Editorial | Nummer 474 - Dezember 2013

// HOFFNUNGSLOSER FALL

Die Messlatte lag nicht allzu hoch. Eine einzige Hoffnung hatte es mit der Wiederkehr der Revolutionären Institutionellen Partei (PRI) an die Regierungsmacht in Mexiko vor einem Jahr gegeben: eine Eindämmung der entgrenzten Gewalt und des massenhaften Mordens. Der „Krieg gegen die Drogen“ der Vorgängerregierung Felipe Calderóns von der Partei der Nationalen Aktion (PAN) hatte die Gewalteskalation ausgelöst. Als Meister des Klientelismus und der Korruption traute man der PRI schlicht die besseren Deals mit den Drogenkartellen zu. Integration der Schattenmacht in das schmutzige politische System Mexikos statt offener Bekämpfung. Die Geschäfte der Organisierten Kriminalität sollten geräuschloser ablaufen. Die Partei mit 71 Jahren durchgehender Regierungserfahrung wird’s schon richten. War es in Mexiko während der Jahrzehnte unter der PRI im lateinamerikanischen Vergleich nicht einigermaßen friedlich zugegangen?

Doch die Messlatte wurde vom neuen Präsidenten Enrique Peña Nieto klar gerissen. Bereits seine Amtseinführung hatte für Straßenkämpfe in Mexiko-Stadt gesorgt. Die polizeiliche Repression gegen Demonstrant_innen wurde deutlich verschärft. In letzter Zeit scheint die Staatsmacht einen neuen Feind ausgemacht zu haben: die freie Presse. Bei Demonstrationen geht die Polizei immer gezielter und gewalttätiger gegen Journalist_innen vor – inklusive Verhaftungen und juristischer Schikane. So kann Peña Nieto sich voll auf die propagandistische Berichterstattung des Fernsehriesen Televisa verlassen, dem er seine Karriere größtenteils verdankt. Denn geändert hat sich an der Gewalt in ganz Mexiko nach seinem ersten Regierungsjahr nur der offizielle Diskurs. Der martialische „Krieg gegen die Drogen“ wurde abgelöst durch die Formel „Wiederherstellung des Rechtsstaats.“ Und wie der neue Präsident diese beherrscht! Die brutale Niederschlagung der Proteste in Atenco 2006 betitelte er als verantwortlicher Gouverneur des Bundesstaates México in gleicher Manier zynisch als „Wiederherstellung der Ordnung“. Von einer Stärkung des Rechtsstaats und befriedenden Deals mit den Drogenkartellen fehlt bisher jede Spur: Die offene Gewalt geht weiter, die Militarisierung des Landes wird weiterhin zur Oppositionsbekämpfung genutzt, die Zahl der Toten hat nicht abgenommen.

Ansonsten präsentiert sich die neue PRI im alten autoritären Gewand. Nötige Reformen im Energie- und Bildungssektor werden von oben bestimmt. Die fehlende Verhandlung mit den Lehrer_innen bei der Bildungsreform sorgt für bis heute anhaltende Streiks und monatelangen Schulausfall in vielen Gebieten. Statt ernsthaftem Dialog wurde das Protestcamp in Mexiko-Stadt gewaltsam geräumt. Die Energiereform hingegen leitet die Privatisierung des staatlichen Erdölkonzerns PEMEX durch die Hintertür ein. Das System PRI befriedigt seine Klientel. Bei Telekommunikations- und Finanzreform geschieht das durch strategische Untätigkeit. Man will schließlich das Fernsehduopol von Televisa und TV Azteca nicht verärgern oder die Oligarchie zum Steuerzahlen zwingen. Stattdessen gibt es eine Erhöhung der Mehrwertsteuer und trifft somit vor allem die mehrheitlich arme Bevölkerung.

Den Zustand der mexikanischen Demokratie symbolisieren auch die beiden anderen großen Parteien. PAN und die Partei der Demokratischen Revolution (PRD) gucken den autoritären Reformprojekten nicht etwa hilflos zu. Sie machen kräftig mit. Zusammen mit der PRI wurde der „Pakt für Mexiko“ unterzeichnet, der ein Abkommen über die zentralen politischen Projekte der PRI-Regierung darstellt. Warum und wie sich die PRD immer noch als linke Oppositionspartei präsentieren möchte, ist keinem mehr zu erklären. Der Regierungsstil der PRI ist keine große Überraschung. Gekonnt kooptiert sie die anderen Parteien, die keine Gegenwehr bieten. Sie betreibt Klientelismus, ist korrupt und repressiv wie eh und je. Nach sechs Jahren des Drogenkriegs mit über 60.000 Toten hatten dies viele Mexikaner_innen mit Hoffnung auf ein Ende der offenen Gewalt in Kauf genommen. Doch auch dieser kleine Funke Hoffnung im Elend der mexikanischen Politik ist eindeutig erloschen.

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