// El Salvadors zwei Gesichter
Editorial Ausgabe 452 – Februar 2012
Häufig sind es die symbolischen Gesten, die besondere Veränderungen markieren. So auch in El Salvador, genau 20 Jahre nach Abschluss des Friedensabkommens von Chapultepec. Auf einer Gedenkveranstaltung in der kleinen Gemeinde El Mozote bat Präsident Mauricio Funes am 16. Januar 2012 im Namen des salvadorianischen Staates für das schlimmste Massaker in der Geschichte des zwölfjährigen Bürgerkriegs um Vergebung. Im Dezember 1981 hatte eine Eliteeinheit der Streitkräfte in El Mozote rund 1.000 Menschen, darunter fast 500 Kinder und Jugendliche, ermordet.
Begangen wurde das Massaker vom Bataillon Atlacatl, das von Oberst Domingo Monterrosa befehligt wurde, einem skrupelloser Militär, der zahlreiche schwere Menschenrechtsverletzungen begangen hat, 1984 im Bürgerkrieg getötet wurde und bis heute in den Streitkräften als Kriegsheld verehrt wird. Umso bemerkenswerter war die Anordnung von Präsident Funes, die Geschichte der salvadorianischen Armee neu zu schreiben und die Verehrung von Monterrosa und anderen hochrangigen Offizieren, die in El Mozote dabei waren, zu beenden – einschließlich der Umbenennung der Kaserne der 3. Infanteriebrigade in San Miguel, die bis heute den Namen des Schlächters von El Mozote trägt. Auch eine Revision des Amnestiegesetzes von 1993 durch das Parlament regte der Präsident auf der Gedenkfeier in El Mozote an.
Die rechte Opposition und zahlreiche ehemalige Militärs tobten. Menschenrechtsorganisationen und die regierende linke FMLN waren hingegen höchst zufrieden mit dem Auftritt des Präsidenten. Die Freude hielt aber nur eine Woche an. Dann schon zeigte Funes sein anderes Gesicht. Nachdem er im vergangenen November bereits Manuel Melgar, Minister für Justiz und Öffentliche Sicherheit, abgelöst und durch einen Militär ersetzt hatte, musste nun Carlos Asencio, Direktor der Zivilen Nationalpolizei (PNC), zurücktreten. Sein Nachfolger wurde General Francisco Salinas, der gerade einmal zwei Stunden vor seiner Ernennung seinen Abschied aus der Armee erklärt hatte. Auch wenn der Amtswechsel damit gerade noch legal war – die aus dem Friedensabkommen hervorgegangene PNC muss laut Verfassung von einem Zivilisten geleitet werden – offenbart er doch, wie sehr sich der Präsident vom Geist des Abkommens von Chapultepec entfernt hat. Bisher hatten sich nur seine Vorgänger_innen von der ultrarechten ARENA-Partei so offensichtlich über das Friedensabkommen hinweggesetzt.
Die Geste von El Mozote und die Ernennung eines (Ex-)Militärs zum Polizeichef sind zwei der Pole zwischen den El Salvador nach zwanzig Jahren Friedensabkommen schwankt. Das Land ist so gewalttätig wie in den schlimmsten Jahren des Bürgerkriegs und doch muss niemand, der heute die Regierung kritisiert, um sein Leben fürchten. Die soziale Ungleichheit im Land ist so ausgeprägt wie zuvor und doch profitieren die Armen im Land von einem verbesserten Zugang zu Bildung und Gesundheitswesen. Die Macht der alteingesessenen Unternehmerfamilien wurde nicht angetastet, doch eine Einkommenssteuerreform sorgt dafür, dass die Reichen heute ein wenig mehr zum Steueraufkommen beitragen müssen.
Für all dies steht Mauricio Funes. Der populäre Fernsehmoderator hat der ehemaligen Guerillabewegung FMLN bei den Wahlen 2009 die entscheidenden Stimmen in der Mitte eingebracht. Doch leicht wird vergessen, dass ohne die FMLN auch Funes nicht Präsident geworden wäre. Ohne auf die FMLN Rücksicht zu nehmen, setzt Funes die Militarisierung der öffentlichen Sicherheit durch. Er umgibt sich immer mehr mit Berater_innen aus der politischen Rechten und biedert sich durch seine Sicherheitspolitik in Washington an, obwohl die USA für zahlreiche schwere Menschenrechtsverletzungen in El Salvador mitverantwortlich sind. Doch auch hierzu schweigt der Präsident. Kritik an seinem Vorgehen weist er vehement zurück. Funes personifiziert quasi El Salvadors zwei Gesichter 20 Jahre nach dem Friedensabkommen.