Aktuell | Guatemala | Nummer 587 - Mai 2023

Giammatteis Vermächtnis

Zur Situation vor den Präsidentschaftswahlen in Guatemala

Mit dem Ausschluss von Präsidentschaftswahlen für Thelma Cabrera und Jordán Rodas hat die Regierung einen weiteren Schritt in Richtung Abbau der demokratischen Institutionen und Sicherung des Status quo unternommen. Dazu gehören das Weiterbestehen von Straflosigkeit und Korruption sowie Gewalt und die Marginalisierung bzw. der Ausschluss indigener Völker von demokratischen Institutionen.

Von Voces de Guatemala - Berlin

Para leer en español, haga clic aquí.

Protest in Berlin Demo zum Amtsantritt der Regierung Giammattei im Jahr 2020 (Foto: Marcus Tragesser)

Im März hat das oberste Verfassungsgericht Guatemalas die Präsidentschaftskandidatur von Thelma Cabrera, der indigenen Anführerin der Volksbefreiungsbewegung (Movimiento para la liberación de los pueblos), und ihres Genossen Jordán Rodas, dem ehemaligen Staatsanwalt fur Menschenrechtsverteidigung, definitiv abgelehnt. Mit diesem Ereignis geht die Ära einer Regierung zu Ende, deren Politik eine Zunahme von staatlicher Gewalt, Extraktivismus sowie Korruption und Straflosigkeit bewirkt hat. Dies hat ständige Angriffe auf das demokratische System bedeutet. Die Wahlbehinderung zeigt sich dabei als letzte Phase der Entleerung der Garantiefunktion der demokratischen Institutionen.

Im Zuge der Gesundheitskrise zeigten die Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe von Führungspositionen im Justizapparat deutlich die Unterordnung der Justiz unter die politische Macht der Regierung.
Angesichts der zahlreichen Mobilisierungen im ganzen Land ist die Wiederwahl von Dina Josefina Ocha und des Rechtsanwalts Luis Rosales Marroquín in das Verfassungsgericht im März 2021 ein Hinweis auf die Weigerung der Regierung, sich gegen Korruption und Straflosigkeit zu engagieren. Während Ocha beschuldigt wurde, mehrere Korruptionsfälle zu decken und die Beendigung der Mission der Internationalen Kommission gegen die Straffreiheit in Guatemala (CICIG) voranzutreiben, war Marroquín jahrelang der Verteidiger des ehemaligen Diktators Efraín Rios Montt. Wegen des Genozides gegen das Maya-Volk der Ixil in der Region Quiché wurde Ríos Montt verurteilt, dann aber in letzter Instanz für unschuldig erklärt.

Die Bestätigung von Consuelo Porras als Leiterin der Generalstaatsanwaltschaft im Mai 2022 spiegelt angesichts ihres Engagements gegen bestimmte Jurist*innen, die sich im Kampf gegen die Mafia engagiert haben, die Verbreitung von Korruption und Straflosigkeit wider. Andere Missstände zeigten sich bei der Wahl der Richter*innen des Obersten Gerichtshofs, beispielsweise bei der Kandidatur von Blanca Aída Stalling Dávila. Sie kam dem Gesetz nach nicht für eine zweite Amtszeit in Frage, zudem ermittelte die CICIG gegen sie wegen der Ausübung von Drucks auf die Justiz, um den Freispruch ihres Sohnes zu erreichen, gegen den wegen Bereicherung bei der Sozialversicherungsbehörde ermittelt wurde. Die Kooptierung der Justizorgane sowie der Wahlbehörde hat die aktuelle politische Konstellation begünstigt. In ihr spielen mehrere bekannte Persönlichkeiten eine Rolle, die beispielhaft für die Straflosigkeit stehen, die die guatemaltekische Politik in der Vergangenheit gekennzeichnet hat.

Die drei wichtigsten Präsidentschaftskandidat*innen – Zury Ríos für die Partei VIVA, Tochter des ehemaligen Diktators Ríos Montt, Sandra Torres für die Partei UNE, Exehefrau von Präsident Alvaro Colom Caballeros und nicht zuletzt Edmondo Mulet für die Partei CABAL – wurden alle der Verbindungen zum organisierten Verbrechen beschuldigt. Unabhängig davon bilden die politischen Profile der drei Kandidat*innen ein breites Spektrum von rechtsextrem bis moderat ab.

