// Bubatz hier, Kriminalisierung da

Pünktlich um Mitternacht zündeten sich am 1. April Aktivist*innen am Brandenburger Tor in Berlin und anderen Städten Deutschlands einen Joint an – zum ersten Mal ganz legal. Mit der Teillegalisierung von Cannabis möchte die Bundesregierung auch die organisierte Drogenkriminalität eindämmen.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser setzt einiges daran, dieses Versprechen wahrzumachen: Ende Februar reiste sie gemeinsam mit der Vizepräsidentin des Bundeskriminalamts, Martina Link, nach Brasilien, Peru, Ecuador und Kolumbien, um den Drogenhandel „durch eine verstärkte polizeiliche Zusammenarbeit“ dieser Länder mit Deutschland zu bekämpfen. Somit wolle man die Gewaltspirale des Drogenhandels durchbrechen und „verhindern, dass wir solche Eskalationen der Gewalt auch in Deutschland erleben“, so Faeser. Sie sieht die Ursache der Drogenkriminalität vor allem in den Produktionsländern.

Was immer mehr Menschen in Deutschland in den Konsum und in Lateinamerika immer mehr Menschen in die Produktion harter Drogen treibt, blieb auf der Reise weitgehend unbesprochen. Wie ein Blick auf das Beispiel Ecuador zeigt, ist die Eskalation der Gewalt erschreckend, entsteht aber nicht im luftleeren Raum. Der Prekarisierung der Lebensverhältnisse nach der Pandemie hatte Ecuadors ehemaliger Präsident Guillermo Lasso nichts entgegenzusetzen. Die Stadt Guayaquil war dabei besonders hart getroffen: Anstatt gegen Arbeitslosigkeit und Inflation vorzugehen, kürzte Lasso besonders bei den Ärmsten. In dieser Zeit übernahmen die Narcos quasi ungestört die großen Gefängnisse im Land und nutzten die Perspektivlosigkeit junger Menschen in den vom Staat am meisten vernachlässigten Regionen des Landes aus, um sie für ihre Geschäfte zu rekrutieren.

Heute verfolgt Präsident Daniel Noboa eine Politik der harten Hand. Auch Faeser und Co. setzen auf vermehrte polizeiliche Kontrolle in den Produktionsländern. Dabei hat die neoliberale Wirtschafts- und Sozialpolitik erst den Boden dafür bereitet, dass heute die vulnerabelsten Bevölkerungsgruppen in die informelle Beschäftigung im Drogengeschäft geschwemmt werden. Argentinien unter Präsident Javier Milei könnte dem Beispiel Ecuadors folgen: Auch in der Hafenstadt Rosario – kein Stopp auf Faesers Reise – herrscht aktuell der Ausnahmezustand. Wenn Milei den Abbau staatlicher Sozialhilfen weiter fortsetzt (siehe Interview auf S. 9), dürfte sich auch hier die Gewalt durch Narco-Gangs weiter ausbreiten.

Die Beispiele zeigen: Ein wirklich globaler Ansatz zur Bekämpfung der Gewalt im Kontext des Drogenhandels muss über bilaterale Sicherheitsabkommen hinausgehen. Deutsche Außenpolitik kann nicht weniger Staat in Sozialpolitik und Investitionen fordern und gleichzeitig für den Ausbau des staatlichen Sicherheitsapparats plädieren, um mit den Konsequenzen eines solchen Sparkurses umzugehen. Langfristig wird mit einer härteren Kriminalisierung das darunterliegende Problem der Prekarität und fehlender Alternativen zum Drogensektor nicht gelöst.

Es ist also nicht damit getan, die Gefängnisse weiter zu füllen. Gerade Ecuador zeigt, dass diese oftmals zu wichtigen Verwaltungszentren der organisierten Kriminalität werden. Stattdessen gilt es, die Probleme bei der Wurzel zu packen und internationale Drogenbekämpfung mit einer Ausweitung von sozialer Infrastruktur in den Produktionsländern zu verbinden. Was zudem unklar bleibt, ist, ob die Cannabislegalisierung in jeglicher Hinsicht Auswirkungen auf den Handel mit härteren, weiterhin kriminalisierten Drogen wie Kokain hat. Dennoch wird schon jetzt deutlich: Die Regierung hat es sich mit ihrer Politik des Bubatz hier, Kriminalisierung da zu leicht gemacht. Stattdessen verstärkt Faesers Reise nach Lateinamerika den für Deutschland bequemen Diskurs der vertauschten Ursachen und Verantwortlichkeit für die mit dem Drogenhandel verbundene Gewalt. Letzten Endes fußt die auch auf dem Konsum in Deutschland und Europa.

Weitere Festnahmen im Fall Marielle Franco

Endlich Gerechtigkeit? Große Marielle-Franco-Figur bei einem Gedenkfest anlässlich ihres fünften Todestags (Foto: Mídia NINJA via Flickr (CC BY-NC 2.0 Deed)

Als Hauptverdächtige wurden die Brüder Chiquinho Brazão, Abgeordneter des Bundestaates Rio de Janeiro, und Domingos Brazão, Mitglied des Rechnungshofes von Rio de Janeiro, sowie Rivaldo Barbosa, ehemaliger Chef der Zivilpolizei des Bundes­staats und früherer Universitätsprofessor, von der brasilianischen Bundespolizei festgenommen und in verschiedene Gefängnisse in Brasilien gebracht. Die Operation mit dem Namen „Murder Inc.“ – in Anlehnung an die Mörderbande der New Yorker Mafia in den 1930er Jahren – ist eine gemeinsame Aktion der Bundespolizei, der Generalstaatsanwaltschaft und der Staatsanwaltschaft von Rio de Janeiro. Am Tag der Verhaftungen wurden in der Stadt zudem zwölf Durchsuchungsbeschlüsse vollstreckt, während die Ermittlungen zur Gründung einer kriminellen Vereinigung und die Behinderung der Justiz andauern.

Die Namen der drei Festgenommenen wurden in der Kronzeugenaussage des Täters, des ehemaligen Militärpolizisten Ronnie Lessa, genannt. Lessa schoss 13-mal auf das Auto, in dem Marielle Franco und Anderson Gomes im März 2018 saßen. Seine Aussage als Kronzeuge wurde auch vom Obersten Bundesgericht bestätigt.

Die Brüder Brazão, die in den letzten 20 Jahren verschiedene politische Ämter innehatten, haben ihre Wähler*innenbasis in der Region Jacarepaguá, die als Milizen-Hochburg bekannt ist. Bisher gelten Immobilienstreitigkeiten in dieser Region als Hauptmotiv für das Verbrechen. Zum Tatzeitpunkt setzte sich Marielle Franco zusammen mit den lokalen Gemeinden aktiv gegen diese ein.

Nach seiner Verhaftung wurde Chiquinho Brazão, der im Laufe der Jahre mehrfach die Partei gewechselt hatte, aus der konservativen Partei União Brasil ausgeschlossen. Als Bundesabgeordneter genießt er parlamentarische Immunität und seine Inhaftierung muss von der Abgeordnetenkammer in Brasília genehmigt werden. Dazu bedarf es einer absoluten Mehrheit, also mindestens 257 Stimmen der 513 Bundesabgeordneten. Die Abstimmung, welche sich bereits verzögert hat, soll im April stattfinden.
Sein Bruder Domingos Brazão ist seit den 1990er Jahren ebenfalls in der Politik tätig und war im Laufe der Jahre in mehrere Kontroversen verwickelt. Schätzungen der Bundespolizei zufolge ist sein persönliches Vermögen seit 2004 um mehr als 2.000 Prozent gewachsen.

„Es fehlt noch viel, damit wir Frieden finden”

Rivaldo Barbosa wird der Verschleierung von Beweisen und der Behinderung der Ermittlungen beschuldigt. Er wurde einen Tag vor dem Mord zum Chef der Zivilpolizei ernannt. Es wird vermutet, dass er den Posten antrat, wohlwissend, dass das Verbrechen geplant war. Ein Jahr später trat er von seinem Posten zurück, blieb aber bis 2003 bei der Zivilpolizei. Seine Verhaftung überraschte die Familien der Opfer am meisten. „Ich muss gestehen, dass mich der Name Rivaldo Barbosa am meisten schockiert hat. Vor allem, weil ich mich daran erinnere, dass Rivaldo uns (die Familienangehörigen, Anm. d. Autorin) einige Tage später (nach dem Mord, Anm. d. Autorin) in seinem Büro empfangen hat, um uns zu sagen, dass der Fall Priorität bei der Aufklärung haben würde. Das Auftauchen seines Namens machte mir klar, dass ich wenige Stunden nach dem Mord an meiner Frau tatsächlich dem Mann gegenüberstand, der genau wusste, was geschehen war. Und dass er mehr noch, Teil dieses Befehls war und direkt dazu beigetragen hat, dass das Verbrechen in der Nacht des 14. März genau so geschehen ist“, äußerte sich Monica Benicio, die Witwe von Marielle Franco, am Tag der Verhaftungen auf einer Pressekonferenz. Die Witwe von Anderson Gomes, Agatha Arnaus, unterstrich die Aussagen: „Zu sehen, dass diejenigen, die den Befehl (zum Mord, Anm. d. Autorin) gaben, uns umarmten und küssten und sogar versprachen, dass sie Freunde seien. Das ist ein Schlag ins Gesicht. Aber es fehlt noch viel mehr. Es waren nicht nur die drei. Es ist eine Erleichterung, aber es fehlt noch viel, damit wir Frieden finden.“

Giniton Lages, der das Amt des Polizeikommissars innehatte, als der Todesschütze Ronnie Lessa festgenommen wurde, und sein Mitarbeiter, Marco Antônio de Barros Pinto, stehen unter Hausarrest und tragen bereits elektronische Fußfesseln. Eine weitere Person, gegen die im Rahmen der Operation „Murder Inc.“ ermittelt wird, ist Rivaldo Barbosas Ehefrau Érika Araújo. Sie wird der Geldwäsche hoher Summen beschuldigt, die ihr Mann illegal erhalten haben soll, um die Aufklärung der Morde zu verzögern. Gegen weitere Personen aus dem Umfeld der drei Hauptver­dächtigen wird ebenfalls ermittelt.

Nach den Verhaftungen ordnete der Berichterstatter des Falles am Obersten Gerichtshof, Minister Alexandre de Moraes, die Übermittlung des Verfahrens an die Generalstaatsanwaltschaft an. Dieser obliegt es zu entscheiden, ob Anklagen gegen die Brüder Brazão und Barbosa erhoben werden sollen oder nicht.

Haiti steckt im Staatskollaps

Plünderungen von Banden oder aus Existenznot Vielerorts gibt es kein Wasser und keine Nahrungsmittel mehr (Foto: RNDHH)

Schon vor seiner endgültigen Konstituierung hat der haitianische Übergangsrat eine erste Erklärung abgegeben: „Wir sind entschlossen, das Leid des haitianischen Volkes zu lindern, das schon viel zu lange zwischen schlechter Regierungsführung, vielfältiger Gewalt und der Missachtung seiner Perspektiven und Bedürfnisse gefangen ist.“ Immerhin acht der neun zu findenden Mitglieder – zwei Beobachter, sieben Stimmberechtigte – des präsidentiellen Übergangsrates haben diese Erklärung am 27. März unterschrieben. Die darin vorgenommene Analyse des Leides der haitianischen Bevölkerung ist durchaus treffend. Bis zu Redaktionsschluss war der Übergangsrat immer noch nicht perfekt. Am 2. April warnte der mit Banden bestens vernetzte Politiker Guy Philippe, der 2004 den Putsch gegen Präsident Jean-Bertrand Aristide angeführt hatte, alle seine Kolleginnen davor, sich am geplanten Übergangsrat zu beteiligen. Offenbar ein Wirkungstreffer.

Die Hoffnung, sollte es sie gegeben haben, dass sich die Lage auf den Straßen in Haiti mit dem am 11. März angekündigten Rücktritt des De-facto-Präsidenten Ariel Henry schnell beruhigen sollte, schlug fehl. Henry hatte nach der Ermordung des 2021 ermordeten Präsidenten Jovenel Moïse das Amt ohne Wahlen übernommen. Der Sturz von Henry war ein Ziel der kriminellen Banden, die am 29. Februar zum Aufstand aufgerufen hatten: „Wir als Vereinigung aller haitianischen Banden kämpfen darum, Premierminister Ariel Henry und das bestehende System so schnell wie möglich zu stürzen“, hatte der wichtigste Bandenchef, Jimmy Chérizier, alias „Barbecue“, am 5. März in einem 20-minütigen Interview im haitianischen Fernsehen verkündet. Die Banden griffen den Flughafen sowie Polizeistationen und Gefängnisse an und befreiten dabei rund 4.000 Häftlinge. Sechs Tage später hatte die Bandenvereinigung mit dem euphemistischen Namen Viv Ansanm („Lasst uns zusammenleben“) den Sturz von Henry schon in Sichtweite. „Die Regierung, die ich führe, wird unmittelbar nach der Einsetzung eines Übergangsrates zurücktreten“, teilte Henry in einer Videoansprache am Abend des 11. März mit – von der benachbarten Karibik-Insel Puerto Rico, denn eine Rückkehr nach Haiti war aus Sicherheitsgründen nicht mehr möglich.

Es gibt keine Nahrungsmittel, kein Wasser

Am 1. März hatte Henry in Nairobi ein Sicherheitsabkommen mit Kenia unterzeichnet. Es sieht vor, dass das ostafrikanische Land 1.000 Polizist*innen in den Karibikstaat entsendet. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hatte einem entsprechenden Einsatz mit bis zu 3.000 Polizist*innen unter Führung Kenias zur Eindämmung der Bandengewalt in Haiti bereits im Herbst zugestimmt. Die Banden können diesem Einsatz wenig abgewinnen und laufen Sturm. Sollten ausländische Eingreiftruppen ins Land kommen, verspricht Chérizier einen Bürgerkrieg, „der in einem Genozid enden wird.“

„Derzeit kontrollieren die Gangs 90 Prozent des West Departments. Da muss der Übergangsrat zuerst anpacken. Das wird Zeit brauchen“, äußert Pierre Espérance am 28. März gegenüber den Lateinamerika Nachrichten. Er macht keinen Hehl aus seiner Skepsis darüber, dass sich die Lage schnell bessern könnte. Das West Department ist die Metropolregion Port-au-Prince. Dort habe sich die Lage laut dem Direktor des haitianischen Menschenrechtswerks Réseau National de Défense des Droits Humains (RNDDH) seit der Rücktrittsankündigung von Henry keinesfalls verbessert. Im Gegenteil: „Die Situation ist schwierig und verschlechtert sich weiter. Fast alle staatlichen Institutionen sind seit Wochen geschlossen. Es gibt keine Polizisten mehr auf den Straßen. Die Polizisten weigern sich, Dienst zu tun, weil die Polizeiführung nichts zu ihrem Schutz unternimmt, sie nicht ausreichend ausrüstet. Die haitianische Bevölkerung ist sich selbst überlassen. Es gibt keine Nahrungsmittel, kein Wasser. Die Menschen können ihre Häuser nicht verlassen, weil die Gangs alles kontrollieren“, beschreibt Espérance die Lage.

Nicht nur Espérance schlägt Alarm, auch das Welternährungsprogramm (WFP) der Vereinten Nationen befürchtet Schlimmes. „Die Haitianer stehen am Rande des Zusammenbruchs: Jeder zweite Mensch hungert heute. Der zunehmende Hunger verschlimmert die Sicherheitskrise des Landes. Wir müssen jetzt dringend handeln: Abwarten, um auf diese Situation in ihrem ganzen Ausmaß zu reagieren, ist keine Option“, brachte der WFP-Landesdirektor in Haiti, Jean-Martin Bauer, die Lage am Tag des Rücktritts von Henry auf den Punkt. „Haiti hat eine der schwersten Lebensmittelkrisen der Welt – 1,4 Millionen Haitianer sind einen Schritt von einer Hungersnot entfernt“, fügte er hinzu. Der Bedarf an humanitärer Hilfe in Haiti ist groß, doch ein UNO-Sprecher teilte mit, dass von den für Haiti benötigten 674 Millionen US-Dollar derzeit nur 2,6 Prozent finanziert seien.

53.000 Menschen wurden innerhalb von drei Wochen aus Port-au-Prince vertrieben

An der dramatischen Lage in Haiti gibt es keinen Zweifel, darüber im Bilde ist auch der Nationale Sicherheitsrat der Vereinigten Staaten. Dort durfte Espérances Mitstreiterin Rosy Auguste, Programm-Managerin beim RNDDH, am 26. März Bericht erstatten: „Die Gangs stiften Chaos, indem sie ihre Angriffe auf die Bevölkerung verstärken. Menschen, darunter auch Polizeibeamte, töten, vergewaltigen und entführen, verwüsten die Räumlichkeiten von staatlichen Einrichtungen, Polizeistationen, Gerichten, Gewerbebetrieben und Privathäusern und setzen sie in Brand. Sie drohen damit, jeden Tag weitere Menschen zu töten, und halten dieses Chaos aufrecht, indem sie Tag und Nacht in fast allen Gebieten des West Departments schießen. Viele Bewohner mussten aus ihren unsicheren Behausungen fliehen und anderswo Zuflucht suchen.“ Allein 53.000 Menschen aus Port-au-Prince in drei Wochen im März, vermeldete die UN am 2. April. Insgesamt beziffert die Internationale Organisation für Migration die Zahl der in Haiti Vertriebenen auf 362.000 Menschen – mehr als die Hälfte davon sind Kinder.

Die Gangs stiften nicht nur Chaos, sie töten mehr denn je. Nach einem Bericht des UNO-Menschenrechtsbüros ist die Zahl der Opfer der Bandengewalt in dem Land mit etwa elf Millionen Einwohner*innen bereits im vergangenen Jahr stark auf 4.451 Getötete und 1.668 Verletzte gestiegen. In diesem Jahr sei sie noch einmal explodiert: Bis zum 22. März wurden 1.554 Todesopfer und 826 Verletzte registriert. Hinzu kämen 59 Lynchmorde durch Selbstverteidigungsbrigaden. Die haben sich seit April 2023 gebildet, die sogenannte Bürgerwehrbewegung Bwa Kale, was in etwa „geschältes Holz“ heißt und einen Aufruf zur Verbrecherjagd umschreibt.

Unter diesen Bedingungen soll der präsidentielle Übergangsrat antreten und schnell für Besserung sorgen. Personal für seine Besetzung aus sieben stimmberechtigten Mitgliedern und zwei Beobachtern zu finden, dauerte weit länger als von der karibischen Staatengemeinschaft CARICOM angedacht. Diese setzte beim Dringlichkeitsgipfel am 11. März in der jamaikanischen Hauptstadt Kingston den haitianischen Akteuren eine 24-Stundenfrist, um möglichst schnell mit dem Rat den Präsidenten Henry ablösen zu können. Doch erst in der ersten Aprilwoche konnte Vollzug gemeldet werden. Dabei war der Vorschlag der CARICOM vorab mit haitianischen zivilgesellschaftlichen und politischen Akteuren in Zoom-Konferenzen abgestimmt worden.

Dem Übergangsrat soll die Partei der seit dem Erdbeben 2010 regierenden Präsidenten (Martelly, Moïse, Henry) PHTK genauso angehören wie das oppositionelle Bündnis des Montana-Abkommens. Dieses wurde am 30. August 2021 von zahlreichen zivilgesellschaftlichen und politischen Gruppierungen in Haiti im Hotel Montana geschlossen. Die Montana-Gruppierungen hatten bislang eine Zusammenarbeit mit der Regierungspartei PHTK aufgrund von Korruption und der Verwicklung in Bandenkriminalität abgelehnt. Sie sind jetzt in der Notlage über ihren Schatten gesprungen. Mit dabei ist auch die Partei des ehemaligen Präsidenten Bertrand Aristide und Fanmi Lavalas sowie die Gruppierung 21. Dezember von Noch-Präsident Ariel Henry. Auch die Partei von Jean-Charles Moïse wurde berücksichtigt. Moïse befand sich bislang in einem lockeren Bündnis mit Guy Philippe, der wegen Drogen und Geldwäsche sechs Jahre in den USA inhaftiert war. Für die neun Ratsmitglieder selbst gilt allerdings die Bedingung, dass niemand wegen krimineller Machenschaften angeklagt sein darf. Die beiden nicht stimmberechtigten Mitglieder werden aus der Zivilgesellschaft und aus den Kirchen gestellt. Der Rat soll eine neue Übergangsregierung auf den Weg bringen, die dann den Weg für Wahlen freimachen soll. Diese sind für das Parlament seit 2018 und für das Präsidialamt seit 2022 überfällig.

Pierre Espérance sieht den Übergangsrat zwar als Schritt in die richtige Richtung, ist aber skeptisch: „Erstmal muss er vollständig gebildet werden, dann muss er arbeitsfähig werden. Es geht darum, die politische Krise zu lösen und vor allem darum, die Sicherheitskrise schnellstmöglich in den Griff zu bekommen. Es gibt jede Menge zu tun.“

Für Haitis Bevölkerung ist kein Ende des Schreckens in Sicht

Und Jimmy Chérizier macht weiter deutlich, dass er mitspielen und in Verhandlungen über eine neue Regierung einbezogen werden will. „Wenn die internationale Gemeinschaft mit einem detaillierten Plan kommt, bei dem wir zusammensitzen und reden können, sie uns aber keine Entscheidungen aufdrücken, dann denke ich, dass die Waffen niedergelegt werden könnten“, erzählte er am 29. März dem Sender Sky News.

Etwaige Schutztruppen aus Kenia würde er als Aggressoren und Eindringlinge betrachten, so Chérizier weiter. „Wenn die Kenianer kommen, dann werden sie zunächst Massaker in den Armenvierteln verüben. Denn die Oligarchen und die korrupten Politiker werden ihnen sagen, dass sie dahin müssen, angeblich, um die Gangs auszuschalten. Aber das werden wir nicht zulassen.” In dieser Kampfansage ist für Haiti jede Menge Zündstoff enthalten. Denn die CARICOM hat für die „haitianische Lösung“ mit dem Übergangsrat eine Bedingung formuliert: Jedes dorthin entsandte Mitglied müsse der kenianischen Polizeimission zustimmen, mit der der Ganggewalt Einhalt geboten werden soll. Sicher ist nur: Für Haitis Bevölkerung ist kein Ende des Schreckens in Sicht.

“No es una crisis climática, sino una crisis colonial”

Movilización en Alemania Juan Pablo Gutiérrez (Delante, a la derecha) con otros manifestantes delante de la embaja de Colombia en Berlin
(Foto: Klaus Sparwasser)

La Corte Constitucional de Colombia en 2009 declaró que el pueblo Yukpa se encuentra en riesgo inminente de extinción física y cultural. ¿Cuáles son las razones?

Se debe a la pérdida de nuestro territorio ancestral. La llegada de las minas (véase texto explicativo abajo, nota de redacción) sólo fue posible a través de grupos paramilitares que despojaron de esas tierras a pueblos indígenas, a campesinos, a afrodescendientes, a personas que habían vivido ahí durante mucho tiempo. Estos grupos desplazaron y asesinaron a mucha gente.

El pueblo Yukpa como pueblo semi nómada siempre había podido alimentarse mediante la caza y la pesca, pero ahora las minas han desviado y contaminado los ríos. La caza y la pesca se dificultan cada vez más porque toca caminar muchísimo – días prácticamente – para encontrar un animal. El esfuerzo ya no vale la pena. Por eso, hoy en día recurrentemente los niños Yukpa se despiertan en las noches y lloran de hambre porque no se han alimentado bien. El hambre, sumado al polvo de carbón presente en la atmósfera causan la muerte de aproximadamente 40 niños y niñas por año. Dado que el territorio es lo que configura nuestra cultura y cosmovisión, éstas también se ven amenazadas. Muchos animales y plantas sagradas ya se han dejado de pronunciar porque dejaron de existir.

Todo eso sólo ha sido posible a causa de la negligencia y el olvido del Estado, a causa de la complicidad de los gobiernos anteriores con las empresas mineras, apoyados en el concepto del “progreso” – a nuestro parecer el nuevo disfraz del colonialismo.

Los Yukpa de momento tratan de lograr la delimitación de su territorio ancestral, la cual ha sido exigida también por la Corte Constitucional de Colombia desde 2017. ¿Por qué eso es tan importante?

A partir del momento en el que la Agencia Nacional de Tierras (ANT) ejecute las sentencias de la Corte Constitucional y delimite nuestro territorio ancestral, será oficial que las minas a tajo abierto están en territorio Yukpa. Esto a su vez será una ficha de defensa jurídica poderosísima (véase texto explicativo abajo, nota de redacción). Nos va a permitir hacer valer de manera retroactiva nuestros derechos a la consulta previa, la que nunca ocurrió antes del comienzo de la minería. También hará posible hacer cumplir nuestro derecho a una post consulta para obtener las reparaciones por los daños ocasionados. Entonces, llevar a cabo la delimitación es la llave para solucionarle los problemas al pueblo Yukpa.

¿Qué tipo de reparaciones piden los Yukpa?

Nosotros en Colombia desde 2016 estamos en un contexto de construcción de paz y hemos aprendido que para acceder a esta se necesitan tres cosas: la verdad, la justicia y la reparación. La cuestión de la reparación será definida por las autoridades Yukpa localmente en su momento. En mi opinión, lo más importante sería resolver todas las afectaciones. Por ejemplo, el problema del hambre, a través de la descontaminación de los ríos, la liberación de los ríos, el repoblamiento piscícola de los ríos, programas para repoblar de fauna y flora en el territorio.

