Brasilien | Nummer 453 - März 2012

„Wir sind alle Pinheirinho!“

Weltweit anhaltende Proteste gegen die Zwangsräumung von 9.000 Bewohner_innen des Stadtteils Pinheirinho im Bundesstaat São Paulo

Weltweit wird gegen die Räumung der 9.000 Bewohner_innen des Pinheirinho im Bundesstaat São Paulo protestiert. Der überwiegend über soziale Netzwerke koordinierte Protest ist ein Beispiel für die sich über das Internet ausbreitenden Protestformen.

Christian Russau

In São Paulo, Rio, Brasília, Belo Horizonte, Natal, Porto Alegre, Madrid, Lissabon, Paris, New York, Kiew, Berlin und weiteren Städten wurde im Januar und Februar überall das gleiche Spruchband verwandt: „Somos todos Pinheirinho!“ – Wir sind alle Pinheirinho. So protestierten tausende Menschen gegen die Räumung des in der Stadt São José dos Campos gelegenen Pinheirinho-Viertels.
Der britische Guardian wies früh auf die Bedeutung der sozialen Netzwerke im Internet beim Pinheirinho-Fall hin: Während die etablierten Medien des Landes, die zu „90 Prozent in den Händen von fünfzehn Familien“ seien, das Thema zunächst niedrig hielten, baute sich durch die Dynamik in den sozialen Netzwerken Gegenöffentlichkeit auf. Der Guardian sah die Pinheirinho-Proteste als Zeichen für den aufwachenden Kampf gegen die in Brasilien vorherrschende „gargantueske“ Entwicklungsideologie. Die Twitter-Nachrichten zu „#pinheirinho“ lagen tagelang an der Spitze der Nutzer_innenzahlen – von dort schwappte die Welle des Soliprotests durch die Welt.
Auch in Berlin versammelten sich Demonstrant_innen mehrmals zu Protestaktionen. Sie machten die Landesregierung des Bundesstaates von São Paulo für die Brutalität der Aktion der Militärpolizei verantwortlich. „Da werden Menschen aus ihren Häusern vertrieben, damit der korrupte Besitzer weiter seine krummen Immobilienspekulationen betreiben kann”, erboste sich eine Brasilianerin vor dem brasilianischen Botschaftsgebäude. Die Protestierenden forderten Brasília auf, den Familien ihre Häuser wiederzugeben.
Bei der Räumung des Pinheirinho am 23. Januar dieses Jahres waren 2.000 Militärpolizisten mit Tränengas und Schlagstöcken gegen die Bewohner_innen vorgegangen. Bei der Polizeiaktion war es zu mehreren Verletzten gekommen, darunter auch Frauen und Kinder. Gebäude wurden dem Erdboden gleichgemacht – das Pinheirinho glich danach einem Trümmerfeld.
Während die rechtssozialdemokratische PSDB-Regierung in São Paulo das Vorgehen verteidigte, zeigte sich die brasilianische Bundesregierung entsetzt. Sie hatte lange auf den Verhandlungsweg gesetzt, doch die Landesregierung von São Paulo zog den bewaffneten Einsatz der Militärpolizei der Verhandlungslösung vor. Auch ein gerichtlich angeordneter Räumungsstopp bewog den Kommandanten der Militärpolizei vor Ort nicht, von der Zwangsräumung Abstand zu nehmen.
Beim Pinheirinho handelt es sich um ein eine Million Quadratmeter großes Gebiet mit Wohnhäusern und Geschäften. Das Gelände war vor acht Jahren von den Familien besetzt worden. Die nun Vertriebenen fanden provisorischen Unterschlupf in Kirchengebäuden und Turnhallen – nach über einem Monat harren sie dort noch immer aus.

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