen dürfte darauf zurückzuführen sein, dass es im Vorfeld sozialen und politischen Druck auf Staatsangestellte und Begünstigte der Sozialprogramme gegeben hat. Kurz nach der Wahl versicherte zudem das in London ansässige Unternehmen Smartmatic, das seit mehr als zehn Jahren die in Venezuela verwendeten Wahlcomputer betreibt, die Beteiligung sei um „mindestens eine Million Stimmen“ manipuliert worden. Belege blieb das Unternehmen allerdings schuldig. Die Vorwürfe fußen anscheinend vor allem darauf, dass im Gegensatz zu vorangegangenen Wahlen keine Oppositionsvertreter*innen in den Wahllokalen präsent waren. Die von der Opposition für ihre Volksbefragung am 16. Juli bekannt gegebenen Zahlen sind indes noch weniger nachprüfbar. Die dort gestellten Fragen zur Ablehnung der ANC, dem Eingreifen des Militärs und der Schaffung paralleler staatlicher Strukturen verstoßen zudem zum Teil gegen die bestehende Verfassung, die die Opposition zu verteidigen vorgibt (siehe LN 517/518).

Die Opposition befürchtet, dass die Regierung den Staat für ihre Zwecke reformieren und die Demokratie abschaffen wollen.

Unabhängig von der Höhe der Wahlbeteiligung lehnt der MUD die Verfassunggebende Versammlung unter anderem deshalb ab, weil es vorab kein Referendum zu ihrer Einberufung gab. Außerdem befürchtet die Opposition, dass die regierenden Chavist*innen den Staat für ihre Zwecke reformieren und die Demokratie abschaffen wollen. Die Regierung argumentiert hingegen, die von Chávez initiierte Verfassung von 1999 zu perfektionieren, indem beispielsweise basisdemokratische Strukturen und Sozialprogramme Verfassungsrang erhalten. Die ersten Amtshandlungen der ANC geben den Kritiker*innen Recht.

Die ANC könne „Maßnahmen treffen“, um „das Funktionieren des Staates“ zu garantieren, stellte deren frisch gewählte Präsidentin, die Ex-Außenministerin Delcy Rodríguez, umgehend klar. In ihrer ersten Sitzung setzte die Versammlung denn auch die Generalstaatsanwältin Luisa Ortega ab, die seit Ende März deutlich auf Distanz zur Regierung gegangen war. Anschließend wählten die Delegierten den bisherigen, regierungsnahen Ombudsmann für Menschenrechte Tarek William Saab zu ihrem provisorischen Nachfolger. Ortega setzte sich daraufhin Mitte August gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem kritischen Abgeordneten der regierenden Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV), Germán Ferrer, über Aruba nach Kolumbien ab. Seither liefern sich die Regierung und Ortega eine wahre Schlammschlacht. Saab präsentierte vermeintliche Beweise, die belegen sollen, dass Ferrer von Ortegas Büro aus einen Erpressungsring geleitet haben soll. Ortega hingegen behauptet, dass hochrangige chavistische Funktionäre direkt in den lateinamerikaweiten Schmiergeldskandal des brasilianischen Baukonzerns Odebrecht involviert seien. Unter anderem belastet sie direkt Maduro und Diosdado Cabello, der als Nummer zwei des Chavismus gilt.

Laut den Statuten, die sich die Verfassunggebende Versammlung selbst gegeben hat, steht sie über allen anderen staatlichen Gewalten. Zudem dehnten die 545 Teilnehmer*innen der Versammlung ihr Mandat von einem halben auf zwei Jahre aus und übertrugen sich einen Großteil der Kompetenzen des oppositionell dominierten Parlamentes. Auf Vorschlag Maduros will die ANC nun zunächst acht Gesetze verabschieden, um die staatliche Kontrolle über die Wirtschaft auszubauen. Auch beschloss die ANC, gegen führende Oppositionspolitiker*innen, die sich für US-Sanktionen gegen Venezuela ausgesprochen hatten, Verfahren wegen Vaterlandsverrates zu eröffnen. Über den Inhalt einer neuen Verfassung debattiert hat die Versammlung bisher hingegen noch nicht.

Die vom Präsidenten formulierte Idee, die ANC solle nicht in erster Linie aus Parteivertreter*innen zusammengesetzt sein, scheint allenfalls formal zu gelten. Im öffentlichen Diskurs geben PSUV- Funktionär*innen,wie Diosdado Cabello, den Ton an. Dass die ANC bisher sämtliche Entscheidungen einstimmig beschlossen hat, spricht zudem nicht gerade für eine offene Debattenkultur, sondern zeigt vielmehr die politisch einseitige Zusammensetzung der Versammlung auf.

International ist Venezuela nun weitgehend isoliert.

International ist Venezuela nun weitgehend isoliert. Zwar unterstützen Russland und China sowie verbündete Länder in Lateinamerika wie Bolivien, Ecuador, Kuba und Nicaragua weiterhin die Regierung. Zwölf lateinamerikanische Staaten, die USA und die EU erkennen die Wahl zur ANC jedoch nicht an und sprechen mittlerweile mehr oder weniger offen von einer Diktatur in Venezuela.

Die USA reagierten auf die Wahl zunächst mit weiteren Sanktionen gegen eine Reihe chavistischer Funktionäre, darunter Maduro selbst. Ende August untersagte US-Präsident Donald Trump dann weitgehend den Handel mit venezolanischen Wertpapieren und Aktienkapital des staatlichen Erdölkonzerns PDVSA. Auch drohte er, sein Land werde sich die Option eines militärischen Eingreifens offen halten. In den vergangenen Jahren haben die USA mehrfach einzelne Sanktionen gegen Venezuela verhängt, dieses Mal könnten die Auswirkungen allerdings beträchtlich sein, da sie es der venezolanischen Regierung verkomplizieren, neue Kredite aufzunehmen. Aufgrund des niedrigen Erdölpreises leidet Venezuela unter massiver Devisenknappheit, auch weil die Regierung bisher nicht an der Bedienung der Schulden rüttelt.

Venezuelas Außenminister Jorge Arreaza bezeichnete die neuen US-Sanktionen als „schlimmste Aggression gegen Venezuela in den vergangenen 200 Jahren“. Den USA wirft die venezolanische Regierung vor, eine „humanitäre Krise“ in dem Land herbeiführen zu wollen. Intern könnte die Haltung der US-Regierung Maduro allerdings dabei helfen, die Reihen zu schließen. Insbesondere die Androhung militärischer Gewalt weisen selbst viele Regierungsgegner*innen und sämtliche Staaten Latein-amerikas zurück.

Nachdem die Verfassunggebende Versammlung sich als zentrale Entscheidungsinstanz etabliert hat, richtet sich das Interesse auf die anstehenden Regionalwahlen. Auf Geheiß der ANC zog der Wahlrat diese vom 10. Dezember auf den 15.Oktober vor. Der laut Verfassung vorgesehene Termin wäre eigentlich Ende 2016 gewesen, doch der CNE hatte die Wahlen ohne triftigen Grund zunächst verschoben. Innerhalb der Opposition sorgt die jetzige Ansetzung für Unstimmigkeiten. Kleinere Parteien wie die rechts außen stehenden Vente Venezuela und Alianza Bravo Pueblo boykottieren die Wahl. Die übrigen Parteien des MUD ermittelten am 10. September in 19 von 23 Staaten gemeinsame Kandidat*innen in Vorwahlen, an denen laut Angaben des Oppositionsbündnisses knapp sieben Prozent der Wahlberechtigten teilnahmen. In den vier übrigen Staaten konnten sich die Parteien im Konsens einigen. „Wenn wir uns nicht zu den Wahlen einschreiben, würde der Chavismus 23 Gouverneursposten gewinnen“, begründete Ex-Parlamentspräsident Henry Ramos Allup die Teilnahme seiner Partei Acción Democrática. Nach den vorläufigen Endergebnissen stellt die frühere sozialdemokratische Regierungspartei gut die Hälfte der Gouverneurskandidat*innen. Die Frage ist, wie die regierenden Chavist*innen mit einer wahrscheinlich zu erwartenden Wahlniederlage umgehen werden. Beobachter*innen rechnen damit, dass die ANC in dem Fall die Befugnisse der Gouverneur*innen beschneiden könnte. Selbst eine Verschiebung der für Ende 2018 vorgesehenen Präsidentschaftswahlen ist unter den derzeitigen politischen Bedingungen kein Tabu mehr, wie Präsident Maduro Ende August andeutete. „Wenn sie [die ANC] einen neuen Termin oder einen neuen Monat festlegen muss, sind wir dazu bereit, den Kampf aufzunehmen die Wahlen zu gewinnen, wann immer sie angesetzt werden.“