¿Cómo se explica que en 2021 la empresa Glencore haya devuelto las licencias para sus minas en el departamento del Cesar, mientras sigue con la explotación de la mina El Cerrejón en La Guajira, que es la más conocida?

Después de que la Corte Constitucional fallara en nuestro favor en el 2021, Glencore anunció la renuncia a todos sus títulos mineros en el Cesar. La justificación que ellos dieron mediática y públicamente fue la caída del precio del carbón. Sin embargo, la mina del Cerrejón en La Guajira – que es territorio del pueblo indígena Wayuu – sigue funcionando, lo que demuestra que esa no es la razón verdadera. En realidad, fue porque les dio miedo, porque nosotros como pueblo Yukpa los arrinconamos a través de nuestro litigio estratégico y ellos se dieron cuenta de que tenían que irse, y así evadir las responsabilidades.

El gobierno de Gustavo Petro respeta los derechos indígenas y quiere terminar la explotación del carbón. ¿Por qué decidieron llevar una carta pública a diferentes embajadas en Europa junto a organizaciones de la sociedad civil?

La responsabilidad de todo lo que nosotros denunciamos en esa carta recae en las políticas de los gobiernos anteriores y no tiene nada que ver con el gobierno actual. El gobierno de Petro fue impulsado por sectores sociales, populares y el movimiento indígena en Colombia. El pueblo Yukpa lo apoya y los pueblos están incluso gobernando en la institucionalidad. Hemos convocado a organizaciones de distintos países para reunirse con embajadores con el objetivo de recordarle que esa sentencia existe. Estamos seguros de que el gobierno de Petro ni siquiera conoce esa sentencia, ya que se han incumplido muchísimas sentencias en gobiernos anteriores y esta es una más.

Yo hablo a veces con funcionarios, con los ministros del gobierno de Petro y tienen súper claro que el desafío es sacar a Colombia de esa dependencia de energías fósiles. Por lo tanto, es ahora o nunca. Si esa sentencia no se cumple con Gustavo Petro, no se cumple con nadie más.

Por la invasión rusa en Ucrania, Alemania ahora importa más carbón de Colombia que antes. ¿Qué esperas de los activistas en Europa?

El pueblo Yukpa vive las consecuencias del embargo de carbón que la Unión Europea le impuso a Rusia: En Colombia la exportación de carbón se incrementó en más de 200 por ciento, sin que de estos pagos se beneficien los niños y niñas Yukpa y Wayuu que mueren en la Serranía del Perijá y en el desierto de La Guajira.

Alemania le va a meter presión a Colombia para que no salga del carbón, entonces es fundamental que se fortalezca la voluntad del Gobierno de Colombia de hacerlo. Por otro lado, la sociedad civil movilizada en Alemania debería recordarle también a su propio gobierno la necesidad de acabar con la explotación del carbón.

Me parece fundamental que los activistas centren su narrativa de la crisis más en lo que es para nosotros: No una crisis climática, sino una crisis colonial. La tiene que resolver ese puñado de países que se encargaron de provocarla. Si la narrativa se mantiene únicamente en que se trata de una crisis climática, la reivindicación central va a consistir en pasar de un modo de explotación de la tierra que emite CO² por otro que no emite CO². Y nosotros vamos a seguir en las mismas porque la transición energética va a estar basada otra vez en la explotación de nuestros territorios, solo que ahora con el hidrógeno verde y los paneles solares en vez del carbón.

Otro punto es que, al interior de la lucha, se está pretendiendo avanzar a partir de pequeños nichos, de pequeños grupos y eso al gobierno y a las corporaciones les conviene. Una masa de personas decididas y determinadas a cambiar las cosas es imparable. Y eso es lo que falta acá. El 2024 tiene que ser el año de consolidación de un movimiento de movimientos, de empezar a unir sectores diferentes, también con el sindicalismo. Lo digo también pensando en que el fascismo se está tomando toda Europa. Lo pienso desde la perspectiva de los pueblos indígenas organizados en Colombia. A partir del momento en el que estuvimos organizados a nivel nacional, por ejemplo, en la ONIC, los pueblos indígenas nos convertimos en un poder. Si hubiéramos seguido solos como pueblo Yukpa, ya hubiéramos desaparecido.

Im Sand verlaufen

© Felipe Larozza / Salvatore Filmes

Zauberhaft sieht sie aus, die Region um den Nationalpark Lençois Maranhenses ganz im Nordosten Brasiliens. Riesige weiße Sanddünen erstrecken sich kilometerweit die Küste entlang bis weit ins Landesinnere, unterbrochen von blauen Lagunen, die zum Baden einladen. Die Lençois sind eines der größten Naturwunder Brasiliens und damit auch eine der bekanntesten Tourismusattraktionen des Landes. Ihre Bewohner*innen stellt die geschützte Landschaft aber auch vor Herausforderungen.

Dies ist das Setting von Marcelo Bottas Debütfilm Betânia, der auf der Berlinale 2024 Weltpremiere feierte. Der Film folgt der titelgebenden Großmutter Betânia (Diana Mattos) und ihrer Familie, die in einfachen Verhältnissen am Rande der Dünen lebt. Betânia war ihr Leben lang Hebamme und hat laut eigener Aussage im Laufe ihres Lebens so gut wie jedes Kind der Region zur Welt gebracht. Die männlichen Freunde und Familienmitglieder verdingen sich vor allem als Tourist*innenführer, während die weiteren im Film vorkommenden Frauen meist älteren Semesters sind und Hausarbeit verrichten. Ausnahme: Betânias Enkelin Vitória (Nádia de Cássia), die auf Reggae steht, für den der brasilianische Bundesstaat Maranhão landesweit berühmt ist, und DJ werden möchte. Dies wiederum bringt ihre erzchristliche Mutter Irineusa (Michelle Cabral) an den Rand des Nervenzusammenbruchs.

Eine Kritik über Betânia zu schreiben, ist nicht einfach, weil der Film die wahrscheinlich größte Bild-Text-Schere des Festivaljahrgangs aufweist. Die fantastische Dünen- und Mangrovenlandschaft der Lençois Maranhenses fängt der geübte Dokumentarfilmer Botta in faszinierenden, fast überrealistisch schönen Bildern ein. Vor allem die Drohnenaufnahmen von den sich wellenden, weißen Sandbergen unter blauem Himmel sind spektakulär. Leider belässt es Botta aber nicht bei diesen zauberhaften Eindrücken, sondern möchte dazu noch eine Geschichte erzählen, was ihm gnadenlos misslingt. Banale Dialoge, altbackene Figurenzeichnung und unnütze Nebenhandlungen, die noch dazu meist – pardon – im Sande verlaufen, machen den flunderflachen Plot zu einer schmerzhaften Aneinanderreihung kitschiger Plattitüden. Dazu werden die Szenen derartig oft von Musik-Performances unterbrochen (es sind insgesamt über 60 Einspielungen!), dass sich selbst die größten Liebhaber*innen brasilianischer Folklore irgendwann fragen dürften, was hier eigentlich Mittel und was Zweck sein soll. Der dramatische Höhepunkt des Films nähert sich, als Tonhão (Caçula Rodrigues), Betânias Schwiegersohn und Dorftrottel in Personalunion, ein entnervend überzeichnetes französisches Tourist*innenpärchen in die Wüste führt und dort dann prompt nicht mehr herausfindet. Doch da ist schon so viel honigsüß-konfliktfreies Wasser die Dünen heruntergeflossen, dass sich wirklich niemand mehr vorstellen mag, hier könne noch irgendetwas Böses passieren.

Die seichte Handlung von Betânia, die sich irgendwo zwischen Homevideo und drittklassiger Telenovela einpendelt, stört den visuellen Genuss mit der Zeit dann doch erheblich. Zumal der Film auch noch viel zu lange zwei Stunden läuft. Dabei wäre es auch anders gegangen. Denn die Figur der Großmutter Betânia basiert auf der wahren und erzählenswerten Lebensgeschichte von Maria do Celso, die ihr Leben lang dafür kämpfte, den malerischen Dörfern am Nationalpark Wasser- und Stromanschluss zu ermöglichen. Genau wie die Umweltprobleme, die die Versandung der Mangrovenlandschaft mit sich bringt, geht das aber leider in zu viel rührseligem Gemenschel unter. Vielleicht hätte Marcelo Botta einfach nur einen weiteren Dokumentarfilm drehen sollen. Den Zuschauer*innen von Betânia sei jedenfalls empfohlen, die wunderschönen Bilder in vollen Zügen zu genießen und ansonsten das Hirn auf Durchzug zu stellen.

LN-Bewertung: 2 / 5 Lamas

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