„Wir wollen das Land umgestalten“

In den Vorwahlen der „Plurinationalen Koordination für die Einheit der Linken“ wurden Sie zum Präsidentschaftskandidaten gewählt. Wie schwer fällt Ihnen dieser Schritt angesichts der Tatsache, dass Sie bis dahin jegliche Ambitionen immer weit von sich gewiesen haben?
Als Namen möglicher Vorkandidaten genannt wurden, machte ich in der Tat deutlich, dass ich keinerlei Ambitionen für dieses Amt hege. Dennoch ließen meine Compañeros von Montecristi Vive nicht von meiner Kandidatur ab. Sie gaben mir die Notwendigkeit zu verstehen, ihrer Bitte zu entsprechen. Alles weitere ist das Ergebnis eines demokratischen Prozesses von historischen Vorwahlen, die es in dieser Form bisher noch nie gegeben hat.

Welche Gründe haben Sie für Ihren Sinneswandel?
In diesem historischen Moment, in dem das Ursprungsprojekt der Bürgerrevolution aufgegeben wurde und die Regierung die Verfassung von Montechristi mit Füßen tritt, kann ich nicht außen vor bleiben. Nicht zu handeln, wenn es nötig ist zu kämpfen, wäre Verrat an meinen Pflichten gegenüber den Interessen des Volkes.

Einer Ihrer Verdienste ist es, die Einheit der Linken, d. h. ihrer Bewegungen und Parteien, die der Plurinationalen Koordination angeschlossen sind, erreicht zu haben. Wie stabil ist diese Einheit? Wird sie den Prozess der Aufstellung der Parlamentslisten oder eine mögliche Wahlniederlage schadlos überstehen?
Die Formierung der Plurinationalen Einheit ist nicht mein Verdienst, sondern geht auf die allgemeine Sehnsucht der Linken und den Willen aller Compañeros und Compañeras sowie ihrer Organisation zurück. Die Plurinationale Einheit wird weiter wachsen. Es bestehen bereits Kontakte zu weiteren linken Organisationen.

Der linke Parlamentarier César Rodriguez wies darauf hin, dass die Entscheidung „gemeinsam zu gehen“ unwiderruflich gefallen sei, aber dass man noch nicht wisse „wie“? Wie können Sie gemeinsam voran gehen?
Die Plurinationale Einheit ist im Aufbau. Natürlich wäre ein Erfolg bei den Wahlen wichtig, aber unsere wahre Konsolidierung beginnt erst nach den Präsidentschaftswahlen. Die Einheit ist nicht nur wahltechnisch bedingt.

Die demokratische Volksbewegung MPD (Movimiento Popular Democrático, Anm. d. Red.) und Pachakutik (parlamentarischer Arm der größten Indigenen-Organisation CONAIE, Anm. d. Red.) haben die Schirmherrschaft Ihrer Kandidatur übernommen und repräsentieren bei den Wahlen die „Plurinationalen Koordination für die Einheit der Linken“. Wäre es nicht angebrachter, als Partei und nicht als Zusammenschluss an den Wahlen teilzunehmen? Besteht diese Option für die Zukunft?
Die Bildung einer einheitlichen Organisation ist das langfristige Ziel. Aber erst einmal geht es darum, den Prozess zu konsolidieren, indem wir gemeinsam auftreten und Vertrauen zueinander aufbauen. Der formalen Einheit geht die programmatische Einheit voraus, an der wir arbeiten.

Ihre Wahlkampagne propagiert die programmatische Umwandlung Ecuadors. Wohin wurde das Land nach der Bürgerrevolution vor nicht einmal sechs Jahren transformiert?
Das, was Bürgerrevolution genannt wird, ist heute pure Rethorik, Teil der Regierungspropaganda. Die Fundamente dieses Prozesses sind größtenteils von der aktuellen Regierung verraten worden. Eine Regierung ist unglaubwürdig, wenn sie sagt, sie repräsentiere das Volk und es gleichzeitig nicht an Entscheidungen teilhaben lässt. Der Aufbau einer radikalen Demokratie geht nicht ohne wirkliche Bürgerpartizipation und schon gar nicht mit dem Aufbau von dominanten Caudillo-Strukturen: Ein Revolutionär stellt sich niemals innerhalb der Macht auf, sondern kämpft immer gegen sie. Unser Programm wird permanent unter Beteiligung aller, die partizipieren möchten, weiterentwickelt. Dazu organisieren wir Workshops, Versammlungen und Treffen von sozialen Organisationen, Gewerkschaften, Künstlern etc.

Was sind Ihre wichtigsten Themen?
Wichtige Themen sind Maßnahmen gegen die steigende Unsicherheit der Bürger, eine Politik der Produktionssteigerung, Umverteilung und gerechte Entlohnung, der Kampf gegen die institutionelle Korruption, die Stärkung von Demokratie und Toleranz gegen die Gewaltspirale, die unsere Gesellschaft durchzieht, genauso wie Dezentralisierungsmaßnahmen und die Beteiligung der Bürger an Entscheidungen. Dabei ist, wie gesagt, unser Programm noch nicht abgeschlossen.

Sie sind mit der größte Kritiker am Mega-Bergbau der Regierung und den geplanten Großprojekten. Wie stehen Sie generell zum Tagebau?
Wir denken über Rationalisierungsmaßnahmen beim vorhandenen Tagebau sowie über eine Reduzierung der Umweltbelastung nach. Fundamental ist die Schaffung von nachhaltigen Alternativen, die den Bergarbeiterfamilien den Ausstieg erlaubt. Natürlich müssen bestimmte Typen des Tagebaus weiter bestehen bleiben, beispielsweise die Rohstoffgewinnung für den Bausektor. Hinsichtlich des Mega-Bergbaus haben wir auf Grundlage der offiziellen Daten nachgewiesen, dass unter der Berücksichtigung der Umweltkosten diese Form des Bergbaus in Ecuador nicht rentabel ist.

Wie lässt sich die Finanzierung von Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsprogrammen ohne die Einnahmen aus Ölförderung und Bergbau sicherstellen?
Durch die Schaffung echten Reichtums. Die aktuelle Regierung wendet Wachstumskonzepte von vor 200 Jahren an. Wir müssen von einer extraktiven auf eine post-extraktive Wirtschaft umsteigen – genau wie unsere Verfassung und das Ideal des „Buen Vivir“ es vorsehen.

Aufgrund des Konflikts um den Mega-Bergbau ist das Yasuní-Projekt etwas in den Hintergrund der öffentlichen Diskussion geraten. Was ist Ihre Position?
Präsident Correa hat sich durch einen ständigen Widerspruch bezüglich des Projekts hervorgehoben. Während er die Internationale Gemeinschaft um Unterstützung bittet, um das Rohöl im Boden des ITT (Name der drei Ölquellen: Ishpingo, Tambococha, Tiputini; Anm. d. Red.) zu lassen, spricht er in Ecuador davon, dem Projekt ein T zu entziehen, also Tiputini auszubeuten. Gleichzeitig sehen wir mit Sorge wie 3000 Arbeiter im Yasuní-Park damit beschäftigt sind, eine Verkehrsinfrastruktur für chinesische transnationale Förderfirmen zu schaffen. In der Praxis wird trotz der offiziellen Rethorik immer deutlicher, wie Plan B, – die Förderung des Öls –, Plan A, – das Öl gegen internationale Entschädigung im Boden zu lassen –, verdrängt. Eine Regierung der Plurinationalen Einheit wird nicht im Yasuní-Gebiet bohren, sondern die Yasumí-Initiative in die Tat umsetzen. Uns ist das Leben wichtiger als das Öl.

Ein weiteres Ziel Ihrer Kampagne ist die Stärkung der sozialen Bewegungen. Wie soll diese erreicht werden?
Die sozialen Bewegungen sind aus der Gesellschaft heraus geboren, da Antworten der traditionellen Politik auf soziale Forderungen fehlen. Die sozialen Bewegungen werden dadurch gestärkt, dass sie aktiv an der Entscheidungsbildung, der politischen Debatte und der Schaffung von Alternativen teilnehmen. Anstatt sie zu bedrohen, sie zu verfolgen oder zu kriminalisieren, wie es die aktuelle Regierung tut, ist dies ein einfaches, aber wirksames Rezept für die Konsolidierung und Übernahme einer effektiven Rolle der sozialen Bewegungen in unserer globalisierten Gesellschaft.

Bis jetzt wurde der Wahlkampf von dem Konflikt mit dem Nationalen Wahlrat bestimmt, der tausende von Unterschriften für ungültig erklärte, die MPD und Pachakutik für die Zulassung zur Wahl gesammelt hatten. Ein Konflikt, der zu Demonstrationen führte und den Präsidenten veranlasste, die Linke des „Angriffs“ und „Attentats“ auf die Demokratie zu bezichtigen. Was steckt hinter dieser Rhetorik?
Die Regierung offenbart immer mehr Zeichen von Erschöpfung. Die Kampagne um den Nationalen Wahlrat, inszeniert vom Präsidentenbüro, spiegelt das wider. Die Regierung versucht sich von den anderen politischen Organisationen, der so genannten Parteienherrschaft abzusetzen, in dem sie sich als ethische und fast einzige Alternative in der nationalen Politik präsentiert. Die Realität ist weit von dieser Fiktion entfernt. Korruptionsskandale sind an der Tagesordnung. Die Strategie, die linken Parteien zu illegalisieren, wurde zu einem Bumerang. MPD und Pachakutik haben viel mehr Unterschriften nachgereicht als notwendig waren. Das ganze Land konnte miterleben, wie engagiert die Linke in den Straßen auftritt und dabei Unterstützung und neue Mitglieder gewinnt.

Welche Wahlaussichten haben Sie als Präsidentschaftskandidat und mit welcher parlamentarischen Unterstützung können Sie rechnen?
Wir wollen die Präsidentschaftswahlen gewinnen und einen beträchtlichen Parlamentsblock bilden. Das ist sowohl quantitativ wie auch qualitativ gemeint. Aber damit eins klar bleibt: Uns interessieren nicht nur die Wahlen, wir wollen Ecuador umgestalten.

Infokasten:

Alberto Acosta
wurde am 21. Juli 1948 in Quito geboren. Er ist Diplom-Betriebswirt und Diplom-Volkswirt, war in den 90er Jahren mit seinen anti-neoliberalen Schriften über Auslandsverschuldung und Naturzerstörung Mentor für den aktuellen Präsidenten Rafael Correa, in dessen ersten Kabinett nach der Bürgerrevolution er bis zu seinem Rücktritt als Energieminister (von Januar bis Juni 2007) fungierte. Als Präsident der Verfassungsgebenden Versammlung (2007/2008) war er maßgeblich an der neuen Magna Charta beteiligt. Am 1. September 2012 wurde er auf einem Delegiertentreffen der „Plurinationalen Koordination für die Einheit der Linken“, einer politischen Plattform verschiedener linker Gruppen und Bewegungen, die sich nach dem „Marsch für das Wasser, das Leben und die Würde der Völker“ gegründet hatte, bei Vorwahlen zum Präsidentschaftskandidat gewählt, wobei er sich mit 55 Prozent gegen fünf weitere Bewerber durchsetzte (siehe auch LN 459/460).
Für die kommenden Präsidentschaftswahlen in Ecuador im Februar 2013 muss sich Alberto Acosta, der Kandidat der „Plurinationalen Koordination für die Einheit der Linken“, mit mindestens vier weiteren Bewerbern messen: dem regierenden Präsidenten Rafael Correa (Alianza PAÌS), Guillermo Lasso (Creo), Lucio Gutiérrez (Sociedad Patriótica) und Àlvaro Noboa (Prian).

Widersprüchliche Bilanz

René Ramirez, früherer Planungsminister, schrieb im Jahr 2010 im Hinblick auf Ecuadors Entwicklungsstrategie, dass „das größte Alleinstellungsmerkmal Ecuadors seine Biodiversität ist, und sein größter Wettbewerbsvorteil darin liegt, sie durch ihren Erhalt und den Aufbau von Bio- und Nanotechnologie zu nutzen.” Der derzeit gültige Entwicklungsplan 2009-2013 sieht als Hauptziele eine umverteilende Politik und den Umbau der Wirtschaft zu einem neuen Modell vor.
Wie weit ist dieser Umbau heute, im sechsten Jahr der Regierung von Präsident Rafael Correa, gediehen? Die Förderung und der Export von Öl haben heute wirtschaftlich dasselbe Gewicht wie in der Ära des Erdölbooms der 1970er Jahre. Der Staatshaushalt ist in hohem Maße von diesem Wirtschaftszweig abhängig. 2010 machten Rohstoffe mit etwa 77 Prozent immer noch über drei Viertel des Exportvolumens aus, gegenüber lediglich 23 Prozent exportierter Produkte aus der verarbeitenden Industrie. Tourismus, Dienstleistungen und Landwirtschaft befinden sich, anstatt zu expandieren, eher in einer leichten Rezession. Die Agrarpolitik setzt auf industrielle Produktion für den Export oder für Supermarktketten, und benachteiligt die Kleinbauern und -bäuerinnen.
Anstatt ein neues Wirtschaftsmodell zu entwickeln, weitet die Regierung das alte Akkumulationsmodell aus. Obwohl Ecuador kein Land ist, in dem Bergbau traditionell eine relevante Rolle gespielt hätte, setzt die Regierung Correa nun auf industriellen Tagebau als weitere Einkommensquelle für den Staat. So unterschrieb er Anfang März 2012 den ersten großen Vertrag mit einem kanadisch-chinesischen Konzern. Regierungsmedien wie El Telegrafo feierten den Beginn der Ära des „verantwortlichen Tagebaus”, in dem der Staat eine größere Kontrolle über die Branche ausübe.
Bergbauexperten wie William Sacher oder Alberto Acosta bezweifeln jedoch, dass es einen verantwortlichen Tagebau geben kann. Die Erfahrungen aus ähnlichen Projekten in Lateinamerika sprechen jedenfalls dagegen. Es erscheint fraglich, ob die Regierung eines kleinen Staates wie Ecuador die konkrete Praxis transnationaler Bergbau-Konzerne in Bezug auf Umwelt- und Sozialstandards effektiv kontrollieren kann. Diese wechseln nämlich innerhalb eines hochdynamischen und -spekulativen Markts extrem häufig ihren Sitz und damit ihre Rechtsform, und sind deshalb juristisch kaum haftbar zu machen. So bleibt die Verantwortung für die entstandenen Schäden an der Umwelt und der lokalen Bevölkerung, die nach 25 bis 30 Jahren Tagebau ihre Subsistenzgrundlage verloren haben wird, bei der ecuadorianischen Regierung. Dies macht die Rentabilität des Tagebaus auf lange Sicht zweifelhaft.
Vierzehn weitere Tagebau-Großprojekte stehen auf der Prioritätenliste von Ressourcenminister Wilson Pastor, vier davon sind bereits fortgeschritten. Ebenso vorgesehen ist die Ausweitung der Ölförderung auf den Südosten des ecuadorianischen Amazonasgebiets, der einzigen relativ intakten Regenwaldfläche des Landes außerhalb des Yasuní Nationalparks. Wird dies umgesetzt, würde das statt der Umwandlung des extraktiven Akkumulationsmodells seine Intensivierung und flächenmäßige Ausweitung bedeuten, mit dem entsprechenden Verlust an Biodiversität und an Möglichkeiten für einen nachhaltigen Tourismus als alternative Einnahmequelle. Die Überwindung des Extraktivismus wird innerhalb der politisch recht heterogenen Regierung heute tatsächlich nur noch von einer Minderheitenströmung politisch gewollt. Präsident Correa, die einzige Figur, die diese von links bis rechts reichenden Strömungen zusammenhalten kann, sagte in einer Bilanz der ersten fünf Jahre „Bürgerrevolution“: „Im Grunde machen wir innerhalb desselben Akkumulationsmodells die Dinge einfach nur besser, denn es ist nicht unser Wunsch, den Reichen zu schaden; aber wir haben die Absicht, eine gerechtere und gleichberechtigtere Gesellschaft zu schaffen.” Immer wieder betont der Staatschef, dass es unverantwortlich wäre, „wie Bettler auf einem Sack Gold zu sitzen”, indem man Ölfelder oder Kupfervorkommen nicht ausbeute, und bezeichnet die Gegner des Extraktivismus als „infantil”, „fundamentalistisch” oder gar als „Steinzeitmenschen”.
Die in der Verfassung verankerten Rechte der Natur, ebenfalls Teil der visionären Konzepte, mit denen Ecuador seit Rafael Correa international bekannt geworden war, erfahren eine recht dürftige und höchst widersprüchliche Umsetzung. Zwar sind, wie in allen anderen Bereichen des Staates auch, die Mittel für den Umweltschutz aufgestockt worden, doch funktioniert das größte Waldschutzprogramm Socio Bosque in sehr konventionellen Bahnen. Es bietet Waldbesitzer_innen Kompensationszahlungen gegen vermiedene Entwaldung, ganz in der Logik des grünen Kapitalismus und der Merkantisilierung der Natur, gegen die Correa sich erst kürzlich im Rahmen von Río +20 ausgesprochen hatte. Auch der Erhalt des Yasuní-Nationalparks ist inzwischen weitgehend ein REDD+-Projekt (siehe Kasten).
Deutlichere Erfolge als in der Überwindung des Extraktivismus wurden bezüglich der umverteilenden Rolle des Staates erzielt. Die durch neue Konditionen in der Ölförderung, aber auch durch die hohen Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt erzielten Einnahmen werden in einer Kombination neoliberaler und sozialdemokratischer Instrumente unter die Leute gebracht: Zum einen handelt es sich um an die Ärmsten gerichtete, konditionierte Transferleistungen (der bono de desarrollo humano beträgt beispielsweise 36 US-Dollar pro Monat), die eine Fortsetzung neoliberaler Abfederungsmaßnahmen bedeuten, allerdings in größerem Maßstab. Zum anderen werden aber auch klassisch sozialdemokratische Politiken umgesetzt, wie die Einführung progressiver Steuern und die Erhöhung der Sozialausgaben mit dem universalistischen Anspruch, kostenlose Gesundheitsversorgung und Bildung für alle verfügbar zu machen.
Doch wenn auch in der Sozialpolitik ein Wille zu mehr Gleichheit zu erkennen ist, wirft der Umgang der Regierung mit den teils heftigen Konflikten, die sowohl die Vertiefung des Extraktivismus als auch der Bau von großen Wasserkraftwerken nach sich ziehen, ernsthafte Zweifel an ihrem Willen auf, auch mehr Freiheit für die ecuadorianische Bevölkerung zuzulassen.
Ein im ersten Halbjahr 2012 von Amnesty International veröffentlichter Bericht wirft der Regierung Correa die systematische Kriminalisierung des Rechts auf Protest vor. Die Organisation kritisiert, dass Strafrechtsparagraphen zu extrem interpretierbaren Delikten wie “Terrorismus” und “Sabotage” angewendet werden, die während der Militärdiktatur der 1970er Jahre eingeführt wurden. Zehn Personen sitzen aufgrund von Verurteilungen wegen Terrorismus oder Sabotage bereits Haftstrafen von bis zu 8 Jahren ab, einige sind abgetaucht, und gegen etwa 210 weitere Menschen wird derzeit noch ermittelt. Auch wenn viele dieser Ermittlungsverfahren aus Mangel an Beweisen letztlich eingestellt werden, wirken sie doch einschüchternd und verhindern durch den damit verbundenen hohen Zeit- und Geldaufwand, dass indigene und ländliche Aktivist_innen ihr demokratisches Recht auf Protest wahrnehmen können. Darüber hinaus bemängelt Amnesty, dass Protestierende in aufwendigen Werbekampagnen von der Regierung als undemokratische Destabilisierer und Putschisten diffamiert werden, wie es anlässlich einer großen Demonstration im März 2012 geschehen war (siehe LN 455).
Amnesty International konstatiert weiter: „Der Staat hat das Recht auf Vorabbefragung [der indigenen Gruppen] systematisch missachtet und den Gemeinden wenig andere Auswege als den Protest gelassen”. Analysiert werden vor allem die Verabschiedung des umstrittenen Bergbaugesetzes 2009 und die versuchte Verabschiedung des Wassergesetzes 2010, die beide zu indigenen Aufständen und Demonstrationen, Dutzenden schwer Verletzten und einem Toten führten.
In diesem Zusammenhang hat die indigene Bewegung vor kurzem einen international bedeutsamen Erfolg errungen: Nach zehn Jahren Widerstand verurteilte am 23. Juni der interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof den ecuadorianischen Staat wegen einer Reihe von Rechtsverletzungen an der amazonischen Kichwa-Gemeinde Sarayaku. Dort hatte der argentinische Ölkonzern CGC in den 1990er Jahren Probebohrungen durchgeführt. Die entsprechende Lizenz wurde erteilt, ohne dass die Bevölkerung vorher befragt wurde. Der Konzern hatte die Bewohner_innen schikaniert und vertrieben, und schließlich bei seinem Rückzug erhebliche Mengen von Sprengstoff im Boden hinterlassen. Der ecuadorianische Staat wurde nun zu Reparationszahlungen und zur Entfernung des Sprengstoffs verurteilt.
Für die Zukunft wichtig ist, dass das Urteil die Verpflichtung zur Vorabbefragung indigener Völker betont und Ecuador auffordert, entsprechend gesetzgeberisch aktiv zu werden, was ihm eine Relevanz weit über Ecuador hinaus verleiht. Der Justiziar von Rafael Correa, Alexis Mera, verlautbarte nach dem Urteil, der ecuadorianische Staat werde die Entschädigung zwar zahlen, sich das Geld jedoch von Expräsident Lucio Gutiérrez zurückholen. Die Regelung der künftigen Durchführung von Vorab-Befragungen liegt seit vielen Monaten beim ecuadorianischen Parlament.