Die Kooptierung von Justizorganen und Kontrollinstitutionen ist jedoch nur eine der vielen Hinterlassenschaften der Regierung Giammattei. Während seiner Amtszeit war das Land nicht nur von einer Reihe von Maßnahmen betroffen, die unter dem Deckmantel der pandemischen Krise unangemessene Härten und Ungleichheiten verschärft haben, wie etwa dem ständigen Ausnahmezustand. Es kam auch zu einer Gewaltspirale, die unter dem Vorwand des Wirtschaftswachstums und der industriellen Entwicklung zum Verschwinden vieler indigener Gemeinschaften geführt hat.

#Wo ist das Geld hin?

Die Handhabung der Gesundheitskrise war durch einen Mangel an Impfstoffen und die Notlage eines zusammengesparten, unzureichend ausgestatteten öffentlichen Apparates gekennzeichnet. Dies bildete den Hintergrund für die zahlreichen Proteste, die die zu Ende gehende Legislaturperiode prägten. Um die Pandemie in den Griff zu bekommen, suchte die Regierung ihr Heil in einer zunehmenden Verschuldung. Die Weltbank bewilligte für den Zeitraum 2020-2022 ein Darlehen in Höhe von 750 Millionen US-Dollar, um die Effekte der Krise auf die besonders bedürftige Bevölkerung abzumildern und das Wirtschaftswachstum zu fördern. Hinzu kamen noch Darlehen anderer Institutionen wie des Internationalen Währungsfonds. Nach Angaben des Finanzministeriums liegt die Staatsverschuldung nun bei 32 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Wenige Monate nach dem Beginn der Pandemie forderten Proteste einer Bewegung unter dem Motto #dondeestaeldinero („Wo ist das Geld hin?“) den Rücktritt der Regierung und Klarheit über die Verwendung der Darlehen zur Linderung der Gesundheitskrise.

Wahrend es keine Aufklärung über die Verwendung der Covid-Kredite gegeben hat, besteht Gewissheit über die Zunahme der Gewalt gegen indigene Gemeinschaften durch die extraktivistische Politik. Die Beobachtungsstelle für die Bergbauindustrie berichtet von einem enormen Wachstum der Bergbauaktivitäten: Im Vergleich zum Vorjahr wurden allein 2023 mehr als 40 Anträge und vier neue Konzessionen registriert. Parallel dazu wurden neue Behörden gegründet, deren Ziel es ist, Enteignungen zu ermöglichen und das Privateigentum zu stärken. Zu diesen Institutionen gehören die Vereinigung zur Verteidigung des Privateigentums (ACDEPRO) und die Staatsanwaltschaft für widerrechtliche Aneignungen. Angesichts der derzeitigen Lage kann man in Guatemala schwerlich von demokratischen Wahlen reden. Unregelmäßigkeiten bei der Zulassung der Präsidentschaftskandidat*innen sowie die offensichtliche und eklatante Ausschaltung der Opposition aus dem Wahlkampf sind Merkmale für Wahlbetrug. Durch die Kooptierung der Institutionen hat die Regierung Giammattei das perfekte Klima geschaffen, um unter dem Deckmantel der Straffreiheit und der Korruption zu regieren. Kann man in einem Land noch von Demokratie sprechen, wenn die demokratischen Institutionen ihrer primären Funktion, des Schutzes der Verfassung, beraubt worden sind? Die derzeitige politische Konstellation erinnert eher an die Durchsetzung einer Diktatur unter dem Deckmantel der Demokratie.

In diesem Rahmen zeigt sich die Zukunft voller Ungewissheit, was die Widerstandsfähigkeit der Demokratie im Lande betrifft. Angesichts dieses Panoramas ist die Wahl der Parlamentsabgeordneten wahrscheinlich die einzige Maßnahme, um damit beginnen zu können, diesen Prozess wieder umzudrehen. Die solidarische internationale Begleitung ist heute so wichtig wie nie zuvor.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren