Editorial | Nummer 273 - März 1997

Von Streik- und Protestbewegung

Die Entschlossenheit, mit der der ecuadorianische Präsident Abdalá Bucaram vom Sessel gefegt wurde, erregt Bewunderung. Seine Amtsführung war so haarsträubend, seine politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen so unausgereift und irrational, die Vetternwirtschaft und Selbstbedienung seines Clans so unverschämt, daß die Massenproteste nur legitim zu nennen sind. Die hohe Zahl der Beteiligten – fast ein Fünftel der ecuadorianischen Gesamtbevölkerung – und die Breite des politischen Spektrums, das sich den Protestaufrufen anschloß, erfüllen den Verfassungsgrundsatz von der Souveränität des Volkes überzeugend mit Leben. Nicht ganz so überzeugend ist, daß Bucaram, extravagant, großmäulig, populistisch, wie er ist, überhaupt auf seinen Posten gehievt wurde; der Souverän war dabei schließlich derselbe. Aber als er im Juli 1996 bei der Stichwahl Gegenkandidat des rechtsliberalen Hardliners Nebot war, mögen viele gedacht haben: Unter Bucaram wird es zwar bunt, aber nicht ganz so schlimm. Daraus ist nun nichts geworden, er hat seinem Wahlvolk mehr zugemutet, als es ertragen wollte, und bekam die Quittung auf den Tisch.
Die protestierenden EcuadorianerInnen haben erstaunlich schnell viel erreicht. Heißt das, “die Straße” hat tatsächlich an politischem Einfluß gewonnen? Das Plebiszit als lebendiges Element der Legislative? Basisdemokratie auf Lateinamerikanisch?
Diese Fragen stehen derzeit auch in anderen Regionen der Welt auf der Tagesordnung, so in Serbien, Bulgarien und Albanien. Die verschiedenen Protest- und Streikbewegungen müssen selbstverständlich differenziert betrachtet werden, ihnen allen ist aber zweierlei gemeinsam. Erstens hätten sie noch vor einigen Jahren wahrscheinlich nicht stattfinden können. Während in den Ländern des Ostblocks die Machthaber wohl zur chinesischen Lösung gegriffen und die Demonstrationen niedergeschossen hätten, würde in Ecuador das Militär sich vielleicht nicht – wie 1997 – derart zurückgehalten haben. Die Rahmenbedingungen haben sich wesentlich geändert.
Die zweite Gemeinsamkeit: Sie wenden sich gegen Defekte in Systemen, die demokratische sein sollen und es nicht wirklich sind. In Serbien hat es sehr lange gedauert, bis die Demonstrationen handfeste Wirkungen gezeitigt haben. Aber sie wurden mit solcher Konsequenz durchgehalten, daß sie zu einer politischen Kraft geworden sind, an der in Serbiens Politklasse so schnell keiner vorbei kann. Dabei geht es den Menschen auf Belgrads Straßen nicht um Politikerköpfe, sondern um demokratische Prinzipien, als da sind saubere Wahlen, Freiheit der Medien, Autonomie der Universitäten. Die langanhaltenden Proteste haben dazu beigetragen, daß in Serbien viele Tausend Menschen politisch sensibler geworden sind. Die Oppositionsparteien haben ihre Basis verbreitern können, und die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Opposition, die zur Zeit noch durch große gemeinsame Ziele zusammengehalten wird, ist für lebendige demokratische Verhältnisse auf lange Sicht eher von Vorteil.
Auch in Ecuador haben sich Menschen mit sehr unterschiedlichen politischen Haltungen geeint gegen Bucaram auf die Straße begeben. Daß das Begehren des Volkes im Parlament am 6. Februar umgesetzt und Bucaram gefeuert wurde, beweist, daß sich auch die Mehrheit der ParlamentarierInnen dem Ziel der Proteste anschlossen.
Spätestens hier wird jedoch deutlich, daß die Proteste in Ecuador weniger mit denen auf dem Balkan gemein haben, als es den Anschein hat.
In erster Linie scheint der Generalstreik keine adäquate Fortsetzung zu finden. Von der Straße kommt nichts mehr, der Personalwechsel hat die Gemüter beruhigt. Die politischen Grundlinien, die der neue Präsident Alarcón in seiner 20monatigen Amtszeit verfolgen will, schlagen tatsächlich reformerische Töne an, aber grundsätzlich hat sich in Ecuador nichts geändert. Wenn die Streikenden der Brutalität neoliberaler Reformen entgegentreten wollten, haben sie das mit der Absetzung von Bucaram nicht erreicht. Was die Korruption anbelangt, ist der langjährige Politprofi Alarcón für eine Regierung der sauberen Westen der falsche Mann. Besonders bedenklich stimmt jedoch die allererste von Alarcóns Amtshandlungen: Er legte fest, daß die für April vorgesehene Volksabstimmung über diverse Wirtschaftsreformen nicht stattfinden wird. Die EcuadorianerInnen sollen schon wieder zum Stimmvieh degradiert werden.

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