Kasten:

Visionäre Idee mit holpriger Umsetzung

Die Idee hat das Potential, die Logik des Extraktivismus grundlegend in Frage zu stellen: Im Nationalpark Yasuní im ecuadorianischen Amazonastiefland lagern in den drei Ölfeldern Ishpingo, Tiputini und Tambococha 846 Millionen Barrel (1 Barrel = 159 Liter) Erdöl – etwa 20 Prozent der gesamten Reserven des Landes. Auf Vorschlag des früheren Erdölministers Alberto Acosta will Ecuador das Erdöl im Boden lassen, sofern von internationaler Seite 3,6 Milliarden US-Dollar aufgebracht werden. Dies entspricht der Hälfte der erwarteten Einnahmen, würde Ecuador das Öl fördern. Das Geld soll nicht in die Staatskasse, sondern in einen Treuhandfonds fließen, welcher der Organisation der Vereinten Nationen (UNO) unterstellt ist und aus dem unter anderem alternative Energien und Aufforstungsprojekte gefördert werden sollen. Bliebe das Öl wirklich unter der Erde, hätte das positive Auswirkungen für die in dem Gebiet lebenden Indigenen, die Erhaltung der Biodiversität der Region und das Klima. International hat die Yasuní-ITT-Initiative viel Lob erfahren, das finanzielle Engagement potentieller Geber_innen fällt jedoch bescheiden aus. Laut offiziellen Angaben hat Ecuador sein Ziel, bis Ende 2011 100 Millionen US-Dollar einzusammeln, zwar erreicht. In den UN-Treuhandfonds wurden bisher allerdings erst wenige Millionen eingezahlt. Der Rest besteht etwa aus einem Schuldenerlass über 50 Millionen US-Dollar seitens Italien sowie einem Beitrag Deutschlands von gut 45 Millionen US-Dollar (35 Millionen Euro), der aber ausdrücklich nicht für den Fonds vorgesehen ist. Denn die deutsche Bundesregierung torpediert die ursprüngliche Ausrichtung des Projektes. Während der Bundestag der Yasuní-Initiative im Jahr 2008 die Unterstützung zugesichert hat, lehnt der aktuelle Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Dirk Niebel, eine Beteiligung an dem UN-Treuhandfonds vehement ab. Er setzt stattdessen darauf, den Yasuní-Nationalpark durch klassische Projekte der deutschen Entwicklungszusammenarbeit und den auf Marktmechanismen basierenden Emissionshandel REDD (Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degregation) zu schützen. Niebel will nicht für das „Unterlassen” einer Handlung bezahlen und spricht offen davon, einen „Präzedenzfall” verhindern zu wollen. Genau diesen wollen die Befürworter_innen des Projektes jedoch schaffen. Die Idee ließe sich potentiell auch auf geplante Bergbau-Projekte anwenden, die als besonders schädlich eingestuft werden.
// Tobias Lambert

Zeitgewinn für die Rettung des Regenwalds

Was halten Sie von der Erfolgsmeldung von Baki, dass die als erstes Etappenziel von der ecuadorianischen Regierung geforderten 100 Millionen Dollar eingegangen sind, obwohl der Treuhandfond nur 2,5 Millionen enthält?

Es wurden zum einen die Beiträge nicht konkretisiert und zum anderen solche genannt, die gar im Widerspruch zur Yasuní-Initiative stehen. Das ist beispielsweise bei den Mitteln der deutschen Regierung der Fall, die für das REDD-Programm gedacht sind. Es gilt zu bedenken, dass die Yasuní-Initiative als Kritik an und Kontrapunkt zu REDD entstanden ist, dass sie sich allein auf das Öl bezieht und nicht auf die Strategien von REDD, die innerhalb und außerhalb des Landes in Frage gestellt werden.

Wie beurteilen Sie die Haltung der deutschen Regierung, die sich letztlich nicht an die Zusagen von 2008, das Projekt zu unterstützen, hält?

Die Position der Mehrheit im Parlament und in der Gesellschaft war, die Initiative zu unterstützen, weil sie für innovativ gehalten wurde – mit wichtigen, positiven Effekten für die Menschenrechte der indigenen Völker, die Biodiversität und das Weltklima. Leider hat der zuständige Minister (des BMZ Dirk Niebel, Anm. der Red.) sich dieser Position nicht angenommen und die Initiative disqualifiziert. Die konservativsten deutschen Kreise ziehen es vor, in Programme wie REDD zu „investieren“ statt Verantwortung gegenüber der globalen ökologischen Krise zu übernehmen. Die deutsche Gesellschaft und die politischen Parteien sollten analysieren, wie sie da vorgehen wollen.

Warum fiel bisher die Unterstützung der Weltgemeinschaft, insbesondere des reichen Nordens, für das Projekt so gering aus?

Allgemein gab es schon eine große Hilfe für die Initiative, nur haben sich die erhofften Beiträge aus einer Reihe von Gründen nicht konkretisiert: Fehlen von Klarheit und Garantien bezüglich des Vorgehens, Fehlen von Glaubwürdigkeit in die Ernsthaftigkeit des ecuadorianischen Vorschlags, Druck in den Länder durch die Sektoren, die ein Interesse am weiteren Bestehen des extraktivistischen Modells haben. Die Strategie, um Mittel aufzutreiben, hat nicht gewirkt, wohl aber die Verbreitung der Initiative. Millionen von Menschen wissen nun, dass Yasuní existiert, dass es eins der letzten Paradiese dieser Erde ist, dass dort indigene Völker leben und vor allem, dass all dies durch die Erdölförderung bedroht wird.

Ist die Verlängerung des Moratoriums ein Mittel, die Initiative am Leben zu erhalten oder nur Wahlkampfstrategie?

Die große Unterstützung der Bürger in Ecuador für die Initiative ist ohne Zweifel ein sensibles Thema für den Wahlkampf. Das Öl zu fördern, wie es der Präsident angekündigt hat, hätte einen hohen politischen Preis.

Alternativen waren bisher, dass Öl im Boden zu lassen, also Plan A, oder die drei Quellen auszubeuten, also Plan B, wenn die entsprechende finanzielle Unterstützung der Weltgemeinschaft nicht zustande kommt. Nun brachte Baki in einem Interview mit der spanischen Zeitung El Pais den sogenannten Plan C ins Spiel. Um welche neue Option handelt es sich dabei?

Darüber gibt es keine Klarheit. Sie hat davon gesprochen, nur eine oder zwei Quellen auszubeuten und dafür die Grenzen des Naturparks zu ändern. Auf jeden Fall ein Vorschlag, um die Initiative zu begraben, denn die sieht ja vor, dieses Öl nicht zu fördern.

Welche Chance hätte ein Referendum, um so die Initiative umzusetzen?

Genau an diesem Szenario arbeiten die sozialen Bewegungen. Eine Volksbefragung könnte durch den Präsidenten, die Nationalversammlung oder von der Gesellschaft, das heißt über 600.000 Unterschriften einberufen werden.

Kasten: Esperanza Martínez

ist Mitbegründerin der größten Umweltorganisation Ecuadors Acción Ecológica, Mitglied von Oil Watch Ecuador und Ex-Beraterin des nationalen Energie- und Bergbauministeriums

Neue Hoffnung für Yasuní

Es geht voran mit Ecuadors visionärem „Dschungel statt Öl“-Projekt: Als „Erfolg auf der ganzen Linie“ wertete Präsident Rafael Correa die Veranstaltung am Rande der UN-Vollversammlung, zu der UN-Generalsekretär Ban Ki Moon Ende September geladen hatte. Kommen genug Mittel von der internationalen Gemeinschaft zusammen, will Ecuador auf die Förderung von Erdöl im östlichen Teil des Yasuní-Nationalparks verzichten, dem nach den drei Ölfeldern Ishpingo, Tiputini und Tambococha benannten ITT-Gebiet. Jahresziel bis Ende 2011: 100 Millionen US-Dollar.
„Die Welt lernt von Yasuní“, sagte Ban Ki Moon, mit Führungsstärke, Kreativität und Engagement sei nachhaltige Entwicklung möglich. Italien zahlt im Rahmen eines Schuldentauschs 35 Millionen Euro in den Treuhandfonds ein, der voriges Jahr unter dem Dach des UN-Entwicklungsprogramms eingerichtet wurde. Nach Chile sagte Kolumbien 100.000 Dollar zu, Peru 300.000 und Australien 500.000 Dollar.
Belgische und französische Regionalregierungen sind ebenfalls mit von der Partie, sogar multinationale Konzerne wie der brasilianische Bauriese Odebrecht. Mit dem Geld sollen 45 neue Naturschutzgebiete ausgewiesen, Wiederaufforstung und erneuerbare Energien vorangetrieben und Forschungsprogramme finanziert werden.
Correa machte aber auch wieder deutlich, dass er persönlich am liebsten das Öl im ITT-Gebiet fördern will, rund 20 Prozent der in Ecuador entdeckten Vorkommen. „Finanziell wäre das für uns besser“, sagte er, zu den heutigen Ölpreisen sei das „schwarze Gold“ 14 Milliarden Dollar wert. Und Ecuador brauche diese Mittel für Straßen, Krankenhäuser, Schulen, Bücher und seine Landwirtschaft. Kritiker_innen in Ecuador werfen Correa mit einigem Recht vor, wegen dieser Ambivalenz sei er der größte Bremser des Projekts.
Der Staatschef erinnerte erneut daran, dass vor allem die Industrieländer den Klimawandel verursacht haben, und erklärte: „Wir möchten gegen die Erderwärmung kämpfen, aber dafür brauchen wir die Mitverantwortung der Welt.“ Durch den Verzicht auf die Ölförderung würde nicht nur das artenreichste Gebiet Amazoniens und der Lebensraum zweier isoliert lebender indigener Völker geschützt, sondern auch direkt das Klima: 410 Millionen Tonnen Kohlendioxid würden der Erdatmosphäre erspart.
Ivonne Baki, die Chefin der Yasuní-Verhandlungskommission, jubelte bereits, der Plan B, also die Ölförderung, sei „auf dem Müllhaufen“ gelandet. Die Türkei, Katar und weitere arabische Staaten sollen folgen, ebenso „ganz Südamerika“, kündigte sie an. Der Pragmatiker Correa, der offen auf umstrittene Öl-, Bergbau- und Agrospritprojekte setzt, will aber erst im Dezember Bilanz ziehen.
In Deutschland, woher in der Anfangsphase ab 2007 die wichtigste Unterstützung kam, machen Umweltgruppen und -politiker_innen mobil. Sogar die Unionsfraktion im Bundestag forderte die Bundesregierung auf, zum Yasuní-Fonds beizutragen. Grüne, Linke und SPD stehen einhellig hinter der ITT-Initiative. Vier Bundestagsabgeordnete flogen im Oktober nach Ecuador, die Grüne Ute Koczy und auch Delegationsleiter Volkmar Klein (CDU) berichteten auf ihren Webseiten. „Insgesamt … ein wirklich begeisternder Besuch, der unterstrichen hat: Die Kooperation mit den Freunden in Ecuador lohnt sich im Interesse unseres weltweiten Naturerbes wirklich“, lautete Kleins Fazit.
Nur die FDP stellt sich weiterhin quer. Da traf es sich gut, dass der ecuadorianische Außenminister Ricardo Patiño in Berlin von Guido Westerwelle empfangen wurde. Bei einem „absolut angenehmen und herzlichen Dialog“ habe er seine Kritik an Westerwelles Parteifreund Dirk Niebel „ganz offen auf den Tisch gelegt“, sagte Patiño. Ecuador könne es nicht hinnehmen, dass es durch Regierungsmitglieder eines anderen Landes „angezählt“ werde.
BMZ-Minister Niebel, der im September 2010 die Kehrtwende der Bundesregierung verkündet hatte, aalt sich seither geradezu lustvoll in seinem „Nein“ zu Yasuní-ITT. Der Spiegel berichtete über den „Zorn“ des selbsternannten „Globalisierungsministers“ wörtlich: „Ausgerechnet Italien, das seine eigenen Schulden in den Griff bekommen müsse, habe Ecuador zugesagt, 35 Millionen Euro an Schulden zu erlassen, kritisierte Niebel. ‚Die europäische Solidarität würde es erwarten lassen, dass Italien erst mal die eigenen Finanzen in den Griff bekommt‘, sagte der FDP-Politiker. ‚Soll Berlusconi das Geld doch aus seinem Privatvermögen bezahlen‘.“
Umwelt- und Nord-Süd-Verbände erhöhen unterdessen den Druck auf Bundeskanzlerin Angela Merkel. Und der BUND Hannover lancierte das Yasuní-Portal www.saveyasuni.eu, die umfassendste deutschsprachige Website zum Thema.
In der taz plädierte Niebel für Marktmechanismen wie das in der Klimadebatte vor allem von westlichen Industrieländern propagierte REDD (Reducing Emissions from Deforestation und Forest Degradation). Über die jüngste Variante des Emissions- oder Ablasshandels soll auf dem kommenden Klimagipfel in Durban weiter diskutiert werden.
Für Alberto Acosta, Correas früheren Freund und ersten Energieminister, ist Yasuní-ITT hingegen auch eine „praktische Kritik an der Kommerzialisierung der Natur“ – es sei sinnlos, Fonds zu gründen, „um Umweltzerstörung an einer Stelle der Welt dadurch zu rechtfertigen, dass woanders Verantwortung wahrgenommen wird.“ Wer REDD fördere, leugne dessen negative Auswirkungen auf die indigenen Gemeinschaften, erwiderte Acosta. Mit REDD werde der Regenwaldschutz zum Geschäft: „Statt den dringend notwendigen Schwenk in Richtung der Post-Erdöl-Zivilisation zu vollziehen und die Atmosphäre von schädlichen Emissionen zu befreien, ist REDD ein Akt blindwütiger Kommerzialisierung“.
„REDD ähnelt den Glasperlen, mit denen europäische Konquistadoren bei der Eroberung Amerikas den Ureinwohnern ihr Gold abluchsten“, sagt Acosta: Es könne in der Praxis sogar ein Anreiz für indigene Gemeinschaften werden, die Ausbeutung der Ressourcen zuzulassen, die sie ansonsten verhindern würden. Rafael Correa hingegen verteidigte die REDD-Mechanismen auf dem Klimagipfel von Cancún, anders etwa als Bolivien. Auch wenn in der innenpolitischen Debatte die Unterschiede zwischen der ecuadorianischen Regierung und ihren Kritiker_innen von links deutlicher zutage treten denn je: Zumindest verbal setzten beide Seiten jetzt ganz auf die „Zivilgesellschaft“, vor allem in den USA und Europa.
Niebel befürchtet zudem einen „Präzedenzfall“: Sollte Yasuní-ITT Erfolg haben, könnten auch andere Länder genauso Geld für unterlassene Umweltzerstörung fordern, meint der Ultraliberale. Dazu sagt Acosta: „Genau das ist unsere Hoffnung. Schaffen wir zwei, drei, viele Yasuní auf der Welt“. Ecuadors Kultur- und Naturerbe-Ministerin María Fernanda Espinosa ist in der Regierung Correa eine der hartnäckigsten Verfechter_innen des Plans A, also der Nicht-Förderung. „Die andauernden Spekulationen über den Plan B führen zur Kritik an der Regierung“, analysiert sie. „Das ist erfrischend, denn dadurch werden diese Gruppen zu Wächtern der Initiative. Indem sie den Präsidenten kritisieren, wenn er den Plan B auch nur erwähnt, erhalten sie die Initiative am Leben. Hinzu kommt der Rückhalt von 80 Prozent der Ecuadorianer“.
All dies hält den Präsidenten nicht davon ab, die Vorbereitungen für die Ölförderung in zwei Dritteln des ITT-Gebiets systematisch voranzutreiben. Typisch der Auftritt in seinem wöchentlichen Liveprogramm Enlace vom 8. Oktober: Zunächst lobte er den Rückhalt der Parlamentarier_innen und tat Berichte über deren Kritik am Verleumdungsprozess gegen die Tageszeitung El Universo als „Lügen“ ab. Dann erwähnte er Studien für die Ölförderung im Tambococha-Block. Dort könnten „horizontale Fördertechniken“ zum Einsatz kommen, sagte Correa. Ähnliches gelte für den Tiputini-Block, der nur zu 10 Prozent innerhalb des Nationalpark liege. „Nur für Ishpingo muss ich das Parlament um Erlaubnis bitten oder eine Volksbefragung ansetzen“, sagt Correa, denn dieses Ölfeld liege „im Herzen des Yasuní“: „Ich habe nicht vor, diesen Block anzutasten“.

Hoffnungssignal aus Peru

Südamerikas progressive Regierungen haben ihre romantische Aufbruchsphase längst hinter sich. Allesamt kämpfen sie mit den Mühen der Ebene. Soziale Bewegungen kooptieren sie zumeist, wirtschaftspolitisch setzen sie auf den Neoextraktivismus, die Ausbeutung von Rohstoffen unter größerer staatlicher Kontrolle als bisher.
Visionären Entwürfen wie der Yasuní-ITT-Initiative in Ecuador wird das Wasser von ganz oben abgegraben; nirgendwo sonst gibt es eine dermaßen starke linke Opposition gegen einen linken Präsidenten. Bolivien, das in der internationalen Klimadebatte von sich reden macht, hat umweltpolitisch wenig vorzuweisen. Und in Brasilien versucht Präsidentin Dilma Rousseff mehr schlecht als recht, dem Durchmarsch der Agrarlobby, die bisher nicht nur eine Landreform verhindert hat, sondern nun auch noch zum ganz legalen Raubbau auf die Primärwälder bläst, etwas entgegenzusetzen.
In diesem Panorama kommt der Wahlsieg Ollanta Humalas in Peru gerade recht. Es ist eingetreten, womit vor Monaten kaum jemand gerechnet hatte: Die durch und durch neoliberale, stark auf die USA ausgerichtete Pazifikachse, die zwei Jahrzehnte lang von Chile über Peru nach Kolumbien bis nach Mexiko reichte, hat einen kleinen Riss bekommen. Unter dem schon jetzt zum Pragmatiker gewandelten Humala wird sich Peru stärker am Projekt einer Integration Südamerikas unter sozialen Vorzeichen beteiligen, das unter der Führung Brasiliens langsam Formen annimmt.

Von der Autokratentochter Keiko Fujimori hatten sich in- und ausländische Kapitalinteressen eine noch autoritärere Version eines Systems versprochen, durch die die Ressourcen des Andenlandes immer ungehemmter verscherbelt wurden. Inzwischen sind nahezu sämtliche Öl- und Bergbaureserven zur Ausbeutung freigegeben, doch bei der Bevölkerung kam von den astronomischen Wachstumsraten kaum etwas an. Kein Wunder daher, dass die Humala-Hochburgen in jenen ländlichen Gebieten liegen, wo man zudem hautnah mit den Folgen der Umweltzerstörung konfrontiert wird.
Wegen ihres neoliberalen Kurses ist die ehedem linke APRA-Partei von Noch-Präsident Alan García so gut wie von der Bildfläche verschwunden. Die drei chancenreichen Kandidaten, die allesamt eine Fortsetzung seines Kurses versprochen hatten, wurden trotz einer massiven medialen Anti-Humala-Kampagne geschlagen. Erneut zeigte sich, wie tief der Wunsch nach einer sozialen Wende selbst in Ländern sitzt, in denen die klassische Restlinke allein keine Chance auf einen Wahlsieg hätte. Dabei kam Humala die Zerrissenheit der Neoliberalen entgegen. Hätten sich die VerteidigerInnen des Status Quo auf eine gemeinsame Kandidatur geeinigt, er hätte in der Stichwahl wohl kaum eine Chance gehabt.

So kam es zu der pikanten Situation, dass Humala ausgerechnet aus dem liberalen Lager um Mario Vargas Llosa und Alejandro Toledo entscheidende Stimmen zum Sieg in der Stichwahl bekommen hat. Schon längst ist Humala klar, dass er sich ähnlich wie sein erklärtes Vorbild Lula Verbündete im bürgerlichen Lager suchen muss, will er überhaupt anfangen zu regieren. Für tiefgreifende Änderungen fehlt Humala schlicht die politische Basis, da er im Parlament keine Mehrheit hinter sich hat.
Und anders als etliche seiner künftigen KollegInnen, hatte er auch nie eine starke soziale Bewegung im Rücken. Er wird zu erheblichen Kompromissen mit den wirklich Mächtigen gezwungen sein. Schon deshalb kann man bestenfalls allmähliche Kurskorrekturen erwarten: mehr Achtung der Menschenrechte, eine Zähmung des exportgetriebenen Kapitalismus durch einen aktiveren Staat, eine etwas gerechtere Verteilung der Rohstofferlöse zugunsten der Armen. Es wäre eine weitere Spielart des sozialdemokratischen Wegs, den Südamerikas Linke im letzten Jahrzehnt eingeschlagen hat. Für weitergehende Veränderungen ist mehr Druck von unten nötig.

Förderlizenzen im Naturschutzgebiet

Alexandra Almeida ist Mitbegründerin der Yasuní-Initiative und Beauftragte der Umweltorganisation Acción Ecológica (Ökologiscge Aktion), die zur Problematik der Erdölförderung in Ecuador arbeitet.

Wo liegt der Ursprung der Idee, die Anfang der 1990er Jahre im Yasuní-Park entdeckten Erdölvorkommen für eine Kompensation durch die Weltgemeinschaft unangetastet zu lassen?

Dieser Vorschlag ist in den 25 Jahren, in denen wir uns mit den negativen Folgen der Erdölförderung beschäftigt haben, entstanden. Wir haben zunächst die Meinungen der Betroffenen, das heißt vor allem der lokalen Gemeinden in den Fördergebieten, eingeholt. Daraus wurde schnell ein „Nein“ zur von der Regierung geplanten Erweiterung der Erdölfördergebiete, was in die Forderung nach einem Moratorium mündete. Hilfreich war dabei auch eine Publikation mit dem Titel Die post-fossile Wirtschaft, herausgegeben in Zusammenarbeit mit dem Lateinamerikanischen Sozialforschungsinstitut ILDIS im Jahre 2000, die die Notwendigkeit einer Umstrukturierung der Wirtschaft nebst möglichen Alternativen herausstrich. Also weg von der Abhängigkeit vom Öl, hin zu neuen Energieträgern und zur Ernährungssouveränität des Landes.

Wie kam es, dass der Vorschlag letztlich von der Regierung aufgegriffen wurde?

Am Tag der Umwelt 2003 haben wir die Moratoriumsforderung dem damaligen linken Umweltminister in der Gutierrez-Regierung, Edgar Isch, übergeben. Nach dem Zusammenbruch dieser Regierung sowie dem Wahlsieg Correas haben wir die Möglichkeit gesehen, das Moratorium, speziell für die Zone des Yasuní-Parks, auf Regierungsebene zu präsentieren, das dann vom damaligen Energieminister Alberto Acosta vorangetrieben wurde. Der Vorschlag der Kompensationszahlungen duch die Weltgemeinschaft statt dem von uns angedachten symbolischen Verkauf von nicht gefördertem Öl wurde vom Präsidenten hinzugefügt.

Wie waren die ersten Reaktionen im Ausland?

Viele sprachen zunächst von einer Erpressung und einem Geschacher der ecuadorianischen Regierung. Dabei wurde ausgeblendet, dass Ecuador mit seinem Verzicht auf die Hälfte der erwarteten Einnahmen seinen Teil zur Lösung eines weltweiten Problems, dem Klimawandel und dem zunehmenden Verlust der Biodiversität beiträgt. Nun liegt es an der Weltgemeinschaft, insbesondere am reichen Norden, der eine viel größere Schuld an der Umweltmisere hat, ihren Beitrag zu leisten. Allerdings ließ der Präsident selbst Zweifel an seiner Haltung aufkommen, ob er es mit diesem Vorschlag wirklich ernst meinte.

Wodurch?

Erst einmal durch seine fast gleichzeitige Betonung auf einen Plan B, dass die Erdölvorkommen ausgebeutet werden, wenn nicht gezahlt wird. Nur sieben Tage nach der Unterschrift unter den Treuhandfonds am 3. August 2009, stellte Correa diesen Plan B ausführlich vor, ohne dabei wirklich auf Plan A einzugehen. Nur drei Monate später vergab Correa weitere Förderlizenzen im Amazonasgebiet westlich des ITT-Territoriums, was ein klarer Bruch mit dem angestrebten Ausstieg aus dem Extraktionsmodell war. Weiterhin dauerte es sechs Monate, bis die Kommission zur Präsentation und Durchführung des ITT-Projekts zusammengestellt wurde. Die Kommission um Ivonne Baki, die noch nicht einmal Ökologin ist, genießt dabei keineswegs unser Vertrauen. Dazu kam auf internationaler Ebene die Gefahr, dass die Zahlungen in den Fond mit dem internationalen Kohlendioxid-Handel verknüpft werden sollten, was für uns ein Angriff auf unsere ursprüngliche Idee war. Der Versuch nämlich, sich über einen solchen Beitrag für eine weitere Luftverschmutzung in anderen Regionen freizukaufen.

Was ist bisher an echten Zahlungen in den Fonds zu verzeichnen?

Sicherlich weniger als die von Correa geforderten 100 Millionen US-Dollar, um das bis Dezember dieses Jahres reichende Moratorium zu verlängern. Dabei halten wir auch den Vorschlag Italiens, die ecuadorianische Auslandsschuld von 35 Millionen US-Dollar als Fondsbeitrag zu verrechnen, für illegitim.
Das Yasuní-Regenwaldgebiet ist seit 1979 ein geschützter Nationalpark, in dem weder gejagt noch gebaut werden darf. Warum darf dort dann nach Erdöl gebohrt werden? Wäre das im Falle von ITT das erste Mal?
Nein. Dort gibt es bisher schon drei Fördergebiete. Außerdem wurde das ursprüngliche Yasuní-Gebiet vor der Erklärung zum Nationalpark bereits verkleinert, um im ungeschützten Teil weitere Lizenzen erteilen zu können. Die neue Verfassung verbietet eigentlich die Ausbeutung der Ölvorkommen im ITT-Gebiet, es sei denn, der Präsident erklärt diese zu einer Angelegenheit von nationalem Interesse. Dann muss allerdings sein Begehren das Parlament passieren, ehe es zu einer letztlich entscheidenden Volksbefragung darüber kommt. Diesen Weg scheut Correa derzeit noch, denn die öffentliche Meinung scheint gegen eine Ausbeutung zu sein.

Welche Naturvölker sind von einer möglichen Erdölforderung betroffen? Wie stehen die weiter westlich sesshaften Huaorani zu diesem Vorhaben?

Die Huaorani sind gespalten, auch weil es der Regierung gelang, sie mit Arbeitsplatzangeboten und anderen Vergünstigungen auseinander zu dividieren. Direkt betroffen sind die Wandervölker der Tagaeri und Taromenane, die den Kontakt zur Zivilisation meiden und denen das ITT-Territorium als Durchzugsgebiet dient.

Wer sind die Alliierten der Acción Ecológica in dieser Frage?

Die indigenen Bewegungen, die Bevölkerung Amazoniens und die Bauernbewegungen. Darüber hinaus stoßen wir auf viel Unterstützung bei der Jugend des Landes. Ein Erfolg ist auch unsere Kampagne „Der Yasuní hangt von dir ab“, die stark auf Schulen und Hochschulen ausgerichtet ist.

Wie sieht die weitere Strategie aus?

Wir werden unsere Kampagne fortsetzen und uns auf die mögliche Volksbefragung konzentrieren, auch wenn wir sie für ethisch nicht vertretbar halten. Denn wie kann eine Bevölkerung über die Zerstörung des Lebensraums einer anderen Bevölkerung abstimmen? Doch wenn Correa das Öl fördern lassen will, muss er nach Ablauf des Moratoriums das Volk fragen.

KASTEN:

Yasuní in einer „Phase der Unbestimmtheit“
Ex-Energieminister Alberto Acosta, sieht das ITT-Projekt – benannt nach den 1992 entdeckten Quellen Ishpingo, Tambococha und Tiputini (siehe LN 414) – in einer „Phase der Unbestimmtheit“. Einst hatte er den Vorschlag, auf die Förderung von Öl im östlichen Teil des ecuadorianischen Regenwaldes gegen Kompensationszahlungen durch die internationale Gemeinschaft zu verzichten, auf die Regierungsebene gehoben. Dabei sollten etwa die Hälfte der möglichen Einnahmen von acht Milliarden US-Dollar in dreizehn Jahren (350 Millionen US-Dollar jährlich) zusammenkommen.
Acosta macht die Regierung für das bisherige Scheitern des Projektes verantwortlich, der es an einer klaren Position fehle. Diese liegt wohl weniger an dem vom Projekt überzeugten Vize-Präsidenten Lenin Moreno – selbst in Yasuní geboren, als für dessen Chef Rafael Correa, der für Alberto Acosta gleichzeitig der „wichtigste Förderer“ und das „größte Hindernis“ dieses bisher weltweit einzigartigen Vorschlags ist. Dabei hat der ehemalige Mentor des Präsidenten durchaus Verständnis dafür, dass dieser Geld für seine Infrastruktur-, Bildungs-, Gesundheits- und sozialen Maßnahmen braucht. Doch die Reduktion der Ölförderung als einfache Geldquelle „greift viel zu kurz“. Immerhin hat der 900.000 Hektar große Yasuní-Park, seit 1989 UNESCO-Biosphärenreservat, eine immense Bedeutung für das Weltklima. Die Gelder des im August 2010 gegründete UN-Treuhandfonds werden darüber hinaus ausschließlich für soziale und ökologische Zwecke einsetzt.
Besonders enttäuscht ist Alberto Acosta von der deutschen Haltung gegenüber dem ITT-Projekt. Einen „Dolchstoß für das Projekt“ (siehe LN 437) nennt er die Rücknahme der am 26. Juni 2008 vom Bundestag beschlossenen Zusagen von Entwicklungsminister Dirk Niebel. Im Gespräch waren 50 Millionen US-Dollar jährlich, für die Unterstützung des ITT-Projekts. Mit „Kommunikationsschwierigkeiten“ erklärt Ivonne Baki, Chefunterhändlerin der ecuadorianischen Kommission zur Präsentation des Vorschlags, diesen Rückzug. Mittlerweile seien die Gespräche aber wieder aufgenommen worden.
Konkrete Zusagen sind allerdings Fehlanzeige. Frankreich will bis Juni entscheiden, ob es Ecuador für den Fonds die Auslandschuld von 50 Millionen US-Dollar erlassen will. Auf die gleiche, umstrittene Idee ist Italien gekommen, dem Ecuador noch 35 Millionen US-Dollar schuldet. Bisher gingen nur bescheidene zwei Millionen US-Dollar von Chile, Spanien und Belgien ein, was Erdölgewerkschaftler Fernando Villavicencio zu der sarkastischen Einschätzung veranlasst, dass „die Kommission auf ihren bisher 40 Reisen wohl genauso viel Geld ausgegeben wie eingesammelt hat.“
// Ralf Ohm

ETAPPENSIEG FÜR DIE UMWELT

„Die Compañeros aus Amazonien machen Geschichte“, sprach Ecuadors Präsident Correa. Sie seien dabei, „einen riesigen Ölmulti zu besiegen“. Umgerechnet 14 Milliarden Euro soll Chevron an jene Gemeinschaften im nordecuadorianischen Amazonasgebiet zahlen, deren Lebensraum sein Vorgänger Texaco in den siebziger und achtziger Jahren verwüstet hat. So hat es ein ecuadorianischer Richter Mitte Februar entschieden. Die ursprüngliche Summe von sieben Milliarden Euro verdoppelt sich, weil es der US-Konzern erwartungsgemäß ablehnte, sich öffentlich bei den Opfern zu entschuldigen.

UmweltfreundInnen können sich zu Recht freuen: Das Urteil markiert einen wichtigen Etappensieg in einem 17-jährigen Rechtsstreit, den eine eingeschworene Allianz von AktivistInnen und JuristInnen aus Ecuador und den USA führt. In den 90ern steckte der Staat mit Texaco unter einer Decke und ließ sich mit Pseudoreparationen abspeisen, die den Multi lumpige 40 Millionen US-Dollar kosteten. Das letzte Wort ist aber noch nicht gesprochen. Denn Chevron tut das Urteil als „Betrug“ ab, der Rechtsstreit dürfte sich noch jahrelang hinziehen. Und selbst bei einem Sieg in letzter Instanz wird es schwierig, das Geld einzutreiben: Da der Multi in Ecuador nicht mehr präsent ist, entfällt die Möglichkeit, seine Sachwerte zu pfänden. Bis dato handelt es sich „nur“ um einen symbolischen Triumph. Exemplarisch wird durch den Chevron-Prozess ein Schlaglicht auf die Umweltverbrechen transnationaler Konzerne geworfen. Das gleiche Ziel verfolgten prominente UmweltschützerInnen, darunter Vandana Shiva (Indien), Nnimmo Bassey (Nigeria) und Alberto Acosta (Ecuador), als sie im November 2010 BP wegen des Lecks im Golf von Mexiko in Quito vor dem Verfassungsgericht verklagten. In Ecuadors Magna Carta nämlich sind die Rechte der Natur festgeschrieben.

Dennoch: Der Fortschritt im Umweltrecht ist sehr langsam. Lösungen, die in solchen Fällen wirklich greifen, können nur auf internationaler Ebene erzielt werden. Freiwillige Initiativen wie der Global Compact der UNO sind dabei zahnlose Tiger, die primär der Imagepflege der Multis dienen. Biss hingegen hätte eine Maßnahme, die letztes Jahr auf dem Alternativen Klimagipfel in Cochabamba gefordert wurde: die Einrichtung eines Internationalen Umweltgerichtshofs.

Bis es dazu kommt, dürfte noch viel Wasser den Amazonas hinabfließen. Und statt den „Compañeros aus Amazonien“ könnte bis dahin Correa selbst Geschichte schreiben – mit weit weniger Charme. Er scheint die Yasuní-ITT-Initiative, derzufolge die Ölreserven im östlichen Teil des Yasuní-Nationalparks nicht gefördert werden sollen, nur noch pro forma zu verfolgen. „Ecuador wird für niemanden der nützliche Idiot sein“, sagte er auf dem Klimagipfel von Cancún: „Wenn die globale Mitverantwortung nicht funktioniert, werden wir diese Reserven ausbeuten müssen.“ Bis Ende 2011 will Correa die Entwicklung abwarten, bevor der eine Entscheidung trifft. 350 Millionen US-Dollar pro Jahr strebt die Regierung an, die Hälfte der erwarteten Mindesteinnahmen bei einer etwaigen Ölförderung. Bislang enthält der im August 2010 eingerichtete Treuhandfonds aber nur kümmerliche 1,9 Millionen US-Dollar. Ein finanzieller Rückschlag ist vor allem das Verhalten der Bundesregierung. Zwar unterstützt der Bundestag die Yasuní-Initiative fraktionsübergreifend, und noch im Juni 2009 soll das damals noch SPD-geführte Entwicklungsministerium 50 Millionen Euro jährlich in Aussicht gestellt haben. Doch im September 2010 erteilte der neue Entwicklungsminister Niebel (FDP) dem Projekt eine Absage.

Ob Yasuní-Initiative oder Internationaler Umweltgerichtshof: Ohne massiven Druck der „Zivilgesellschaften“ des Nordens und Südens werden sich die Regierenden nicht bequemen, eine Politik einzuleiten, die die Verheerungen durch die Ölförderung begrenzt und den überfälligen Übergang in ein nachfossiles Zeitalter einleitet.

„Eine Alternative zur Entwicklung“

Wie ist die Rücknahme der Zusagen zu Yasuní-ITT von Seiten Dirk Niebels einzuordnen?
Seit der öffentlichen Vorstellung der Initiative im Jahr 2008 erhielt sie viel Unterstützung – aber auch Widerspruch, gerade innerhalb der Regierung. Insbesondere Correa selbst zweifelt immer wieder. Der deutsche Bundestag hat indes sehr wohl und zwar mit Zustimmung aller Fraktionen seine Unterstützung eindeutig beschlossen, es wurde sogar eine Studie der GTZ zur Initiative finanziert. Die – definitiv zugesagte! – Unterstützung Deutschlands war sehr wichtig für die Unterstützer der Initiative.

Sehen Sie eine Chance, dass sich an der Haltung der Bundesregierung noch etwas ändert?
Ich bin ein optimistischer Mensch. Deshalb glaube ich, dass man einen Kampf nicht verloren geben sollte, bevor er zu Ende ist. Vielleicht können wir sie im nächsten Jahr dazu bewegen, die ITT-Initiative zu unterstützen.

Und was ist mit weiteren Geldgebern?
Es gibt natürlich andere Geldgeber, zum Beispiel sind ja die Verhandlungen mit Spanien erfolgreich gewesen. Weiter vorangeschritten sind auch die Verhandlungen mit Italien. Chile hat bereits Geld eingezahlt und wird seinen Beitrag noch erhöhen. Auch Peru hat Mittel angeboten und will die Initiative sogar auf eigene Gebiete ausweiten. Und es gibt weitere Geldgeber, zum Beispiel einige Staaten der OPEC. Verhandlungen gab es wohl auch mit den USA. Aber ich bin ja nicht mehr in der Regierung, also kenne ich nicht den letzten Stand.

Wie ist Ihr Kontakt zur Regierung?
Ich habe selbstverständlich immer noch Kontakt zu Regierungsmitgliedern. Viele sind meine Freunde, oft seit Jahrzehnten. Nicht gesprochen und auch nie wieder getroffen habe ich Präsident Correa.

… der die Politik der Regierung zuweilen ziemlich deutlich bestimmt.
Correa ist Ecuadors Präsident. Vor allem aber erleben wir ein personalisiertes Regierungsprojekt mit ihm als zentraler Figur: Diese Rolle geht schon auf die Zeit zurück, als wir die Kandidatur vorbereiteten. Wir hatten keine Partei oder Organisation. Damals trafen wir uns im Esszimmer meines Hauses: Dort gibt es einen Tisch mit sechs Stühlen – wir brauchten am Anfang nicht alle. Und erst nach seinen 104 Tagen als Finanzminister unter der Vorgängerregierung war Correa ein im ganzen Land bekannter Politiker. Beides zusammen erklärt, weshalb einige Dinge so verliefen: Wir mussten Correa als Identifikationsfigur aufbauen, um mit ihm die Wahlen zu gewinnen, und wir mussten eine Regierung um den neuen Präsidenten organisieren. Seit den Auseinandersetzungen um eine neue Verfassung hat sich die Regierung konsolidiert, nicht aber die politische Bewegung. Alles bewegt sich um Präsident Correa. Das ist eine der Schwächen.

Ist es ein Resultat dieser Schwäche, dass es immer wieder Auseinandersetzungen zwischen Regierung und sozialen Bewegungen gibt?
Unser Programm war nie eine persönliche Agenda. Wir griffen die zuvor von sozialen Bewegungen formulierten Alternativkonzepte auf und erarbeiteten daraus ein Regierungsprogramm. In der Verfassunggebenden Versammlung waren die Forderungen der Indigenen – wie der plurinationale Staat, kollektive Rechte, das Buen Vivir und die Rechte der Natur – maßgeblich vertreten. Die sozialen Bewegungen standen dann auch hinter der neuen Verfassung. Die Spannungen begannen, als es darum ging, die neue Verfassung anzuwenden und konkrete politische Projekte umzusetzen. Es gab dann Momente, in denen die Regierung Correa versuchte, den indigenen Dachverband CONAIE zu spalten. Ein großer Fehler!
Präsident Correa und seine Regierung sind oft nicht in der Lage, Räume für die Beteiligung breiter Teile der Gesellschaft zu schaffen. Nicht als Teil der Regierung, sondern als Teil des politischen Willensbildungsprozesses, in Debatte und Streit. Wir wollen dieses Land gemeinsam konstruieren, also: Lasst es uns auch gemeinsam machen!

Die Verfassung von Montecristi war das große gemeinsame Projekt von sozialen Bewegungen und Regierung. Welche Rolle spielt die neue Verfassung in der politischen Praxis?
Die Verfassung enthält einige sehr innovative Elemente. Sie dient als Referenzpunkt für das, was die Regierung tun muss und wie die Gesellschaft zu organisieren ist. In der politischen Praxis resultieren daraus aber Widersprüche, einige davon finde ich verständlich. Es ist nicht einfach, eine Verfassung über Nacht Realität werden zu lassen – erst recht bei einer wirklich neuen Verfassung, einer mit so revolutionären Punkten. Deshalb gibt es Widersprüche, tiefgreifende Widersprüche.

Trotzdem wecken einige dieser revolutionären Instrumente Hoffnungen, wie das Buen Vivir. Was ist der Hintergrund dieses Konzepts?
Auf der einen Seite steht der lange Prozess des Widerstands gegen den Neoliberalismus. Ecuador wurde – wie der Rest der Region und viele Länder in der ganzen Welt – gezwungen, einer neoliberalen Agenda zu folgen. Die Folge waren soziale und ökonomische Zersetzungsprozesse. Auf der anderen Seite waren die früheren Alternativen in der Praxis am Ende: Spätestens der Mauerfall zerstörte den Glauben an den real existierenden Sozialismus. Auch deshalb begann die Suche nach neuen Alternativen.
In Ecuador führte diese Suche in die indigene Welt und zum Konzept des sumak kawsay, also des Buen Vivir. Die indigenen Weltanschauungen enthalten eine Reihe von sozialen und kulturellen Konzepten mit langer Tradition, die in unseren Gesellschaften immer noch präsent waren. Daran anknüpfend studierten wir – wie es übrigens im gesamten andin-amazonischen Kontext passierte – bereits in den 1990er Jahre gemeinsam mit indigenen Gemeinden die Chancen des Konzepts des Buen Vivir. Dabei wurde es zusammengeführt mit Elementen der okzidentalen Kultur: Zum „Guten Leben“ bei Aristoteles gibt es Anknüpfungspunkte oder auch zu Elementen des Konzepts von Entwicklung nach menschlichem Maß, insbesondere bei Manfred Max-Neef und Antonio Elizalde. Und die menschliche Entwicklung bei Amartya Sen hat unsere Debatten ebenfalls bereichert. Das Buen Vivir ist kein ausschließlich indigenes Konzept und ebenso wenig nur für „die Indigenen“: Es ist ein Alternativkonzept, das von den Marginalisierten der Geschichte formuliert wurde und mit globalen Debatten verbunden ist.

Was folgt daraus?
Das Buen Vivir ist eine Lebensauffassung und eine Möglichkeit der Organisation der Gesellschaft, befindet sich aber im Konstruktionsprozess. Dieser findet konkret in Bolivien und Ecuador statt, wird aber weltweit wahrgenommen, zum Beispiel in der Postdevelopment-Diskussion. Das Buen Vivir ist ja kein alternatives Konzept der Entwicklung, sondern eine Alternative zur Entwicklung. In Bezug auf die globalen Debatten um die Green Economy geht das Buen Vivir in eine gegenteilige Richtung: Es schließt eine weitere Vermarktwirtschaftlichung der Beziehung Mensch-Natur aus. Das ist also auch etwas, was die ecuadorianische Verfassung eigentlich einfordert.

Diese Verfassung war am 30.9.2010 in Gefahr. Wie sind die Ereignisse dieses Tages einzuordnen?
Der 30.9. war ohne jeden Zweifel ein Schlag gegen die Demokratie, ein Schlag gegen den Staat. Einige Fakten sind ziemlich eindeutig: Der Protest von Militär- und Polizeiangehörigen war das Ergebnis einer Verschwörung, der es immerhin gelungen ist, den ecuadorianischen Staat lahm zu legen. Deshalb rede ich von einem golpe al estado. Der Präsident wurde als Geisel festgehalten, misshandelt, geschlagen und gegen Ende des Tages versuchten sie, ihn zu ermorden. Das ist wirklich barbarisch. Die Geschehnisse dieses Tages waren das gewalttätigste politische Ereignis der letzten Jahrzehnte in Ecuador.

Und welche politischen Konsequenzen hat das?
Weitreichende. Es ist klar, dass es eine Regierungskrise gab und dass die demokratischen Institutionen instabil sind. Auch, dass Polizei und Militär anscheinend immer noch im Stande sind, die Verfassung zu verletzen. Die Wiedereinsetzung des Militärs als „Garant der Demokratie“ kommt hinzu – etwas, dass der Verfassung klar widerspricht. Gleichzeitig ist die Regierung politisch schwach: Sie hat die große Fähigkeit, Wahlen zu gewinnen – nicht aber zu politischer Aktion. Am 30.9. hat es keine, und ich meine damit, nicht eine große Demonstration gegeben. Und die Regierung hat mehr als einen Monat danach immer noch keine politische Antwort!
Der 30.9. war vor allem auch ein Schlag gegen die Linke. Die ecuadorianische Linke ist gespalten und uneinig, mehr als je zuvor seit dem Amtsantritt Correas. Ohne zu merken, was sie damit riskierten, beteiligten sich Teile der Linken am Polizeiaufstand. Diesen Gruppen war aber nicht klar, dass sie die neue Verfassung, das mit ihr Erreichte sowie das gesamte politische Projekt der Linken in Gefahr gebracht haben. Jetzt ist die Rechte gestärkt, auch wenn sie nicht unmittelbar Wahlen gewinnen könnte. Akteure der Rechten haben hier und da den Aufstand unterstützt – und sollten sie eine zentralere Rolle gehabt haben, dann kann ihnen das zumindest derzeit niemand nachweisen. Sie haben sich am Rand gehalten, abgewartet. Das ist sehr beunruhigend und wirkt wie ein Testlauf.

Was heißt das für die Regierung?
Die Regierung Correa muss darüber reflektieren, wo es Fortschritte, aber auch, wo es Irrtümer, ja sogar Rückschritte gegeben hat.
Erstens gibt es in Bolivien, Ecuador und Venezuela keinen neuen Weg des Wirtschaftens, keinen „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“, sondern einen Extraktivismus des 21. Jahrhunderts. Und die exzessive Konzentration des Reichtums wurde in Ecuador nicht beendet, die Armutsrate ist nicht gesunken.
Zweitens ist besorgniserregend, dass es wenig Raum für Partizipations- und Diskussionsprozesse gibt. Vor vier bis fünf Jahren haben wir zusammen mit Correa unser Projekt als Bürgerrevolution umschrieben: Den Staat als einen Staat seiner BürgerInnen zurückzugewinnen. Aber es gibt in dieser Bürgerrevolution einen Mangel an Bürgerschaft, es gibt diesen Raum der Beteiligung nicht. Das ist sehr beunruhigend. Wir haben den personalisierten Charakter der Regierung bereits diskutiert und das ist nicht einfach die Schuld Correas. Aber es sollte anders sein.

Sie bezeichneten sich vorhin als optimistischen Menschen. Was sagt der Optimist? Und: Was wird heute bei ihnen zuhause am Esstisch diskutiert?
An diesen Tisch kommen natürlich Freunde, auch von damals, aber wir haben kein solches politisches Projekt mehr.
Als Optimist würde ich sagen, dass diese Regierung immer noch viel Potential hat. Correa ist sehr beliebt – das ist aber bei weitem nicht genug. Correa muss jetzt die Tür für einen großen Dialog mit den sozialen Bewegungen öffnen. Nicht, um sie direkt an der Regierung zu beteiligen, das ist nicht der Weg. Sondern um Diskussionen zu führen, mit dem Ziel, gemeinsame Vorstellungen für die Zukunft dieses Landes zu entwickeln.

