Brasilien | Nummer 428 - Februar 2010

Handschlag verweigert

ThyssenKrupp weist alle Vorwürfe zurück – Fischerprotest gegen Stahlwerk hält an

Auf der Aktionärsversammlung der ThyssenKrupp AG am 21. Januar in Bochum protestierte eine Delegation brasilianischer Fischer gegen das Stahlwerk CSA, das ThyssenKrupp an der Bucht von Sepetiba baut (siehe LN 427). Der wegen Morddrohungen von der brasilianischen Bundespolizei geschützte Fischer Luis Carlos Oliveira überreichte im Anschluss an seine Rede dem Vorstandsvorsitzenden von ThyssenKrupp, Ekkehard Schulz, symbolisch einen Fisch aus Stoff. Den daraufhin angebotenen Handschlag von Schulz verweigerte der Fischer jedoch. „In Anbetracht all der Ungeheuerlichkeiten, die ThyssenKrupp in meiner Heimat anrichtet, kann ich ihm nicht die Hand reichen“, erläuterte der Fischer sein Vorgehen gegenüber LN.

Christian Russau

ThyssenKrupp veröffentlichte im Anschluss an die Hauptversammlung der AktionärInnen eine Stellungnahme zu den erhobenen Vorwürfen. Das Stahlwerkprojekt in Brasilien sei bei Stahlwerks- und Umwelttechnologie auf dem neuesten Stand der Technik und werde damit Maßstäbe setzen. Darüber hinaus seien alle Vorwürfe haltlos und unbegründet – und bekräftigt: „Tourismus gibt es in diesem Industriebezirk von Rio de Janeiro nicht, die berufliche Fischerei wird nach eigenen lokalen Erhebungen von deutlich weniger als 10% der örtlichen Bevölkerung ausgeübt“. Karina Kato vom brasilianischen Institut PACS aus Rio de Janeiro hält dem entgegen, dass selbst die von Thyssen-Krupp in Auftrag gegebene Umweltfolgenstudie die Bedeutung des Tourismus und der Fischerei anerkenne: „Die Umweltfolgenstudie EIA für das Werk der CSA erklärt explizit, dass in der Gegend Tourismus, Landwirtschaft und Fischfang die wichtigsten wirtschaftlichen Aktivitäten sind, auf die das Stahlwerk einen Einfluss haben wird“.
Die Firma widersprach auch dem Vorwurf, die in der Bucht vorgefundenen Schwermetall verseuchten Sedimente seien unsachgemäß behandelt worden. Durch das angewandte Dekontaminierungsverfahren sei das entsprechende Material „in Schichten innerhalb unterirdischer Höhlen sicher gelagert, ohne aufgewühlt zu werden.“ Das bedeute, dass der kontaminierte Aushub umweltschonend mit hohen Kosten nachhaltig versiegelt wurde, so ThyssenKrupp.
Diese Sprachregelung von „unterirdischen Höhlen“ und „nachhaltiger Versiegelung“ wird aber durch das die Aushub- und Verbringungsarbeiten ausführende niederländische Unternehmen Royal Boskalis Westminster N.V. in ein anderes Licht gerückt. In der Projektbeschreibung für das sogenannte CDF-Dekontaminisierungsverfahren in der Bucht von Sepetiba, das LN vorliegt, spricht Boskalis in Bezug auf die vermeintlichen „Höhlen“ in der Tat von „Gruben“. In Bezug auf die „nachhaltige Versiegelung“ erwähnt Boskalis eine „Bedeckung mit zwei Meter sauberen Erdreichs“. „Das ist die vermeintliche nachhaltige Versiegelung, von der CSA seit Jahren redet“, kritisiert Karina Kato. Boskalis betont ferner, dass während der Arbeiten „die Wasserqualität täglich an mehreren ausgewählten Standorten überprüft wurde“. Bei der Messung seien – so Boskalis – die „wichtigsten überprüften Parameter der Trübungsgrad, die Wassertemperatur und der Salzgehalt“. Dass keine Aussagen über die Messung von Schwermetallen getroffen werde, spreche Bände, kritisiert Kato. Die Überprüfung der Wasserqualität obliege eigentlich den staatlichen Behörden – doch das Umweltinstitut Rio de Janeiros INEA habe im Dezember auf Anfrage eingeräumt, dass es diese Daten nicht erhebe: die TKCSA sammle die Daten und reiche sie weiter, berichtete Kato. Der Konzernvorstand erläuterte auf der Aktionärsversammlung dazu, dass brasilianische Fachfirmen im Auftrag der CSA diese Daten erheben – das Monitoring erfolge durch das Institut TuTech der Universität Hamburg-Harburg. Doch auch diese Daten wurden bislang nicht freigegeben – ebenso wie das INEA die Daten nicht veröffentlicht.
ThyssenKrupp wies ebenfalls den Vorwurf zurück, das Werk werde in einem Naturschutzgebiet gebaut: „Das Baugelände des Stahlwerks liegt nicht in einem Naturschutzgebiet“, so die Stellungnahme des Konzerns. „Unter generellem Naturschutz stehen nach brasilianischem Recht nur die mit Mangroven bewachsenen Küstenstreifen und die Flussufer“, heisst es weiter. Genau dies sei aber der Fall, entgegnet der Fischer Luis Carlos Oliveira: „Das Gelände ist Naturschutzgebiet, eben weil es aus Mangrovenwald besteht.“ Dies sei ja auch Mitte des vergangenen Jahrzehnts das Argument der Regierung gewesen, um die Besetzung der Landlosenbewegung MST auf dem Gelände für illegal zu erklären, so Oliveira. Die dort lebenden 75 MST-Familien wurden von dem Gelände vertrieben und umgesiedelt. „Damals galt für die Regierung das Argument des Naturschutzgebietes“, so Oliveira im Gespräch mit LN. „Doch als ThyssenKrupp ankam und dort ihr Stahlwerk errichten wollte, da galt für die Regierung das Naturschutzgebiet auf einmal nicht mehr“, kritisiert der Fischer.
Oliveira beklagt, dass offensichtlich mit zweierlei Maß gemessen werde: „Wenn wir als Fischer in einem Mangrovenwald einen Ast absägen, um uns daraus eine Angel zu bauen, dann landen wir im Gefängnis. Wenn ThyssenKrupp ankommt, und vier Quadratkilometer Mangrovenwald abholzt, bekommen sie obendrein Steuererleichterungen und zinsgünstige Kredite der Regierung. Wo bleibt da die Gerechtigkeit?“
Auf der Aktionärsversammlung hatte Aufsichtsratschef Gerhard Cromme gegenüber den anwesenden AktionärInnen eingestanden, dass „beim Controlling vor Ort die Komplexität unterschätzt“ worden war. Dies sei der Grund für die explodierenden Kosten beim Bau des Stahlwerks in Brasilien. Er fügte hinzu, dass ein interner Prüfungsausschuß von ThyssenKrupp aus Deutschland nach Brasilien gefahren war, und dieser „in Brasilien Falsches, Widersprüchliches und Lückenhaftes“ als Auskunft bekommen habe. Karina Kato sieht darin eine Bestätigung ihrer Kritik: „Wenn ThyssenKrupp dergleichen eingesteht, dann müssen wir ihnen sagen, dass auch wir es Leid sind, von ThyssenKrupp Falsches, Widersprüchliches und Lückenhaftes als Auskunft zu bekommen“, so Kato.
Am 27. Januar 2010 hatte sich auch der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (AwZ) des Deutschen Bundestags mit der Angelegenheit befasst. ThyssenKrupp entsandte drei hochrangige Vertreter sowie zwei weitere Assistenten. Im Anschluss an das Gespräch sprach sich Karina Kato für eine umfassende Untersuchung aller Vorwürfe aus: „Wenn laut ThyssenKrupp beim Stahlwerkbau alles in Ordnung ist, dann werden sie ja auch nichts gegen eine unabhängige internationale Untersuchungskommission haben, die vor Ort allen Vorwürfen nachgeht, unbehinderten Zugang zu allen Informationen hat und mit allen Parteien direkt und vertraulich reden kann.“

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