Alternative Medien | Nummer 372 - Juni 2005

22 Jahre Berichterstattung von unten

Die guatemaltekische Nachrichtenagentur CERIGUA

Schon während des Bürgerkriegs in Guatemala klagte CERIGUA die Menschenrechtsverletzungen der ehemaligen Diktatur öffentlich an. Auch heute setzt sie sich unabhängig und kritisch mit der Regierungspolitik auseinander und berichtet bisweilen unter Todesdrohungen über die guatemaltekische Lebensrealität von marginalisierten und diskriminierten Gruppen, deren Anliegen in den Mainstream-Medien meist keinen Raum finden.

Markus Plate

Das Geburtsdatum der unabhängigen Nachrichtenagentur CERIGUA fällt mitten in die schlimmste Phase des guatemaltekischen Bürgerkriegs. Am 8. August 1983 gründete ein Kollektiv von GuatemaltekInnen im nicaraguanischen Exil das Centro de Reportes Informativos sobre Guatemala (CERIGUA). Mit dabei war damals auch die heutige Vorsitzende Ileana Alamilla. Der Anspruch der Agentur: Über die gravierenden Menschenrechtsverletzungen und Morde zu informieren, die Todesschwadronen, Polizei und Militär systematisch an der Bevölkerung begingen. Über den Genozid an der indigenen Bevölkerung. Über die extreme Armut der Mehrheit der Bevölkerung und über die verbreitete Diskriminierung von Indígenas und Frauen. Themen, über die in Guatemala zu Zeiten der Militärdiktatur nicht publiziert werden durfte.
CERIGUA leistete einen wesentlichen Beitrag, dass die humanitäre Kathastrophe in Guatemala international bekannt wurde und begann bald, mit internationalen Nachrichtenagenturen zusammenzuarbeiten – so mit der französischen AFP und der deutschen dpa. Die Informationen wurden klandestin aus Guatemala herausgeschmuggelt und stammten von Gewerkschaften, MenschenrechtlerInnen, der katholischen Kirche und nicht zuletzt von der Guerilla URNG. Vor allem auf Grund der Guerillakontakte wurde CERIGUA in Guatemala, aber auch in konservativen Kreisen Lateinamerikas und in den USA als Presseagentur der URNG verunglimpft, zumindest international jedoch ohne Erfolg. Die Anklagen, die CERIGUA erhob und die das Militärregime als Guerillapropaganda abtat, wurden Ende der Neunziger Jahre durch die Wahrheitskommission bestätigt.
Der Friedensprozess wurde von CERIGUA seit Ende der Achtziger Jahre ausführlich begleitet. Ebenso wurde über das Schicksal hunderttausender Flüchtlinge berichtet, die sich vor dem staatlichen Terror und den Kriegswirren in die Hauptstadt oder ins benachbarte Mexiko in Sicherheit gebracht hatten. Schon 1994, zwei Jahre vor Unterzeichnung des Friedensabkommens, zog CERIGUA unter dem Schutz der UNO-Mission MINUGUA aus dem Exil nach Guatemala. Seither will die Agentur denjenigen Gruppen eine Stimme verleihen, die in 36 Bürgerkriegsjahren in ihrem eigenen Land kein Medium hatten und deren Anliegen auch heute noch in den großen Tageszeitungen, den Fernsehkanälen und den kommerziellen Radios kaum Platz erhalten.

Horizontal und dezentral

Auch heute steht CERIGUA für horizontale Information, die die Realität der Bevölkerung reflektiert. Auch die Dominanz der Hauptstadt, in der sich neben der politischen und wirtschaftlichen Macht auch fast alle Medien des Landes konzentrieren, soll mittels eines KorrespondentInnennetzwerks gebrochen werden. So konnte CERIGUA schon früh auf die Hungersituation in der Region Chiquimula hinweisen sowie auch auf die andauernden Umtriebe paramilitärischer Gruppen im Quiché.
Seit einigen Jahren ist CERIGUA keine reine Nachrichtenagentur mehr. Neben einem wöchentlichen Bulletin gestaltet CERIGUA inzwischen eigene Radiosendungen. Einmal pro Woche werden Reportagen und Interviews gesendet sowohl in kommerziellen, als auch in staatlichen und freien Radios. Hier stößt die immer noch kleine Agentur ein ums andere mal an ihre Grenzen: Geld für eine adäquate technische Austattung ist nicht da. Noch steht weder der Zentrale noch den KorrespondentInnen eine schnelle Internetverbindung zur Verfügung. Auch der Zugang zu den Radios ist nicht immer leicht: Kommerzielle Radios kündigen Sendeplätze und die freien Radios arbeiten mangels einer entsprechenden Rundfunkgesetzgebung immer noch illegal. Eines der Hauptanliegen CERIGUAs ist daher auch eine Reform des Mediengesetzes.
Die Arbeit CERIGUAs war und ist nicht ungefährlich: JournalistInnen sind in Guatemala bis heute Ziel von Einschüchterungen, willkürlichen Verhaftungen und physischer Gewalt bis hin zum Mord.
CERIGUA hat sich mit ihrem Anspruch, zunächst die Verbrechen der Diktatur aufzudecken und später die Verfehlungen der demokratischen Regierungen zu veröffentlichen, stets Feinde gemacht. „Unter den Regierungen Arzu und Portillo haben wir monatlich über Morddrohungen gegen unsere Reporter und Korrespondenten berichtet“, erklärt Alamilla. Das habe 2004, dem ersten Regierungsjahr von Präsident Oscar Berger, nachgelassen, aber „gerade unser Korrespondent Alfonso Guárquez in der Region Sololá ist auch in diesem Jahr bereits zwei Mal Ziel von Angriffen gegen die Pressefreiheit gewesen.“ Im Januar habe der Gouverneur von Sololá, Adalberto Urrea Ruiz, Haftbefehl gegen Guárquez erlassen, als dieser über Unruhen berichtete. Die Anschuldigung lautete, Guárquez habe die Unruhen mitorganisiert. Ende März erreichten den Korrespondenten Morddrohungen, die sich auch gegen seine Familie richteten.
Die fortlaufenden Angriffe gegen die Pressefreiheit haben CERIGUA bewogen, ein weiteres Projekt zu gründen: Mitte 2004 errichtete die Agentur das „Observatorium der Journalisten“, mit dem Ziel, Angriffe gegen die Pressefreiheit aufzudecken und zu dokumentieren. Neben „Notrufen“ an die internationale Öffentlichkeit im Falle aktueller Bedohungen erstellt CERIGUA ein Jahresregister über die Situation der Pressefreiheit.
22 Jahre nach ihrer Gründung bleibt CERIGUA in der guatemaltekischen Medienlandschaft höchst aktiv. Mit ihren Prinzipien, die kulturelle Vielfalt Guatemalas und die zahlreichen Probleme des Landes nah an der Basis zu beschreiben, bleibt CERIGUA wohl auch in Zukunft auf finanzielle Unterstützung aus dem Ausland angewiesen.

www.cerigua.org
www.npla.de


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