Im Interesse der Unternehmen

Mit Dirk Niebel steht erstmals seit 1964 ein Politiker der FDP an der Spitze der staatlichen „Entwicklungspolitik“. Zwar forderte Niebel vor einigen Jahren noch die Abschaffung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), doch seitdem er 2009 von der SPD dessen Leitung übernahm, nutzt er sein Amt vielmehr zur Realisierung neoliberaler Entwicklungsvorstellungen.
Es sei jedoch gerechterweise betont, dass die in den 1990er Jahren intensiv diskutierte sozialverträgliche „Wende“ in der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) nach dem Scheitern der „großen Theorien“ nie eingetreten war. Gerade die SPD hatte diese „Wende“ bei ihrem Regierungsantritt 1998 angekündigt: Nichtsdestotrotz muss die staatliche Entwicklungshilfe heute stärker denn je als spezifischer Prozess von Globalisierung im Kontext zunehmender Neoliberalisierung verstanden werden. Sie bettet sich nahtlos ein in die vorherrschenden Vorstellungen von Globalisierung. Entsprechend bescheinigen Entwicklungstheoretiker wie Aram Ziai der SPD ein schlechtes Zeugnis für das Erreichen ihrer Kernziele: erträgliche Strukturpolitik und Armutsbekämpfung. Vielmehr nahm sie mit Programmen wie dem Public-Private-Partnership privatwirtschaftliche Ansätze der Vorgängerregierung auf und baute diese noch aus.
War bei der SPD zumindest noch der Anspruch auf armutsreduzierende Politik vorhanden, kommt der jetzige Entwicklungsminister ohne einen solchen aus. Niebel hat von Anfang an klar gestellt, dass er Entwicklungspolitik schwerpunktmäßig als spezifische Interessenpolitik deutscher Exportförderung und somit als Handelspolitik versteht. Damit verbunden ist die Stärkung bilateraler Abkommen, die speziell deutsche Wirtschaftsbeteiligungen in den Vordergrund stellen sollen. Die multilaterale Zusammenarbeit wird abgeschwächt – insbesondere solche Projekte, bei denen das ökonomische Profil nicht hervorsticht. Das BMZ wird neuausgerichtet zum verlängerten Arm von Wirtschaftsministerium und Auswärtigem Amt. Gemäß dem Koalitionsvertrag soll dementsprechend der staatliche EZ-Sektor von Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), InWent und Deutschem Entwicklungsdienst (DED) um das BMZ herum nach „unternehmensorientierten Synergieeffekten“ einheitlich gesund geschrumpft werden. Ziel sei ein „dynamisches, kreatives und flexibles“ Unternehmen mit 14.000 Mitarbeitern in 130 Ländern und einem Jahresumsatz von mehr als 1,5 Milliarden Euro ,das dem liberalen Verständnis eines Global Players entspricht. So äußerte sich Tom Pätz, Leiter der „Projektgruppe Vorfeldre­form“ beim BMZ, im März 2010. Das sind eindeutige und klare, wenn auch in jeder Hinsicht kritikwürdige Vorgaben gegenüber der Vorgängerin.
Tragischerweise ist das Yasuní-ITT-Projekt in Ecuador eines der ersten Opfer der strukturellen Neuorientierung: die innovativen und progressiven Elemente des Projekts vertragen sich mit dem neoliberalen Entwicklungsparadigma des Herrn Niebel so gar nicht (siehe LN 437). Erinnert sei kurz daran, dass Ecuador vorgeschlagen hat, über 800 Millionen Barrel Öl in einem Nationalpark nicht zu fördern, sondern indigene BewohnerInnen und die regionale Biodiversität zu schützen. Dafür fordert die Regierung von den Industriestaaten einen Ausgleich für entgangene Einnahmen. Die Gelder sollen in einen Fonds eingezahlt und zur Umsetzung von Entwicklungsvorhaben genutzt werden.
Das Yasuní-Projekt ist also in einem „Empfängerland“ konzipiert worden und konterkariert damit die angebotsorientierte Vorstellung der Liberalen: Projektvorschläge haben von den „ExpertInnen“ des Geberlands auszugehen. Das Projekt kommt dadurch trotz des finanziellen Umfangs von ca. 3,6 Milliarden Dollar auf internationaler Ebene eher „von unten“ als „top-down“. Projektinhalte und Förderziele sind nicht maßgeblich durch Vorgaben von der GeberInnenseite definiert worden, sondern inklusive Bedingungen und Möglichkeiten vor Ort erdacht.
So sind natürlich auch die Gewinnspannen für deutsche Unternehmen, an die das BMZ Aufträge vergibt, nur noch schwer berechenbar. Zudem sollen aus den Zinsen, die der Fonds einbringt, über Absprachen mit dem Entwicklungsprogramm der UN (UNDP) Sozial- und Umweltprogramme bezahlt werden – und damit nicht primär in der Entscheidungsgewalt deutscher Interessenpolitik liegen. Ecuador hat in dem UNDP-Gremium, das über die Förderprojekte im Rahmen des Fonds entscheidet, die Entscheidungshoheit, wenn es darum geht, auszuloten, welche Maßnahmen welchen Betroffenen in der Region zugute kommen sollen. Schließlich deckt der Einzahlungsbetrag nur die Hälfte der Gewinne ab, die bei einer Ausbeutung der Ölvorräte erwartet würden, und Ecuador erbringt durch Verzicht der gleichen Summe somit den Hauptanteil.
Tatsächlich könnte Yasuní als Modell für zukünftige alternative Projekte in anderen schützenswerten Regionen dienen. Zum einen ist eine Abkehr von der auf Rohstoffexporten basierenden Abhängigkeit und es hat keinen reinen marktorientierten Charakter, der einen Ressourcentransfer nach Deutschland erkennen ließe.
Zum anderen hat Yasuni auch Signalcharakter für ein ernst gemeintes Bremsen des Klimawandels, indem fossile Brennstoffe nicht mehr gefördert werden, und für den Schutz von Artenvielfalt. Zudem wäre es das erste große Projekt seiner Art, welches weniger auf technisch-wirtschaftliche Konvergenz (etwa auf „effizientere“ Energiegewinnung) hinarbeiten würde und eher prozess- denn ergebnisorientiert konzipiert wurde. Das könnte weitere Länder erfassen und zur Überwindung der üblichen Vorstellungen von Handel zwischen Industrie- und Entwicklungsländern führen. So gibt es in Brasilien, wenn auch nicht von Regierungsseite, schon seit 2008 Überlegungen, die noch 10-mal größeren Erdöl-Vorräte im Pré-Sal-Gebiet im Boden zu belassen und nach dem Vorbild in Ecuador auf Ausgleichszahlungen zu drängen (siehe LN 426). Die steigende Nachfrage auf dem Energiesektor zahlreicher lateinamerikanischer Staaten kann in Zeiten des Klimawandels nur durch einen Paradigmenwechsel in der Energiegewinnung verändert werden. Fortschrittliche Technologien in Großprojekten alleine reichen nicht aus. Bei der entwicklungspolitischen Ausrichtung von Projekten im Umweltbereich geht es insbesondere um eine Veränderung in den Investitionsstrukturen. Das bedeutet auch den Verzicht auf die Ressourcenausbeutung, wie sie Grundlage ist für konservative Vorstellungen der Energiegewinnung.
Minister Niebel persönlich hat das Yasuní-Projekt im September fallen lassen und rechtfertigt das damit, dass es keine Garantien dafür gäbe, dass eine spätere Regierung Ecuadors nicht doch das Öl fördern würde. Es gäbe nur die Vereinbarungen mit den Vereinten Nationen und den Geberländern (z.B. Spanien, Großbritannien oder Belgien) über Rückzahlungen im Fall der Fälle. Das ist zum einen ein Affront gegenüber der Souveränität des Staates Ecuador und zum anderen gegenüber den Vereinten Nationen – immerhin wurden in langen und sorgfältigen Verhandlungen verbindliche Zusagen gemacht, ein internationales Vertragswerk, allseits anerkannte Garantiezertifikate und ein Treuhandmechanismus erarbeitet, um eben solche Bedenken wie die von Niebel geäußerten schon im Vorfeld auszuräumen.
Ergo wird hier absichtlich auf Zeit gespielt, wie die Anfrage der LINKEN-Abgeordneten Sabine Stüber im Bundestag Anfang Oktober belegt. Stüber wollte vom BMZ die immer noch offenen Fragen in Bezug auf die fehlende Unterstützung für das Yasuní-Projekt in Erfahrung bringen. In der Antwort verlangte Gudrun Kopp, Parlamentarische Staatssekretärin beim BMZ, ernsthaft, Ecuador müsse u.a. „die Präzedenzwirkung für andere Länder“ einschätzen und beantworten können. Ein Ding der Unmöglichkeit und eine unmögliche Bedingung. Auf eine zweite Anfrage der Grünen Abgeordneten Bärbel Höhn wurde sogar von einem Prüfungsverfahren für „Negativpräzedenzfälle“ in Hinblick auf dreizehn weitere Bewerber für ähnliche Projekte gesprochen. Ein neutrales Prüfungsverfahren gibt es wohl kaum, wenn von vornherein negative Auswirkungen unterstellt werden.
Der Versuch, das Yasuní-Projekt durch bürokratische Hürden ins Leere laufen zu lassen, spiegelt den eingeleiteten Ressortumbau sehr gut wider. Entsprechend lesen sich auch Niebels Aussagen auf dem EU-Lateinamerika-Gipfel in Madrid im Mai über die Ausrichtung deutscher Entwicklungszusammenarbeit mit Lateinamerika: am Beispiel der Umwelt- und Klimapolitik nannte er Stichwörter wie „Nachhaltiges Wirtschaftswachstum zur Wohlstandsförderung“, „Länderkooperation durch neue Technologien auf dem Energiesektor“, „Umbau der Energiesysteme zu mehr Energieeffizienz“, „Schaffung neuer Arbeitsplätze“ – im großen und Ganzen Schlüsselreize durch Private-Public-Partnership. Das sind jene Entwicklungshilfe-Konzepte, die ohne „schmückendes Gerede“ hervorragend neoliberale Wirtschaftsausrichtung widerspiegeln: Wirtschaftswachstum, Wohlstand, neue Technologien, Effizienz, Privatisierung, Arbeitsplätze, „made in Germany“ – made for Germany.
Schon im Januar 2010 betonte Niebel, dass er im Gegensatz zu Heidemarie Wieczorek-Zeul im BMZ nun endlich mit der Förderung der Privatwirtschaft „ernst mache“, um deutsche Produkte (vor allem Umwelttechnik) in Entwicklungsländern durch noch mehr staatliche Investitionsmittel nutzbar zu machen, für „schnell erkennbare Dividenden“. Da passt ein Projekt wie Yasuní-ITT nun wirklich nicht ins Konzept. Der Industrie- und Handelskammer (IHK) geht die Umsetzung der ministeriellen Versprechen derweil noch nicht schnell genug. Das BMZ solle endlich „mehr Wirtschaft wagen“. Sie forderte im September, die Interessen deutscher Unternehmen noch stärker wahrzunehmen und diese am besten schon im Vorfeld von Projektentwicklungen ins Boot zu holen. Der IHK macht Niebel offensichtlich noch nicht ernst genug.

Das Richtige im Falschen

Ein bisher weltweit einzigartiges Modellprojekt steht auf der Kippe: die Yasuní-ITT-Initiative. Hinter dem sperrigen Begriff verbirgt sich nicht weniger als das Vorhaben Ecuadors, auf die Förderung von geschätzt 850 Millionen Barrel Öl im Yasuní-Nationalpark zu verzichten. Ein Vorhaben mit allseits anerkannten positiven Effekten: Die Artenvielfalt des Regenwaldes und der Lebensraum zweier indigener Völker im Ishpingo-Tambococha-Tiputini-Korridor (ITT) blieben erhalten. Der Ausstoß von 410 Millionen Tonnen Kohlendioxid würde vermieden – ein Beitrag zum globalen Klimaschutz. Ein nachhaltiger Ansatz in einem System rücksichtsloser Ausbeutung und Verschwendung natürlicher Ressourcen hat freilich einen Preis: Die Opportunitätskosten, so die kapitalistische Bezeichnung für entgangene Einnahmen, beliefen sich für Ecuador auf mindestens sieben Milliarden US-Dollar.
Es ist mehr als recht und billig, dass Ecuador für die Realisierung des Projekts eine globale Lastenteilung fordert. Ein internationaler Entschädigungsfonds ist vorgesehen, der diese Einnahmeausfälle Ecuadors ausgleichen soll. So sieht es der Plan vor, den der damalige ecuadorianische Energieminister Alberto Acosta 2007 ausarbeitete.
Sämtliche Fraktionen im Deutschen Bundestag forderten bereits im Juni 2008 die Bundesregierung einvernehmlich auf, das Projekt zu unterstützen und als Geldgeber für den Fonds einen Beitrag zu leisten. Nur einem fehlt es an Durchblick: Entwicklungsminister Dirk Niebel. In seinem Antwortschreiben an die grüne Abgeordnete Ute Koczy teilte der FDP-Minister Mitte September mit, dass viele Bedenken nicht ausgeräumt seien und daher eine Beteiligung am Treuhandfonds nicht erfolgen solle. Ihm fehlen „konkrete Aussagen darüber, welche Garantien für einen dauerhaften Verzicht auf die Ölförderung im Yasuní-Gebiet gegeben werden.“ Niebel leidet offenbar an Seh- und Fremdsprachenschwäche gleichermaßen. Im Vertrag über den Treuhandfonds zwischen Ecuador und dem Entwicklungsprogramm der UNDP ist eindeutig festgeschrieben, dass Ecuador alle Einlagen zu hundert Prozent zurückzahlen muss, sollte irgendwann doch der Ölschatz im Yasuní-Park gehoben werden.
Was Niebel wohl tatsächlich zu seinem Vorstoß bewogen hat, ist die Angst, dass Yasuní Schule machen könnte. Eine Horrorvorstellung für den Neoliberalen. In der Tat haben Peru, Bolivien und Guatemala bereits ihr Interesse bekundet, gegen internationale Hilfsleistungen teilweise auf die Erschließung der Öl- und Gasfelder in ihren Ländern zu verzichten und damit zum Klimaschutz beitragen zu wollen. Geld erhalten für das Unterlassen einer Tätigkeit sprengt Niebels Ideenhorizont. „Wollen wir diese Tür wirklich öffnen? Der Bundestag wird am Ende über diesen Paradigmenwechsel entscheiden müssen“, teilte er seine Befürchtungen in einem Interview mit. Um einen Paradigmenwechsel geht es tatsächlich: Es gibt kaum einen einschlägigen Wissenschaftler, der nicht einen radikalen Kurswechsel fordert, um dem fortschreitenden Verlust der Biodiversität und dem Klimawandel Einhalt zu gebieten. Kaum einer, der nicht die Überwindung des fossilen Energiemodells hin zu einem umweltverträglichen Modell erneuerbarer Energien fordert.
Yasuní steht für das richtige Leben im Falschen. Das macht es gefährlich. So begrenzt seine reale Wirkung auch sein mag: Yasuní würde zeigen, dass eine andere Welt, ein anderes Wirtschaften möglich ist. Danach steht weder Niebel noch der Öllobby der Sinn, die das Projekt von Anbeginn hintertrieb. Bisher ohne durchschlagenden Erfolg. Mit Niebel haben die Energiedinosaurier nun einen gewichtigen Bündnispartner. Ein Rückzug Deutschlands aus dem Projekt hätte eine gefährliche Signalwirkung, die andere Industrieländer dazu bewegen könnte, sich ebenfalls herauszuziehen. Jedenfalls verspielt so die Bundesregierung ihren Ruf, den Klimaschutz multilateral vorantreiben zu wollen. Ein Armutszeugnis, zu dem die Kanzlerin und einstige Umweltministerin Angela Merkel bisher beflissen schweigt.

Niebels „Dolchstoß“

Zwei auf einen Schlag: Entwicklungsminister Dirk Niebel hat seinen Botschafter in Quito, Peter Linder, ebenso vor den Kopf gestoßen wie Ecuador. Linder hatte noch im August erklärt, beide Regierungen würden im September Verhandlungen über einen deutschen Beitrag zum Treuhandfonds der Yasuní-ITT-Initiative aufnehmen, dessen Vertragswerk von Ecuador und dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen am 3. August verabschiedet wurde. Nun musste Linder Ecuadors Regierung einen Brief zukommen lassen, in dem Niebel verschiedene Fragen zu der Initiative stellt. Sein Ansinnen: Deutschlands angedachte Zahlungen von 40 Millionen Euro jährlich zurückzuziehen.
Ob sich Niebel damit gegen den Willen sämtlicher Parteien im Bundestag, die bereits im Juni 2008 einschließlich der FDP die Yasuní-ITT begrüßten und die Bundesregierung zur Unterstützung aufforderten, durchsetzen kann, ist noch offen. Eine hochrangige Delegation aus Ecuador, mit der Ministerin für das Kultur- und Naturerbe, Maria Fernanda Espinoza, einem Vertreter der Vereinten Nationen sowie WissenschaftlerInnen des Verhandlungsteams, war Ende September zu einem länger geplanten Berlin-Besuch angereist. Eigentlich wollten sie über die Konkretisierung des deutschen Beitrags sprechen. Stattdessen mussten sie Informationsarbeit leisten. Dem Entwicklungsministerium wurde ein Schreiben überreicht, in dem die Fragen und Unklarheiten, die in Niebels Ressort offenbar bestehen, beantwortet werden. Mut konnte Maria Fernanda Espinoza daraus ziehen, dass beim Treffen mit Abgeordneten aller fünf im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen ihr weiterhin die uneingeschränkte Unterstützung für die Yasuní-ITT-Initiative zugesagt wurde. Eine Antwort des Entwicklungsministeriums steht noch aus. Ob sie bis zum Berlin-Besuch des ecuadorianischen Präsidenten Rafael Correa Anfang November kommt, bleibt abzuwarten.
Yasuní-ITT steht für ein unter Naturschutz stehendes Gebiet im ecuadorianischen Amazonas-Regenwald, das eine der höchsten Biodiversitäten des Planeten aufweist und zudem bisher nicht kontaktierte indigene Völker beherbergt. Dort wurden erhebliche Rohölreserven entdeckt, die Rede ist von 850 Millionen Barrel. 2007 hatte das kleine südamerikanische Land die Weltöffentlichkeit mit dem Vorschlag überrascht, dass es das Öl gern im Boden belassen würde, unter der Voraussetzung, dass der globale Norden seine umweltpolitische Mitverantwortung zeige und insgesamt die Hälfte der vom Öl zu erwartenden Einnahmen, rund 2,7 Milliarden Dollar, in einen Fonds einzahle.
In der ecuadorianischen Politik durchlitt die Yasuní-ITT-Initiative seitdem ein bewegtes Schicksal. Parallel zum Klimagipfel in Kopenhagen im Dezember 2009 ließ die Regierung die Verhandlungen mit der UNO um den einzurichtenden Treuhandfonds plötzlich platzen, ein ganzes Verhandlungsteam trat zurück, ein neues musste eingesetzt werden. Obwohl Präsident Correa immer wieder verlautbarte, er lasse sich von niemandem unter Druck setzen, ist es in Ecuador ein offenes Geheimnis, dass die Erdöllobby und ihre rechten Verbündeten in der Regierung zu keinem Zeitpunkt aufgehört hatten, intensiv am so genannten Plan B zu arbeiten: Der Ausbeutung des Öls aus dem Yasuní-Gebiet, falls das Geld nicht zusammenkommt oder der politische Wind umschlägt.
Da wirkte die im Juni 2008 fraktionsübergreifend vom Bundestag getroffene und später wiederholt bekräftigte deutsche Zusage, Haushaltsmittel für den Treuhandfonds bereitzustellen, wie ein Fels in der Brandung. Nach und nach folgten eine Reihe anderer Staaten dem deutschen Beispiel und signalisierten Interesse an der Unterstützung des Projekts: Spanien, Belgien, Frankreich, Italien und Chile.
Als im August endlich der Treuhandfonds mit dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen unterschrieben wurde, atmete Ecuador auf. Das Dokument beinhaltete endlich auch die von den Gebern geforderte Klausel, dass Ecuador alle Einlagen zu hundert Prozent zurückzahlen würde, sollte man sich in Zukunft doch noch zu einer Förderung des Öls im Amazonas-Regenwald entscheiden. Die Verhandlungen mit den Gebern konnten endlich in die nächste Runde gehen.
Der ehemalige Energieminister und Präsident der Verfassunggebenden Versammlung Ecuadors, Alberto Acosta, zeigt sich empört über Niebels Rückzieher und spricht von „einem Dolchstoß für die Initiative Yasuní-ITT“. Der deutsche Minister hingegen führt einerseits bürokratische und andererseits offensichtlich unrichtige Argumente an, um seine Entscheidung zu unterfüttern: Der ecuadorianischen Initiative fehlten ein „einheitlicher Begründungszusammenhang, eine klare Zielstruktur und konkrete Aussagen darüber, welche Garantien für einen dauerhaften Verzicht auf die Ölförderung im Yasuní-Gebiet gegeben werden“.
Während die Garantien mit der Unterzeichnung des Treuhandfonds eindeutig gegeben waren, konnten die Ziele klarer nicht sein: Der Erhalt einer weltweit einzigartigen Artenvielfalt, die Vermeidung von Kohlendioxid-Emissionen nicht nur durch Nichtentwaldung, sondern durch die Nichtförderung und Nichtverarbeitung fossiler Brennstoffe sowie die Beachtung der Rechte der in dem Gebiet lebenden indigenen Völker, welche durch die Ölförderung unweigerlich verletzt würden.
Ferner führt Niebel an, es erscheine „zweifelhaft, ob dieser Ansatz gegenüber den derzeit diskutierten Alternativlösungen (zum Beispiel Reduktion der Emissionen von Entwaldung und Degradierung, REDD) tatsächlich komparative Vorteile aufweise“. Konkret kündigte er an, im Rahmen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit weiterhin den zentralen von der ecuadorianischen Regierung eingeführten REDD-Mechanismus, das Programm Socio Bosque, zu unterstützen. Socio Bosque sieht im Rahmen der Einführung bezahlter „Umweltdienstleistungen“ die Zahlung von ökonomischen Anreizen an private Waldbesitzer oder indigene Gemeinden für jeden Hektar „freiwillig geschützten Waldes“ vor.
Acosta seinerseits nennt diese Alternative einen Hohn, „da ein Beitrag, der mit dem Leben verantwortungsvoll umgeht, ersetzt wird durch einen Beitrag, der von merkantilen Interessen geleitet wird“. In der Tat ist die Bezahlung für Umweltdienstleistungen sehr umstritten, da sie die Kommodifizierung, also die Transformation von Natur, und damit der Grundlage allen Lebens, in Waren, und damit ihre Einbindung in von kapitalistischen Interessen geleitetes Handeln bedeutet.
REDD ist auch international in die Kritik geraten, da das Programm – ebenso wie die UN-Rahmenkonvention über Klimawandel – faktisch keinen Unterschied macht zwischen industriellen Monokulturen, den Boden auslaugenden Plantagen und biodiversem Urwald. Wie UmweltschützerInnen im Juni 2010 auf der in Accra abgehaltenen Tagung „Realising Rights, Protecting Forests“ (Verwirklichung von Rechten, Schutz der Wälder) feststellten, existiert auf Grund dieser weit gefassten Definition von Wald „ein Risiko, dass REDD zur Ersetzung von natürlichen Wäldern durch exotische Plantagen führt“ und die Abholzung natürlicher Waldflächen zugunsten kommerzialisierbarer Produkte geradezu fördert.
Ecuador scheint hier keine Ausnahme darzustellen: Mitte August kritisierten indigene Frauen auf einem Forum über Socio Bosque in der Stadt Tena, das Programm befördere die Einführung fremder, plantagentauglicher Arten wie Teak, afrikanische Ölpalme und Pinie im Amazonasbecken.
Dieselben Frauen gaben Befürchtungen Ausdruck, der Staat werde in diesem Zusammenhang Maßnahmen befördern, welche die indigene Bevölkerung letztlich ihrer Landrechte beraube. In der Tat ist dies ein weiterer Kritikpunkt an REDD-Mechanismen wie Socio Bosque. Im Amazonasgebiet gibt es dort, wo der Wald noch intakt ist, kaum Möglichkeiten für die Waldbewohner, die Einkünfte aus den staatlichen „finanziellen Anreizen“ auszugeben. Die Indigenen leben dort von der Jagd, vom Fischen und von der Landwirtschaft auf kleinen Bauernhöfen. In die nächste Ortschaft gelangt man nur per Kleinflugzeug, und allenfalls gibt es in zu Fuß erreichbarer Nähe ein von einer Öl- oder Holzfirma eingerichtetes Bordell oder einen Alkoholausschank – nicht unbedingt Etablissements, die zum Erhalt der indigenen Kulturen beitragen. Andererseits ist die einzige Garantie, die die Gemeinden in die Verträge über den Waldschutz einbringen können, ihr Land – das gleichzeitig auch ihre Lebensgrundlage darstellt.
ExpertenInnen weisen darauf hin, dass die Kommodifizierung von Kohlendioxid über Mechanismen wie REDD zu unklaren Besitzverhältnissen über die Waldgebiete führt, da das Kohlendioxid vom Staat als öffentliches Gut verkauft wird, während Landbesitz individuell oder, in Ländern mit indigener Bevölkerung und fortschrittlicher Gesetzgebung, kollektiv geregelt ist. Hierdurch entsteht ein neuer Widerspruch zwischen staatlichen ökonomischen Interessen – da die REDD-Gelder in die Staatskasse fließen – und den kollektiven Landrechten indigener Völker. Um finanzielle Verluste zu vermeiden, wird die zentralstaatliche Kontrolle über Waldgebiete zunehmen und die schwer erkämpfte Autonomie indigener Kulturen untergraben werden.
Schließlich tragen REDD-Programme wie Socio Bosque auch nicht zur Vermeidung von Bergbau oder der Förderung fossiler Brennstoffe in den entsprechenden Gebieten bei. Die komparativen Vorteile von Yasuní-ITT gegenüber Socio Bosque springen also geradezu ins Auge. Bundestagsabgeordnete von der Linken, SPD, Grünen und selbst der FDP haben die jüngsten Äußerungen von Minister Niebel bereits hart kritisiert und ihre Unterstützung der ecuadorianischen Initiative bekräftigt, während der Unionsabgeordnete Christian Ruck und der FDP-Abgeordnete Harald Leibrecht ankündigten, mit dem Minister reden zu wollen.
Angesichts der Realitäten von Programmen wie Socio Bosque würde es der Glaubwürdigkeit des Schwerpunkts Umwelt- und Ressourcenschutz, den die Bundesrepublik in der Entwicklungszusammenarbeit mit Ecuador gesetzt hat, nur gut tun, wenn die Unterstützung der Yasuní-ITT-Initiative aufrechterhalten würde.

Jubiläum inmitten der Krise

Ohne jeden Zweifel hat die Bürgerrevolution die politische Landschaft Ecuadors seit ihrem Beginn 2006 gründlich in Bewegung gebracht. Die traditionellen politischen Parteien scheinen endgültig in die Bedeutungslosigkeit abgerutscht zu sein, und mit ihnen ein Konzept von formaler Demokratie, in der die Bevölkerungsmehrheit nicht repräsentiert war. Präsident Rafael Correa hatte eine Art Obama-Effekt ausgelöst: Er bewirkte, dass die Leute wieder Hoffnung entwickelten. Nicht nur auf eine Verbesserung ihrer persönlichen Lebenssituation, sondern auch Hoffnung auf einen tiefgreifenden politischen und gesellschaftlichen Wandel, an dem es sich zu beteiligen lohnt. Hoffnung darauf, dass das kleine Andenland nicht nur seine Souveränität behaupten, sondern gar international wahrgenommen werden könnte – zum Beispiel mit radikalen Vorschlägen zu einer eigenständigen südamerikanischen Finanzarchitektur. Oder mit dem Yasuní-Projekt, bei dem die in einem besonders schützenswerten Teil des amazonischen Regenwaldes vermuteten Ölreserven nicht gefördert werden sollen, sondern stattdessen die Länder aus dem Norden für die ausgefallenen Einkünfte finanziell mit in die Pflicht zu nehmen.
Ecuador fand seinen Platz in einem von einer neuen Linken mehr und mehr übernommenen Kontinent und entwickelte in diesem Kontext eigenständige, interessante Visionen. Correa ist ein gebildeter Präsident, der auch den einfachen Leuten komplexe Sachverhalte in ihrer eigenen Sprache verständlich machen kann. Auf diesem neuen Selbstbewusstsein sollte die Nation neu gegründet werden, dafür wurde gegen den Widerstand der alten politischen und wirtschaftlichen Eliten eine neue Verfassung durchgesetzt, die im Herbst 2008 in Kraft trat.
Vor allem im Bereich der Sozialpolitik hat die Bürgerrevolution durchaus positive Ergebnisse vorzuzeigen: Die staatlichen Investitionen im Bildungs- und Gesundheitssektor sowie im sozialen Wohnungsbau sind im Vergleich zu den vorherigen Regierungen sprunghaft gestiegen. Auch die Infrastruktur des Landes wurde merklich verbessert, Straßen, Brücken, Flughäfen errichtet, wo vorher kaum ein Durchkommen war. Der Staat vergibt Kredite zu günstigen Konditionen und verteilt in einem gewissen Maß auch Grund und Boden an die Bäuerinnen und Bauern, wenn auch von einer grundlegenden Agrarreform nicht die Rede sein kann. Die Arbeitslosigkeit ist trotz der weltweiten Krise seit Januar 2007 nur um einen Prozentpunkt auf acht Prozent gestiegen – im Vergleich zu elf Prozent in Chile und 14 Prozent in Kolumbien – was Correa in seiner Festansprache als Erfolg wertete. Auch der Analphabetismus soll um drei Prozentpunkte zurückgegangen sein. Die gesamtwirtschaftliche Situation des Landes ist aufgrund der weltweiten Krise jedoch eher schlecht, die Mittelschicht verliert spürbar an Kaufkraft, und die offiziellen Armutsstatistiken stagnieren.
Bereits im Sommer hatte ein Skandal um Regierungsaufträge an die Firmen von Fabricio Correa, dem Bruder des Präsidenten, am Image des smarten Staatschefs gekratzt. Nun sind in nur zwei Monaten zusätzlich zur Energiekrise, die sich in den vor zwei Wochen vorerst eingestellten täglichen Stromrationierungen manifestierte, zahlreiche weitere politische Krisenherde entstanden: Im Dezember brach die indigene Dachorganisation CONAIE die Verhandlungen mit der Regierung über Bergbau, interkulturelle Bildung, das neue Wassergesetz und den Status indigener Regierungsinstitutionen ab und kündigte für das Frühjahr neue Aufstände an. Im Januar mobilisiert Jaime Nebot, der konservative Bürgermeister der Industriemetropole Guayaquil, zu Massenprotesten wegen Haushaltsstreitigkeiten zwischen der Zentralregierung und seiner Kommune. Auch ein Flügel der Gewerkschaften will am liebsten in den Generalstreik treten, weil die Regierung traditionelle Errungenschaften der Arbeiterschaft angreift, wie zum Beispiel das 13. und 14. Monatsgehalt – der erste Schritt zur schleichenden Abschaffung weiterer Errungenschaften, wie viele befürchten. Nun hat auch noch die Gattin des Generalstaatsanwalts, der eigentlich für eine moralisch erneuerte Justiz stehen sollte, eine junge Frau totgefahren und danach versucht zu flüchten. Woraufhin von der Generalstaatsanwaltschaft alle klientelistischen Hebel in Bewegung gesetzt wurden, um ihr die anstehende Haftstrafe zu ersparen. Und schließlich hat Rafael Correa das internationale Vorzeigeprojekt seiner eigenen Regierung – die erwähnte Nichtausbeutung des Erdöls im Yasuní-Nationalpark als Abkehr von dem auf Rohstoffexport basierenden Entwicklungsmodell – vor kurzem eigenhändig erdrosselt.
Anstatt auf dem Weltklimagipfel von Kopenhagen einen UN-verwalteten Fonds ins Leben zu rufen, in den die Länder aus dem Norden ihr „Geld gegen Regenwald“ hätten einzahlen sollen – und damit vor der Weltöffentlichkeit ins Sachen Klimaschutz gut dazustehen – pfiff er seinen Außenminister Falconí in letzter Minute zurück und verhinderte so die Konkretisierung des Fonds. Wenige Wochen später verkündete er obendrein in seiner wöchentlichen Radioansprache, das in Kopenhagen von Falconí geführte Verhandlungsteam habe „beschämende Bedingungen“ ausgehandelt, die gar die Souveränität Ecuadors in Frage stellten. Deshalb werde man spätestens im Juni mit der Ölförderung beginnen, wenn bis dahin aus dem Ausland nicht mindestens die Hälfte des Geldes eingegangen sei, das durch die Einahmen durch die Erschliessung der Ölquellen zu erwarten sei.
KritikerInnen vermuten hingegen, der Präsident habe dem Druck der mächtigen Ölkonzerne nachgegeben, die ein Gelingen der ökologischen Initiative unbedingt verhindern wollen. Im Yasuní-Gebiet werden mit 846 Millionen Barrel 20 Prozent der ecuadorianischen Ölreserven vermutet, wenn auch nicht besonders hochwertiger Qualität. Nichts an den Bedingungen für den Fonds sei beschämend gewesen, ja die Geber aus dem Norden hätten nicht einmal am Verhandlungstisch gesessen, hält Alberto Acosta dagegen, einer der geistigen Väter der Bürgerrevolution und ehemaliger Energieminister Correas. Man habe sich vielmehr mit der UN-Agentur UNDP (Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen) auf die Mechanismen geeinigt, wie der zu schaffende Fonds verwaltet werden solle, und in dem entsprechenden Gremium habe Ecuador letztendlich die Mehrheit gehabt. Der Präsident habe mit seiner Wankelmütigkeit nun schon seit geraumer Zeit die konkrete Einrichtung des Fonds gebremst, in den die Gelder längst hätten fließen können.
Gleichzeitig machte die Regierung nie öffentlich, wie viele Länder mit welchen Summen bereits Zusagen gemacht hatten – unter anderen die Bundesrepublik, Spanien, Belgien, etc. Laut Roque Sevilla, dem nun zurückgetretenen Vorsitzenden der ecuadorianischen Verhandlungskommission, gab es bereits Zusagen in Höhe von ca. 49 Prozent der vereinbarten Gesamtsumme.
Sevilla erklärte auch, der plötzliche Kurswechsel von Correa sei auf Bedenken dessen juristischen Beraters Alexis Mera erfolgt. Von Alexis Mera wiederum ist bekannt, dass er auch schon Berater des rechtesten Präsidenten war, den die jüngere ecuadorianische Geschichte aufzuweisen hat: León Febres Cordero, dessen massive Menschenrechtsverletzungen während der 80er Jahre sogar die Einrichtung einer Wahrheitskommission in Ecuador im Jahr 2007 motiviert haben.
Alexis Mera ist eine der rechten Schlüsselfiguren in der weithin als links wahrgenommenen Regierung. Er, der als enger Vertrauter von Correa gilt, stand bereits im vergangenen Oktober im Kreuzfeuer der Kritik, als die Indigene Bewegung die Regierung nach einem Aufstand gegen das geplante Wassergesetz an den Verhandlungstisch gezwungen hatte. Damals hatte die Regierung Correa eine Reihe von runden Tischen zu Schlüsselthemen wie Bergbau, interkulturelle Schulbildung, Wasser und indigene Regierungsinstitutionen ins Leben gerufen. Es war das erste Mal seit seinem Amtsantritt, dass Correa von sozialen Protesten öffentlich zum Einlenken gezwungen wurde – insbesondere, weil bei den Demonstrationen im Amazonasgebiet ein indigener Lehrer zu Tode gekommen war.
Die ungestümen Äußerungen des Präsidenten im Zusammenhang mit dem Yasuní-Projekt führten nicht nur zum Rücktritt von Außenminister Fander Falconí und des gesamten Yasuní-Verhandlungsteams der Regierung, sondern auch zum endgültigen Bruch mit Alberto Acosta, der von der Zeitschrift Vanguardia als „das schlechte Gewissen eines Regimes“ bezeichnet wird, „das das ursprüngliche Programm von Alianza País (Correas Wahlbündniss, Anm. d. Red.) inzwischen von der anderen Straßenseite aus betrachtet.“ Mit Falconí und Acosta verliert Correa zwei seiner ergebensten und öffentlich angesehensten Mitstreiter aus dem linken Flügel von Alianza País. Auch wenn er in der Sache inzwischen halbherzig zurückgerudert ist und eine neue Verhandlungskommission für die Yasuní-Initiative geschaffen hat, dürfte die Glaubwürdigkeit Ecuadors im Hinblick auf die Umsetzung eines innovativen und nachhaltigen Entwicklungsmodells einen schweren Schlag erlitten haben.
Doch darüber hinaus stehen in Ecuador auch verschiedene Konzepte von Demokratie zur Debatte, was zu konstanten Spannungen zwischen Regierung und sozialen Bewegungen führt. Anstatt in sozialen Organisationen legitime Verhandlungspartner beim Aufbau eines neuen gesellschaftlichen Projekts zu sehen, wirft er Indigenen, Gewerkschaften und anderen legitimen Interessengruppen vor, sie würden eine eigene Agenda verfolgen und hätten das Gemeinwohl nicht im Blick. CONAIE, Gewerkschaften und linke Intellektuelle fordern dagegen, ihr ehemaliger Hoffnungsträger möge endlich das Versprechen einer wahrhaft partizipativen Demokratie einlösen, in der gesellschaftliche Mitsprache auf allen Ebenen und auf verschiedene Arten stattfinden kann.
Unterdessen denkt die politische Bewegung Alianza País darüber nach, wie sie sich in eine durchstrukturierte Partei umwandeln könnte. Im vergangenen Sommer wurden in einigen Landesteilen „Komitees zur Verteidigung der Revolution“ nach kubanischem Vorbild gegründet, eine „Organisierung von oben“, die bei vielen EcuadorianerInnen auf Ablehnung stieß. Generell scheint der Präsident den BürgerInnen in seinem politischen Projekt wenig mehr Souveränität als die Rolle von WählerInnen zuzuweisen. Noch sind dies nur Tendenzen – und es ist momentan schwer zu sagen, was die nächsten Monate Ecuador bringen werden. Die Regierung ist sich offenbar bewusst darüber, dass sie sich auf unsicherem Terrain bewegt. Daher versucht sie, an manchen Fronten zu beschwichtigen. So wurde zum Beispiel hinter verschlossenen Türen Zugeständnisse an die Indigenen gemacht, sodass diese vorerst von Mobilisierungen absehen wollen. Delfin Tenesaca, der neugewählte Sprecher der Indigenen aus dem Hochland, bringt auf den Punkt, was auch viele Linke denken: „Wir wollen nicht, dass Correa abtritt, aber wir wollen, dass er seinen Regierungsstil ändert.“
Manch einer geht auch davon aus, dass Rafael Correa der vertrackten Situation am liebsten durch einen neuen Wahlkampf entgehen will. Er selbst erwähnte bereits die Möglichkeit, das Parlament aufzulösen und Neuwahlen einzuleiten, oder ein Referendum zum Yasuní-Projekt durchzuführen. Dies würde die Öffentlichkeit von manchen Problemen ablenken und Correa stünde wieder auf der Bühne, auf der er am besten glänzen kann.

Öl für die Unabhängigkeit

Für den Präsidenten Brasiliens, Luiz Inácio „Lula“ da Silva, ist die Sache klar: „Wir feiern eine neue Unabhängigkeit!“ Und diese neue Unabhängigkeit Brasiliens habe einen Namen, einen Inhalt und eine Form, ergänzt er. „Der Name ist ‚pré-sal‘ der Inhalt sind die gigantischen Öl- und Gasfelder, entdeckt in den Tiefen unseres Meeres, und die Form sind die Gesetzespakete, die wir vor einigen Tagen dem Nationalkongress vorgelegt haben“, sagte Lula am 7. September, dem Tag der Unabhängigkeit Brasiliens, in einer Fernsehansprache den BrasilianerInnen. Diese Gesetze „werden garantieren, dass dieser Reichtum richtig verwendet wird, für Brasilien und für alle Brasilianer“, so Lula.
„Pré-Sal“ bezeichnet die gefundenen Erdöllagerstätten vor der brasilianischen Küste. Auf einer Länge von 800 Kilometern, vom Bundesstaat Espírito Santo bis nach Santa Catarina erstrecken sich die Ölfelder, bis zu 350 Kilometer vor der Küste – das heißt, sie befinden sich noch in dem Bereich, auf den Brasilien alleine Anspruch hat. In einer Wassertiefe von über dreitausend Metern und unter einer zwei bis drei Kilometern dicken Salz- und Gesteinsschicht – daher der Name „pré-sal“, „vor dem Salz“ – liegen schätzungsweise bis zu 100 Milliarden Barrel Öl sowie riesige Mengen an Erdgas.
Lula hatte dem Kongress Ende August vier Gesetzespakete zur Debatte und Verabschiedung vorgelegt – zunächst unter höchster Dringlichkeitsstufe: Abgeordnetenkammer und Senat hätten so 45 Tage Zeit zur Debatte, für Änderungsvorschläge und die Ratifizierung. Doch nach Protesten der Opposition hatte Lula dann die Dringlichkeit reduziert, Regierung und Opposition einigten sich auf den 10. November als Tag der Abstimmung. Doch Mitte Oktober wurde klar, dass auch dieser anvisierte Termin nicht einzuhalten wäre, wenn weiterhin diese Fülle an Änderungsvorschlägen der Abgeordneten eingehen. Deshalb schlugen Abgeordnete der Regierungskoalition vor, die Dringlichkeitsstufe erneut zu erhöhen. Wie genau weiter verfahren wird, stand zu Redaktionsschluss noch nicht fest.
Die vier Gesetzespakete sollen das weitere Vorgehen des Staates bei der Ausbeutung der Ölfelder regeln. Erstens soll das bisherige Konzessionssystem durch ein Verteilungssystem ersetzt werden, zweitens soll eine Staatsfirma – die Petro-Sal – geschaffen werden, die den Staat bei den bevorstehenden Verhandlungen mit Erdölunternehmen vertreten soll. Drittens soll ein Sozialer Entwicklungsfonds gegründet werden, in den die zu erwartenden Ölmilliarden fließen sollen. Das vierte und letzte Gesetzespaket soll die Kapitalerhöhung des Ölkonzerns Petrobras regeln.
Die zu gründende Petro-Sal soll der Gesetzesvorlage der Regierung zufolge nicht selbst die Ölförderung betreiben, sondern den Ölsektor regeln und die Unternehmen auswählen, die dann gemeinsam mit der Petrobras das Öl fördern werden. Dem neuen Staatsunternehmen kommt also die Aufgabe zu, die staatlichen Interessen zu vertreten. Der Soziale Entwicklungsfonds soll aus den Anlagegewinnen – so der Wunsch der Regierung – Bildung, Gesundheit- und Sozialausgaben finanzieren.
Dieses Modell für die Ausbeutung der neuen Ölfelder, das die Regierung vorschlägt, weicht somit stark von der bisherigen Praxis der Konzessionsvergabe in der Ölbranche ab. Gegenwärtig erwerben Ölkonzerne in Brasilien die Konzessionen und zahlen Royalties je Barrel geförderten Öls. Dies bleibt auch so bei allen brasilianischen Ölfeldern, die nicht im Pré-Sal liegen. Doch für das Pré-Sal will die Regierung neue Regeln einführen, da das Küstengebiet nicht durch das alte Erdölgesetz juristisch abgedeckt werde. „Das Konzessionsmodell, das 1997 angenommen wurde, passt nicht zu dieser neuen Situation“, meint Lula. Es wäre ein schwerer Fehler, erklärte er in seiner Fernsehansprache, dieses Regelung auch im Pré-Sal beizubehalten, denn „die Regelung wurde eingeführt, als wir noch nichts von den großen Vorkommen wussten, und das Land keine Kapazitäten hatte, sein Öl zu fördern.“
Nun plant die Regierung, dass der staatliche Konzern Petrobras mit jeweils mindestens 30 Prozent an der Ausbeutung jedes Feldes beteiligt wird. Diejenigen Ölkonzerne, die für die restlichen 70 Prozent dem Staat den höchsten Anteil zusagen, sollen bei den Ausschreibungen den Zuschlag erhalten. Das unternehmerische Risiko der Investition bei der Förderung soll nach Vorstellung der Regierung bei dem Unternehmen liegen, aber anteilig über das dann sprudelnde Öl wieder ausgeglichen werden – jedoch „im Rahmen vorab festgelegter Höchstgrenzen je Periode“, so der Regierungsentwurf.
Gegenwärtig sind neben der Petrobras mehrere Konzerne an den Prospektionen im Pré-Sal beteiligt. So hält zum Beispiel die britische BG Group 25 Prozent am Feld Tupi, an dem die portugiesische Galp ihrerseits einen Anteil von zehn Prozent hat. Allein die Vorkommen im Feld Tupi werden auf zwischen zwölf und dreißig Milliarden Barrel Erdöl geschätzt. So nimmt es nicht Wunder, dass sich die Industrie mit einem ausgefeilten juristischen Gutachten zu Worte meldete. Das Brasilianische Petroleum-Institut IBP, eine Lobbyorganisation, der 200 Firmen aus der Ölbranche angehören, wirft in dem Gutachten der Regierung vor, die freie Markttätigkeit einzuschränken, den freien Wettbewerb und die Gleichberechtigung aller Marktteilnehmer zu untergraben. Die Anhänger des Marktliberalismus der Oppositionspartei PSDB folgen diesem Gutachten und behaupten, dass das vorgelegte Gesetz einen enormen Rückschritt bedeute. Als die PSDB mit Präsident Fernando Henrique Cardoso an der Regierung war (1995-2002), initiierten sie eine „Modernisierung“ der brasilianischen Erdölindustrie – es handelte sich um eine weitgehende Privatisierung der Branche. Die Vertreter von PSDB und der Lobbygruppe IBP argunmentieren nun, dass es der Petrobras als halbstaatlichem Unternehmen an Kapazitäten mangeln würde, um die Felder im Pré-Sal auszubeuten.
Dem widerspricht der Präsident der in der Petrobras arbeitenden Ingenieure, Fernando Leite Siqueira. In einem Interview mit der Zeitschrift Democracia e Política erkläre er, dass die Petrobras alleine 30 Jahre lang vor der Küste Brasiliens nach Öl suchte. Auch die erfolgreiche Bohrung der ersten Quelle im tiefen Wasser sei mit brasilianischer Technologie erfolgt und habe die Petrobras alleine 260 Millionen US-Dollar gekostet. Leite Siqueiras Meinung nach ist die Kritik der Konzerne und der Opposition lediglich der Versuch, eine der erfolgreichsten Firmen der Welt in Verruf zu bringen. Für ihn stehen politische Gründe für die Ablehnung der PSDB im Vordergrund. Er vermutet, die Opposition befürchte, dass die Ankündigung der Regierung, das zu erwartende Geld in Sozialprogramme und Bildung zu investieren, der Arbeiterpartei zur erneuten Wiederwahl verhelfen würde.
So geht die Lobbyorganisation IBP noch weiter und wirft der Regierung vor, Verfassungsbruch zu betreiben, wenn sie die Gesetzgebung ohne vorherige Änderung der Verfassung ändern wolle. Denn 1995 war die Verfassung geändert worden, um das alte Erdölgesetz aus dem Jahre 1953 abzuschaffen. Dieses Gesetz von 1953 hatte der damalige Präsident Getúlio Vargas nach einer nationalistischen Kampagne eingeführt. Der Slogan dieser Kampagne hieß schmissig „O petroleo é nosso!“ – „das Erdöl gehört uns!“ Das Gesetz von 1953 war die Voraussetzung für die Gründung des Staatskonzerns Petrobras gewesen, der ein Monopol garantiert bekam. Außerdem verbot das Gesetz den Verkauf von Aktien der Petrobras an Ausländer. Dieses Gesetz wurde 1997 dann von der Regierung Fernando Henrique Cardoso verändert. Nun können Petrobras-Aktien an der Börse Bovespa in São Paulo und an der New York Stock Exchange gekauft und verkauft werden. Inzwischen ist Petrobras „der achtgrößte Konzern der Welt. In ganz Europa gibt es keinen Konzern dieser Größe“, wie auch Präsident Lula anlässlich seiner Rede zur „neuen Unabhängigkeit“ Brasiliens stolz sagte.
Aber diese Teilprivatisierung der Petrobras – in wichtigen Fragen kann die Regierung mit ihren Anteilen immer ein Veto in der Aktionärsversammlung einlegen – ist sehr unbeliebt in Brasilien. Sie erinnert zu sehr an die komplette Privatisierung des Bergbaukonzerns Companhia Vale de Rio Doce, inzwischen nur noch Vale. Der Wert dieses Unternehmens hat sich in den ersten zehn Jahren nach der Privatisierung um mehr als 1.200 Prozent gesteigert. Inzwischen ist die Vale das größte Eisenerzbergbauunternehmen der Welt und eines der größten Bergbauunternehmen überhaupt.
So gewann nach der Entdeckung der Pré-Sal auch die alte Debatte um Privatisierung und Wiederverstaatlichung an Fahrt. Etliche soziale Bewegungen sowie eine Reihe linker Gruppen und Parteien fordern eine komplette Verstaatlichung der Petrobras und die Wiedereinführung des Monopols für Erdölförderung. In Anspielung auf die Kampagne von 1953 fordern sie: „Pré-Sal muss unser sein!“. Solche Forderungen nach Wiederverstaatlichung der Petrobras bereiten den AktionärInnen und den VerfechterInnen freier Marktwirtschaft ein Grausen.
Eine Gefahr für die Wirtschaft sieht gleichwohl auch die Regierung, aber von einer anderen Warte aus betrachtet. Der Finanzminister Guido Mantega, sprach sich dafür aus, die zu erwartenden Petrodollars in einen Fonds fließen zu lassen, der einen großen Teil im Ausland investiert. Dies soll den Devisenfluss besser kontrollieren. Ansonsten drohe die Gefahr der so genannten „holländischen Krankheit“: In den sechziger Jahren flossen auf Grund des Erdgasbooms in den Niederlanden viele Devisen ins Land. Dies wertete die Landeswährung auf, wodurch die Exporte sich verteuerten und das Land anfing, zu viel aus dem Ausland zu importieren. So wurde die Inlandsproduktion in Mitleidenschaft gezogen. „Wir werden die holländische Krankheit in Brasilien nicht dulden“, bekräftigte Mantega und fügte hinzu, dass er für die Zukunft einen Anstieg der brasilianischen Dollarreserven auf bis 500 Milliarden Dollar sehe.
Für Präsident Lula ist all dies ein Grund, „die Zukunft zu feiern“. Für seine alte Weggefährtin und Ex-Ministerin, die Senatorin Marina Silva, ist all dies weniger ein Grund zu feiern. Vor allem die Geschwindigkeit, mit der die Regierung die neuen Gesetze durch den Kongress bringen wolle, sei fragwürdig. „Die Hochdringlichkeit für eine solch komplexe Angelegenheit ist nicht der beste Weg. Es braucht für den Kongress ausreichend Zeit für die Debatte und ausreichend Zeit dafür, dass die Gesellschaft sich äußern kann“, so die künftige Präsidentschaftskandidatin der Grünen Partei PV im Interview mit der Agência Brasil. Und ihr Parteikollege, der Senator Fernando Gabeira, beklagt, das bei den vier Gesetzesvorschlägen der Regierung keiner sich mit den ökologischen Folgen der Ölförderung befassen, was in Zeiten einer bevorstehenden Klimakatastrophe nicht mehr zeitgemäß sei.
João Alfredo Telles Melo, Abgeordneter der PSOL, Professor und vormals Berater von Greenpeace Brasilien, weist darauf hin, dass gar nicht berechnet werde, welche Mengen an Kohlendioxid durch die Förderung des Öls freigesetzt werden würde. Die Nutzung der Ölreserven würde Basilien zwar 40 Jahre lang von Importen unabhängig machen, so Telles Melo weiter, aber gleichzeitig auch zu einem der größten Kohlendioxid-Verschmutzer der Welt machen. Er geht davon aus, das Brasilien jährlich circa 1,3 Milliarden Tonnen Kohlendioxid mehr emittieren würde, was eine Verdoppelung des gegenwärtigen Ausstoßes dieses Gases bedeuten würde. Darin noch nicht einmal einberechnet ist die Energie, die notwendig sein wird, um das Erdöl zu fördern.
Ein ganz anderer Ansatz wäre das, was der Journalist Danilo Pretti Di Giorgi in der Zeitschrift Correio da Cidadania schon im September 2008 für den Pré-Sal vorgeschlagen hatte: „Mein Vorschlag ist, dass wir die neuen Vorkommen im Pré-Sal in Frieden lassen, da, wo sie schon seit Hunderten von Millionen Jahren sind.“ Die gleiche Idee – aus Ecuador kommend – macht mit dem Erdöl im Yasuní Karriere. Pretti Di Giorgi fragt: „Wie viel wäre eine brasilianische Entscheidung, das Pré-sal nicht anzurühren, wohl wert?“

“Es geht darum, den Erdölverbrauch zu reduzieren“

Wie kam es zu der Idee, Geld für die Nicht-Förderung von Erdöl zu verlangen?
Die Idee stammte von lokalen Gemeinden im Widerstand gegen die Erdölfirmen, anderen gesellschaftlichen Gruppen und Nichtregierungsorganisationen wie Acción Ecologica und Oilwatch. Sie alle sind schon seit langer Zeit der Meinung, dass die Entwicklung Ecuadors hin zu einem post-fossilen Energiemodell notwendig ist. Vor etwa zehn Jahren entstand der Vorschlag für ein „Moratoriums gegen die Ausweitung der Erdölfront“. Das zentrale Argument war, dass es nicht nötig sei, weiter nach Erdöl zu suchen, da man nicht einmal die bereits entdeckten Reserven aufbrauchen kann, ohne die ökologische Tragfähigkeit der Erde zu überschreiten. Auf der Basis des Prinzips der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung wurde das folgende Konzept entwickelt: entweder eine Kompensation für die Nicht-Förderung des Rohöls einzufordern, oder – und das war die ursprüngliche Idee – das Erdöl unter der Bedingung zu verkaufen, dass es in der Erde belassen wird. Diesen Vorschlag für den Yasuní-Nationalpark durchzubringen war nicht einfach, denn wir sprechen hier von den wichtigsten Ölreserven des Landes. Zugleich war es jedoch sehr dringend, da es sich bei dem Projekt, dem so genannten „Ishpingo-Tambococha-Tiputini“-Projekt – kurz ITT – um ein besonders emblematisches Gebiet handelt.

Die ecuadorianische Regierung nahm den Vorschlag im letzten Jahr auf. Wurde die Grundidee seitdem verändert?
Der Teil des Projektes zum Klimawandel wurde im letzten Jahr sehr verändert: Bei der Suche nach Finanzierungsmechanismen wurden mit den carbon credits auf einmal neoliberale Marktmechanismen in Betracht gezogen. Diese Kommerzialisierung und generell der Verkauf von so genannten Umweltdienstleistungen treffen im Land jedoch auf eine sehr kritische Haltung. Denn diese Mechanismen stoppen keine Emissionen und verfehlen damit das zentrale Problem des Klimawandels. Es geht beim ITT-Projekt nicht darum, den Verschmutzerländern einen Freischein zu geben, damit diese weiter die Atmosphäre verschmutzen können. Die Idee soll vielmehr einen echten Versuch darstellen, den Erdölkonsum zu reduzieren. Die ursprünglichen Positionen von Präsident Correa und der Umweltministerin waren noch sehr kritisch gegenüber den Mechanismen des Kyoto-Protokolls und den carbon credits, da diese den Klimawandel zu einem Geschäft für die Verschmutzer machen. Als jedoch im Januar dieses Jahres begonnen wurde, die Finanzierungsmechanismen auszuarbeiten, verstummte diese Kritik plötzlich. Und der Vorschlag stellte sich auf einmal als Verkauf von Umweltdienstleistungen dar. Wir als VertreterInnen mehrerer NRO arbeiten jetzt daran, dass die Regierung wieder zur Ursprungsidee zurückkehrt.

Seit der Bekanntmachung des Konzeptes durch Rafael Correa ist mehr als ein Jahr vergangen. Wo steht das ITT-Projekt aktuell?
Ende Juni dieses Jahres wurde das Moratorium für die Ausschreibung der Konzession bis Ende Dezember 2008 verlängert. Eine wichtige Grundlage dafür war der Beschluß des Deutschen Bundestages, die ecuadorianische Regierung um diese Fristverlängerung explizit zu bitten. Ab Dezember ist jetzt eine doppelte Ausschreibung geplant. Einerseits sollen interessierte Erdölfirmen aufgefordert werden, ihre Angebote zur Förderung einzureichen. Gleichzeitig soll die internationale Gemeinschaft aufgerufen werden, seit dem letzten Jahr gemachte finanzielle Versprechen zu konkretisieren. Verbindliche Zusagen fehlen bisher, da noch immer nicht klar ist, welche Garantien die ecuadorianische Regierung für die Nichtausbeutung des Yasuní, für den Schutz der Biodiversität des Gebietes aber auch in Bezug auf das Projekt als Teil einer sozialverträglichen Politik letztlich bietet. Bisher gab es diesbezüglich widersprüchliche Signale. Jedoch hoffe ich, dass die Referenzbedingungen bis Dezember definiert sind.

Ist diese drohende doppelte Ausschreibung nicht ein sehr ungleicher Wettbewerb?
Für die gebotenen Summen gilt ein Verhältnis von 2:1. Die internationale Gemeinschaft müsste nur die Hälfte dessen aufbringen, was die Unternehmen bieten. Zudem denke ich nicht, dass das benötigte Geld von der Zivilgesellschaft oder den NRO kommen kann, da ihnen die finanziellen Mittel fehlen. In der Hauptsache müssen diese Mittel von den Regierungen kommen.

Die Ausschreibung zur Erdölförderung würde mehr Druck auf die internationale Gemeinschaft machen.
Wir würden uns von dieser Ausschreibung mehr Klarheit erhoffen. Es wäre eine Bestandsaufnahme, die sichtbar machen würde, wie groß das konkrete Interesse auf internationaler Seite und von Seiten der Ölunternehmen ist. Wie die geforderte Summe letztendlich zustande kommt, ist noch unklar. In Form von Bargeld, aber auch z.B. als Unterstützung zur Förderung erneuerbarer Energien.

Wie genau reagierten die Industrieländer auf den Vorschlag bisher?
Es gab bisher viele interessante Signale. In keinem Fall war jedoch von Emissionshandel die Rede. Das Interesse beruhte vielmehr auf dem Schutz der Biodiversität. So hat Norwegen einen Biodiversitätsfonds und überlegt, einen Teil des Geldes in den Yasuní zu investieren. Interessensbekundungen gibt es von Deutschland, Spanien, Italien und Schweden. Manche Länder erwägen einen Schuldenerlass zugunsten des Yasuní oder eine Kanalisierung von Entwicklungsgeldern in das Projekt. Selbst die OPEC hat Interesse an der Idee signalisiert. Auch viele NRO sind an dem Vorschlag interessiert, was sehr wichtig ist für die Bewusstseinsbildung.

Und wie fielen die Reaktionen aus Ländern des globalen Südens aus?
Wir arbeiten momentan mit verschiedenen Ländern, die Interesse gezeigt haben. In Argentinien versuchen beispielsweise die Mapuche eine ähnliche Kampagne zu starten. In Costa Rica, wo das bestehende Moratorium zur Ölförderung aufgehoben wurde, gibt es Pläne in diese Richtung. Auch in Osttimor, Bolivien, Mauretanien und in Nigeria gibt es Interesse. Wir sind dabei auszuarbeiten, was die jeweiligen lokalen Besonderheiten und Probleme sind. Wir in Ecuador sind in einer besonders günstigen Situation, denn die Bedingungen für einen solchen Vorschlag sind ideal. Es geht um ein Gebiet, das über eine extrem hohe Biodiversität verfügt und zugleich Territorium von indigenen Gemeinschaften in freiwilliger Isolierung und Biosphärenreservat ist. Und wir sind in einer politischen Situation, Periode des Übergangs, und es gibt eine Bereitschaft zum Wandel.

Damit auch zukünftige ecuadorianische Regierungen das Öl im Boden lassen, forderte die deutsche Regierung die Verankerung des Versprechens in der neuen Verfassung. Wie sinnvoll und realistisch ist diese Forderung?
Ein entsprechendes Gesetz wäre keine Garantie. Und schließlich könnte auch die Verfassung geändert werden. Aber das Garantiekonzept ist eigentlich ganz simpel: Durch den Verkauf des Rohöls geht dieses in privaten Besitz über. Es kann also nicht noch einmal verkauft werden. Auf dem internationalen Ölmarkt sind diese Mechanismen eindeutig definiert. Wenn der Staat sein Erdöl an Texaco verkauft, kann er es nicht gleichzeitig an ein anderes Unternehmen verkaufen. Es wird daher versucht, den Geldgebern dieselbe Garantie zu geben wie einem Unternehmen. Die Geldgeber erhalten Eigentumstitel über die Barrel Öl, das sie gekauft haben, und somit die Garantie, dass sie im Falle einer Förderung ausgehändigt werden, was das Fördern an sich unsinnig macht. Zudem gibt es internationale Abkommen mit den Geberländern, die sicherlich nicht gebrochen werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendeine ecuadorianische Regierung leichtfertig die Beziehungen mit Deutschland oder der UN gefährden würde. Es gibt eine Menge starker Zwischenakteure, die dafür sorgen werden, dass das Versprechen eingehalten wird.

Die neue ecuadorianische Verfassung beinhaltet Artikel zum Umweltschutz, zu „unberührbaren Zonen“ – wozu ein Teil des ITT zählt –, in denen der Rohstoffabbau verboten ist. Wie bewerteten Sie das im Hinblick auf den ITT-Vorschlag?
Es gibt ein großes Schlupfloch: Alles kann funktionieren, aber diese Verfassung steckt voller Ausnahmen. Kommt die geforderte Summe nicht zustande, und sollte sich die Regierung dazu entschließen, das Erdöl zu fördern, wird im Kongress darüber abgestimmt. Sollte es im Kongress zu keiner Einigung kommen, käme es zu einer Volksbefragung. Es ist ein demokratischer Prozess, in dem die Entscheidung in letzter Instanz wieder bei der Bevölkerung liegt. Zwar ist das ITT-Projekt in erster Linie ein Beitrag Ecuadors zum Klimaschutz. Doch ist es auch eine Bildungskampagne. Seit Juni 2007 machen wir von Acción Ecologica Bildungsarbeit und besuchen zum Beispiel wöchentlich zwei bis drei Schulen, um über das Thema des Yasuní, die indigenen Gemeinschaften und die Notwendigkeit eines post-fossilen Energiemodells zu sprechen. Es ist wichtig, den Menschen bewusst zu machen, dass es sich um ein Thema von wirtschaftlicher Bedeutung handelt, sich aber viele unersetzliche Dinge nicht in monetären Werten messen lassen. Denn in letzter Instanz ist es die ecuadorianische Gesellschaft, die mit ihrer Stimme in der Volksbefragung entscheidet, ob der Yasuní ausgebeutet wird oder nicht.
// Interview: Ines Thomssen

Kaste:

Das Ishpingo-Tambococha-Tiputini-(ITT)-Projekt
350 Millionen US-Dollar jährlich über den Zeitraum von 13 Jahren an den ecuadorianischen Staat und das Öl bliebe im Boden. Diese Zahlen entsprechen der Hälfte dessen, was bei der Ausbeutung des ITT-Feldes zu erwirtschaften wäre. So lautet der Finanzierungsvorschlag der ecuadorianischen Regierung für das ITT-Projekt. Die ITT-Konzession liegt im östlichen Teil des Yasuní-Nationalparkes, der zugleich UNESCO-Biosphärenreservat ist. Im Osten grenzt sie an das Nachbarland Peru, wo sich unmittelbar entlang der Grenze eine ganze Galerie von Erdölkonzessionen erstreckt. Mit 200.000 Hektar ist die ITT-Konzession ein wenig größer als die doppelte Fläche des Landes Berlin. In der Tiefe ruht schweres Öl, das allein um die 20 Prozent der Erdölvorkommen Ecuadors ausmacht. Die ITT-Zone gilt wie der gesamte Yasuní als eines der artenreichsten Gebiete der Erde und ist zugleich Territorium indigener Völker, die in freiwilliger Isolation leben. Durch die Nicht-Förderung des Erdöls würde verhindert werden, dass an die 400 Millionen Tonnen Kohlendioxid freigesetzt würden. Die Einnahmen aus dem Projekt sollen ausschließlich für soziale und Umweltschutzprojekte sowie zur Förderung erneuerbarer Energien eingesetzt werden.
Seitdem das Interview geführt wurde, hat sich das einfache Kompensationsmodell für die Finanzierung des ITT-Projektes sich als nicht durchführbar erwiesen. Jüngsten Informationen zufolge denken Regierung und Präsident Correa zur Zeit über die Ausgabe von Yasuní-Garantiezertifikaten nach, die gleichwertig zu den handelbaren Kohlenstoff-Emissionszertifikaten des Kyoto-Protokolls sein sollen. Nach jüngsten Aussagen des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) wird unter der Federführung der bundesdeutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) bis Mitte Februar 2009 eine Machbarkeitsstudie zum ITT-Projekt erstellt. Damit verschiebt sich auch die Dezember 2008 auslaufende Frist für die Ausschreibungen; das Moratorium verlängert sich. Gegenüber der ecuadorianischen Presse sagte Ecuadors Präsident Correa, dass mit dem Beginn der parallelen Ausschreibungen im Januar 2009 zu rechnen ist.

Weitere Informationen unter: http://www.sosyasuni.org/de/index.php

Stürmische Zeiten für Ecuadors Bürgerrevolution

Es ist ein Rückschlag mit noch unabsehbarer Wirkung. Am 23. Juni kündigte Alberto Acosta den Rücktritt von seinem Amt als Präsident der Verfassunggebenden Versammlung in Ecuador an. Er wende sich dagegen, die Debatte und die Qualität des Textes dem Zeitdruck zu opfern, sagte Acosta in Montecristi, wo der Konvent seit November 2007 tagt. „Damals sagte ich und jetzt wiederhole ich mit tiefster Überzeugung: Geschichte wird von den Völkern gemacht und nicht von Einzelpersonen“.
Eigentlich hatte Acosta die Gründe für seinen Rücktritt vor dem Plenum erläutern wollen, doch stattdessen zog sich seine Fraktion Acuerdo PAIS (AP) zu einer Klausurtagung in der nahegelegenen Hafenstadt Manta zurück. Daraufhin berief Acosta eine Pressekonferenz ein, bei der ihn seine Frau und Abgeordnete der regierungskritischen Mitte-Links-Parteien begleiteten.
„Unsere Bürgerrevolution wird nicht durch eine Führungsfigur ermöglicht, sondern nur durch die aktive Beteiligung breiter Bevölkerungsschichten“, sagte Acosta und bezeichnete den Verfassungsprozess als historischen Einschnitt: „Vorher galten die Gesetze einiger weniger als Begründung einer Ordnung, um die Privilegien weniger zu sichern“. Jetzt hingegen werde gemeinsam an einem „neuen Entwicklungsmodell“ gebaut, „einem kreativen, harmonischen, friedlichen Lebensprojekt, das in Ecuador und auf der ganzen Welt nötig ist“.
Rafael Correa hingegen drängte bereits von Anfang an auf eine rasche Verabschiedung des Textes und bezeichnete Acosta mehrmals und nur halb im Scherz als „zu demokratisch“. Als ursprünglicher Termin für die Verabschiedung war der 24. Mai vorgesehen.
Vor Acostas Rücktritt hatte sich das Politbüro (nomen est omen?) der AP auf Druck des Staatschefs auf den 26. Juli festgelegt. „Indem sie mir ihre Unterstützung entzogen, haben sie mich gebeten, einer anderen Führungsgruppe (im Verfassungskonvent, Anm. d. Red.) Platz zu machen“, sagte Acosta. Er beuge sich dieser Entscheidung und wolle nun als einfacher Abgeordneter weitermachen.
Für Acosta handelt es sich – noch – nicht um einen endgültigen Bruch, auch wenn die konservativen Medien Ecuadors dies in allen denkbaren Varianten herbeischreiben wollen. Aber natürlich ist der Rücktritt ein weiterer Schachzug in seinem monatelangen Disput mit Correa. Der reagierte tags darauf mit einem trotzigen „Niemand ist unentbehrlich“.

„Geschichte wird von den Völkern gemacht und nicht von Einzelpersonen“

Die zwei repräsentativsten Figuren der „Bürgerrevolution“, beides linke Ökonomen, waren seit Jahren freundschaftlich verbunden. In den 1990er Jahren war der heute 59-jährige Intellektuelle Acosta mit seinen antineoliberalen Schriften über die Auslandsverschuldung oder Naturzerstörung eine Art Mentor für den 14 Jahre jüngeren Correa. Im siegreichen Wahlkampf 2006 wurden die beiden zu engen Mitstreitern, und 2007 amtierte Acosta einige Monate lang als erster linker Energie- und Bergbauminister Ecuadors. In jenen Monaten überredete er Correa dazu, die wirklich revolutionäre Urwald-statt-Erdöl-Idee für den Amazonas-Nationalpark Yasuní zum Regierungsprojekt zu erklären (siehe unten). Doch in der Frage wirtschaftliche Entwicklung versus Umweltschutz blieb Correa bis heute in traditionellem Wachstumsdenken verhaftet.
Im Juni 2007 einigten sich Rafael Correa und Alberto Acosta auf die Spitzenkandidatur Acostas für die AP-Liste für den Verfassungskonvent, was beiden zupass kam: Die von vielen Kabinettskollegen und dem Präsidenten als lästig empfundene Opposition des grünen Intellektuellen zu neuen Bergbau- und Ölförderprojekten war weitgehend ausgeschaltet, andererseits bekam Acosta als Präsident der Verfassunggebenden Versammlung so etwas wie eine Traumrolle: Diskurse zu organisieren, das sagt er ganz offen, liegt ihm viel mehr als der oft bürokratische Regierungsalltag.
Acosta trug maßgeblich zum klaren Sieg des Regierungslagers Ende September bei und erzielte auch noch mit Abstand das beste Einzelergebnis. Die Probleme bei den Verfassungsprozessen in Venezuela und Bolivien vor Augen, wo sich die bürgerliche Opposition von der Regierungslinken an die Wand gedrückt sah und auch deswegen auf Putsch oder Totalblockade der Länder setzte, bemühte er sich mit Erfolg um die Einbindung reformwilliger Oppositionskräfte von SozialdemokratInnen bis hin zu den Indígenas.
Das ging auf Kosten des Zeitplans. Die Verzögerungen, die den Präsidenten immer mehr auf die Palme brachten, waren „vielleicht mein größter Fehler“, räumt Acosta freimütig ein. Wenn er nicht gerade eine der Interessengruppen empfing, die tagtäglich in das Städtchen Montecristi pilgerten, leitete er die Diskussionen im Plenum oder warb in Interviews für das Projekt einer pluralistischen, mit größtmöglicher Transparenz und Partizipation erarbeiteten Verfassung.
Eine Hausmacht innerhalb von Acuerdo PAIS aufzubauen, konnte und wollte er hingegen nicht – was sich jetzt rächt. An den wöchentlichen Sitzungen des Politbüros, der einzigen und fast ausschließlich mit Regierungsmitgliedern besetzten AP-Entscheidungsinstanz, nahm er zuletzt kaum noch teil. Besorgte SympathisantInnen sprechen von einem „politischen Selbstmord“ Acostas.
Rückendeckung erhielt er von der indigenen Bewegung und der unabhängigen Linken. Allerdings bedauerte Humberto Cholango von der indigenen Kichwa-Organisation Ecuarunari den Rücktritt. Verantwortlich seien dafür der „Druck kleiner Gruppen“ und die „Intoleranz jener, die nichts verändern wollen“, meinte Cholango. Eduardo Delgado von der Partei Demokratischer Pol befürchtete einen „Rechtsruck innerhalb der Regierung“.
Am 28. Juni erklärte Rafael Correa in seiner wöchentlichen Rundfunkansprache, die neue Verfassung sei bereits „fast fertig“ und werde wie geplant am 26. Juli verabschiedet. Die über 400 fehlenden Artikel seien bereits ausgearbeitet und müssten nur noch in erster und zweiter Lesung verabschiedet werden. Den Rücktritt Acostas bezeichnete er als „eins der härtesten Dinge, die mir widerfahren sind, der Ausstieg eines Compañero“. Das „Undemokratischste“, was Ecuador widerfahren könne, sei eine weitere Zeitverzögerung: „Demokratie bedeutet, den Auftrag des Volkes umzusetzen“.
Aber auch Alberto Acosta gab sich am gleichen Tag demonstrativ zuversichtlich. Selbst, was die Zustimmung der EcuadorianerInnen in einem Referendum im September oder Oktober angeht. Hier liegt das stärkste Argument Correas: In der Bevölkerung nämlich wächst die Unzufriedenheit, vor allem wegen der galoppierenden Inflation bei den Lebensmitteln. In Zumbahua, einem überwiegend von Indígenas bewohnten Dorf im Andenhochland, schwindet der Rückhalt für die Regierung gerade deswegen. Der 42-jährige Humberto Pallo etwa, der TouristInnen zur nahegelegenen Luguna Quilotoa chauffiert, schimpft: „Der Preis für einen Dose Speiseöl hat sich verdoppelt, und die Regierung tut nichts dagegen. Natürlich wollen wir mit der Korruption aufräumen, aber hier im Dorf sehe ich da noch keine Fortschritte. Viele Leute wandern nach Europa aus, manche sogar mit der ganzen Familie. Außerdem hat die Regierung ein Kommunikationsproblem – wir werden einfach nicht gehört“.
Für Alberto Acosta ist eine der wichtigsten Passagen der neuen Verfassung die Erklärung Ecuadors zum „Friedensterritorium“ – nächstes Jahr läuft der Vertrag für den US-Militärstützpunkt in Manta aus. Besonders stolz ist er jedoch auf ein weltweites Novum, das er und seine ökologisch ausgerichteten MitstreiterInnen durchsetzen konnten: Im ecuadorianischen Verfassungstext sind erstmals die Rechte der Natur festgeschrieben. „So, wie die soziale Gerechtigkeit im 20. Jahrhundert die Achse der sozialen Kämpfe war, so wird dies im 21. Jahrhundert immer mehr die Umweltgerechtigkeit sein“, heißt es in seinem Grundsatzpapier „Die Natur als Rechtssubjekt“. Damit führt Ecuador die leider nur zögerlich geführte programmatische Debatte innerhalb der lateinamerikanischen Linken an.
Ende Juni kam für Acosta & Co. die beste Nachricht aus Deutschland, genauer: aus dem Bundestag. Am 26. Juni wurde dort auf Initiative der Grünen und der Koalitionsparteien einstimmig ein Antrag verabschiedet, der die Bundesregierung zur Unterstützung des ecuadorianischen Vorschlags zum Klimaschutz auffordert. Demnach will Ecuador auf die Förderung von Erdöl im Ishpingo-Tambococha-Tiputini-Gebiet (ITT) verzichten, wenn sich die internationale Gemeinschaft an den dadurch entstehenden Einnahmeausfällen beteiligt. Zugleich forderte der Bundestag die ecuadorianische Regierung auf, die Frist für die Annahme ihres Vorschlags bis Ende 2008 zu verlängern. Die Bundesregierung soll sich zudem auch auf internationaler Ebene für die Unterstützung des Projekts stark machen.
Die Details einer möglichen deutschen Unterstützung sind allerdings noch offen, im Gespräch ist ein Schuldenerlass. Tags darauf freute sich Alberto Acosta im Plenum von Montecristi über das Signal aus Berlin: „Es zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind, wenn wir nicht nur an Ecuador denken, sondern auch auf globaler Ebene“.

Blog von Alberto Acosta: http://asambleaconstituyente.gov.ec/blogs/alberto_acosta

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