Editorial | Nummer 473 - November 2013

// Frage der Würde

Es gibt zwei Varianten: Lässt man sich die Anmaßungen der letzten verbliebenen Weltmacht fast klaglos bieten oder begehrt man wenigstens diplomatisch auf? Für die erstere steht die deutsche Bundesregierung, für die zweite Variante stehen jede Menge südamerikanischer Staaten, von denen Bolivien und Brasilien aus gegebenen Anlässen die Spitze bilden. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel schweigt zu der Ausspähung durch den USA-Geheimdienst National Security Agency (NSA). Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) gab sich bei seinem USA-Besuch mit fadenscheinigen bis dummdreisten Ausreden zufrieden. Die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff hingegen sagte Mitte September ihren lange für Oktober geplanten Besuch in Washington ab. Das Maß war einfach voll.

Das Vorgehen von Rousseff, einer ehemaligen Stadtguerillera, ist alles andere als ein Schnellschuss. Schon vor Wochen wurde bekannt, dass die NSA die Präsidentin persönlich abgehört und ihre E-Mails abgefangen hatte. Dabei argumentieren die USA offiziell stets mit derselben Leier: Die NSA-Überwachung diene dem Anti-Terror-Kampf. Gilt Rousseff wegen ihrer Vergangenheit den USA als Terroristin? Das ist nicht anzunehmen – so wenig wie beim mehrheitlich staatlichen brasilianischen Ölriesen Petrobras, der sich ebenfalls der Ausspähung zu erwehren hat. Rousseff hat USA-Präsident Barack Obama freundlichst und mehrfach um Erklärungen bemüht und gefordert, diese Praxis doch künftig zu unterlassen. Die Erklärungen und Zusicherungen fielen so wachsweich aus wie gegenüber Friedrich. Doch während der Franke lächelt, wehrt sich die Brasilianerin. Dafür gebührt ihr Respekt.

Während Merkel bestenfalls – wenn überhaupt – hinter den Kulissen bereit ist, Obama und die USA zu kritisieren, bietet Rousseff dem USA-Präsidenten direkt die Stirn. Bei der Eröffnung der UNO-Generalversammlung im September sprach sie in seiner Anwesenheit Klartext. „Souveräne Staaten dürfen sich niemals über die Souveränität anderer Staaten hinwegsetzen“, sagte die brasilianische Regierungschefin. „Das Argument, dass das illegale Ausspähen von Informationen und Daten Länder gegen den Terrorismus schützen soll, ist nicht haltbar.“ Die Argumente sind so schlüssig, dass sich eigentlich auch die europäischen Staaten ihnen anschließen müssten. Bei der UNO-Generalversammlung war freilich von Rechtsanwalt Guido Westerwelle auf seinem Abschiedstrip darüber nichts zu hören. Rückendeckung erhielt Rousseff dagegen von ihren lateinamerikanischen Konterparts. Ob Argentinien, Bolivien oder Uruguay: Alle forderten eine Reform der Weltorganisation und prangerten die globalen Spionageaktivitäten der USA an.

Rousseff unterbreitete den Vereinten Nationen einen konkreten Vorschlag für einen Mechanismus, der die Integrität von Daten im weltweiten Netz künftig sichern soll. Informations- und Meinungsfreiheit, die Privatsphäre und Menschenwürde und insgesamt die Grundrechte sollen damit geschützt werden. Unwahrscheinlich, dass die USA sich darauf einlassen, ein Land, das gerade dem Schriftsteller und Überwachungskritiker Ilja Trojanoff die Einreise verweigert hat. „Wie kann die UNO weiterhin ihren Sitz in einem Land haben, das sie ausspioniert, die Souveränität ihrer Mitglieder nicht respektiert und seit Jahren – wie im Fall der Blockade gegen Kuba – ihre Beschlüsse missachtet“, fragte Boliviens Präsident Evo Morales in den Saal der Generalversammlung. Eine berechtigte Frage, die nur deswegen einer Antwort harrt, weil de facto niemand die Supermacht USA herausfordern kann.

Es bleiben Nadelstiche. Stoppen wird sich die einzig verbliebene Weltmacht so schnell nicht lassen. Das zeigt insbesondere die Jagd auf den Informanten Edward Snowden. Aber alles, was öffentlich wird, trifft das Imperium.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren