Schwieriges Coming-Out

Wer beim Thema Homosexualität in Kuba noch an die staatliche Repression der 60er-Jahre denkt, wird mehr als erstaunt sein. Der 17. Mai, internationaler Tag gegen Homophobie, wurde dieses Jahr offiziell von staatlichen Stellen gewürdigt. Noch letztes Jahr fristete der Tag, der an die Streichung der Homosexualität von der Krankheitsliste der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erinnert, ein Schattendasein. Nun war er Höhepunkt einer Reihe von Aktivitäten, die von einer Aufklärungskampagne in den Medien begleitet wurde. Die von Hunderten besuchte Veranstaltung fand mitten im Zentrum Havannas, im Ausstellungszentrum Pabellón Cuba, statt. Anwesend waren nicht nur Mariela Castro, Tochter des aktuellen Staatsoberhauptes Raúl Castro und Direktorin des Nationalen Zentrums für Sexualerziehung (CENESEX), sondern auch Parlamentspräsident Ricardo Alarcón. In Lesungen und Vorträgen wurde die Situation von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgendern erörtert. Am Abend fand im Teatro Astral eine Drag-Performance unter dem Motto „La diversidad es la norma“ („Vielfalt ist die Norm“) statt. Bereits einige Tage zuvor war im Kino „23 y 12“ eine queere Filmreihe mit monatlichen Vorführungen eröffnet worden. Der Titel „Diferente“ („Anders“) dürfte dabei allerdings eher geeignet sein, die Heteronorm zu stützen. Den Anfang der Reihe machte der Film „Bent“, in dem die Homosexuellenverfolgung im Dritten Reich thematisiert wird.
Kubas Öffnung in Bezug auf Homosexualität hatte bereits Anfang der 90er-Jahre begonnen. 1993 wurde auf dem Havanna-Filmfestival der schwule Spielfilm „Erdbeer und Schokolade“ von Tomás Gutiérrez Alea und Juan Carlos Tabío vorgestellt, der in zahlreichen Kinos der Insel und auch international äußerst erfolgreich lief. Seitdem tauchen in den Medien gelegentlich Beiträge über Homosexualität auf. Mindestens ebensolange existieren lesbisch-schwule Partys, die, sofern sie keinen offiziellen Status beanspruchen, zumeist geduldet werden. Auch Telenovelas haben inzwischen schwule und lesbische Charaktere. Seit 2005 gibt es in Havanna zudem ein jährliches Filmfestival, das sexuelle Vielfalt zum Inhalt hat. Eine öffentliche Unterstützung und Präsenz wie in diesem Jahr hat es so jedoch noch nicht gegeben.
Das jahrelange Engagement Mariela Castros trägt, einige Zeit nach der Machtübergabe ihres Onkels Fidel, jedoch noch weitere Früchte. Die im Juni unterzeichnete Resolution 126 des Gesundheitsministeriums erlaubt es Transsexuellen, sich geschlechtsangleichenden Operationen zu unterziehen. Voraussetzung ist allerdings – wie hierzulande – die medizinische Diagnose. Besonders progressiv ist zumindest die in der Regelung enthaltene Möglichkeit, den Eintrag über das Geschlecht in Dokumenten auch ohne operative Anpassung ändern zu lassen. Damit wird wohl vor allem jenen Transgendern das Leben erleichtert, deren Äußeres bei Polizeikontrollen nicht so recht zu Namen und Fotos in den Ausweispapieren passen wollte. Bislang hatte es nur eine einzige geschlechtsangleichende Operation eines Mann-zu-Frau-Transsexuellen im Jahr 1988 gegeben. Bis heute sind weitere 27 Personen als transsexuell eingestuft worden und dürfen sich nun der langersehnten Operation unterziehen. Für die Eingriffe werden kubanische ÄrztInnen eigens von belgischen Spezialkräften qualifiziert.
Überdies gibt es zur Zeit Bestrebungen, die rechtliche Gleichstellung homosexueller Paare zu erreichen. In der Kommunistischen Partei Kubas (PCC) scheint sich allmählich eine pragmatische Lösung in der Frage durchzusetzen. Während Kulturminister und Politbüromitglied Abel Prieto im Februar äußerte, die Ausdehnung der Ehe werde schon „nicht zu einem Erdbeben führen“, möchte Alarcón Rücksicht auf die Kirchen nehmen. Auch Mariela Castro, die sich der Unterstützung durch ihren Vater sicher sein kann, plädiert lediglich für ein äquivalentes Rechtsinstitut. Dieser Schritt bedürfe nicht einer komplizierten Verfassungsreform. Eine Ausweitung der formalen Ehe auf Lesben und Schwule, so lässt sich daraus schließen, ist auch in Kuba noch mit dem Risiko einer Ablehnung verbunden. Zumindest symbolisch durften sich schon Ende letzten Jahres zwei Frauen, Elizabeth Cabrera und Mónica Negro, unter dem Dach des CENESEX-Instituts das Ja-Wort geben.
Doch eines will Mariela Castro derzeit nicht: die Abhaltung einer CSD-Demonstration. In zahlreichen Ländern wird mit dem sogenannten Christopher Street Day des Stonewall-Aufstands von Lesben, Schwulen und Transgendern gedacht. Im Juni 1969 hatten sich diese in New York erfolgreich gegen eine Polizeirazzia gewehrt. Mariela Castro meint, in Kuba provoziere eine solche Veranstaltung nur und sei dem Zweck des Werbens um Toleranz nicht dienlich. Ohnehin sind auf der Insel selbstbestimmte Demonstrationen – unter Verweis auf die äußere Bedrohung des Landes – nach wie vor unerwünscht.
Nach Angaben des britischen Guardian wurde ein solcher unangemeldeter Marsch am 25. Juni verhindert. Homo-AktivistInnen wollten gemeinsam vom El-Quijote-Park im Zentrum der Hauptstadt zum Ministerium für Justiz laufen, um dort eine Petition zu übergeben. Die Zeitung zitiert Mario José Delgado, ein Mitglied der illegalen Gruppe „Reinaldo Arenas in Memoriam“, nach dessen Aussage zwei Organisatoren kurzfristig festgesetzt wurden. In unbestätigten Berichten ist auch die Rede davon, dass Einschüchterungsversuche im Vorfeld viele von der Teilnahme abgehalten hätten. Auf die Nachfrage eines Sexualwissenschaftlers aus Kanada hin dementierte Mariela Castro die Anschuldigungen: Verhaftungen habe es nicht gegeben, die Organisatoren seien lediglich von den USA bezahlte Strohmänner, die das Ansehen der Republik schädigen sollten. Und tatsächlich hatten die OrganisatorInnen mit der in Miami ansässigen Unity Coalition kooperiert, einem Zentrum für lesbische, schwule, bi- und transsexuelle Hispanics. Auf ihrer Internetseite hatte die Organisation eine Ankündigung der Demonstration veröffentlicht. Der Aufruf enthielt die Namen mehrere kubanischer Gruppen sowie ihre Forderungen. Die Oppositionellen setzen sich demzufolge für ein Ende noch bestehender polizeilicher Repressionen ein. Solche Schikanen gegen Schwule und Transsexuelle an bekannten Treffpunkten werden von Mariela Castro als Einzelfälle bezeichnet. Schon seit Jahren führt CENESEX Sensibilisierungstrainings für PolizeibeamtInnen durch, was durchaus als Indiz für die Ernsthaftigkeit des Staats im Kampf gegen Homo- und Transphobie gewertet werden kann.
Nach Angaben des Aufrufs fordern die OrganisatorInnen auch eine offizielle Entschuldigung für die Arbeitslager, die als Militäreinheiten zur Unterstützung der Produktion (UMAP) bekannt wurden. Zwischen 1965 und 1968 bestanden diese für die Umerziehung konzipierten Einrichtungen, in die neben Religionsangehörigen und Dissidenten auch zahlreiche homosexuelle Männer eingeliefert wurden. Zwar liegen die Vorkommnisse über vier Jahrzehnte zurück, den Opfern des rigiden Vorgehens jener Zeit sind sie dennoch in schmerzlicher Erinnerung geblieben. Ehrliche Kritik an der Repression muss allerdings die Praxis in anderen Ländern ebenfalls in den Blick nehmen. Auch in der damaligen BRD wurden bis 1969 unzählige Schwule zu Gefängnisstrafen verurteilt – ein Kapitel, das bislang genauso seiner Aufarbeitung harrt. Der Mief jener Zeit – eine Mischung aus tradierten patriarchalischen und prüden Einstellungen – verband sich in den sozialistischen Staaten mit der Vorstellung, Homosexualität sei ein Zeichen bürgerlicher Dekadenz und mit dem neuen Menschenbild nicht vereinbar. In einer Äußerung aus dem Jahr 1965 sprach Fidel Castro Schwulen die Fähigkeit ab, wahre Revolutionäre sein zu können. Im April 1971, auf dem 1. Nationalen Kongress für Erziehung und Kultur, wurde dann offiziell beschlossen, den „Einfluss von Schwulen auf die Jugend zu verhindern“. Infolgedessen verloren bis Mitte der 1970er-Jahre zahlreiche Lehrkräfte ihre Arbeit in Bildungseinrichtungen, während Künstler Publikations- und Reiseverbote erhielten; selbst Studenten wurden relegiert. Damit einher ging das zwangsweise Outing vor der Familie und den KollegInnen. Erst im Zuge der Reform des Strafgesetzbuchs im Jahr 1979 wurde der noch aus der Batista-Zeit übernommene Paragraph 490 abgeschafft, der homosexuelle Handlungen verbot. Weitere strafrechtliche Bestimmungen in Bezug auf Homosexualität verschwanden in den Jahren 1987 und 1997. Dennoch wurde auch danach noch von Razzien auf illegale Partys und Polizeikontrollen an bekannten Treffpunkten berichtet.
Während der Regierungszeit Fidel Castros kehrten viele Schwule ihrem Land ob der Schikanen verbittert den Rücken. Ihr Ärger über die homophoben Maßnahmen des postrevolutionären Kuba wurde von der konservativen Exilgemeinde dankbar aufgenommen, um das Land international an den Pranger zu stellen. Die Regierung selbst ließ Lesben und Schwulen keinen Raum, ihre Anliegen öffentlich zu machen. Während in westlichen Ländern in den 70er- und 80er-Jahren lesbische und schwule Emanzipationsbewegungen entstanden, wurden sie auf der Insel – wie auch sonst im sozialistischen Lager – lange Zeit unterdrückt. Dass sich staatliche Stellen nun umfassend den Bedürfnissen von Homo-, Bi- und Transsexuellen annehmen, kann nur begrüßt werden. Andere Regierungen der Region sehen trotz erschreckender Zahlen von Opfern homo- und transphober Morde in ihren Ländern keinen Handlungsbedarf. Die paternalistische Fürsorge des Staats, der die Liberalisierung als Geschenk präsentiert, kann jedoch nicht den Respekt vor emanzipatorischer Arbeit an der Basis ersetzen. Die polarisierte Berichterstattung über die Ereignisse des 25. Juni macht dabei nur das Dilemma deutlich, in dem die kubanische Gesellschaft derzeit generell steckt. Mehr Zugeständnisse an bürgerliche Freiheitsrechte bergen die Gefahr des Machtverlusts der PCC. Erst die Aufhebung des US-Embargos aber wird der Regierung letztlich den Spielraum dafür geben, dass ein „Vielfalt ist die Norm“ für ganz Kuba gelten kann. Ob die Außenpolitik eines noch zu wählenden US-Präsidenten Barack Obama dafür den Weg frei machen wird, und wenn ja, zu welchen Bedingungen, ist allerdings fraglich.

„Amo Tihuihui!“ – „Sei nicht der Depp!“

Wenn es um die Situation von Indigenen in Mexiko und deren Kampf für ihre Rechte geht, fokussiert sich die Öffentlichkeit zumeist auf Chiapas und Oaxaca. Weit weniger Aufmerksamkeit findet hingegen die Situation in der multiethnischen Kulturregion Huasteca, die sich im Osten Mexikos vor allem über die Bundesstaaten Hidalgo, San Luis Potosí, Veracruz und Tamaulipas erstreckt. Wie auch in anderen indigen geprägten Regionen, leidet die dortige Bevölkerung an sozialer Marginalisierung, die sich in überdurchschnittlicher Armut, ungerechter Landverteilung, politischer Benachteiligung und Menschenrechtsverletzungen ausdrückt. Nach jahrzehntelangem Kampf indigener Organisationen auf der ganzen Welt haben inzwischen auch staatliche und internationale Institutionen teilweise anerkannt, dass eine Verbesserung der Situation nicht ohne die Anerkennung und die Durchsetzung indigener Rechte zu erreichen ist. Doch zwei zeitnahe Ortstermine machen deutlich, dass die theoretische Konzeption in der Praxis, hier in der Huasteca, auf zahlreiche Probleme stößt.
Der erste Ortstermin führt uns in die mexikanische Hauptstadt. Hier traf sich Ende April der internationale Entwicklungsfond der Indigenen Völker zu einem „Technischen Arbeitstreffen zum Monitoring indigener Rechte und Entwicklung mittels der Anwendung von Indikatorensystemen“. Unter diesem sperrigen Titel diskutierten ExpertInnen unter anderem Indikatoren zur UN-Erklärung der Rechte der Indigenen Völker vom Jahr 2007 und zur Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation IAO, einer UN-Sonderorganisation, die ebenfalls wichtige Grundrechte indigener Völker bestimmt. Auch wurde eine Analyse aller Klagen von indigenen Einzelpersonen oder Kollektiven, die bis vor den Interamerikanischen Gerichtshof gelangten, erstellt. An Kritik wurde nicht gespart, so wurde darauf hingewiesen, dass die formelle Existenz von Rechtstexten noch gar nichts darüber aussage, ob diese überhaupt einklagbar seien, zur Anwendung kämen und positive Effekte zeigten. Andere Kritikpunkte bezogen sich darauf, dass das Problem von Indikatoren weniger ein technisches als ein konzeptionelles sei. So würde den „Staatistiken“ von der Bevölkerung nicht viel Glauben geschenkt, weil die Staaten als verlogen gelten und beispielsweise die Interamerikanische Entwicklungsbank sich rhetorisch um die „armen“ Indigenen besorgt zeige, andererseits aber mit Mega-Entwicklungsprojekten besonders die Territorien der indigenen Völker zerstöre.
Von besonderem Interesse an dieser Stelle war die Präsentation eine Studie zu indigenen Gemeinden im Bundesstaat San Luis Potosí, wo ein wichtiger Teil der Huasteca Kulturregion angesiedelt ist. Ausgangspunkt der Untersuchung war, dass die heftig kritisierte Verfassungsreform zu indigenen Rechten und Kultur im Jahr 2001 die Selbstbestimmung und Autonomie der indigenen Völker Mexikos ganz offen gelassen hatte. Die Konkretisierung dieser heiklen Punkte wurde den jeweiligen Bundesstaaten überlassen. Heute haben lediglich Oaxaca und San Luis Potosí die indigenen Völker als Rechtssubjekte – eine der zentralen Forderungen der zapatistischen Bewegung – anerkannt. Damit die abstrakten Gesetzestexte keine Papiertiger blieben, bedürften sie der Konkretisierung und Operationalisierung durch unter- und nachgeordnete Gesetze. Genau diese seien in San Luis Potosí erlassen worden, beispielsweise ein eher unscheinbares Gesetz bezüglich administrativer Angelegenheiten der indigenen Rechtssprechung. Damit wird jedoch die indigene Policia Comunitaria (Gemeindepolizei) legalisiert und dazu ermächtigt, präventive Verhaftungen vorzunehmen (siehe LN 403). Ein anderes wichtiges sekundäres Gesetz erlaubt den indigenen Gemeinden die autonome Entscheidung darüber, ob und wie alkoholische Getränke in ihren Dörfern vertrieben werden.

Die Bevölkerung glaubt den offiziellen „Staatistiken“ nicht

Das hört sich zwar recht fortschrittlich an, doch der zweite Ortstermin, diesmal in Hidalgo, zeigt, dass die Betroffenen in der Huasteca sich nicht mit den per Gesetz gewährten Autonomieregelungen zufrieden geben. Am 10. April feierte in dem Dorf Tecoluco Calpan die Landbesetzungsbewegung ihr 30-jähriges Bestehen. Im Zuge der Fiesta wurde das Haus, das einst dem örtlichen Kaziken gehörte und in dem damals Bauern gefoltert wurden, zu einer Casa Popular umfunktioniert und eingeweiht. Tropische Hitze erdrückt den ärmlichen Ort im Grenzgebiet zu Veracruz, von wo der mexikanische Staat erst vor kurzem einen Militärstützpunkt abgezogen hat. Mehrere Kühe werden geschlachtet, Blumenkränze aufgehängt, traditionelle Musik gespielt und Tänze aufgeführt. Eingeladen sind VerterterInnen von anderen sozialen Bewegungen aus verschiedenen Bundesstaaten. Im politischen Programmteil werden dann Reden auf Nahuatl und Spanisch gehalten und ein selbst produziertes Buch mit dem Titel „Unsere eigene Geschichte“ vorgestellt. Darin finden sich die Geschichten „von unten“, vom jahrzehntelangen Widerstand in 19 huastekischen Dörfern, welche in stundenlangen Versammlungen kollektiv erarbeitet wurde.
Denn zu erzählen gibt es viel: Zuerst wurden die Landbesetzungen von den quasistaatlichen Bauernorganisationen und linken politischen Parteien organisiert. Allerdings mussten die campesin@s feststellen, dass sie von diesen permanent übervorteilt wurden. Daraufhin lösten sie sich von diesen los und gründeten 1978 die Unabhängige Organisation der Vereinten Völker der Huastecas (OIPUH). Die OIPUH wiederum schloss sich 1986 mit anderen autonomen Landebesetzungsorganisationen zu der Demokratischen Front Ostmexikos Emiliano Zapata (FDOMEZ) zusammen. Diese konnte in den 80er Jahren alleine in Hidalgo um die 30 000 Hektar Land zurückerobern. In den 90er Jahren gelang es ihr, sich auch in Veracruz auszubreiten. Ihre politische Orientierung kann als eine Art Nahuatl-Marxismus beschrieben werden. Sie ist eher der orthodoxen Linken in Mexiko zuzuordnen und wird, wie viele andere radikale Indígena-Organisationen in extrem armen Gegenden, mit der Guerilla Revolutionäre Volksarmee EPR in Verbindung gebracht. Trotz starker staatlicher Repression ist die FDOMEZ weiterhin aktiv und initiierte 2007 die Nationale Kampffront für den Sozialismus (FNLS). Außerdem entstand aus der Landbesetzungsbewegung 1992 ein autonomes Menschenrechtskomitee in Hidalgo, das Komitee für Menschenrechte der Huastecas und Sierra Oriental (CODHHSO). Der bewusste Verzicht auf staatliche Unterstützung bringt jedoch auch erschwerte Arbeitsbedingungen mit sich: der Computer ist ständig kaputt, seit längerem fehlt das Geld für die Miete und Arbeitsreisen können nur auf Pump oder durch Spenden finanziert werden. Zudem ist die Arbeitsatmosphäre von Angst geprägt. Anfang der 90er Jahre gab es wiederholt Morddrohungen gegen die MitarbeiterInnen und das Büro musste zeitweilig (bis 1997) nach Mexiko-Stadt verlagert werden. Auch heute noch wird das Büro immer wieder von Unbekannten beschattet, die durch ihr militärisches Auftreten auffallen.
Pedro Hernández Flores, Präsident des CODHHSO, kommt aus einem extrem armen Nahua-Dorf, war von Anfang an in der Landbesetzungsbewegung aktiv und ist heute eine anerkannte Autorität in den organisierten Dörfern. Auf Grund der Repression musste er die Region verlassen und beteiligte sich Jahre lang in verschiedenen Orten Mexikos an Protestaktionen und Organisationsarbeit, um den Kampf in der Huasteca zu stärken. Wegen eines offensichtlich von den Behörden fingierten Delikts verbrachte er Ende der 90er Jahre zwei Jahre im Gefängnis, wo er seinen Grundschulabschluss nachholte. Gegenwärtig ist er dabei, ein Netz von Menschenrechtsmonitoren in der Huasteca aufzubauen. Eingebettet in das traditionelle indigene Ämtersystem, das in der Teilnahme an kollektiven Arbeiten und der Erfüllung spezieller Gemeindeaufgaben besteht, werden regelmäßig autonome Menschenrechtsworkshops auf Nahuatl abgehalten. Die wichtigsten Aspekte sind dabei die Organisation und Motivation der Monitore, das Bewusstsein bezüglich der Existenz ihrer Rechte in den Dörfern zu verbreiten, sich für die Einhaltung der Rechte stark zu machen sowie sich die grundlegenden Methoden zur Dokumentierung und Denunzierung von Menschenrechtsverletzungen anzueignen. Im Gespräch betont Pedro Hernández Flores, dass es nicht darum gehe, sich auf gesetzliche Regelungen zu verlassen, „sondern darum, was zu tun ist, damit die Gesetze eingehalten werden. Ohne Organisation gibt es keine Bewusstseinsbildung und keine Verteidigung. So wie wir die Landrechte im Zuge von Kämpfen errungen haben, so werden wir sie durch die Passivität wieder verlieren“.