Nach den Ende vergangenen Jahres gescheiterten Dialog zwischen Regierung und Opposition bahnt sich indes ein neuer Versuch an. Unter Vermittlung der dominikanischen Regierung und des ehemaligen spanischen Regierungschefs José Luis Rodríguez Zapatero, trafen sich Vertreter*innen von Regierung und Opposition in der Dominikanischen Republik am 14. und 15. September. Sie einigten sich zunächst auf ein weiteres Treffen am 27. September. Neben der Dominikanischen Republik sollen Mexiko, Chile, Bolivien und Nicaragua die Gespräche begleiten. Um die politische und wirtschaftliche Krise zu lösen, müssten beide politischen Lager allerdings von ihren unvereinbaren Maximalpositionen abrücken. Die Opposition nahm damals an den Gesprächen teil, um einen zeitnahen Regierungswechsel zu erreichen. Die Regierung verfolgte hingegen das Ziel, sich an der Macht zu halten.

 

“WIR PROTESTIEREN WEITER”

„Ich bin 24 Jahre alt – 19 davon habe ich unter der Regierung von Hugo Chávez beziehungsweise seinem Nachfolger Nicolás Maduro gelebt. Chávez und Maduro, das ist eigentlich das Gleiche – nur mit anderem Gesicht. Ich kann mich an das ‘Venezuela von früher’ kaum erinnern, an die Boomjahre des Erdöls, als sie unser Land ‘Saudi-Venezuela’ nannten wegen des ökonomischen Reichtums und der vielen Migranten. Seit einigen Jahren durchleben wir nun schon eine schwere wirtschaftliche und politische Krise. Der Migrationsprozess hat sich umgekehrt: Unser Hauptexportprodukt ist nicht mehr Erdöl, sondern Menschen. Mehr als eine Million Venezolaner hat das Land in den vergangenen Jahren verlassen. Die meisten von ihnen sind gut ausgebildet.

Was mich motiviert, aktiv zu sein und friedlich in jeder mir möglichen Art zu protestieren? Die Angst, etwas zu verpassen. Der Wille, das Venezuela meiner Eltern und Großeltern kennen zu lernen, in dem man mit viel Arbeit auch viel erreichen konnte. Und die Traurigkeit darüber, dass wir als junge Bürger wissen, dass andere Menschen unseres Alters fast überall in der Welt nicht die gleichen existenziellen Probleme haben wie wir: dass sie wieder einen deiner Freunde ermordet haben, dass wieder ein Mitbürger das Land verlassen hat, dass wieder jemand entführt wurde. Und dass dein miserables Gehalt nicht einmal ausreicht, Brot, Käse oder Milch zu kaufen, weil es an fast allem mangelt.

Es ist traurig, beobachten zu müssen, wie unser Land verwelkt.

Es ist traurig, beobachten zu müssen, wie unser Land verwelkt, weil eine Gruppe von Personen entschieden hat, der Bevölkerung das Geld zu stehlen und die Menschen durch Repression einzuschüchtern. Es ist das Land meiner Eltern und Großeltern, meiner ganzen Familie, und ich habe das Gefühl, es wieder aufbauen zu müssen.
Die Studierendenbewegung muss man sich als eine Art abstrakte Masse vorstellen, die in regelmäßigen Abständen viel Bedeutung erhält und bekannte Gesichter hervorbringt. 2007 war die erste massive Mobilisierung und viele von denen, die damals aktiv waren, sind heute Abgeordnete oder Bürgermeister. Die derzeitige Situation im Land hat auch bei der aktuellen Generation zu einer starken Mobilisierung geführt. Studierende aller Universitäten, der privaten und öffentlichen, treffen relevante Entscheidungen in ihren Regionen. Sie rufen zu Demonstrationen auf, an denen ein großer Teil der Zivilbevölkerung teilnimmt, und auch Politiker und Gewerkschafter. An den aktuellen Protesten beteiligen sich mehr Universitäten als in den Jahren zuvor. Auch meine Universität, die Universidad Metropolitana (Unimet), spielt eine sehr wichtige Rolle, vor allem bei Aktionen in Caracas. Die Bewegung organisiert sich durch die sogenannten ‘Inter-U’ (interuniversidades). Das sind wöchentliche Sitzungen, an denen alle studentischen Repräsentanten teilnehmen und Entscheidungen treffen. Durch die derzeitige Krise finden die Sitzungen mittlerweile fast täglich statt, oft nehmen über 100 Studierende teil.

