Dossier | Nummer 519/520 - September/Oktober 2017 | Schiedsgerichte

// DOSSIER: ALLES RECHTENS?

Konzernklagen gegen lateinamerikanische Staaten

Von LN Redaktion

(Download des gesamten Dossiers)

 

Unternehmen können gegen Staaten klagen, wenn ihnen ein Gesetz oder eine Entscheidung einen Strich durch die Gewinnrechnung macht. Das ist seit den Verhandlungen zu den Handelsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP) und Kanada (CETA) allgemein bekannt geworden. Kritik daran kommt nicht allein von Organisationen aus der internationalen Zivilgesellschaft. Der UN-Sonderberichterstatter für die Förderung einer demokratischen und gerechten internationalen Ordnung, Alfred de Zayas, kritisiert die Investor-Staat-Streitschlichtungsverfahren (ISDS) scharf: „Ich bin sehr besorgt über den bisherigen und künftigen Einfluss von ISDS auf die Menschenrechte, insbesondere die Regel, die es Investoren erlaubt gegen Gesetze und Beschlüsse zu klagen, wenn diese ihre potentiellen Gewinne gefährden.“

Mit Schlichtung haben solche Verfahren relativ wenig zu tun: Tatsächlich verbergen sich hinter dem Zungenbrecher knallharte juristische Prozesse, in denen Konzerne Staaten auf Millionen und Milliarden verklagen. Grundlage dieser Klagen sind bilaterale Investitionsschutzabkommen (BIT), also Verträge, welche die Investitionen international agierender Unternehmen absichern sollen. Diese Abkommen erlegen den Unterzeichnerstaaten einseitig Pflichten auf, um die Interessen ausländischer Investoren zu wahren.

Durch diesen besonderen Schutz für ausländische Investoren kann die Regulierungsautonomie der Staaten maßgeblich eingeschränkt werden. So müssen sie bei Änderungen des Arbeitsrechts oder Maßnahmen zum Verbraucher*innen- und Umweltschutz damit rechnen, von den Unternehmen vor einem internationalen Schiedsgericht auf Schadensersatz für bereits getätigte Investitionen, aber auch für zukünftig entgangene Gewinne, verklagt zu werden. Umgekehrt geht das aber nicht: Staaten haben mit diesem Verfahren keine Handhabe, um internationale Konzerne, zum Beispiel wegen Umweltzerstörung oder Menschenrechtsverstößen, zu verklagen.

Mit diesem Dossier möchten wir die Diskussion auf die Länder und Abkommen mit Lateinamerika erweitern. Denn auch in Lateinamerika sorgen Investoren-Klagen seit Jahren für große Unruhe. In diesem Dossier wollen wir verschiedene Fälle vorstellen und die zweifelhafte Schiedsgerichtsbarkeit thematisieren. Denn die Auswirkungen auf die politische Entscheidungsfreiheit der Staaten und der Bevölkerung der jeweiligen Länder sind enorm. Andererseits wächst die Skepsis. Einige Staaten verteidigen sich durchaus erfolgreich gegen Investoren, kündigen ihre BIT oder entwickeln alternative Abkommen. Auch solche Beispiele wollen wir benennen. Die Versuchung ist groß, bei Begriffen wie „Investor-Staat-Streitschlichtungsverfahren“ von vornherein auf Durchzug zu stellen. Doch angesichts der Intransparenz und Politik der geschlossenen Türen bei solchen Verfahren ist es notwendig, diese Prozesse und ihre Auswirkungen – auch auf die Länder des globalen Südens – öffentlich zu diskutieren. Denn solche Schiedsgerichte sind „Schietgerichte“ und gehören, wie auch Alfred de Zayas bemerkte, in Zukunft abgeschafft.

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