Der Verzicht auf staatliche Unterstützung bringt erschwerte Arbeitsbedingungen mit sich

Die Verabschiedung der Erklärung der Rechte der Indigenen Völker der UNO im September 2007 sieht er wenig euphorisch, denn diese Rechte stünden nur auf dem Papier. Zudem seien von Rechtsverletzungen in der Huasteca ja nicht nur die indigenen, sondern alle campesin@s betroffen. Generell scheint ihm eine ethnische Unterscheidung am Problem vorbeizugehen: „In unserer Denkweise trennen wir die Sachen nicht so: Indigener hier und Nicht-Indigener da, weil das Problem ist hierbei nicht ,der Indigene’. Das Problem ist die Struktur des kapitalistischen Systems. Es geht um den Aufbau eines Systems, worin alle die gleichen Rechte und den gleichen Respekt genießen, worin alle alles haben.“ So will er trotz gewisser juristischer Fortschritte auch weiterhin die Rechte der Menschen in der Huasteca nicht institutionellen Händen überlassen, sondern selbstständig für diese kämpfen. In einem der Menschenrechtsworkshops brachte er die Sache auf den Punkt: „Amo Tihuihui!“ – „Sei nicht der Depp!“.

Morales pokert um die Macht

Bolivien kommt nicht zur Ruhe. Nachdem im Departement Santa Cruz Ende April ein umstrittenes Autonomiereferendum abgehalten wurde (siehe nachfolgender Kommentar), stehen nun gleich die nächsten Abstimmungen ins Haus. Am 10. August könnten die WählerInnen entscheiden, ob Präsident Morales, sein Vize Álvaro García Linera oder einer von acht Gouverneuren ihr Büro räumen müssen. Einzige Voraussetzung: Der Oberste Gerichtshof muss die Referenden als verfassungskonform absegnen.
Der sonderbare Weg hin zu dieser Abstimmung begann eigentlich schon im Januar 2007, als in Cochabamba die Auseinandersetzung zwischen AnhängerInnen der Regierungspartei MAS (Bewegung zum Sozialismus) und oppositionellen Bürgergruppen mit Gewalt und drei Toten endete. Morales akzeptierte daraufhin öffentlich den Vorschlag eines seiner schärfsten Kontrahenten, Cochabambas Gouverneur Manfred Reyes Villa, seinen Posten und den weiterer Spitzenpolitiker zur Abstimmung zu stellen. Ein knappes Jahr später legte Morales letzten Dezember dann einen konkreten Gesetzesentwurf zu einem Abberufungsreferendum vor, um seinem blockierten Verfassungsreformprojekt neuen Schwung zu verleihen. Dieser wurde umgehend vom MAS-bestimmten Kongress-Unterhaus angenommen, vom mehrheitlich oppositionellen Senat, dessen Zustimmung für die Umsetzung ebenso nötig ist, aber zunächst ignoriert.
Etwas überraschend kam es daher, dass der Senat, wohl ermutigt durch das klare Votum gegen Morales bei der Abstimmung für eine autonome Region Santa Cruz, den Plan unterschriftsreif nun wieder auf den Tisch brachte. Noch überraschender war es für Viele, dass auch Morales kurz danach das Gesetz unterschrieb und den Weg zum Abberufungsreferendum Mitte August frei machte. „Ich bin sehr zufrieden, dass der im Senat vor sich hinschlummernde Entwurf nun Gesetz ist“, sagte er.
Details der Referendums-Bestimmungen sind interessant. Abgestimmt wird nämlich nicht nach dem Prinzip der einfachen Mehrheit, sondern die Politiker müssen sich – wie in Morales Entwurf vorgesehen – an den letzten Wahlen von 2005 messen lassen. In Zahlen bedeutet dies, dass bei jedem Kandidaten die Gegenstimmen das Ergebnis von 2005 sowohl absolut als auch prozentual übertreffen müssen, um die jeweilige Person des Amtes zu entheben und Neuwahlen für den entsprechenden Posten zu ermöglichen. Übersetzt in Politik bedeutet dies, dass es schwieriger sein wird, Morales zu kippen als die mit ihm konkurrierenden Provinzgouverneure. Morales konnte bei den Präsidentschaftswahlen immerhin über 1,5 Millionen Wählerstimmen auf sich vereinen, was einem Anteil von 54 Prozent entspricht, während keiner der Provinzfürsten über 50 Prozent der Stimmen kam. Ein deutlicher Vorteil für Morales und seinen Vize García Linera.
Die beiden wichtigsten Gegenspieler Morales’ signalisierten, die Abstimmung anzunehmen, allerdings nicht ohne auf ihre Benachteiligung durch die Wahlregelung hinzuweisen. Cochabambas Gouverneur Manfred Reyes Villa sagte, dass er das Abberufungsreferendum unterstütze, auch wenn die Regeln nicht für alle die gleichen wären. Reyes Villa bekam bei den Gouverneurswahlen 2005 knapp über 47 Prozent der Stimmen. Er kann also sein Amt verlieren, wenn sich mehr als 47 Prozent der WählerInnen gegen ihn aussprechen – selbst wenn er eine leichte Mehrheit auf seiner Seite hat. Nichtsdestoweniger hat Villa Reyes gute Chancen in Cochabamba zu gewinnen, da er in seiner Heimatprovinz eine starke Unterstützungsbasis hat. Für La Paz´ Gouverneur, José Luis Paredes, im Volksmund Pepe Lucho genannt, wird es dagegen etwas schwieriger, die Abwahl zu vermeiden, hatte er 2005 doch nur ungefähr 38 Prozent der Stimmen bekommen.
Die Frage ist, warum Morales sein hart erkämpftes Präsidentenamt nach knapp der Hälfte der Amtszeit aufs Spiel setzt. Ein Grund mag sein, dass Morales erkennt, dass die Opposition die Handlungsfähigkeit seiner Regierung fast zum Stillstand gebracht hat. Der Prozess der Verfassungsreform hin zu mehr Rechten für die indigene Bevölkerung liegt praktisch brach. Zudem hat das Referendum in Santa Cruz seine eigene politische Basis wieder so zusammengeschweißt, wie es seit den Wahlen 2005 nicht mehr festzustellen war. Die Abstimmung könnte für ihn sogar zum Erfolg werden. Indem er die Rahmenbedingungen dafür vorgab, hat er außerdem seine Kontrahenten dazu gebracht, in ein Spiel mit wesentlich schlechteren Karten einzusteigen.
Sollte Morales erfolgreich sein und seine Gegenspieler nicht, könnte er nicht nur zwei unliebsame Gegner los werden, sondern zunächst auch neue Interimsgouverneure – bis zu den in diesem Fall vorgeschriebenen Neuwahlen in drei bis sechs Monaten – als Nachfolger bestimmen. Auf diese Weise hätte er die Möglichkeit, sich seinen Weg zu einer zweiten Amtszeit zu ebnen und das Thema Autonomie wäre erst einmal beiseite geschoben. Hinzu kommt der Trumpf, dass Morales selbst bei einer Abwahl zunächst bis zur Neuwahl im Amt bliebe und dann als Kandidat gegen die schwach aufgestellte Konkurrenz potenziell gute Chancen hätte, erneut das erste Staatsamt zu ergattern.
Andererseits denken Reyes Villa und Paredes vielleicht, dass sie die Abstimmung in ihren eigenen Machtzentren so gestalten können, dass es für Morales schwerer wird, die nötigen Stimmen zu gewinnen, als er selbst für möglich hält. Sein Sieg vom Dezember 2005 basierte nämlich nicht nur auf seinem Rückhalt bei der indigenen, ländlichen Bevölkerung sondern auch auf einem substanziellen Stimmenanteil der urbanen Mittelschicht in Orten wie Cochabamba, die nun voraussichtlich vermehrt mit „nein“ gegen Morales stimmen wird.

// Übersetzung: Volkmar Liebig, Anja Witte
Artikel und Kommentar sind Auszüge aus dem Bolivien-Blog von Jim Shultz vom Democracy-Centre in Cochabamba (4.5., 9.5. und 14.5.)

Der Präsident im Auge des Hurrikan

Die costaricanische Botschaft im Norden Bogotás ist normalerweise ein Ort, an dem nichts Besonderes passiert. Costa Rica möchte bestenfalls als Urlaubsziel ins Gerede kommen und die Botschaft wirbt auf ihrer Website mit Karibikflair und dem typisch costaricanischen Slogan: ”La Pura Vida” (Das wahre Leben). Die Unruhe, die am 22. April vor dem Eingang der diplomatischen Vertretung des kleinen mittelamerikanischen Landes entstand, war daher recht ungewöhnlich: Eine Menschenmenge drängte vor den Botschaftsbereich und hielt Fotos von Ermordeten und Verschwundenen in die Höhe, JournalistInnen und FotoreporterInnen versuchten die besten Plätze vor dem abgezäunten Eingang zu ergattern und mehrere Fernsehkameras wurden in Stellung gebracht. Grund hierfür war ein besonderes Ereignis: Mario Uribe Escobar, ein Cousin und enger Vertrauter des kolumbianischen Staatspräsidenten Álvaro Uribe Vélez, hatte beim Botschafter Costa Ricas um politisches Asyl angesucht.
Gegen Mario Uribe wurde kurz zuvor Haftbefehl erlassen. Es besteht gegen ihn der dringende Tatverdacht, sich mit Paramilitärs eingelassen und Geschäfte mit DrogenhändlerInnen gemacht zu haben. Bereits im Oktober letzten Jahres war das Strafverfahren gegen ihn eingeleitet worden. Daraufhin legte der frühere Kongresspräsident und Senator für die Partei Colombia Democrática (Demokratisches Kolumbien) zum Bedauern des Präsidenten sein Kongressmandat nieder. Der Verdacht gegen ihn erhärtete sich und veranlasste den Obersten Gerichtshof dazu, Untersuchungshaft anzuordnen. Mario Uribe versuchte noch, sich ins Ausland abzusetzen, flüchtete in die costaricanische Botschaft und wurde, nachdem sein Asylgesuch als “unangemessen” abgelehnt wurde, am Botschaftsausgang von der Polizei in Empfang genommen und ins Gefängnis überführt.
Mit Mario Uribe sind es nun bereits 33 Kongress-Abgeordnete die in Verbindung mit dem sogenannten Parapolítica-Skandal verhaftet wurden. Insgesamt wird derzeit gegen 74 ParlamentarierInnen wegen ihrer Verbindungen zu Paramilitärs strafrechtlich ermittelt. Die gegen die Abgeordneten erhobenen Anschuldigungen klingen dabei stets sehr ähnlich: Sie sollen mit den Paramilitärs Absprachen über die Manipulation von Wahlen, Erpressung von Stimmen, Einschüchterung und Ermordung von Oppositionellen getroffen haben. Weiterhin wird ihnen zur Last gelegt, paramilitärische Todesschwadronen finanziert zu haben und in das Geschäft des Drogenhandels involviert gewesen zu sein.
Lange Zeit war es der Regierung gelungen, relativ schadfrei alle Skandalmeldungen zu überstehen. Die Verbindungen zwischen PolitikerInnen und paramilitärischen Gruppen wurden als Einzelfälle, die aufgedeckten zwielichten Verflechtungen zu paramilitärischen Strukturen als private Probleme der betroffenen PolitikerInnen dargestellt. Die Tatsache, dass inzwischen mehr als ein Viertel der 268 Abgeordneten aus Senat und Repräsentantenhaus ins Visier strafrechtlicher Verfolgung geraten oder bereits inhaftiert worden sind, führt diese Argumentation ad absurdum und beschert dem kolumbianischen Kongress eine einzigartige Legitimationskrise. Der Skandal zeigt eindrücklich, wie stark sich insbesondere die neuen politischen Eliten den Paramilitarismus zu Nutzen gemacht haben, um ihren Weg ins Zentrum der Macht zu beschleunigen. Zudem ist auffällig, dass vor allem die Uribe unterstützenden Kleinparteien von den Ermittlungen betroffen sind: Colombia Democrática, Mitte der 80er Jahre von Präsident Álvaro Uribe und seinem Cousin Mario Uribe gegründet, hat wegen ihrer systematischen Verbindungen zu Paramilitärs fast ihre gesamte Abgeordnetenbank ans Gefängnis verloren. Auch sind längst nicht mehr nur die HinterbänklerInnen der anderen Regierungsparteien betroffen. So sind gegen den Vorsitzenden der sozalen Partei der nationalen Einheit (Partido de la U) – Carlos García Orjuela Ermittlungen aufgenommen worden. Weiterhin ist ein Verfahren gegen Nancy Patricia Gutiérrez – aktuelle Kongresspräsidentin und Sprecherin der Partei Cambio Radical – eröffnet worden. Ihr wird vorgeworfen, ihre gesamten Wahlsiege seit 2002 den Paramilitärs zu verdanken. Und schließlich ist auch der ehemalige Vorsitzende der Konservativen Partei – Luis Humberto Gómez Gallo – ins Zentrum der Ermittlungen gerückt.
Ein anderer Fall könnte nun dem Präsidenten selbst gefährlich werden: Die ehemalige Senatorin Yidis Medina hatte sich selbst der Bestechlichkeit bezichtigt und wurde daraufhin verhaftet. Sie hatte zugegeben, dass sie sich ihre Zustimmung zur Verfassungsänderung, die schließlich Uribes Wiederwahl ermöglicht hatte, bezahlen ließ.
Nachdem Uribe im Jahre 2004 mit dem Versuch gescheitert war, per Referendum seine Wiederwahl zu ermöglichen, entschied sich der Präsident, über den Weg des Kongresses die Verfassung zu ändern. Hierfür fehlte ihm aber die erforderliche Mehrheit. Yidis Medina und Teodolindo Avendaño hatten noch zwei Tage vor der Abstimmung öffentlich erklärt, die Verfassungsreform nicht zu unterstützen und entsprechend mit Nein stimmen zu wollen. Am Tag der Abstimmung war Avendaño nicht anwesend. Medina schwenkte im letzten Moment um, stimmte mit Ja und eröffnete dem Präsidenten den Weg zur Wiederwahl. Uribe ist der erste Präsident in Kolumbiens Geschichte, der eine zweite Amtszeit angetreten hat.
Die Vorwürfe gegen Uribe, sich die Zustimmung zur Wiederwahl gekauft zu haben, sind nicht neu. Mehreren Kongressabgeordneten wurde unterstellt, ihre Loyalität sei mit Posten und besonderen finanziellen Zuwendungen für Projekte in ihrer Region gekauft worden. Für diesen Klientelismus und das korrupte Verhalten von Kongressabgeordneten liegen nun Zeugenaussagen und Beweise vor. Die Tatsache, dass Medina sich selbst bezichtigt, Zuwendungen angenommen zu haben, verpflichtet die Staatsanwaltschaft zu ermitteln, woher diese kamen. Für den Präsidenten bedeutet dies, dass nicht nur gegen ihn strafrechtlich ermittelt werden könnte, sondern dass die Legitimität und Legalität seiner Präsidentschaft in Frage steht.
Trotz des entschlossenen Vorgehens der Staatsanwaltschaft und der Gerichte gegen die Parapolítica zeigen die jüngsten Ereignisse, dass die strukturellen Verbindungen des paramilitärisch-militärischen Komplexes keineswegs in Auflösung begriffen sind. Das Märchen vom Ende des Paramilitarismus wird von Präsident Uribe seit nunmehr fast zwei Jahren propagiert. Mit den Worten “Kolumbien hat den Paramilitarismus überwunden! Es gibt keinen Paramilitarismus mehr!” feierte er im Sommer 2006 den Abschluss des sogenannten Friedensprozesses mit den Vereinigten Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens (AUC). Tatsächlich begaben sich bis Ende 2006 mehr als 31.000 Paramilitärs in das staatliche Demobilisierungsprogramm.
In den Jahren zuvor hatten die Paramilitärs sich und ihren politischen Verbündeten mittels beipielloser Gewalt in vielen ländlichen Gebieten und einigen urbanen Zentren regelrechte parallele Herrschaftsenklaven geschaffen. Doch nach der Vertreibung der Guerilla und der Vernichtung jeder nennenswerten Opposition war der militärische und politische Nutzen großer paramilitärischer Verbände nicht mehr gegeben. Im Rahmen von Uribes Politik der “demokratischen Sicherheit” und der in Gang gesetzten Konstruktion eines starken, autoritären und kommunitären Staates sollten die Paramilitärs in die Legalität überführt und in das autoritäre Projekt eingebunden werden.
Obwohl die AUC bereits 2002 verkündet hatten, für immer die Waffen ruhen zu lassen, kam es trotz dessen nie zu einer Einstellung gezielter Gewaltanwendung. Kontinuierlich wurden Angehörige sozialer Organisationen, Menschenrechtler und Oppositionelle Opfer gezielter Mordanschläge. In den ersten vier Jahren der Amtszeit Uribes wurden mehr als 3.000 Menschen von paramilitärischen Todesschwadronen gezielt ermordet, darunter etwa 400 GewerkschafterInnen und 30 JournalistInnen.
Als 2006 die Demobilisierung der AUC abgeschlossen war, begannen die paramilitärischen Todesschwadronen fortan unter der Bezeichnung Águilas Negras (Schwarze Adler) in Erscheinung zu treten. Die nationale Kommision für Wiedergutmachung geht davon aus, dass noch immer über 4.000 Paramilitärs in 34 verschiedenen Banden in über 200 Gemeinden in 22 Departamentos des Landes aktiv sind. Aus vielen Städten und ländlichen Gemeinden wird berichtet, dass die Paramilitärs dort zu keinem Zeitpunkt ihre Kontrolle aufgegeben haben. Sie nutzten die Demobilisierung, um ihren Handlungsrahmen in legale Räume zu überführen und gleichzeitig die eigenen bewaffneten Gruppen zu konsolidieren. Es entstanden kleinere, aber unvermindert schlagfertige Todesschwadronen, die die Arbeit ihrer Vorgänger fortsetzen.
Die Ereignisse der vergangenen Tage und Wochen zeichnen ein deutliches Bild der Lage: Im Schatten des Parapolítica-Skandals gibt es eine neue Welle der Gewalt gegen Menschenrechtsgruppen, soziale Organisationen und Opferverbände. Nachdem im Zusammenhang mit der Organisierung des weltweiten Gedenk- und Protesttages für die Opfer von Paramilitarismus und Staatsverbrechen am 6. März sechs Menschen ermordet, mehr als 50 Personen aus dem Kreis der OrganisatorInnen der Massendemonstrationen mit dem Tod bedroht und mehrere ihrer Büros überfallen wurden, reißt die Kette der Übergriffe nicht mehr ab. Die Águilas Negras gehen landesweit in die Offensive und schrecken nicht davor zurück, selbst diplomatische Vertretungen und MitarbeiterInnen staatlicher Programme auf ihre schwarzen Listen zu setzen.

Burgfrieden im Dreiländereck

Die Regierung des kolumbianischen Präsidenten Álvaro Uribe feierte den Tod des Guerilla-Kommandanten Raúl Reyes am 1. März als großen Sieg. Für Álvaro Uribe war die Operation der lang ersehnte Beweis, dass die Politik der „Demokratischen Sicherheit“ Erfolge zeitigt. Die Botschaft scheint anzukommen: Nach letzten Umfragen, so das Uribe nahe Blatt El Tiempo aus Bogotá, wird der Staatschef von 83 Prozent der KolumbianerInnen unterstützt. Dass Ecuador und Venezuela nach der Militäraktion vom 1. März ihre diplomatischen Beziehungen zum Nachbarland abbrachen und Truppen an die Grenze verlegten, scheint weniger zu stören. Bogotá gibt sich überzeugt – die Nachbarländer stecken mit der Guerilla unter einer Decke. So präsentierte man, unmittelbar nachdem die meisten südamerikanischen Staaten den Angriff auf ecuadorianisches Staatsgebiet verurteilt haben, Dokumente, wonach die Regierung in Quito mit den Bewaffneten Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC) kooperiere. Venezuela wird sogar vorgeworfen, die Guerilla mit 300 Millionen Dollar unterstützt zu haben.
Für den ecuadorianischen Präsidenten Rafael Correa, der sein Land mit der so genannten „Bürgerrevolution“ in den vergangenen 14 Monaten mächtig durcheinander gewirbelt und eine bemerkenswerte Demokratisierungswelle in Gang gesetzt hat, war dieser Kriegsakt ein Affront. Quito bezichtigte Uribe der Lüge und kündigte an, die Grenzen zum Nachbarland militarisieren zu wollen. Erst hierauf schaltete sich auch Venezuela ein. Die Chávez-Regierung, die realistischerweise davon ausging, dass der Protest des kleinen Ecuador ungehört verhallen würde, solidarisierte sich und brach ihrerseits die diplomatischen Beziehungen zu Kolumbien ab.
Dabei ging es keineswegs in erster Linie darum, dass ein Guerillakommandant außerhalb einer Gefechtshandlung getötet, sprich: ermordet worden war. Und auch die Tatsache, dass Kolumbiens Militärs zwei Kilometer weit ins Nachbarland vorgedrungen waren, stand nicht im Mittelpunkt der Affäre. Für die scharfe Reaktion in Quito und Caracas gab es eine Reihe anderer Gründe.
Erstens war die Militäraktion auch ein Schlag gegen eine politische Lösung des kolumbianischen Geiseldramas. Die FARC bemühen sich seit 1996 um einen Austausch von gefangenen Soldaten gegen inhaftierte Guerilleros. Nachdem ein solches Abkommen, das die formale Anerkennung der FARC als Bürgerkriegspartei implizieren würde, von Bogotá immer wieder blockiert wurde, ließ die Guerilla 2001 mehrere Hundert Soldaten frei. Sie begann damit Offiziere und Politiker als Geiseln zu nehmen – darunter auch die grüne Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt, die 2002 verschleppt wurde. Reyes war von den FARC als Verhandlungsführer in der Geiselaffäre benannt worden und stand in engem Kontakt mit den Regierungen mehrerer Staaten, darunter auch Frankreich. Auf einem unmittelbar bevorstehenden Treffen mit UnterhändlerInnen der Regierung Sarkozy wollten die – auch bei der kolumbianischen Linken weitgehend diskreditierten – FARC die Franco-Kolumbianerin Betancourt freilassen und dafür im Gegenzug von Frankreich als nicht-terroristische Organisation anerkannt werden. An diesen Gesprächen war Ecuador federführend beteiligt: Angeblich hatte die Regierung Correa von den FARC die Zusage erhalten, dass neben Betancourt 13 weitere Geiseln, darunter auch die drei Piloten eines abgeschossenen USA-Spionageflugzeuges, freikommen würden.
Präsident Uribe, der über diese Bemühungen informiert war, wollte diese politische Aufwertung der Guerilla um jeden Preis verhindern, weil sie sein Versprechen eines militärischen Sieges als Farce erscheinen lassen würde. Dass sich die Militärs die diplomatischen Kontakte per Satellitentelefon zunutze machten, um Reyes zu orten, kann durchaus als weitere, gezielte Provokation verstanden werden.
Zweitens stellte die Uribe-Regierung mit der Aktion unter Beweis, dass sie alle Freiheiten jenes Ausnahmezustands für sich in Anspruch nimmt, der mit dem War on Terror global verhängt worden ist. Entführung, Folter und Mord gelten in diesem Zusammenhang als völlig legitim, solange sie der imperialen Staatsräson dienen. Die Uribe-Regierung schlug dabei nicht zum ersten Mal in einem Nachbarland zu. 2004 bestach sie venezolanische PolizistInnen, um einen anderen FARC-Sprecher in Caracas zu entführen. Der Kolumbianer, gegen den kein internationaler Haftbefehl vorlag, wurde betäubt, über die Grenze geschafft und dort als „Fahndungserfolg“ präsentiert.

Schlag gegen eine politische Lösung des kolumbianischen Geiseldramas.

Drittens wurde der Angriff auf die FARC von US-Militärs geleitet. Diese waren offensichtlich nicht nur an der Ortung von Reyes, sondern auch an der Bodenoperation in Ecuador beteiligt. Da für Linksregierungen in Lateinamerika US-Militäraktionen erfahrungsgemäß eine weitaus größere Gefahr darstellen als jede innenpolitische Opposition, wird diese Beteiligung auf ecuadorianischem Gebiet auch als versteckte Drohung gegen Quito und Caracas verstanden.
Und viertens ist schließlich schon seit Jahren zu beobachten, dass der kolumbianische Konflikt systematisch in die Nachbarländer exportiert wird. Zwar ignoriert auch die Guerilla die Grenzen, doch im Wesentlichen vorangetrieben wird die Entwicklung von der Regierung in Bogotá und den mit ihr verbündeten Paramilitärs. Der sichtbarste Aspekt dieser Eskalationspolitik war in den vergangenen Jahren, dass Dörfer und Waldgebiete in Ecuador immer wieder mit dem Monsanto-Pflanzengift RoundUp besprüht wurden. Doch bei den Herbizideinsätzen im Rahmen des Plan Colombia handelt es sich nur um die Spitze des Eisbergs. Daneben gibt es eine Reihe verdeckter Eingriffe, mit denen die innenpolitische Situation der Nachbarländer verschärft wurde. 1999 ermordeten Mitglieder des kolumbianischen Paramilitär-Dachverbandes AUC den linken Präsidentschaftskandidaten Jaime Hurtado in Quito, entführten den venezolanischen Industriellen Richard Boulton – wobei man sich als kolumbianische Guerilla ausgab – und raubten in Panama mehrere Hubschrauber. Es blieb nicht bei diesen vereinzelten Übergriffen, mit denen die Öffentlichkeit der Nachbarländer polarisiert werden sollte. Es gibt Hinweise, dass kolumbianische Paramilitärs bereits am Putschversuch 2002 gegen die Regierung Chávez beteiligt waren. Und klar ist, dass mehr als 100 Paramilitärs in Caracas 2004 verhaftet wurden, als sie einen bewaffneten Aufstand in venezolanischen Armeeuniformen vorbereiteten.
Diese Operationen hatten offensichtlich Rückendeckung aus dem kolumbianischen Staatsapparat. Ein hochrangiger Funktionär der Geheimpolizei DAS erklärte, seine Behörde, rechte Todesschwadronen, die Uribe-Regierung und venezolanische Oppositionelle hätten gemeinsam auf einen gewaltsamen Sturz von Hugo Chávez hingearbeitet. Es habe sich dabei um eine „von ganz oben“ abgesegnete Politik gehandelt.
Vor diesem Hintergrund muss man davon ausgehen, dass die im Fernsehen zelebrierte Aussöhnung zwischen den Staatspräsidenten Correa, Chávez und Uribe nicht von Dauer sein wird. Die Lage in Südamerika bleibt gespannt. Das hat zum Teil mit den Dynamiken in den Ländern selbst zu tun. Chávez hat den Mittelschichten nach der Niederlage beim Verfassungsreferendum eine Versöhnung angeboten und erreicht die BewohnerInnen der Armenviertel spürbar weniger als früher. KritikerInnen sprechen von einem Durchmarsch der „endogenen Rechten“ in der Regierungskoalition, aber auch von einer verwirrten, sich extremistisch gebärdenden Linken. In Ecuador muss Correa, der das politische Establishment in seinem ersten Amtsjahr geschickt ausschaltete, der Verfassungsreform nun auch soziale Transformationen folgen lassen – was in absehbarer Weise zu einer Mobilmachung der Eliten führen wird. Und in Kolumbien schließlich ist die Regierung Uribe von einer Kette von Politikskandalen gebeutelt, anderseits jedoch weder die Mitte-Links-Opposition noch die wegen ihres Autoritarismus völlig diskreditierte und nun auch noch militärisch angeschlagene FARC-Guerilla in der Lage, daraus Kapital zu schlagen.

Die USA stärken die mafiöse Rechte in Kolumbien für eine Geheimkriegführung in der Region.

Noch entscheidender als diese Entwicklungen ist jedoch die Haltung der USA. Washington hat Kolumbien als militärische Regionalmacht in Stellung gebracht. Seit 1999 wurde das Land mit jährlich 500 Millionen US-Dollar hochgerüstet, die Armee grundlegend umstrukturiert. Dabei hat man eine mafiöse Ultrarechte stark gemacht. Eigentlich ist die Regierung Uribe ein Phänomen: Der Präsident wurde Anfang der 1990er Jahre von US-Behörden als eine der 100 wichtigsten Personen des Medellín-Kartells bezeichnet. Mehrere Präsidentenberater hatten engste Kontakte zum Drogen-Capo Pablo Escobar. Gegen 50 Abgeordnete der Regierungskoalition ermittelt die Justiz wegen Verbindungen zu den Todesschwadronen der AUC, 22 Abgeordnete sitzen bereits im Gefängnis. Doch trotzdem – oder aufgrund dessen – kann Uribe nach wie vor auf Rückendeckung aus den USA zählen. Offensichtlich deshalb, weil sich die mafiöse Rechte bestens für eine Geheimkriegführung in der Region eignet. Für Washington geht es darum, dass nicht widerspruchslose, aber bemerkenswerte Erstarken von Widerstandsbewegungen und linken Wahlbündnissen auf dem Kontinent zu stoppen. By any means necessary – mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln.

Provisorische Parteigründung

Einen guten Ruf genossen politische Parteien in Venezuela in den letzten Jahren wahrlich nicht. Die beiden Traditionsparteien, die sozialdemokratische AD und die christdemokratische Copei, die das Land nach dem Sturz der Pérez-Jiménez-Diktatur 1958 Jahrzehnte lang regiert hatten, galten schon Anfang der 1990er Jahre als völlig diskreditiert. 1998 gewann Hugo Chávez seine erste Wahl in Venezuela mit einem Anti-Parteien-Wahlkampf. So ist es kein Zufall, dass sich seine Bewegung Fünfte Republik (MVR) zwar als Wahlplattform für die Aufstellung von KandidatInnen, niemals aber als Partei mit festen Strukturen etablierte. Nun jedoch bekommt der bolivarianische Prozess mit der Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) eine Massenpartei, die laut dem venezolanischen Präsidenten die „demokratischste und größte in der Geschichte Venezuelas“ werden soll. Chávez hatte kurz nach seiner Wiederwahl im Dezember 2006 erstmals den Aufbau einer sozialistischen Partei angekündigt, in der alle den bolivarianischen Prozess unterstützenden Parteien und Gruppierungen aufgehen sollten. Wer sich als eigene Partei erhalten wolle, müsse „die Regierung verlassen“ verkündete der Präsident damals.
Abgesehen von einer Reihe mehr oder weniger unbedeutender Kleinstparteien brachte allerdings nur die MVR postwendend ihre Selbstauflösung auf den Weg. Die anderen bedeutenden Parteien Patria para Todos (PPT), die Kommunistische Partei (PCV) sowie die sozialdemokratische mittlerweile regierungskritische Partei Podemos lehnten dies ab. Davon das PPT und PCV die Regierung verlassen müssten, ist allerdings längst keine Rede mehr. Vielmehr ist eine Wiederbelebung des so genannten Patriotischen Pols geplant, einem früheren Bündnis der chavistischen Parteien und sozialen Bewegungen. Weite Teile der chavistischen Basisbewegung haben sich aktiv an dem Gründungsprozedere der PSUV beteiligt. Erstmals werde eine Partei „von unten“ gegründet, jubelte Chávez. Die Revolution dürfe „nicht von einer Person oder Elite“ abhängen.
Die Zahlen sind in der Tat beeindruckend. Fast 5,7 Millionen Menschen hatten sich letztes Jahr für eine Mitgliedschaft eingeschrieben, wovon laut AktivistInnen fast eine Million tatsächlich an den Diskussionen der Basis teilnahmen. Die über 14.000 als „sozialistische Bataillone“ bezeichneten Basisgruppen wählten jeweils SprecherInnen, die aus ihrem Kreis wiederum insgesamt 1.681 Delegierte wählten. Diese bildeten den Gründungskongress der PSUV, der nach mehrmaliger Verschiebung, Mitte Januar dieses Jahres, seine Arbeit aufnahm. Beinahe wöchentlich diskutierten die Delegierten seitdem an 50 Runden Tischen über Prinzipien, Statuten, Struktur und Programm der neuen Partei und hielten dabei in der Regel permanent Rücksprache mit der Parteibasis. Laut Zeitplan sollte die Parteigründung am 9. März mit der Wahl der Parteiführung abgeschlossen sein. Ganz so wie gewünscht konnte der enge Zeitplan dann aber doch nicht absolviert werden. So sind Prinzipien, Statuten und Programm noch nicht fest verabschiedet. Auch die KandidatInnenauswahl für die im November stattfindenden Regionalwahlen musste vorerst verschoben werden. Aufgrund der kommenden Wahlen soll auch der Parteivorstand (Nationales Komitee) lediglich ein Jahr lang Bestand haben.
Große Überraschungen waren bei der PSUV-internen Wahl am 9. März nicht zu erwarten gewesen. Chávez, den die Delegierten Wochen zuvor bereits einstimmig zum Präsidenten der PSUV kürten, hatte das letzte Wort bei der KandidatInnenaufstellung. Aus tausenden Vorschlägen des Gründungskongresses erstellte er eine politisch ausgewogene Liste von 69 Personen. Bei der Wahl setzten sich überwiegend „moderate“ Linke durch, während KandidatInnen des rechten und linksradikalen Flügels sowie des Militärs weniger Stimmen erhielten. Die Mehrzahl der 15 gewählten Vorstandsmitglieder, darunter sieben Frauen, haben oder hatten wichtige politische Funktionen innerhalb der Regierung inne. Fünf Personen entstammen der aufgelösten MVR, drei sind ehemalige PPT-Mitglieder und eine war zuvor in der PCV. Die meisten Stimmen erhielt der Ex-Bildungsminister und Journalist Aristóbulo Istúriz, gefolgt von Chávez‘ Bruder, dem heutigen Bildungsminister Adán Chávez. Neben altbekannten PolitikerInnen schafften es aber auch die angesehene Journalistin Vanessa Davis, der ebenso populäre wie polarisierende Journalist Mario Silva, Studierendenführer Héctor Rodríguez sowie die Indígena-Aktivistin Noheli Pocaterra in die Parteiführung. Die Wahlbeteiligung betrug 91 Prozent. Dem Parteivorstand kann Chávez als Präsident der PSUV bis zu fünf VizepräsidentInnen hinzufügen, so dass mit ihm selbst maximal 21 Personen das Nationale Komitee bilden. Als oberste Entscheidungsinstanz der neuen Partei wird aber der Gründungskongress dienen, der von nun an als Generalversammlung bezeichnet wird.
Dass aus der heterogenen Zusammensetzung der PSUV auch Konflikte erwachsen, ist unvermeidlich. Bereits bei der Wahl der Delegierten im vergangenen Jahr wurden Spannungen zwischen Funktionären und Basis offensichtlich. Etablierte PolitikerInnen hatten in einigen Fällen versucht, ihnen genehme KandidatInnen durchzusetzen. In den meisten Fällen erteilten die WählerInnen der Einflussnahme von oben jedoch eine klare Absage.
Auch die Parteigründung wurde durch einen Konflikt überschattet. Dieser verdeutlichte das Spannungsfeld zwischen Parteidisziplin und offener Formulierung von Kritik, sowie die Differenzen zwischen verschiedenen politischen Strömungen innerhalb der PSUV. Der dem linken Parteiflügel zugehörige Parlamentsabgeordnete Luís Tascón hatte Mitte Februar finanzielle Unregelmäßigkeiten beim Kauf von Fahrzeugen für das Infrastrukturministerium ausgerechnet in oppositionellen Medien publik gemacht. Daraufhin entbrannte eine wahre Schlammschlacht zwischen ihm und Diosdado Cabello, dem Gouverneur des Bundesstaates Miranda, dessen Bruder zum Zeitpunkt des vermeintlichen Kaufs der Fahrzeuge Minister für Infrastruktur war. Der wohlhabende Geschäftsmann Cabello wird von Tascón und zahlreichen BasisaktivistInnen als Kopf einer „endogenen Rechten“ innerhalb des Chavismus angesehen, die sich gegen mehr Basispartizipation wehre.
2007 wurde Cabello Vorsitzender eines provisorischen Disziplinarausschusses der PSUV, der groteskerweise ins Leben gerufen worden war, ohne dass Parteistatuten existiert hätten. Er bezeichnete die von Tascón erhobenen Vorwürfe als „völlig falsch“ und den Abgeordneten selbst als Vertreter einer „falschen Linken“, die der wahre Feind des bolivarianischen Prozesses sei. Zusammen mit Ex-Vizepräsident Jorge Rodríguez verkündete Cabello im Staatsfernsehen VTV gar den Parteiausschluss von Tascón. Dies habe der Gründungskongress einstimmig beschlossen, weil Tascón durch seinen öffentlichen Vorstoß der Opposition in die Hände gespielt habe, anstatt den Fall intern zu regeln. Bereits kurz vor dem Verfassungsreferendum im Dezember letzten Jahres wurde Táscon einmal der Ausschluss aus der PSUV angedroht, weil er die verbalen Angriffe gegen Ex-Verteidigungsminister Isaías Baduel kritisiert hatte. Dieser hatte die Verfassungsreform zuvor für viele chavistas völlig unverständlicherweise als Putsch bezeichnet.
Der von Cabello und Rodríguez verkündete Ausschluss entpuppte sich allerdings als Lüge. Zwar hatte Chávez selbst in einer Rede auf dem Gründungskongress den Ausschluss Tascóns gefordert, eine Abstimmung fand jedoch nicht statt. „Die einzige Autorität, die ich anerkenne und die mich ausschließen könnte, ist der Gründungskongress“, entgegnete der Abgeordnete. Er wolle Chávez weiterhin unterstützen, auch wenn dieser sich in diesem Fall geirrt habe. Offen diskutiert wurde das Thema bisher nicht. Cabello selbst bekam bei der Wahl des Parteivorstands einen kleinen Denkzettel verpasst. Für den engen Vertrauten von Chávez blieb nur ein Stellvertreterposten.
Auch über das Wahlprozedere der Vorstandsmitglieder an sich gab es Unstimmigkeiten. Es war im Vorfeld vereinzelt von PolitikerInnen und BasisaktivistInnen kritisiert worden. So wählte nicht die gesamte, in mehr als 14.000 regionalen Gruppen organisierte Parteibasis, sondern lediglich die von jeder Basisgruppe gewählten SprecherInnen, VertreterInnen und Bevollmächtigten. Diese etwa 90.000 Personen entsprechen unter zwei Prozent der insgesamt gut 5,7 Millionen eingeschriebenen Aspiranten auf eine Mitgliedschaft. Laut dem Basis nahen chavistischen Nachrichtenportal aporrea.org wurde auch aus den Reihen der 1.681 Delegierten des Gründungskongresses Kritik laut. So hätten mehrere hundert von ihnen einen Brief an Präsident Chávez verfasst, in dem sie vor allem die Aufstellung der KandidatInnen für den Vorstand kritisierten. Diese habe weder klaren Regeln gefolgt, noch sei sie besonders transparent gewesen. Vor allem im Hinblick auf die im nächsten Jahr stattfindenden Wahlen zur Ablösung des provisorischen Vorstands mahnten die VerfasserInnen des Briefes Änderungen am Wahlsystem an. Es wird allgemein davon ausgegangen, dass sich dann die gesamte Parteibasis beteiligen kann.
Zunächst stehen aber die Regionalwahlen im November dieses Jahres im Vordergrund, die Chàvez in Anlehnung an das verlorene Verfassungsreferendum als „die große Revanche“ ausgerufen hat. Dort wird die PSUV erstmals als Partei antreten und will Geschlossenheit demonstrieren. Den Wahlen wird entscheidende Bedeutung für die politische Zukunft des Landes beigemessen, da sich die Opposition durch den Sieg beim Verfassungsreferendum im vergangenen Dezember erstmals seit Jahren wieder im Aufwind sieht. Daher drängt die Parteibasis auf eine breite Partizipation hinsichtlich der Aufstellung von KandidatInnen. Dass interne Differenzen vor der Wahl offen ausgetragen werden ist nicht zu erwarten, da die Einheit der verschiedenen Akteure des bolivarianischen Prozesses als unverzichtbar für einen breiten Wahlsieg angesehen wird. Wie dies nach der Wahl aussieht, wird neben den Wahlergebnissen in entscheidendem Maße davon abhängen, wie sich die neue Partei in puncto interner Demokratie bewähren wird.

Nach dem Referendum ist vor der Wahl

Das neue Jahr versprach im polarisierten Venezuela versöhnlich zu beginnen. Gut vier Wochen nach dem gescheiterten Referendum über die Verfassungsreform unterzeichnete Hugo Chávez am letzten Tag des Jahres 2007 ein weitreichendes Amnestie-Dekret. Es umfasst insgesamt 13 Delikte mit politischem Hintergrund, wobei die meisten mit dem Putsch im April 2002 und der Sabotage der Erdölindustrie am Ende desselben Jahres in Zusammenhang stehen. „Wir möchten ein Land, das Richtung Frieden marschiert”, begründete Chávez das Dekret. „Niemand wird mehr behaupten können, dass er ein politischer Gefangener sei“.
VertreterInnen der Opposition und die katholische Kirche hatten in den Wochen zuvor vehement gefordert, endlich die „politischen Gefangenen” zu amnestieren. Sie kritisierten das Dekret dennoch als „nicht weitreichend genug“ und „diskriminierend“. Da es nur für jene gilt, die sich der Justiz gestellt haben und außerdem nicht für Verbrechen gegen die Menschlichkeit anwendbar ist, kommen nicht alle an dem Putsch und der Sabotage beteiligten Personen in den Genuss der Maßnahme.
Ansonsten begann das neue Jahr in Venezuela mit einigen politischen Veränderungen. Zunächst bildete Chávez wie erwartet sein Kabinett um. Insgesamt wurden 13 der 27 MinisterInnen sowie der Vizepräsident ausgetauscht. Entscheidender als diese personellen Änderungen, die in regelmäßigen Abständen stattfinden, ist aber die neu ausgerufene inhaltliche Richtung des bolivarianischen Prozesses. Chávez erkannte offen an, die Bevölkerung mit der im letzten Jahr geplanten rasanten Umgestaltung des politischen und wirtschaftlichen Systems überfordert zu haben. „Ich bin dazu verpflichtet, das Tempo rauszunehmen“, verkündete er Anfang des Jahres in seiner TV-Show Aló Presidente. An den grundsätzlichen Zielen des Aufbaus eines partizipativen Sozialismus des 21. Jahrhunderts ändere sich aber nichts. Das Projekt werde bis auf Weiteres auf Grundlage der bestehenden Verfassung weitergeführt.
Chávez verkündete als neue Leitlinie seiner Regierungspolitik die als 3R bezeichneten Grundsätze „revisión, rectificación, reimpulso“ (Revision, Korrektur, Neuantrieb). Darauf aufbauend rief er in seiner Jahresansprache vor dem Kongress am 9. Januar das „Jahr der Lösungen“ aus. Die alltäglichen Probleme der VenezolanerInnen wie Inflation, Knappheit von Grundnahrungsmitteln, Unsicherheit, Korruption und Bürokratie sollen behoben werden. Das Jahr 2007 schloss Venezuela mit einer Inflationsrate von 22, 5 Prozent ab. Anvisiert waren zwölf. Der neue Finanzminister Rafael Isea kündigte an, die Inflation in diesem Jahr auf elf Prozent zu senken, ohne jedoch Sozialausgaben kürzen zu wollen. Da die Teuerungsrate allein im Januar dieses Jahres bereits bei 3,4 Prozent lag, dürfte dieses Ziel jedoch kaum erreicht werden. Auch wenn die Inflation in den 1990er Jahren durchschnittlich zwei- bis dreimal so hoch war und der Mindestlohn seit Chávez’ Amtsantritt schneller als die Inflationsrate gewachsen ist, stellt die rasante Geldentwertung gerade für die ärmeren Bevölkerungsschichten ein Problem dar. Ebenso wie die regelmäßige Knappheit von Grundnahrungsmitteln.

„Wir möchten ein Land, das Richtung Frieden marschiert”, begründete Chávez das Amnestie-Dekret.

Während in gut sortierten Shopping Malls fast jede erdenkliche importierte Gourmetspeise erstanden werden kann, sind ausgerechnet Grundnahrungsmittel wie Milch, Zucker oder Mehl häufig nur zu üppigen Preisen auf dem Schwarzmarkt erhältlich.
Bei der Erklärung dieses Phänomens herrschen auf beiden Seiten des politischen Spektrums einseitige Erklärungsansätze vor. Laut Opposition sind die Engpässe schlicht durch die staatlich festgelegten Preise für zahlreiche Waren zu erklären. Die Regierung hingegen wirft den Lebensmittelkonzernen Spekulation und Hortung von Lebensmitteln vor. In diesem Zusammenhang schloss Chàvez zukünftige Enteignungen großer Konzerne nicht aus. Auch würden laut Regierung zahlreiche Waren illegal nach Kolumbien geschmuggelt, um sie dort zu deutlich höheren Preisen zu verkaufen. Daher wird im Grenzbereich jetzt verstärkt kontrolliert. Zudem soll die nationale Produktion deutlich angehoben werden. „Wir werden Venezuela zu einer wahren Supermacht in der Lebensmittelproduktion machen“, kündigte Chávez Mitte Januar anlässlich der Einweihung einer „sozialistischen“ Milchfabrik im Bundesstaat Zulia an. Ziel ist das Erreichen von Ernährungssouveränität. Noch immer werden jedoch etwa 70 Prozent der Lebensmittel importiert. Zwar ist die nationale Produktion in den letzten Jahren leicht angestiegen, noch kräftiger wuchs allerdings die Kaufkraft und dementsprechend der Konsum der ärmeren Bevölkerungsschichten.
Zur Verbesserung der Versorgung mit Grundnahrungsmitteln wurde jetzt eine „Flexibilisierung“ der Preisbindung angekündigt. Ob das Problem dadurch gelöst werden kann, ist aber fraglich. Der Preis für H-Milch wurde bereits im Dezember freigegeben, das Produkt ist aber immer noch rar.
Die Alltagsprobleme gilt es nicht zuletzt in Hinblick auf die Ende des Jahres stattfindenden Regionalwahlen rasch zu lösen. Voraussichtlich am 16. November sind die VenezolanerInnen dazu aufgerufen, GouverneurInnen sowie Abgeordnete der Regionalparlamente zu wählen. Ob die Wahl der BürgermeisterInnen zum gleichen Zeitpunkt oder erst im darauf folgenden Jahr zusammen mit den Kommunalwahlen stattfindet, ist noch nicht entschieden.
Die Wahlen sind von entscheidender Bedeutung für die politische Zukunft des Landes. Die Opposition, die bei den letzten Regionalwahlen mit Zulia und Nueva Esparta lediglich zwei Gouverneursposten erringen konnte, sieht sich seit Chávez’ Referendumsniederlage vom Dezember im Aufwind. Mindestens in zwölf der 24 Staaten des Landes will sie den Gouverneurssessel erobern und darüber hinaus möglichst viele regionale Abgeordnete und BürgermeisterInnen stellen, um so in Venezuela einen politischen Wandel einzuleiten. Erreicht werden soll dies durch ein Element, dessen Fehlen der Opposition in den letzten Jahren fast völlig den politischen Einfluss gekostet hat: die Einheit der anti-chavistischen Kräfte.
Symbolträchtig unterzeichneten zunächst neun Oppositionsparteien am 23. Januar dieses Jahres, dem 50. Jahrestag des Endes der Pérez Jímenez-Diktatur, ein gemeinsames Dokument mit dem Titel „Die Alternative für den Wandel“. Neben den beiden größten Oppositionsparteien Un Nuevo Tiempo (UNT) und Primero Justicia (PJ) sind unter anderem die in der politischen Versenkung verschwundenen beiden ehemaligen Regierungsparteien AD und Copei sowie die ehemaligen Linksparteien MAS und La Causa R mit von der Partie. In dem Dokument sind die strategische Ausrichtung sowie einige inhaltliche Punkte in Hinsicht auf die Wahlen aufgeführt. So will die Opposition ausschließlich gemeinsame KandidatInnen aufstellen. Auf der Basis von Konsens und Umfragewerten soll jeweils die Person antreten, der die größten Chancen zugeschrieben werden. Die jeweiligen Parteiinteressen sollen hingegen keine Rolle spielen und demokratische Vorwahlen nur dann stattfinden, wenn durch Umfragen kein eindeutiges Ergebnis ermittelt werden kann. UNT-Politiker Omar Barboza betonte, die Übereinkunft reflektiere den Wunsch der VenezolanerInnen nach Versöhnung und sei daher „keine Übereinkunft eines Grüppchens, sondern des ganzen Landes“.

Die Opposition sieht sich seit Chávez’ Referendumsniederlage im Aufwind.

Auf der anderen Seite sieht man dies wie erwartet anders. Bereits eine Woche vor der Unterzeichnung des Oppositionspapiers warnte Chávez davor, dass die Opposition im Falle weit reichender Wahlerfolge das Land destabilisieren würde. „Diese Wahlen werden von strategischem Charakter sein”, so der Präsident. Daher werden auch die chavistischen Kräfte gemeinsame KandidatInnen für die Wahlen aufstellen. Nach der Gründung der Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV), die am 9. März diesen Jahres abgeschlossen sein soll, wird über die Auswahl der KandidatInnen entschieden werden. Hierzu ist geplant, gemeinsam mit Patria para Todos (PPT), der Kommunistischen Partei PCV und sozialen Gruppen den „Patriotischen Pol“ wieder zu beleben. Unter diesem Namen trat das heterogene Parteienbündnis an, das Chávez bei den Präsidentschaftswahlen 1998 unterstützte. Das genaue Prozedere der KandidatInnenauswahl soll auf einer Sitzung des Gründungskongresses der PSUV am 24. Februar beschlossen werden. Wie erfolgreich die neue Partei bei den Regionalwahlen abschneiden wird, wird in entscheidendem Maße davon abhängen, ob die Parteibasis auch das letzte Wort bei der Auswahl der KandidatInnen spricht.

Die Spannungen zwischen chavistischer Basis und FunktionärInnen bleiben im Hinblick auf die Wahlen von Bedeutung.

Die aus politischen, sozialen und kulturellen Organisationen bestehende Basis des chavistischen Projekts pocht nämlich auf mehr Eigenständigkeit gegenüber der offiziellen Regierungspolitik. Am 18. und 19. Januar trafen sich in Caracas hunderte BasisaktivistInnen, um über die politische Linie jenseits des offiziellen Diskurses zu diskutieren. Viele AktivistInnen machen BürokratInnen und FunktionärInnen im Regierungsapparat direkt für die Niederlage beim Referendum im Dezember (mit)verantwortlich. Das zweitägige Treffen, das vor allem von der Nationalen Vereinigung Freier und Alternativer Medien (AMNCLA) und der Nationalen Bauernfront Ezequiel Zamora (FNEZ) organisiert wurde, endete mit der Vereinbarung, ein eigenes politisches Programm für die Weiterentwicklung des bolivarianischen Prozesses zu erarbeiten. Da die erste Wahlniederlage von Chávez im vergangenen Dezember durch die Enthaltungen der eigenen AnhängerInnen zustande kam, werden die Spannungen zwischen chavistischer Basis und FunktionärInnen auch im Hinblick auf die Wahlen im November von Bedeutung bleiben.

ABSAGE AN CHÁVEZ´ SCHNELLDURCHLAUF

Hugo Chávez hat verloren. Eine hauchdünne Mehrheit der venezolanischen WählerInnen sprach sich gegen die vom Präsidenten auf den Weg gebrachte „sozialistische Verfassungsreform“ aus. Zum ersten Mal seit der nun neunjährigen Regierungszeit des linken Ex-Generals hat er an den Urnen eine Niederlage erlitten. Die Niederlage ist weder „Anfang vom Ende des Chávez
Regimes“, wie OppositionspolitikerInnen in Venezuela glauben machen wollen. Noch ist sie einfach nur „vorläufig“ und legt Zeugnis von der „fehlenden Reife“ der Bevölkerung für den Sozialismus ab, wie Chávez die Lage der Dinge darstellt.

Es ist schwer, heute die Tragweite des Wahlergebnisses für die Zukunft des bolivarianischen Projekts gänzlich zu ermessen. Doch sicher liegt darin auch eine Chance für die (basis)demokratischen Kräfte. Zum einen wurde durch den Sieg der Opposition und die rasche Anerkennung des Wahlergebnisses durch Chávez die Mär von der Diktatur zerstört, die dem chavistischen Projekt angehängt wurde. Gebetsmühlenartig wurde die Behauptung vorgebracht, Chávez sei ein Diktator und gewinne Wahlen und Abstimmungen stets durch Manipulation und Wahlbetrug. Das ist nun widerlegt. Der viel geschmähte Wahlrat hat gezeigt, dass er ordentlich und sauber arbeitet. Ein knapper Sieg hätte hingegen unweigerlich zu massiven Wahlbetrugsvorwürfen geführt und die Polarisierung und Feindseligkeit in der Gesellschaft weiter vertieft.

Vor allem aber ist die Ablehnung der Verfassungsreform eine Chance für die basisdemokratischen Kräfte des chavismo. Denn weder die alte oligarchische noch die neue studentische Opposition war die ausschlaggebende Kraft für das „Nein“. Vielmehr waren es vor allem Teile des chavismo selbst, die dem Reformprojekt durch massive Enthaltungen eine Absage erteilten. Allein die Zahl der bisherigen AnwärterInnen auf die Mitgliedschaft in der künftigen Vereinten Sozialistischen Partei übertrifft die Zahl der VerfassungsreformbefürworterInnen um fast eine Million. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Neben inhaltlichen Bedenken über staatssozialistische Tendenzen einer „Revolution von oben“ war es sicherlich konkret die Art, wie das Reformprojekt mit für venezolanische Verhältnisse relativ wenig öffentlicher Debatte und Vermittlung abgesegnet werden sollte.

Es besteht zwar durchaus die Gefahr, dass die Abstimmungsniederlage den rechten Flügel innerhalb des chavismo stärkt, der auf mehr Hierarchie und weniger Basismacht aus ist. Wahrscheinlicher ist jedoch das Gegenteil. Es ist schließlich die linke Basis, die das chavistische Projekt trägt. Sollten es die demokratischen Kräfte an der Basis schaffen, wieder mehr Räume und Zeit für horizontale politische Debatten und Reflektion sowie für kollektive Entscheidungsprozesse zu öffnen und einzufordern, wäre viel gewonnen.

Einer der vielen Widersprüche des bolivarianischen Prozesses war seit jeher, dass der Prozess ohne die Überfigur Hugo Chávez undenkbar erschien. Nach der Verfassung von 1999 kann sich Chávez in knapp fünf Jahren nicht noch einmal zur Wahl stellen. Eine große Chance liegt daher jetzt in der Entpersonalisierung des Prozesses. Denn als emanzipatorisches Projekt kann der Bolivarianismus nur bestehen, wenn er auf basisdemokratische Strukturen baut. Auch wenn drei Millionen weniger WählerInnen ihre Stimme für die Verfassungsreform abgaben als für Chávez bei der Präsidentschaftswahl 2006: Dass die Zuhausegebliebenen in Zukunft die real existierende Opposition unterstützen, ist kaum zu erwarten. Und schon gar nicht, wenn Chávez die basisdemokratischen Strukturen ausbaut.

DISKUSSION ERWÜNSCHT

Laut Opposition wird Venezuelas Demokratie nun endgültig zu Grabe getragen. Parteien, Kirche und UnternehmerInnen wettern gegen die geplante Verfassungsreform, die sie als „Staatsstreich“, „verfassungswidrig“ und „unmoralisch“ bezeichnen. Chávez wolle sich mit ihr als absolutistischer Sonnenkönig auf seinem Thron verewigen und die BürgerInnen zu seinen bloßen UntertanInnen machen. Studierende liefern sich in allen Universitätsstädten des Landes Straßenschlachten mit der Polizei. Und obwohl die chavistische Basis massiv für die Reform mobilisiert, wird auch in den eigenen Reihen die Kritik an Chavéz derzeitigem Vorgehen lauter.
Wirft man einen nüchternen Blick auf die Inhalte der geplanten Reform von insgesamt 69 Artikeln, so ist ein widerspruchsfreies Fazit kaum möglich. Die Reform würde zugleich einen Abbau und einen Zuwachs von Demokratie ins Recht setzen: Dass der Präsident zum Beispiel künftig in die territoriale Gliederung des Landes eingreifen könnte, die Mindestzahl von Unterschriften für die Zulassung von Referenden angehoben werden könnten oder eine einfache Parlamentsmehrheit die RichterInnen des Obersten Gerichtshofs absetzen kann, stellt nicht gerade einen Fortschritt für die Demokratie dar. Andere Artikel hingegen schon. So sollen die partizipatorischen Kommunalen Räte Verfassungsrang erhalten, die Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung verboten werden und die Universitätsleitung künftig paritätisch durch Studierende, ProfessorInnen und MitarbeiterInnen gewählt werden.
Doch das eigentliche Problem liegt tiefer. Es betrifft die Art und Weise, wie das Reformprojekt regelrecht durchgepeitscht wird. Neben den Änderungsvorschlägen von 33 Verfassungsartikeln, die Chávez selbst aufgestellt hat, wurden lediglich vier Wochen vor dem Referendum am 2. Dezember noch 36 Artikel von der Nationalversammlung als Paket hinzugefügt. So bleibt kaum Zeit für öffentliche Meinungsbildungsprozesse, für Austausch und kritische Diskussion – das wirft kein gutes Licht auf ein erklärtermaßen partizipatorisches Projekt. Rund die Hälfte der Bevölkerung würde laut Umfragen die Reform heute nicht mittragen. Damit sägt Chávez selbst an der demokratischen Legitimität des „bolivarianischen Prozesses“. Die unter Chávez verabschiedete Verfassung von 1999 hingegen findet breite Akzeptanz, selbst in Oppositionskreisen.
Vor allem aber ist es schlechtes Zeichen für jedes politisches Projekt, wenn es sich keine Debatte erlauben kann oder will. Dies scheint in Venezuela derzeit der Fall zu sein. Dafür steht nicht nur das Eilverfahren, in dem die Reform verabschiedet werden soll, sondern auch die Entwicklung, dass kritische Stimmen innerhalb des chavismo als Verrat gebrandmarkt werden, anstatt zu Diskussionen anzuregen. Dass die vom Nationalen Wahlrat geplanten Fernsehdebatten aufgrund mangelnden Interesses von Chávez’ Vereinigter Sozialistischer Partei PSUV ausfallen, spricht weniger für kritisches Medienbewusstsein als vielmehr für Arroganz. Ob es sich dabei um die Arroganz einer sich selbst sicheren oder um die einer verunsicherten Macht handelt, sei dahin gestellt. Die Botschaft bleibt klar: Diskussion und Kritik sind unerwünscht.
Ein noch traurigeres Bild bietet allein die Opposition. Dieselben Leute, die seit über acht Jahren permanent vom Ende der Demokratie faseln und sie durch ihre offene oder heimliche Unterstützung des Putsches gegen Chávez 2002 beinahe tatsächlich abgeschafft hätten, sind nicht nur nicht in der Lage, mit Inhalten Politik zu machen. Sie scheinen auch schlicht unfähig, die angebliche rechnerische Mehrheit gegen die Reform dafür zu nutzen, um geschlossen für das „Nein“ an der Wahlurne zu mobilisieren.
Eine ernsthafte Debatte über die Reform scheint in der polarisierten venezolanischen Gesellschaft derzeit kaum möglich zu sein. Ohne Kritik- und Lernfähigkeit ist jedoch nicht nur jedes emanzipatorische Projekt zum Scheitern veruteilt. Eine Gesellschaft, in der KritikerInnen mehr und mehr als FeindInnen wahrgenommen werden, verspricht darüberhinaus nichts Gutes.

Mollis, Meinung und Musik

Yuan Lin macht wieder ein schlechtes Geschäft. Der größte Supermarkt der Andenstadt Mérida muss bereits den dritten Tag in Folge seine Türen geschlossen lassen. Er liegt an der Hauptverkehrsstraße Avenida Las Américas, nahe der Kreuzung, von der aus die große Brücke hinüber zum Stadtzentrum führt. In derselben Straße wie Yuan Lin befinden sich auf einer Anhöhe die geistes-, rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten der Universität der Anden ULA, einer der großen staatlichen Universitäten Venezuelas.
Autos fahren dort heute nicht. Stattdessen stürmt in gewisser Regelmäßigkeit ein Pulk Studierender den Berg hinunter, auf die Kreuzung zu. Viele zeigen offen ihr Gesicht, einige verdecken es mit ihrem T-Shirt. Manche rufen: „Wer sind wir? Studierende! Was wollen wir? Freiheit!“
Barrikaden werden angezündet, brennende Reifen rollen den Berg hinunter. Ein Regen aus Steinen, Flaschen und Molotowcocktails prasselt auf die in klarer Unterzahl an der Kreuzung postierten PolizistInnen nieder. Diese antworten mit Tränengas und Gummigeschossen. Manche werfen auch mit Steinen zurück. Anstalten, jemanden verhaften zu wollen, machen sie hingegen nicht. Die zahlreichen Schaulustigen, die sich an der Kreuzung versammelt haben, jubeln jedes Mal, wenn den Studierenden ein Treffer gelingt. Kurze Zeit später flüchten die Studierenden in Tränengaswolken gehüllt den Berg hinauf, um nach einer Ruhepause erneut hinunterzustürmen. Ein wenig erinnert das Spektakel an einen Sportevent, bei dem die Studierenden das Heimspiel austragen.
Der Event hat nicht nur in Mérida Tradition. Waren es früher vor allem linksgerichtete Studierende, die gegen konservative Regierungen und die Repression der Polizei protestierten, wehren sich die Studierenden heute gegen die von Staatspräsident Hugo Chávez und dessen AnhängerInnen geplante Verfassungsreform. Über diese wird am 2. Dezember dieses Jahres per Referendum abgestimmt. Die Reform würde Venezuela de jure als „sozialistischen Staat“ festschreiben und enthält sowohl Artikel zur Stärkung des Präsidenten als auch der partizipativen Demokratie. Die Studierenden lehnen vor allem die vorgesehene Aufhebung der Wiederwahlbeschränkung des Präsidenten ab. Zudem sehen sie die Autonomie der Universitäten in Gefahr, die es etwa der Polizei verbietet, das Universitätsgelände zu betreten.
Während sich oppositionelle Studierende und Polizei auf der anderen Seite der Brücke bekämpfen, haben sich Dutzende chavistas auf dem zentralen Platz der Stadt, der Plaza Bolívar, versammelt. Die Stimmung ist ausgelassen. Ab und zu werden Feuerwerkskörper gezündet. Aus stattlichen Boxen dröhnt der chavistische Wahlkampfhit Ahora Sí (Jetzt ja) in Endlosschleife. Das Lied klingt wie eine sozialistische Version von Matador, dem Klassiker der argentinischen Band Fabulosos Cadillacs. Wer die Plaza im Auto passiert hat keine Wahl. Quer über die Straße hängende rote Fahnen verzögern die Weiterfahrt und sämtliche Heckscheiben werden unter lautem Jubelgeschrei mit einem großen „Sí“ verschönert. Nicht wenige AutofahrerInnen zeigen sich genervt.
An der Universität geht derweil der studentische Alltag im Großen und Ganzen weiter. Das Universitätsgelände wirkt wie eine große Parkanlage. Die Wege sind von blühenden Bäumen gesäumt, Vögel zwitschern und mehrere Gärtner kümmern sich um das Grün. Nur die vielen Plakate, die zum Widerstand gegen die Verfassungsreform aufrufen, erinnern daran, dass nicht allzu weit entfernt der Ablehnung der Reform mit Steinen Nachdruck verliehen wird. Im Café sitzen Studierende, die Fruchtshakes und Kaffee trinken, an der universitätseigenen Plaza Bolívar werden Mobiltelefone vermietet.
„Die Reform? Im Prinzip enthält die Reform auch gute Sachen“, erklärt José, der an der ULA gerade sein Jurastudium abschließt. „Den informell Beschäftigten Zugang zum Sozialversicherungssystem zu gewähren zum Beispiel. Aber gerade der Artikel 230, der die unbeschränkte Wiederwahl des Präsidenten ermöglicht, das ist nicht gut in einem Präsidialsystem.“
Der Kriminologie-Student Nils ist anderer Meinung. „Was die Amtszeit des Präsidenten angeht, finde ich, er sollte so lange an der Macht bleiben, wie die Bevölkerung es will. Denn sie entscheidet hier, nicht einfach nur eine Elite“, sagt der 21-Jährige, der das chavistische Projekt gegen eine oppositionelle Mehrheit an der Uni verteidigt. „Die Studierenden sollten in die Barrios und in die Dörfer gehen, anstatt die Avenida Las Américas zu blockieren. Die Gewalt führt nur zu immer mehr Polarisierung. Was fehlt, ist eine Debatte zwischen beiden Seiten“, fügt er hinzu.
Die Jurastudentin Leonie hingegen sieht durch die Reform nicht nur für die Universitäten des Landes Nachteile: „Ich bin der Meinung, die Verfassungsreform ist vollkommen verfassungswidrig und verletzt natürliche Rechte. Außerdem wird sie die universitäre Autonomie abschaffen“. Leonardo wiederum unterstützt die Reform als überzeugter Chavist. Er habe den Text zwar nicht komplett gelesen, da er „kein Politiker“ sei, unterstütze aber den Prozess im Land und die geplanten Änderungen. „Mit der Reform wird die Stimme der Studierenden ebensoviel zählen wie die der Professoren. Das ist für mich Demokratie. Deshalb Sí, Sí, Sí zur Reform“, sagt der Sportstudent und lacht.
Später am Abend erinnern auf der Kreuzung nur noch Brandflecken und notdürftig zur Seite gekehrte Flaschen und Steine an die gewaltsamen Auseinandersetzungen vom Nachmittag. Die Polizei hat sich zurückgezogen. Die lange Wand gegenüber vom Yuan Lin, die bis dahin mit sozialistischen Parolen versehen war, wird gerade von Studierenden weiß überstrichen und anschließend mit dem Schriftzug „No a la reforma“ bepinselt.
Wenige Blocks entfernt befindet sich die Nobeldisko La Cucaracha, die von chavistas in der Regel gemieden wird. Hier sollen die Veteranen des venezolanischen Ska, Desorden Público (Öffentliche Unordnung), auftreten, die mit ihren sozialkritischen Texten eher im linken Spektrum anzusiedeln sind. Vor der Diskothek stehen zwei Damen mit blond gefärbten Haaren, die hautenge Anzüge tragen, auf denen in großen Lettern der Schriftzug einer Brauerei prangt. Das Innere erinnert an eine Mischung aus Großraumdisko und Sportbar. Auf Großbildschirmen laufen den ganzen Abend Surfvideos, von der Decke hängen Rennwagen und die weiblichen Gäste sehen aus, als würden sie an einem Schönheitswettbewerb teilnehmen anstatt ein Ska-Konzert zu besuchen. Die ohrenbetäubende Reggaeton – Musik wird vom DJ gelegentlich für kurze Werbepausen unterbrochen: „Regional – das Bier, das den Ton angibt“.
Mit den ersten Gitarrenklängen der Band gehen unzählige Fotohandys in die Luft. Nur auf den Zehenspitzen lässt sich ein Blick auf die Musiker erhaschen. Nach einigen Liedern ruft der Sänger ins Mikrofon: „Wir sind Desorden Público und wir haben gehört hier in Mérida gibt es auch jede Menge öffentliche Unordnung!“ Die Menge jubelt. Und zu dem Ska-Beat der grinsenden Band darf nun die dort versammelte Oberschicht den Sprechchor „Se va caer, se va caer, este gobierno se va caer“ anstimmen. Das bedeutet in etwa so viel wie „Wir werden diese Regierung stürzen“.
Am nächsten Morgen bleibt es auf der Kreuzung friedlich – samstags scheinen auch hier die Studierenden ihr Wochenende genießen zu wollen. Stattdessen beansprucht ein hupender Autokorso die Straßen für sich. Rote Fahnen, Chávez-Poster und das obligatorische „Sí“ prägen das Bild. Die meisten Wagen sind überfüllt und selbst im Kofferraum sitzen gut gelaunte chavistas. Doch in einen älteren Jeep kann man noch zusteigen. Vorne sitzen Carlos und Miguel, beide um die fünfzig Jahre alt und in revolutionäres Rot gekleidet. Im Radio wird live vom parallel zum Iberoamerikanischen Gipfel stattfindenden „Gipfel der Völker“ in Santiago de Chile berichtet. Erst spricht der nicaraguanische Präsident Daniel Ortega. Dann schließlich, Carlos und Miguel jubeln, ist Comandante Chávez an der Reihe. Er lässt die Menge ein „Viva“ auf Salvador Allende rufen, den sozialistischen Präsidenten Chiles, der 1973 beim Putsch von General Pinochet ums Leben kam.
Von den beiden Autoinsassen erfährt man nur wenig über ihre Motivation, die Verfassungsreform zu unterstützen. „Venezuela ist ein reiches Land, mit all dem Öl. Doch gleichzeitig gibt es so viele Arme hier. Das kann doch nicht sein“, erklärt Carlos. Er entpuppt sich als Mitarbeiter im Justizministerium, während Miguel stolz verkündet, er sei Musiker und arbeite zudem an der Universität.
Langsam nur bewegt sich der Autokonvoi über die Straßen vorwärts. Von draußen schallt laute Musik durch die weit geöffneten Fenster, immer wieder werden alte compañer@s in den anderen Wagen gegrüßt. Im Radio erzählt Chávez, die Opposition in Bolivien bezeichne Staatspräsident Evo Morales als „kleineren“ und ihn selbst als „größeren Affen“. „Was wird dann wohl Fidel sein?“, fragt er in Anspielung auf den kubanischen Staatschef und hat auch gleich die Antwort parat: „Der Oberaffe“. Carlos und Miguel brüllen vor Lachen.
Aus der chavistischen Blechlawine ist mittlerweile ein beachtlicher Stau erwachsen. Leute steigen aus ihren Wagen und tanzen Salsa auf der Straße. Andere versorgen sich am Straßenrand mit Bier oder Rum. „Unsere Revolution ist friedlich“, sagt Miguel, während er sich ein Bier aufmacht, „und voll von guter Laune. Wir werfen keine Steine wie die Studierenden“. Scheinbar unerwartet klingelt im Radio Chávez‘ Mobiltelefon. Sein guter Freund und Genosse Fidel Castro ist am Apparat. Da der Lautsprecher des Telefons versagt, lässt Chávez Grüße an die Versammelten ausrichten.
Nach mehreren Stunden erreicht der Autokorso schließlich sein Ziel, das moderne Fußballstadion im Süden Méridas. Von einer Brücke bietet sich ein Blick auf die endlos scheinende Schlange rot geschmückter Fahrzeuge, die sich im Schritttempo dem Stadion nähert. Vor dem Eingang steht Florencio Porras, der mit einem roten Hemd bekleidete chavistische Gouverneur von Mérida, und schüttelt Hände.
Der Weg zurück ins Zentrum führt wieder über die Kreuzung. Die Mauer gegenüber von Yuan Lin scheint eine heiß begehrte Werbefläche zu sein. Mittlerweile sind die Sprüche der Opposition wieder mit großen roten „Sí“ übermalt worden. Im Supermarkt stopfen sich die Kunden die Einkaufswagen mit vorwiegend importierten Waren voll. Niemand weiß, wie oft das in den nächsten Wochen noch möglich sein wird.

Reform ohne Debatte

Langsam wird es zur Routine. Am 2. Dezember dieses Jahres werden die VenezolanerInnen wieder einmal zur Wahlurne gerufen. Die Bevölkerung ist dieses Mal aufgefordert, ihre Zustimmung oder Ablehnung zur Reform von insgesamt 69 Verfassungsartikeln kundzutun. Der venezolanische Präsident Hugo Chávez hatte bereits kurz nach seiner Wiederwahl im vergangenen Dezember angekündigt, die Verfassung reformieren zu wollen.
Dazu schlug er im August 33 Artikel zur Änderung vor, um den Weg zum angestrebten bolivarianischen Sozialismus zu ebnen (siehe LN 399/400). Die Nationalversammlung fügte anschließend weitere 36 Artikel hinzu. Da das Parlament aufgrund des Wahlboykotts der Opposition 2005 ausschließlich mit AnhängerInnen von Staatspräsident Chávez besetzt ist, wurde die Reform beinahe einstimmig durchgewunken. Bei 161 Ja-Stimmen enthielten sich lediglich die sechs Abgeordneten der sozialdemokratischen Partei Podemos, die der Regierung mittlerweile kritisch gegenübersteht. Deren Generalsekretär Ismael García bezeichnete die Reform gar als „Staatsstreich gegen die bestehende Verfassung“. Die Reform enthält sowohl Artikel, die den Präsidenten stärken, als auch solche, die die partizipative Demokratie ausweiten. Es wird in zwei Blöcken abgestimmt werden (siehe Kasten).
Sämtliche Oppositionsparteien, die katholische Kirche, Unternehmerverbände sowie zahlreiche Universitätsrektoren und Studierende laufen Sturm gegen die geplante Verfassungsreform. Sie befürchten vor allem eine Konzentration der Macht beim Präsidenten sowie eine Einschränkung der politischen und unternehmerischen Freiheiten durch die Festschreibung Venezuelas als „sozialistischer Staat“. Mehrere tausend AnhängerInnen der Oppositionsparteien hatten am 3. November mit einer Demonstration ihren Wahlkampf für das „Nein“ beim Referendum begonnen. Der ehemalige Präsidentschaftskandidat Manuel Rosales verkündete: „Ab heute werden wir auf den Straßen sein, weil wir nicht erlauben werden, dass Venezuela kubanisiert wird.“
Laut Umfragen könnte die Opposition zwar das Referendum für sich entscheiden, da die Mehrheit der Bevölkerung die Reform ablehnt. Innerhalb der Opposition gibt es jedoch Stimmen, die nicht explizit zum Urnengang aufrufen. Daher wird sich die Ablehnung der Reform vermutlich in Nein-Stimmen und Enthaltungen aufteilen. Somit könnte trotz der historischen Chance für die Opposition am 2. Dezember dennoch das „Ja“ triumphieren. Wie schon bei den Demonstrationen gegen die Nichtverlängerung der offenen Sendelizenz des oppositionellen Fernsehsenders RCTV vor einem knappen halben Jahr, gehen die Proteste vor allem von oppositionellen Studierenden aus der Mittel- und Oberschicht aus.
Doch auch die RegierungsanhängerInnen betreiben massiv Wahlkampf und veranstalten Kundgebungen und Demonstrationen, um für das „Ja“ beim Referendum zu werben. Der chavistische Wahlkampfauftakt am 4. November begann ebenfalls mit einer Großdemonstration. Über 100.000 Menschen waren dem Aufruf der sich in Gründung befindlichen Vereinigten Sozialistischen Partei (PSUV) gefolgt und zogen durch die Innenstadt der Hauptstadt Caracas. „Ahora Sí“ (Diesmal Ja) lautete die Parole für die RegierungsanhängerInnen in ihren roten T-Shirts, die nahezu die gesamte 1,3 Kilometer lange Avenida Bolívar ausfüllten.
Die Demonstration endete mit einer dreistündigen Ansprache von Hugo Chávez, in der er seine Anhängerschaft auf den bevorstehenden Wahlkampf einschwor. Zudem warnte der Präsident vor Destabilisierungsversuchen seitens der Opposition. „Sie versuchen das Land zu entzünden, sie rufen öffentlich zur Missachtung der Institutionen und Gesetze auf, sie beschwören einen Putsch herauf und füllen die Straßen mit Gewalt“, sagte Chávez. In Richtung der Studierenden wetterte er: „Wir dürfen nicht erlauben, dass diese Muttersöhnchen, diese reich geborenen Kinder, die mit einem Silberlöffel im Mund zur Welt kamen, die Straßen von Caracas zerstören”.
Mit dieser Diffamierung spielte er auf eine Demonstration drei Tage zuvor an. Einige tausend Studierende waren zum Nationalen Wahlrat (CNE) gezogen, wo es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei kam. Von Chávez‘ Verbalattacke zeigten sie sich wenig beeindruckt. „Wir Studierenden handeln, wie es sich gebührt, um unsere Zukunft und unsere Würde zu retten. Aber der Rest der VenezolanerInnen muss dasselbe tun“, sagt Yon Goicochea, einer der Studierendensprecher, der an der Katholischen Universität Andrés Bello (UCAB) studiert.
In allen Universitätsstädten finden fast täglich Proteste statt. Dabei stoßen oppositionelle Studierende nicht nur mit der Polizei, sondern auch mit chavistischen KommilitonInnen zusammen. Den traurigen Höhepunkt der Gewalt stellten die bisher unaufgeklärten Ereignisse im Anschluss an eine oppositionelle Studierendendemo zum Obersten Gericht am 7. November dar, die mit insgesamt neun Verletzten endete. Ersten Medienberichten zufolge seien von der Demo zurückkehrende Studierende auf dem Gelände der Zentraluniversität Venezuelas (UCV) in Caracas von bewaffneten chavistas auf Motorrädern attackiert worden. Die Angreifer hätten sich schließlich in der als chavistischen Hochburg innerhalb der UCV bekannten Schule für Sozialarbeit verschanzt.
Dieser Version der Geschehnisse wurde allerdings von zahlreichen ZeugInnen widersprochen. Die chavistische UCV-Studentin Andreína Tarazón berichtete: „Wir hängten gerade Poster zur Unterstützung des ‚Sí‘ auf, als sie uns mit Tränengasbomben attackierten“. Oppositionelle Studierende hätten die Schule für Sozialarbeit umstellt und versucht, diese anzuzünden. Zu diesem Zeitpunkt hätten sich 123 Menschen innerhalb des Gebäudes befunden, zu deren Befreiung dann Motorradfahrer mobilisiert worden seien.
Die starke Polarisierung der Gesellschaft zeigt sich wieder einmal vor allem dadurch, dass Grautönen in der politischen Schwarz-Weiß-Malerei kein Platz eingeräumt wird. Wer sich innerhalb des Chavismus gegen die Reform ausspricht, muss mit harscher Kritik rechnen. Die Partei Podemos, welche die Verfassungsreform als einzige Partei der Chávez-Koalition nicht mittragen will, gibt zwar an, die Revolution weiterhin unterstützen zu wollen, wird von Chávez aber öffentlich als Oppositionspartei beschimpft.
Selbst Raúl Isaías Baduel, ehemaliger Verteidigungsminister und jahrzehntelanger enger Weggefährte von Chávez, musste für seine Kritik an der Reform scharfe Anfeindungen einstecken. Er hatte zu Beginn des Wahlkampfes eine Pressekonferenz gegeben, in der er die Reform ebenfalls als „Staatsstreich” bezeichnete und sich für ein Nein an der Wahlurne aussprach. Viele chavistas sehen darin einen taktischen Zug, um eine eigene politische Karriere vorzubereiten, da Baduel 18 Tage vorher noch öffentlich für das „Sí“ geworben hatte. Chávez bezeichnete Baduels Rede als „Verrat an sich selbst“, erkannte aber dessen Leistungen für den „Revolutions“-Prozess an. Bei dem Putsch gegen Chávez im April 2002 war Baduel die militärische Schlüsselfigur bei der Wiederherstellung der verfassungsmäßige Ordnung und Befreiung Chávez‘ aus der Gefangenschaft. 1983 gehörte Baduel zusammen mit Chávez zu den Gründungsmitgliedern der MBR-200, jener klandestinen Gruppe innerhalb des Militärs, aus der später die chavistische Massenbewegung hervorging.
Während einer Wahlkampfrede im Bundesstaat Anzoátegui machte Chávez indes klar, wie er das Wahlergebnis zu interpretieren gedenkt. Wer gegen die Reform stimme, tue das „gegen die Fortsetzung der Revolution, und wer mit Ja stimmt, der tut das für Chávez“. Dass in diesem polarisierten Klima keine Debatte über die Vor- und Nachteile der Reform stattfinden kann, verwundert nicht. Auch die vom Nationalen Wahlrat (CNE) geplanten Fernsehdebatten wurden abgesagt. Von der Sozialistischen Partei PSUV war zu den Vorgesprächen niemand erschienen.

Kasten:
Die wichtigsten Vorschläge der Verfassungsreform

Block A:
Aufhebung der Wiederwahlbeschränkung und Verlängerung der Amtsperiode des Präsidenten auf sieben Jahre, Möglichkeit des Präsidenten zur territorialen Neugliederung, Festschreibung der Wochenarbeitszeit auf 36 Stunden, Verfassungsrang für Kommunale Räte und Sozialmissionen, Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre, Abschaffung der Unabhängigkeit der Zentralbank, Einführung neuer Formen kollektiven und sozialen Besitzes, Sozialversicherungsschutz für Beschäftigte im informellen Sektor, Verbot von Latifundien und Monopolen.

Block B:
Einschränkung der Informationsfreiheit bei Ausrufung eines nationalen Notstands, Verbot von Diskriminierung auf Grund sexueller Orientierung, Anhebung der Mindestzahl von Unterschriften für die Initiierung eines Referendums durch die Bevölkerung, paritätische Wahl universitärer Ämter durch Studierende, Lehrende und MitarbeiterInnen, Möglichkeit der Absetzung der Obersten RichterInnen durch einfachen Mehrheitsentscheid des Parlaments.

Verfassungsrang für die Volksmacht

Venezuelas Präsident Hugo Chávez hat Mitte August seinen Entwurf zur Verfassungsreform vorgelegt. Das Parlament hat ihm in der ersten Lesung einmütig zugestimmt. Wird der Entwurf auch diskutiert?

Sicher. In Venezuela hat sich eine sehr interessante Debatte um den Entwurf entwickelt. Parlament und Außenministerium führen eine Kampagne unter dem Titel „Die Schlacht um die Wahrheit“, um in In- und Ausland über die Verfassungsreform aufzuklären.

Was steht in deren Zentrum?

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die per Volksabstimmung angenommene Verfassung von 1999 bleibt in Kraft, lediglich 33 von 350 Artikeln werden modifiziert und wieder zur Volksabstimmung vorgelegt. Das Grundanliegen besteht darin, die Macht des Volks zu stärken. Die Erfahrungen der ersten acht Jahre der bolivarianischen Revolution sollen in die Verfassung eingebracht werden. In den letzten Jahren wurde den Menschen an der Basis immer mehr Verantwortung übertragen, das politische Bewusstsein wurde geschärft. Die Gemeinden sollen die Entscheidungen für sich selbst treffen. Diese Volksmacht soll nun Verfassungsrang erhalten.

Was bedeutet das für die bestehenden staatlichen Strukturen?

Der Staatsapparat mit seinen fünf Gewalten – Judikative, Legislative, Exekutive plus die moralische und die Wahlmacht – bleibt erhalten. Dazu wird die Volksmacht als wichtigste aller Gewalten etabliert.

Über welche Organe verfügt diese Volksmacht?

Über ein ganzes Bündel, angefangen von den Kommunalen Räten, Nachbarschafts- und Gesundheitskomitees über Volksbanken bis hin zu weiteren Basiskomitees wie den Energiekomitees.

Wie verhalten sich die neuen zu den alten Organen?

Beide Ebenen sind miteinander verknüpft, die neuen Organe existieren ja schon eine ganze Weile. Neu ist, dass sie Verfassungsrang erhalten. So werden Entscheidungsbefugnisse für die neuen Organe festgelegt, die auch für die alten bindend sind. Missionen wie die Misión Robinson (Alphabetisierung – Anm. d. Red.) oder die Misión Barrio Adentro (Kubanische Ärzte in die Armenviertel), die als Sofortmaßnahme der Regierung gebildet wurden, um die unmittelbaren Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen, bekommen ebenfalls Verfassungsrang und werden als alternative Strukturen verankert. So wird eine neue Form der alternativen öffentlichen Verwaltung fest etabliert. Ein anderer wichtiger Aspekt der Verfassungsreform betrifft die Wirtschaft, so zum Beispiel die Rückgewinnung der Souveränität über die Zentralbank, die seit 1992 infolge eines Beschlusses der Regierung von Carlos Andrés Pérez völlig autonom agierte, weil der Internationale Währungsfonds das verlangte.

Gibt es Zweifel an der Zustimmung zur Verfassungsreform im Parlament oder beim Referendum?

Im Parlament folgen noch zwei Lesungen. Ansonsten wird der Verfassungsentwurf in der Gesellschaft diskutiert. Das letzte Wort hat das venezolanische Volk beim Referendum am 2. Dezember. Wir rechnen mit der Zustimmung.

In der deutschen Linken wird darüber diskutiert, ob die Stärkung des Präsidenten – Sondervollmachten, unbeschränkte Möglichkeit der Wiederwahl – dem Anspruch der partizipativen Demokratie entspricht. Wie sehen Sie das?

Der Präsident wird durch das Volk gestärkt, er wird durch das Volk gewählt und wiedergewählt. Das ist demokratisch. Die bolivarianische Revolution ist einig darin, dass Chávez den Prozess anführen soll. Es gibt keine Person, die ihn ersetzen könnte.

Liegt darin nicht eine Gefahr, wenn der Prozess so stark an einer Person hängt?

Attentate sind nie gänzlich auszuschließen. Wenn etwas dergleichen passiert, droht ein Bürgerkrieg. Der Frieden in Venezuela wird durch
Chávez garantiert. Das ist sicher.

Und was ist mit der Kritik am Allmachtstreben von Chávez?

Es stimmt nicht, dass Chávez Macht anhäuft. Die Möglichkeit der Wiederwahl bestand schon in der alten Verfassung. Die Änderung besteht darin, dass der Präsident nun das Recht hat, sich unmittelbar zur Wiederwahl zu stellen und nicht erst nach einer Wahlperiode. Aber das Volk entscheidet, ob es ihn wiederwählt oder nicht. Wir sind sicher, dass Chávez noch eine Periode weitermacht, aber die Entscheidung trifft die Bevölkerung. Das ist doch Partizipation. Und daneben gibt es die Kommunalen Räte, die Basiskomitees, die Möglichkeit des Abberufungsreferendums. Das Volk hat alle Möglichkeiten, als Protagonist der partizipativen Demokratie zu agieren.

Auf wenig Verständnis in Teilen der deutschen Linken stößt auch der enge Schulterschluss von Hugo Chávez mit dem iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad, der unter anderem Israel das Existenzrecht abspricht, an der Todesstrafe festhält und die Opposition mit Gewalt unterdrückt. Wird die iranische Revolution wirklich als Bruderrevolution der bolivarianischen gesehen?

Venezuela ist ein souveräner Staat und jeder souveräne Staat hat das Recht, mit jedem Staat Beziehungen zu unterhalten, mit dem es ihm beliebt. Es kann nicht angehen, dass die USA für die Welt definieren, wer gut und wer böse ist. Der Irak ist böse, wurde mit Krieg überzogen und zerstört. Die venezolanische Außenpolitik ist darauf ausgerichtet, noch mehr Krieg zu verhindern. Deswegen unterhält Venezuela auch Beziehungen zum Iran, einem weiteren potenziellen Kriegsziel der USA. Im Sinne der Kriegsvermeidung betrachten wir den Iran als Verbündeten.
Beziehungen zu unterhalten ist das eine, von einer Bruderrevolution zu sprechen das andere. Das letztere stößt auf Unverständnis.
Es gibt Teile der Linken, die einfach etwas suchen, um argumentativ irgendetwas gegen Chávez in der Hand zu haben. Das ist Heuchelei. Da werden politische Differenzen über Vorwände ausgetragen. Jede Revolution ist einzigartig. Die kubanische Revolution hat ihre Besonderheit, die iranische ebenso und auch die bolivarianische Revolution ist einzigartig. Unser Modell unterscheidet sich von allen anderen. Aber zweifellos hat Präsident Chávez ein sehr gutes Verhältnis zu Ahmadinedschad. Doch er hat auch ein gutes Verhältnis zu Uribe, zu Putin, zu Sarkozy. Wenn er Sarkozy umarmt, ist es gut, wenn er Ahmadinedschad umarmt, ist es schlecht. Was ist das für eine Logik? Venezuela respektiert alle anderen Staaten, respektiert ihre Souveränität, bemüht sich um gute bilaterale Beziehungen, um so seinen Beitrag für den Frieden in der Welt zu leisten. Das ist das Grundprinzip unserer Außenpolitik.

Und welche zentralen Herausforderungen sehen Sie in der Innenpolitik in den kommenden fünf Jahren?

Es gibt viele. Die vordringlichste Aufgabe besteht darin, die Armut abzuschaffen. Wir haben uns wie alle Staaten den Millenniumsentwicklungszielen zur Armutsbekämpfung verpflichtet und wir sind davon überzeugt, dass wir sie erreichen werden. Für uns ist außerdem wichtig, dass die Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage mit einer Vertiefung der Demokratie einhergeht, die die Partizipation der Bevölkerung stärkt. Mit einer verstärkten Partizipation glauben wir auch den Schlüssel für eine erfolgreiche Armutsbekämpfung zu haben, denn die Armen wissen selbst am besten, was sie brauchen, um der Armut zu entkommen.

Chávez bringt Verfassung in Form

Das kleine blaue Büchlein genießt in Venezuela so etwas wie Kultstatus. An beinahe jeder Straßenecke kann man es für wenig Geld erwerben und nicht wenige VenezolanerInnen tragen es ständig bei sich. So auch Hugo Chávez: ob während Interviews, Reden oder seiner eigenen TV-Show „Aló Presidente“. Häufig verweist der venezolanische Präsident auf dieses Werk und versucht dessen Bedeutung dadurch zu untermauern, dass er es aus der Tasche zieht und den ZuschauerInnen präsentiert. In diesem Büchlein steht die Verfassung Venezuelas, die 1999 in einem Referendum angenommen wurde. Die Stellung des Präsidenten wurde gestärkt, gleichzeitig aber auch die politischen Partizipationsmöglichkeiten der Bevölkerung enorm ausgebaut. Besonders aufgrund ihres Entstehungsprozesses ist die Verfassung den meisten Venezolanerinnen bekannt und genießt bei der Mehrheit der Bevölkerung hohes Ansehen. An runden Tischen und Workshops wurde sie damals unter anderem von Menschenrechts-, Frauen-, Umwelt-, Indigenen-, Basis- und Stadtteilorganisationen diskutiert. Von 624 auf diese Weise entstandenen Vorschlägen wurde etwa die Hälfte in die neue Verfassung aufgenommen, wobei die Frauen- und Indigenenorganisationen nahezu alle ihre Forderungen durchsetzen konnten.
Chávez will die Verfassung nun, wie bereits Anfang des Jahres angekündigt, einer umfassenden Reform unterziehen. Am 15. August präsentierte er seinen Vorschlag vor der Nationalversammlung. Insgesamt 33 der 350 Verfassungsartikel sollen geändert werden, um Venezuela den Weg zum „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ zu ebnen. Unter anderem sollen im informellen Sektor arbeitende Menschen in Zukunft Ansprüche auf Sozialleistungen erhalten, der Arbeitstag bei vollem Lohnausgleich von acht auf sechs Stunden reduziert, Monopole und Großgrundbesitz verboten und die Autonomie der Zentralbank abgeschafft werden. Neben staatlichem und privatem soll es außerdem soziales, kommunales und gemischtes Eigentum geben. Chávez verteidigt hierbei energisch die Beibehaltung von Privateigentum, dessen Abschaffung seiner Meinung nach zum Scheitern anderer Revolutionen, wie der sowjetischen oder sandinistischen in Nicaragua beigetragen habe. Der Entwurf sagt allerdings nichts darüber aus, wo juristisch die Trennlinien für die verschiedenen Eigentumsformen verlaufen sollen. Als weitere wichtige Neuerung sollen die Kommunalen Räte, die auf kommunaler Ebene eigenständig über Finanzmittel verfügen, als staatliche Organe Verfassungsrang erhalten. Damit hätten sie Anspruch auf einen Teil des Staatshaushalts. Chávez kündigte an, ab nächstem Jahr fünf Prozent des Geldes direkt an die Räte auszuzahlen.

Die Opposition verurteilt die geplante Reform fast einstimmig als Weg zum „Castro-Kommunismus“ und lief bereits Sturm gegen die geplante Reform, bevor Chávez die Details überhaupt bekannt gegeben hatte. Im Zentrum der Kritik steht das von Chávez bereits vor einem Jahr angekündigte Vorhaben, für das Präsidentenamt die unbegrenzte Wiederwahl einzuführen und die Amtszeit von sechs auf sieben Jahre zu erhöhen. „Das ist der Versuch eines Staatstreiches“, kommentierte Manuel Rosales, Ex-Präsidentschaftskandidat aus der Oppositionspartei UNT (Eine Neue Zeit) und Gouverneur des Bundesstaates Zulia. Er beschimpfte Chávez als „Lügner“ und warf ihm vor, die Menschen zu täuschen, indem er die Einführung der unbegrenzten Wiederwahl hinter populistischen Maßnahmen verstecke, die keine Verfassungsreform erforderten. Carlos Ocariz von der rechten Partei Primero Justicia sagte, mit diesem Vorschlag habe Chávez „die Maske fallen lassen“.

Der Opposition ist in erster Linie daran gelegen, die mögliche Wiederwahl zu verhindern. Sie stellt das Vorhaben meist so dar, als sichere sich Chávez durch die Reform eine Präsidentschaft auf Lebenszeit. Das über eine Weiterführung des Mandats allerdings jeweils die WählerInnen entscheiden, wird dabei bewusst unter den Tisch gekehrt. Der Hintergrund ist, dass die Opposition in Venezuela derart diskreditiert ist, dass sie auf absehbare Zeit wohl kaum in der Lage sein wird, eine demokratische Präsidentschaftswahl gegen einen Kandidaten Chávez zu gewinnen. Sie setzt darauf, dass sich mit der Verhinderung einer weiteren Amtszeit von Chávez auch die Weiterführung seines politischen Projektes verhindern lässt. Sie fordert daher auch, über jeden Artikel einzeln und nicht wie geplant als Block abstimmen zu lassen. Parlamentspräsidentin Cilia Flores wies diese Forderung vehement zurück und betonte, dass es sich um einen „organischen Vorschlag“ handele, „wo alle Artikel miteinander in Verbindung stehen“.

Bereits im Dezember soll ein Referendum stattfinden, nachdem das Parlament in drei Sitzungen über das Projekt abgestimmt hat. In den ersten beiden dieser Sitzungen wurde das Vorhaben bereits abgesegnet, die dritte soll Ende Oktober stattfinden. Überraschungen sind nicht zu erwarten, da die Opposition aufgrund ihres Wahlboykotts 2005 nicht im Parlament vertreten ist. Innerhalb der chavistischen Parteien gibt es aber durchaus Unstimmigkeiten. Die kleineren Parteien Podemos und PPT kritisieren den Zeitplan für die Verabschiedung der Reform als zu straff. „Der Präsident hat das Projekt sechs Monate lang studiert, um es der Nationalversammlung zu präsentieren, also kann das ganze Land es nicht innerhalb von weniger als drei Monaten analysieren“, sagte der Podemos-Abgeordnete Ismael Garcia. Dass sich an dem Zeitplan noch etwas ändert, ist allerdings unwahrscheinlich.

Der Text der 33 Änderungsvorschläge wurde mitt­lerweile im ganzen Land verteilt und die Diskussionen haben schon begonnen. Chavistas und Oppositionelle werben auf der Straße bereits massiv für, beziehungsweise gegen die Reform. In den nächsten Monaten wird in Venezuela also mal wieder energisch über die politische Ausrichtung des Landes diskutiert werden.

Die inhaltliche Reform garniert Chávez wie so häufig auch mit revolutionärer Symbolik: Künftig soll die Verfassung nach dem Willen des Staatschefs nicht mehr in blau, sondern als rotes Büchlein verkauft werden, in der Farbe der chavistas.

Mit voller Kraft zum Sozialismus

Caracas am frühen Abend. Auf den palmenbesäumten Straßen rund um die U-Bahn-Station Altamira staut sich der Verkehr. Auffällig viele Taxis und teure Geländefahrzeuge ziehen sich an riesigen Shopping-Malls vorbei oder an luxuriösen Apartmentblocks, die von hohen Mauern mit Elektrodrähten umzogen sind. Die zahlreichen Cafés und Restaurants sind überfüllt. In den Supermärkten, wo die KundInnen mit gezückter Kreditkarte und randvoll gefüllten Einkaufswagen geduldig vor den Kassen ausharren, ist der Kaufrausch ausgebrochen. Vom Sozialismus des 21. Jahrhunderts, den die Regierung ansteuert, fehlt jede Spur.
Nur wenige U-Bahn-Stationen weiter, am Capitolio, ist das anders. Dort tagt das venezolanische Parlament, in dem seit dem Wahlboykott der Opposition Ende 2005 nur noch AnhängerInnen des Präsidenten Hugo Chávez sitzen. „Vaterland, Sozialismus oder Tod!“ heißt es hier martialisch auf einem quer über der Straße hängenden Transparent. Oder: „Mahmud Ahmadinedschad, Präsident des Iran, du bist willkommen! Das rebellische Caracas steht auf deiner Seite.“ Solche Parolen sind vermutlich im Präsidentenpalast Miraflores erdacht worden, der von hier zehn Minuten zu Fuß entfernt liegt. Gleich hinter dem Amtssitz des Präsidenten wächst bereits das Armenviertel 23 de Enero die grünen Hänge hinauf.

Die Sierra Maestra von Caracas

Die U-Bahn steuert dieses Viertel von der Station Capitolio aus an. Sie verlässt dort die unterirdischen Tunnelgewölbe und gibt den Blick auf müllübersäte Hänge, schäbige Baracken und riesige Wohnblöcke frei. Nach einem Stopp ist 23 de Enero erreicht. Klapprige Busse und wild hupende Kleintransporter, die den Nahverkehr abwickeln, prägen das Straßenbild. Gelegentlich drängen sich schrottreife, verbeulte Limousinen dazwischen, die schwarze Rauchsäulen hinter sich herziehen. Wieviel Sprit sie verbrauchen, kümmert ihre FahrerInnen nicht, denn ein Liter Benzin kostet in etwa soviel wie ein Kaugummi. Reiseführer raten TouristInnen dringend davon ab, dieses Viertel zu besuchen. Doch wer sich dafür interessiert, wie es um die bolivarianische Revolution bestellt ist, sollte lieber hier aussteigen als in Altamira.
Bereits eine kurze Fahrt mit dem Kleinbus zeigt, dass 23 de Enero eine linke Hochburg ist: Wandmalereien verdammen den US-Imperialismus, das berühmte Portrait des Comandante Che Guevara ziert unzählige Mauern und Hauswände. Links zieht die Sierra Maestra vorbei, einige Wohnblöcke, die nach dem Gebirge benannt wurden, von dem die kubanische Revolution ihren Ausgang nahm. Fidel Castro selbst weihte diese Blöcke 1959 ein. Der gesamte Stadtteil verdankt seinen Namen dem 23. Januar 1958, als nach dem Sturz des Diktators Marco Pérez Jiménez neu errichtete Wohnblöcke einfach von der Bevölkerung besetzt wurden.
Inzwischen sind die über 50 Blocks im Viertel, die Pérez Jiménez als Sozialbauten errichten ließ, ein wenig heruntergekommen. Der Putz an den Fassaden bröckelt, und der Rost hat in die dicken Abfallrohre, die an den Außenwänden nach unten führen, riesige Löcher gefressen. Da die BewohnerInnen der oberen Etagen ihren Müll ungeachtet dessen durch diese Rohre nach unten befördern, landen Berge von Unrat nicht in den dafür vorgesehenen Behältern, sondern direkt auf der Straße. Die Angestellten der städtischen Müllabfuhr kümmert das nicht. Sie durchkreuzen das Viertel an diesem Tag in nagelneuen Transportern, auf denen in großen Lettern für die bolivarianische Revolution geworben wird, doch sie leeren nur die Müllbehälter.

Die Ingenieure der Revolution

Die Fenster einiger Wohnblöcke sind bis in die oberen Etagen vergittert. Wären da nicht überall bunt behängte, an den Gitterstäben festgezurrte Wäscheleinen, würden die Gebäude an Gefängnisse erinnern. Auf den Dächern einiger Blocks stehen großflächige Werbetafeln. Links wirbt der Toyota-Konzern für seine Produkte, und gegenüber heißt es: „Auf dem Weg zum bolivarianischen Sozialismus. 23 de Enero zündet die Motoren.“ Doch so wenig Toyota seine Karossen für die Reise in den Sozialismus zur Verfügung stellen wird, so wenig sitzen die Ingenieure der Revolution, die an diesen – insgesamt fünf – Motoren tüfteln, in 23 de Enero. Zum ersten Motor hat Chávez nämlich seine umstrittene Vollmacht erklärt, mit Gesetzesdekreten am Parlament vorbeiregieren zu können. Als zweiter Motor gilt eine Verfassungsreform, die das Gerüst des sozialistischen Rechtsstaats schaffen soll. Der dritte Motor steht für eine Erziehung zu neuen Werten und der vierte für die geografische Neuordnung des Landes. In 23 de Enero wird vor allem am letzten Motor auf Hochtouren gearbeitet: der „Explosion der kommunalen Volksmacht“. Viele der AktivistInnen, die daran basteln, den fünften Motor zu frisieren und zünden, nennen sich „SozialkämpferInnen“. Sie haben in der Regel einen dreimonatigen Kurzlehrgang auf Kuba absolviert.
Einer von ihnen sitzt im Kleinbus, der soeben die Sierra Maestra hinter sich gelassen hat. Sein Name ist Johnny, doch er stellt sich als Marxist-Leninist vor. Johnnys Aufgabe ist es, in diesem Viertel beim Aufbau von Kommunalen Räten zu helfen, die auf der Grundlage eines Gesetzes vom April letzten Jahres zusehends in die Lokalpolitik eingreifen sollen. Jetzt ist Johnny unterwegs, um sich mit dem Chef des Viertels zu treffen, der unter dem Spitznamen Mao bekannt ist. Während der Fahrt lässt er seiner Empörung darüber Lauf, dass eine kurze Fahrt mit dem Kleinbus fast doppelt so teuer ist wie eine U-Bahn-Tour quer durch die Stadt. „Damit wird bald Schluss sein“, schimpft er, „Die bolivarianische Revolution wird solchen Preiswucher nicht mehr lange hinnehmen!“

Der große Steuermann

Mao, der seinen Posten dem chavistischen Bürgermeister von Caracas verdankt, residiert im „Haus der Volksmacht“, im Erdgeschoss eines großen Blockes. Hier werden so banale Dokumente wie Sterbeurkunden oder Führungszeugnisse ausgestellt. Mao thront hinter einem riesigen Schreibtisch. Mit seiner runden Brille und seinem blond gefärbten Spitzbart erinnert er eher an den sowjetischen Revolutionsführer Trotzki als an seinen Namensgeber. Neben den obligatorischen Fotos von Castro, Guevara und Chávez hängt hinter seinem Rücken ein gemaltes Portrait von ihm, Mao, selbst. Auf einer Art Altar stehen neben diversen Revolutionsdevotionalien ein Plastikweihnachtsmann und die Jungfrau Maria. Während Mao erklärt, wie es zur „Explosion der Volksmacht“ kommen soll, schreibt er ein paar Zeilen in seinen aufgeklappten Laptop und unterzeichnet eine von seiner Sekretärin gereichte Geburtsurkunde. Oder er trommelt mit den Fingern zu Jazzrhythmen, die aus seiner Stereoanlage klingen.
Ob Mao als großer Steuermann auch nach der Zündung der Motoren die Revolution in diesem Viertel lenken wird, ist fraglich. Er selbst prophezeit, dass Bürgermeister und Gouverneure ihren Job verlieren, wenn die Räte erst einmal erfolgreich arbeiten. Insgesamt sollen in Venezuela bis Ende des Jahres 50.000 Kommunalräte entstanden sein. Ein Drittel davon hat sich bereits konstituiert. In einem Bezirk wie 23 de Enero können sich laut Gesetz zwischen 200 und 400 Familien zu einer asamblea, einer Versammlung, zusammenfinden. Die Versammlung wählt die Räte und ist bei Anwesenheit von zehn Prozent ihrer Mitglieder beschlussfähig. Die Räte bestehen aus verschiedenen Komitees, die unter anderem für Gesundheit, Wasser oder Müll zuständig sind. Eine kommunale Bank und ein Kontrollorgan, das Korruption und Amtsmissbrauch verhindern soll, kommen hinzu. Die Bank, von der Regierung mit einem Grundkapital ausgestattet, kann Darlehen an Mikrounternehmen und Kooperativen vergeben. Eigene Einkünfte können die Kommunalen Räte durch Verhängung von Bußgeldern generieren. Ansonsten müssen sie vorerst beim zuständigen Ministerium oder beim Bürgermeister Projektanträge stellen. Die Arbeit der Räte kann damit prinzipiell von höheren Instanzen kontrolliert werden. Die Regierung kündigte an, für dieses Jahr fünf Milliarden Euro für Projekte der Räte bereitzustellen. Immerhin dreimal so viel wie im vergangenen Jahr.

Der neue Mensch

Mao glaubt fest an die Zukunft der Räte. Während heute etliche korrupte Bürgermeister auf ihren Amtssesseln klebten, so doziert er, könne die Bevölkerung künftig in den Räten alle Politiker davon jagen, denen sie nicht mehr vertraue. An eine Kontrolle von oben glaubt der örtliche Chef der Volksmacht nicht. Ein gut begründeter Projektantrag müsse schließlich vom Ministerium bewilligt werden. KritikerInnen bemängeln vor allem das rasende Tempo, in dem die Räte Kompetenzen von den Bürgermeisterämtern übernehmen. Die Rechtsopposition fürchtet, dass sie in einem System der kommunalen Volksmacht immer weniger Mitspracherecht bekommt und langfristig ihre letzten Bürgermeister- oder Gouverneursämter verliert. Wie die Räte künftig auf überkommunaler Ebene kooperieren werden, bleibt weitgehend unklar. Vermutlich hängt es vom Engagement der Räte und anderer örtlicher Initiativen ab, ob sich in Venezuela künftig tatsächlich eine Basisdemokratie entwickelt. Ob der an autoritäre Entscheidungen gewöhnte Präsident bereit ist, einen Teil seiner eigenen Macht abzugeben, ist allerdings fraglich.
In 23 de Enero haben die 84.000 EinwohnerInnen bereits 17 Räte ins Leben gerufen. 57 sollen es Mao zufolge insgesamt werden. Aber das Viertel ist nicht unbedingt repräsentativ, denn die Menschen waren hier schon immer besser organisiert als anderswo. Einige Kollektive vor Ort
widmen sich seit Jahren der Stadtteilarbeit, greifen erfolgreich in die Kommunalpolitik ein, und haben den Drogenhandel aus der Zone verbannt. Zudem waren es nicht zuletzt die Bewohner Innen des 23 de Enero, die nach dem Putsch gegen Hugo Chávez im April 2002 erfolgreich für seine Rückkehr sorgten.
In anderen Regionen des Landes kommt die Gründung der Räte schleppender voran. In seiner Fernsehsendung Aló Presidente, in der sich Chávez einmal pro Woche direkt an die Bevölkerung wendet, träumte der Präsident kürzlich den alten Traum des Che Guevara, einen neuen Menschen zu schaffen, der sich, von sozialistischen Idealen geprägt, an der Bildung der Volksmacht beteiligt. Dieser Traum soll mit Hilfe des dritten Motors der Revolution Wirklichkeit werden: Tausende Brigadiere wurden bereits in alle Landesteile geschickt, um die Bevölkerung zu schulen und zu unterrichten. Während die Regierung sich jedoch öffentlich darüber auslässt, wie viele Brigadiere sie bis zu welchem Datum mobilisieren kann, schweigt sie sich über den Inhalt der Kampagne aus.