Die Demonstrationen heute gehen auf die Proteste im Jahr 2014 zurück. Die Repression der Regierung hat seitdem stark zugenommen. Traurige Bilanz dieser Entwicklung: Es gibt immer mehr Verletzte. Oft sind bei einer einzigen Demonstration mehrere hundert Verletzte zu beklagen – und das sind nur diejenigen, die wir zählen können, weil sie von den Sanitätsteams der verschiedenen Universitäten behandelt werden. Die Dunkelziffer derjenigen, die durch Tränengas und Bleigeschosse verletzt werden, ist noch viel höher. Eine Tränengasbombe tötete einen Student meiner Universität Ende April. Das hat selbst die Generalstaatsanwältin Luisa Ortega Díaz bestätigt, obwohl Regierungsmitglieder wie Padrino López und Diosdado Cabello öffentlich das Gegenteil behaupteten. In meiner Heimatstadt Maracaibo wurde ein Medizinstudent, der als Sanitäter einem Verletzten helfen wollte, bei einer Demonstration von einem Panzer überfahren.

Die Studierendenbewegung wird nicht aufhören zu protestieren

Die Studierendenbewegung wird nicht aufhören zu protestieren – bis es einen Regierungswechsel gibt. Wir werden nicht zulassen, dass die Proteste, wie im Jahr 2014, gewaltsam erstickt werden. Am Anfang gingen wir auf die Straße, weil die Regierung die Regionalwahlen abgesagt hat. Jetzt protestieren wir, weil die Krise so gigantisch ist, weil der Mangel und die Inflation uns umbringen – und wenn uns das nicht umbringt, dann tun es die Kriminellen, die heute oft uniformiert auftreten. Nicht selten rauben Polizisten und Mitglieder der Nationalgarde Demonstrierende aus, bevor sie sie niederschlagen. Ich habe gesehen, wie eine Freundin von einer Wache geschlagen wurde und sie ihr das Handy, die Gasmaske, den Helm geraubt haben. Ich habe gesehen, wie eine Wache anfing, mit einem Militärwagen Demonstrierende anzufahren. Die Zahl der Schwerverletzten und Toten nimmt immer mehr zu.

Heute Studentin zu sein, ist extrem kompliziert. Der Unterricht an den privaten Universitäten findet zwar statt und es werden weiterhin Leistungen eingefordert und benotet. Das Land geht aber auch auf die Straße und die Proteste überschneiden sich häufig mit den Kursen. Oft stehen wir vor der Wahl: Uni oder Demo. Ich versuche, auf alle Demonstrationen zu gehen, die irgendwie in meinen Zeitplan passen. Es ist mittlerweile Routine geworden, direkt vom Campus zur Demonstration zu gehen. Gasmaske, Helm, Wasser und Snacks habe ich eigentlich immer dabei. Ab und zu auch Medikamente – für alle Fälle. Meistens trage ich ein T-Shirt meiner Universität, falls mir etwas passiert.

Die Studierendenbewegung ist gut organisiert, die Repräsentanten der verschiedenen Universitäten agieren sehr homogen – obwohl die letzten Monate extrem brutal waren. Unter den Toten sind sehr viele Studierende aus der Bewegung. Es sind Menschen, mit denen wir gemeinsam studiert haben. Eines Tages waren ihre Stühle in den Seminarräumen leer. Die Repression hat sie getötet.

Ich wohne in dem Stadtviertel Santa Fe, einem der Hauptschauplätze des ‘Kriegs des Ostens’. In manchen Nächten heizt sich die Situation so sehr auf, dass man das Tränengas bis in den 15. Stock riechen und die Wohnung nicht mehr verlassen kann. Straßen werden blockiert. Überall brennen Gegenstände. Es ist kompliziert.
Ich bin sicher, dass die Berichte stimmen und auch die Opposition Gewalt ausübt. Allerdings waren alle Demonstrationen, auf denen ich bislang gewesen bin, solange friedlich, bis die Nationalgarde anfing, Tränengas und Gummigeschosse einzusetzen. Zum Teil zielen sie sogar mit Schusswaffen auf uns. Nach allem, was ich bislang erlebt habe, geht die Gewalt eigentlich in fast allen Fällen von staatlicher Seite aus.

Die Demonstrierenden verteidigen sich mit selbstgebastelten Waffen, mit Molotov-Cocktails, Schleudern oder Pflastersteinen. Ich habe ein paar Mal gesehen, dass Demonstrierende versucht haben, Gewalt zu provozieren, in dem sie anfingen Steine zu werfen. Allerdings hielten andere Demonstrierende diese Personen immer zurück.
Ich bin sicher, dass auch Mitglieder der Opposition Gewalt anwenden. Aber die große Mehrheit der Protestbewegung unterstützt die Gewalt nicht. Deswegen ist die Methode, die wir Platón nennen, auch so erfolgreich: Menschen blockieren Straßen und sorgen so für einen Stillstand der Stadt. Konkret sieht das so aus: Man geht raus, setzt sich auf einen Stuhl in die Mitte der Straße, liest ein Buch oder spricht mit anderen Demonstrierenden. Bis zum abgesprochenen Zeitpunkt wird der Platz nicht verlassen. Und so waren bisher alle Aufrufe der Opposition friedlicher Protest. Gerade gab es wieder einen Platón im ganzen Land, den ganzen Tag über von 10 bis 20 Uhr.

Es gibt eine Art informativen Blackout.

Jeden Tag wird es schwieriger zu erfahren, was in unserem Land passiert. Es gibt eine Art informativen Blackout. Journalisten wurden bedroht, ihre Ausrüstung konfisziert oder geraubt. Jeden Tag kommt es zu Protesten in Venezuela. Eine schlechte Nachricht wird am nächsten Tag von einer noch schlechteren übertroffen.
Vor wenigen Tagen war ich auf einer Demonstration, die gewalttätig niedergeschlagen wurde. Wir mussten fliehen. Eine ältere Frau, die in einem Haus in der Nähe wohnte, ließ uns – mehr als 30 Unbekannte – in ihrer Garage ausharren. Wir setzten uns verängstigt auf den Boden und hörten zu, wie draußen die Polizei vorbeizog und Tränengasbomben abfeuerte, obwohl alle Demonstrierenden längst geflohen waren. Wir teilten Wasser, Zigaretten und Süßigkeiten unter uns Unbekannten auf – Menschen mit verschiedenen sozialen Hintergründen und politischen Ausrichtungen, die sich sonst wahrscheinlich nie über den Weg gelaufen wären.

Auch das ist seltsam: Wir fühlen uns schuldig, weil das Leben trotzdem irgendwie weitergeht. Die Menschen heiraten, haben Geburtstag, machen ihren Abschluss. Manchmal nach den Protestmärschen treffen wir uns und feiern die wenigen guten Dinge, die es noch gibt. Die Kontraste sind gigantisch. Manchmal läuft man vor der Nationalgarde davon und rennt dabei an Leuten vorbei, die in Restaurants sitzen, als würde nichts passieren.
Neulich wurden 20 Studierende verschiedener Uni­­versitäten hier in Caracas festgenommen, als sie friedlich protestierten. Wir von Apoyo Unimet versuchen vor allem, Studierenden von der Universität Simón Bolívar zu helfen. Im Gegensatz zu den anderen Universitäten in Caracas hat diese Universität nämlich keine juristische Fakultät und somit auch keine juristische Assistenzstelle. Es macht mich unglaublich traurig zu sehen, wie mit den Studierenden umgegangen wird. Gleichzeitig fühle ich mich betroffen, weil es Studierende sind – so wie ich. Die Wachen sperrten die 20 Studierenden in einen Lastwagen ohne Kennzeichen und schmissen dort Tränengasbomben hinein. Die Studierenden sind fast erstickt. In Fällen wie diesen können wir wenig tun, aber wir müssen es dennoch versuchen.

Ende des Monats findet die Verfassunggebende Versammlung (Asamblea Nacional Constituyente, ANC) statt, die alle Hoffnung auf Demokratie, die noch bleibt, auslöschen wird. Mit der ANC lösen sich alle anderen politischen Mächte quasi auf. Sie ist sogar mächtiger als der Präsident selbst. Aber sollte es wirklich zur ANC kommen, dann hört diese Republik im Grunde auf zu existieren.“

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