Haargel für das Volk

Auf die bisherigen Errungenschaften der Revolution in 23 de Enero kann Mao stolz sein. Die Regierung hat dort fünfzehn so genannte bolivarianische Schulen eingerichtet, in denen Kinder bis zum Abend beschäftigt werden und drei Mahlzeiten pro Tag erhalten. In fünf Großküchen werden an Bedürftige – Obdachlose, Behinderte, Schwangere oder ältere Menschen – umsonst Mittagessen ausgeteilt. Wer nicht als bedürftig eingestuft wird, erhält das Menü, zu dem in der Regel Fleisch, Gemüse, Obst und eine Suppe zählen, zum Vorzugspreis. Die Speisesäle, die im ganzen Land eingerichtet wurden, sind sehr sauber, das Personal ist freundlich und hilfsbereit. Außerdem können die EinwohnerInnen von 23 de Enero in ihrem Viertel günstig einkaufen. Wie in anderen Armenvierteln hat der Staat auch in 23 de Enero kleinere Supermärkte, so genannte mercales, eingerichtet, die ihre Waren direkt bei den ProduzentInnen kaufen und so versuchen, den Zwischenhandel auszuschalten. Grundnahrungsmittel werden dort zu einem Preis angeboten, der deutlich unter dem der privaten Supermärkte liegt.
In diesen Tagen fällt das Angebot in den mercales indes nicht besonders üppig aus. Die halbleeren Regale erinnern an einen ehemaligen HO-Laden in der DDR. Frisches Obst und Gemüse gibt es kaum. Das wird an bestimmten Tagen nur in einem Mega-mercal im Zentrum von Caracas verkauft. In den Regalen stehen aber immerhin Grundnahrungsmittel wie Reis, Mehl, Nudeln, Öl oder Salz. Auch Toilettenartikel von der Seife bis zum Haargel oder Produkte wie Kakao, Pudding oder Ketchup sind günstig zu erstehen. Am Wochenende, sagt die Verkäuferin, würden auch Hähnchen angeboten. Ansonsten ist Fleisch, ebenso wie Zucker und Karotten, zur Zeit knapp. Die ProduzentInnen dieser Produkte behaupten, der Staat habe deren Preise so niedrig festgesetzt, dass beim Verkauf Verluste entstünden. In den privaten Supermärkten rund um die
U-Bahn-Station Altamira ist von diesem Mangel nichts zu merken, denn die Preisbegrenzung gilt nicht für Waren in höherer Qualität.

Kein Bier in Altamira

Das Prunkstück der Revolution in 23 de Enero ist die Gesundheitsvorsorge. Etwa 100 von insgesamt über 20.000 kubanischen ÄrztInnen im Land arbeiten dort in Krankenstationen und einem neu eingerichteten Hospital. Knapp 40 von ihnen unterhalten eine Praxis in kleinen, achteckigen Bauten, deren Obergeschoss sie bewohnen. Sie besuchen die PatientInnen im Notfall auch zu Hause, ein Service, den es im Viertel zuvor nicht gegeben hat. Drei mittelgroße Krankenstationen, Modul 2 genannt, bleiben rund um die Uhr geöffnet und sind mit Röntgen- und Ultraschallgeräten, einem Labor und sogar einem kleinen Operationssaal ausgestattet. Die Gebäude sind nagelneu, die Behandlungsräume sauber, die medizinischen Geräte gewartet und gut in Schuss. Das Angebot reicht von klassischer Medizin, Massage, Akupunktur oder Logopädie bis hin zu Beschäftigungs- und Psychotherapie. In der Ecke eines größeren Raumes, in dem PatientInnen unter Aufsicht eines Physiotherapeuten mit Gewichten und Medizinbällen trainieren, wird mit Fotos und kubanischen Fahnen José Martí, der Freiheitsheld der Karibikinsel, geehrt.
Die kubanischen ÄrztInnen haben sich verpflichtet, zwei Jahre in Venezuela zu bleiben und müssen mit etwa 200 US-Dollar pro Monat auskommen. Für Ausflüge mit der U-Bahn nach Altamira und dem anschließenden Besuch einer Bar reicht das nicht. Ohnehin sollen die ÄrztInnen ihr Viertel aus Sicherheitsgründen nur in Begleitung verlassen. Denn Einzelne von ihnen, sofort an ihrem Dialekt erkennbar, sind in Venezuela schon ermordet worden. Der tiefe Hass gegen die Regierung im reichen Caracas macht offenbar auch vor den kubanischen ÄrztInnen nicht Halt. Da ist zum Beispiel Portu, ein aus Portugal stammender Taxifahrer, der in den besseren Zonen der Hauptstadt heftig gegen die ÄrztInnen von der sozialistischen Insel wettert. Er hält sie für unqualifiziert und behauptet, sie würden einheimischen ÄrztInnen die Arbeitsplätze wegnehmen. Vermutlich hat Portu noch nie eine Krankenstation mit kubanischen DoktorInnen von innen gesehen. Und sollte er zufällig einen arbeitslosen und qualifizierten venezolanischen Arzt kennen, so wäre dieser mit Sicherheit nicht bereit, zu dem dafür vorgesehenen Gehalt in einer Krankenstation wie im 23 de Enero seinen Dienst zu tun.
So gesellen sich zu den Widersprüchen des bolivarianischen Prozesses auch jene zwischen Vierteln wie Altamira und 23 de Enero. Die sind nicht nur aufgrund der sozialen Gegensätze zwei Welten, die nicht zusammenpassen: Vorurteile gegen die Revolution hier, Unverständnis für die Opposition dort. Selbst wenn die fünf Motoren erfolgreich zünden, wird das Tempo auf dem Weg zum Sozialismus in beiden Stadtteilen auch künftig völlig unterschiedlich ausfallen. Wo es Volksmacht nicht einmal im Keim gibt, kann sie auch nicht explodieren.

Chávez schwört auf Sozialismus

Der Schwur war unüblich. Nach seiner Wiederwahl im vergangenen Dezember, mit einem robusteren Mandat als jemals zuvor, machte Hugo Chávez bei seiner Amtseinführung am 11. Januar einmal mehr klar, wohin sich Venezuela seiner Meinung nach entwickeln soll. Er schwor bei „Jesus Christus, dem größten Sozialisten der Geschichte“, sein Leben dem Aufbau des Sozialismus in Venezuela widmen zu wollen. „Es ist die Zeit gekommen, die Privilegien und die Ungleichheit zu beenden und nichts und niemand kann den Wagen der Revolution aufhalten“.
Schon bei der Vereidigung der 15 neuen und 12 alten MinisterInnen zwei Tage zuvor hatte Chávez keinen Zweifel daran gelassen, den „sozialistischen Wagen“ nun drastisch beschleunigen zu wollen. Bis 2021 – dem 200-jährigen Jubiläum der Unabhängigkeit Venezuelas – solle das Land in den „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ geführt werden. Als Antrieb nannte Chávez „fünf Motoren“: die Gewährung einer zeitlich befristeten „revolutionären Vollmacht“, eine „sozialistische Verfassungsreform“, den massiven Ausbau der „Volksbildung“, eine neue „Geometrie der staatlichen Machtverteilung“ sowie eine „Explosion kommunaler Macht“.
Die Gewährung von auf 18 Monate befristeten „revolutionären Vollmachten“ durch das Parlament bezeichnete Chávez als ersten „Motor“. Mit Hilfe von Präsidialdekreten soll vor allem die Transformation der Wirtschaftsstrukturen beschleunigt werden. Unter anderem zählt dazu die Nationalisierung strategischer Sektoren wie Energie und Telekommunikation.
Der zweite „Motor“ ist die bereits zuvor angekündigte Verfassungsreform. Chávez beauftragte Parlamentspräsidentin Cilia Flores mit der Bildung einer Kommission, die Vorschläge erarbeiten soll, welche dann laut Verfassung sowohl vom Parlament (Zweidrittelmehrheit), als auch in einem landesweiten Referendum (einfache Mehrheit) ratifiziert werden müssen. Bereits bekannt ist das Vorhaben, die uneingeschränkte Möglichkeit der Wiederwahl des Präsidenten einzuführen. Als neuen Plan nannte Chávez die Abschaffung der von ihm als „neoliberale Idee“ bezeichneten Unab­hängig­keit der Zentralbank.
Durch den Ausbau einer „bolivarianischen Volkserziehung“ als dem dritten Antriebsmodul, will Chávez die „alten Werte“ des „Individualismus, Kapitalismus und Egoismus“ zugunsten einer sozialistischen Ethik“ überwinden.
Weiter nannte der venezolanische Präsident eine „neue Geometrie der Macht“ als vierten „Motor“ seines Regierungsvorhabens. Hugo Chávez will hier die administrativen Strukturen der Gemeinden in Venezuela neu organisieren, um marginalisierte, ärmere Gebiete besser einzubinden und bürokratischen Aufwand zu minimieren.
Den fünften Antrieb, eine „Explosion kommunaler Macht“, bezeichnete Chávez als den „stärksten Motor der neuen Phase“. So möchte er den seit April letzten Jahren entstehenden Kommunalen Räten, die je nach Region von bis zu 400 Familien gebildet werden, mehr Entscheidungsmacht über kommunale Belange geben. Standen 2006 etwa 1,5 Milliarden US-Dollar für die Räte bereit, sollen es dieses Jahr fünf Milliarden sein. Bisher bestehen um die 13.000 Kommunale Räte im ganzen Land. Weitere Tausende sollen im Laufe dieses Jahres hinzukommen.

Auf Nationalisierungskurs

Im eigenen Land wie auch international hatten diese Bekanntmachungen heftige Reaktionen hervorgerufen. Insbesondere Chávez‘ Plan, den Umbau der wirtschaftlichen Strukturen Venezuelas mittels Dekreten voranzutreiben, hatte viel Aufruhr verursacht. Er kündigte zunächst an, „strategische Industrien“ wie den Energiesektor sowie den erst 1991 privatisierten Telekommunikationsmonopolisten CANTV verstaatlichen zu wollen. Zudem solle der venezolanische Staat, wie beim Großteil der Ölförderung bereits üblich, auch eine Mehrheitsbeteiligung an den Ölförderprojekten im Orinokodelta erreichen, wo unter anderem Unternehmen wie Chevron, BP und ExxonMobil beteiligt sind.
Von den Verstaatlichungen wird, neben tausenden KleinanlegerInnen, auch ausländisches Großkapital betroffen sein. CANTV etwa gehört zu 28 Prozent dem US-amerikanischen Unternehmen Verizon, zu sechs Prozent der spanischen Telefónica und zu vier Prozent dem mexikanischen Medienmogul und reichsten Lateinamerikaner, Carlos Slim. Das Elektrizitätsunternehmen Elecar (Electricidad de Caracas), das den Großraum Caracas mit Strom versorgt und sich seit seiner Gründung 1895 in privater Hand befindet, gehört zurzeit mehrheitlich der US-amerikanischen AES. Die Regierung kündigte jedoch an, die AnlegerInnen „gerecht“ entschädigen zu wollen.
Scharfe Kritik an diesen Plänen kam von der Opposition. Der Gouverneur von Zulia und Ex-Präsidentschaftskandidat Manuel Rosales sagte, Chávez habe „seine Botschaft der Liebe, die er im Wahlkampf angeboten hat, gegen die Botschaft der Gewalt und Aggression getauscht“.
Da die Opposition die letzten Parlamentswahlen Ende 2005 boykottiert hatte und somit nicht in der Nationalversammlung vertreten ist, gilt die Zustimmung zum „Bevollmächtigungsgesetz“ als reine Formsache. Es wäre bereits das dritte Mal, dass Chávez Sondervollmachten vom Parlament erhält. Nach seiner erstmaligen Wahl 1999 wurde Chavez eine Vollmacht zur Sanierung des Haushaltes bewilligt. Auf Grundlage der neuen Verfassung erhielt er zudem 2001 eine einjährige Ermächtigung, die er dazu nutzte, 49 Gesetze zu dekretieren. Präsidiale Sonder­vollmachten per „Bevollmächtigungsgesetz“ sind nun keine Erfindung von Chávez. Für Venezuela ist es seit 1961 bereits das insgesamt neunte „Ley Habilitante“ – die vor Chávez‘ Amtszeit verabschiedeten ernteten allerdings weit weniger öffentliche Entrüstung.

Keine Lizenz für „Putschistensender“

Zuvor hatte bereits die Ankündigung Chávez‘, die am 28. Mai dieses Jahres auslaufende Sendelizenz der Fernsehstation RCTV nicht zu erneuern, in Venezuela und international eine Welle der Empörung ausgelöst. Laut geltendem Gesetz obliegt es dem Staat, die Konzessionen zu erteilen. Schon Ende des Jahres 2006 warf Chávez dem Sender in einer Ansprache vor Militärs „putschistische“ Berichterstattung und permanente Gesetzesverstöße vor. RCTV, das vor allem für die Übertragung von Telenovelas bekannt ist, war während des Putsches gegen Chávez im April 2002 neben Globovisión, Venevisión und Televen einer der Sender, welche die Ereignisse durch gezielte Falschinformation mit herbeigeführt hatten. Während Venevisión und Televen mittlerweile gemäßigter berichten, befinden sich RCTV und Globovisión noch immer in radikaler Opposition zu Chávez und schrecken nicht einmal vor Gewaltaufrufen zurück. Auch Globovisión könnte daher das gleiche Schicksal ereilen wie nun RCTV. Der Sender wird jedoch nicht geschlossen, wie weitläufig interpretiert und einfach gern behauptet wurde, sondern lediglich nicht mehr die öffentliche Sendefrequenz nutzen dürfen. Per Kabel oder Satellit wird man ihn weiterhin empfangen können.
Dennoch bezeichneten die Opposition, die katholische Kirche Venezuelas, die Organisationen Reporter ohne Grenzen und die Interamerikanische Pressegesellschaft (SIP) sowie der Generalsekretär der Organisation amerikanischer Staaten (OAS), José Miguel Insulza, die Maßnahme als Zensur und Einschränkung der Pressefreiheit. Insbesondere die Äußerungen Insulzas deutete Chávez als nicht hinnehmbare Einmischung in innere Angelegenheiten. Er nannte Insulza – den Venezuela ironischerweise bei seiner Wahl 2005 gegen den von den USA favoriserten mexikanischen Kandidaten Luis Ernesto Derbez tatkräftig unterstützt hatte – einen „wahrhaftigen Idioten“ und forderte ihn zum Rücktritt auf.

Vereinigt für die Revolution

Schon Ende letzten Jahres hatte Chávez das Projekt einer Vereinigten Sozialistischen Partei (PUSC) auf den Weg gebracht, um die 23 Chávez unterstützenden Parteien zu vereinen. Ziel der neuen Partei sei der Aufbau des Sozialismus “von unten“, wie Chávez beteuerte. Wer sich allerdings als Partei erhalten wolle „wird die Regierung verlassen“, so der venezolanische Präsident. Noch ist nicht klar, wer sich dem Projekt anschließen wird. Chávez‘ eigene Partei MVR (Bewegung Fünfte Republik), die mit Abstand stärkste Kraft innerhalb des Bündnisses, wird ohne Zweifel den Kern der neuen Partei bilden. PPT (Vaterland für Alle) und Podemos (Wir können), die bedeutendsten der kleineren Parteien fordern jedoch eine tiefer gehende Diskussion über das Thema.
In seine zweite reguläre Amtszeit startet Chávez mit einem etwa zur Hälfte erneuerten Kabinett. Der wohl prominenteste Wechsel betrifft die Vizepräsidentschaft. Der langjährige Chávez-Vertraute José Vicente Rangel, der schon seit 1999 unterschiedliche Ministerposten innehatte, wird von Jorge Rodriguez abgelöst, dem Ex-Präsidenten des Nationalen Wahlrates CNE. Jesse Chacón nimmt als Innen- und Justizminister seinen Hut und übernimmt das neu geschaffene Telekommunikationsministerium. Chávez begründete die Wechsel mit der Notwendigkeit „Bürokratie, Korruption und Ineffizienz“ zu bekämpfen. Persönliche oder politische Gründe lägen nicht vor. Der scheidende Vizepräsident Rangel betonte, dass er und die anderen Minister zwar die Regierung, aber „nicht die Revolution verlassen“.

Demokratie oder Autoritarismus?

Eines sollte klar sein: Die starke Polarisierung sowohl innerhalb der venezolanischen Gesellschaft als auch in der Debatte über die
Beurteilung Venezuelas wird in nächster Zeit wohl kaum abnehmen. Gerade erst sind zwei für gewöhnlich viel beachtete Studien mit völlig gegensätzlichen Ergebnissen erschienen. Während die US-amerikanische Organisation Freedom House in ihrem am 17. Januar veröffentlichten Jahresbericht „Freedom in the World“, Venezuela mit Russland auf eine Stufe stellt und beide Länder als “eindeutig Richtung Autoritarismus fortschreitend“ ansieht, scheint die venezolanische Bevölkerung selbst dies völlig anders zu sehen. Bei der Ende letzten Jahres erschienenen repräsentativen Erhebung des chilenischen Umfrageinstitutes Latinobarómetro, welches jährlich den Zustand der lateinamerikanischen Demokratien zu messen versucht, erzielte Venezuela – wie bereits im Vorjahr – äußerst gute Ergebnisse. So erhielt das Land sowohl bei der Frage ob Demokratie jeglicher anderen Regierungsform vorzuziehen sei als auch bei der Bewertung der real existierenden Demokratie im eigenen Land jeweils den höchsten Wert nach Uruguay. Laut der Studie ist der Prozentsatz der BürgerInnen, die mit der Demokratie in ihrem Land zufrieden sind, seit 1998 – der erstmaligen Wahl Hugo Chávez‘ – in keinem anderen lateinamerikanischen Land stärker gestiegen als in Venezuela (von 32 auf 57 Prozent). Auch das zeitlich befristete Regieren per Dekret wird wohl nichts an diesen Werten ändern. Chávez wird voraussichtlich nichts beschließen, was nicht sowieso eine Mehrheit hätte. Vor knapp zwei Monaten wurde er zudem ausdrücklich dafür gewählt, den Sozialismus des 21. Jahrhunderts voranzutreiben. Aber selbst wenn er im Sinne der Bevölkerungsmehrheit handelt, ist es bedenklich, deren Willen durch ein Bevollmächtigungsgesetz in reale Politik umzusetzen. Zumal das zu 100 Prozent von chavistas gebildete Parlament die geplanten Reformen ohnehin abnicken würde. Durch die Gewährung der Vollmachten wird darüber dort im Einzelnen allerdings nicht einmal mehr diskutiert werden.
Auch wenn Venezuela weit davon entfernt ist, eine Diktatur zu sein: Dass derzeit kaum Mechanismen zur Begrenzung der Macht des Präsidenten bestehen, sollte die Bevölkerungsmehrheit auch dann nicht hinnehmen, wenn dieser in ihrem Sinne entscheidet. Denn darauf, dass er dies auch 2021 noch tun wird, kann schlicht kein Verlass sein.

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