Film | Nummer 332 - Februar 2002

A Trip to Brazil

Der US-amerikanische Film E minha cara zelebriert die Suche nach schwarzer Idendität

Anja Witte

Einmal unterhielt ich mich mit einem meiner afrikanischen Freunde an der Schule in Tansania. ‘You are American‘, stellte er fest, ‘No, I´m Afro-American‘, antwortete ich stolz. Da lachte er: ‘Afro? That´s a hairstyle. You are a nigger.’ Und dann umarmte er mich.“ Der US-Amerikaner Thomas Allen Harris erzählt diese Episode in seiner autobiografischen Dokumentation E minha cara (Das ist mein Gesicht). Harris nimmt seine Zuschauer mit auf eine Reise. Beginnend in den Tagen seiner Kindheit in der Bronx, führt sie über Afrika bis nach Brasilien. Auf der Suche nach afroamerikanischer Spiritualität begegnet er verschiedenen Konstruktionen schwarzer Identität.
In den USA geboren, lebte Thomas zusammen mit seiner Mutter für einige Zeit in Tansania. Die überwältigende Fülle an Filmaufzeichnungen und Fotos, eigenen und denen, die schon sein Großvater von der Familie machte, lässt ein Sozialisationsmosaik des Künstlers entstehen und gleichzeitig schafft sie ein Bild der Entwicklung schwarzen Bewusstseins über drei Generationen. In das private Bildmaterial eingewoben sind auch zeitgeschichtliche Fernsehbeiträge, die schwarze Kultur und Black Movement seit den 60er Jahren thematisieren.
Nach seiner Rückkehr aus Afrika fühlt Harris sich fremd in den USA, hin und her gerissen zwischen den Kulturen zweier Kontinente. Da erfährt er von einer brasilianischen Freundin zum ersten Mal von den Orixás, den afrobrasilianischen Gottheiten des Candomblê. Fasziniert von der Verschmelzung afrikanischer Yoruba-Spiritualität mit dem Katholizismus, macht er sich auf den Weg nach Brasilien.
Carnaval, Capoeira und Candomblê: im Grunde reitet auch Harris auf der Welle des gegenwärtigen afrobrasilianischen Kulturbooms. In beeindruckend schönen Bildern, teils in schwarzweiß und teils farbig, aufgenommen mit einer Super8, dokumentiert er seinen Streifzug durch „das schwarze Herz Brasiliens“, Salvador da Bahia. Indem Harris Reflexionen über die brasilianische Gesellschaft aus dem Off einspielt, deutet er aber auch die Widersprüchlichkeiten an, den Rassismus, das branqueamento (die Tendenz sich selber möglichst hellhäutig zu sehen) und die unübersehbare Verbindung von preto (schwarz) mit Armut und Chancenlosigkeit. Die eigenen Eindrücke seiner Reise mischt er mit Zitaten von Reisebekanntschaften, so dass verschiedene, auch seiner eigenen Meinung widersprechende Ansichten zur Sprache kommen. Auf seiner spirituellen Reise, lässt er auch Freunde zu Wort kommen, die zumindest am Rande darauf aufmerksam machen, dass sich die meisten BrasilianerInnen mit wichtigeren Problemen auseinander setzen müssen, als ihre Orixás zu finden.
Der Video- und Performancekünstler Harris beschäftigt sich in seinen Arbeiten seit vielen Jahren mit den Konstruktionen afrikanischer Identität in der Diaspora. Während der Aufstände 1992 in Los Angeles nach dem rassistischen Übergriff auf Rodney King, ließ er sich vier Tage lang an Drahtseilen aufhängen. Mit diesem Happening wollte er demonstrieren, wie sich die Erfahrung von Unterdrückung physisch und psychisch auswirkt. 1998 stellte er in der Corcoran Gallery of Art in Washington D.C. eine Multimedia-Installation aus, die sich mit dem Thema afrikanischer Glaubenssysteme auf dem amerikanischen Kontinent beschäftigte.
Der Film E minha cara ist empfehlenswert, nicht nur wegen seiner hinreißenden Bilder. Auch die tontechnische und musikalische Gestaltung bezaubert. So führt die Reise mittels Funk der 60er Jahre, Samba und afrikanischem Son auch akustisch durch die Kontinente.
Harris resümiert am Ende seines Films, dass in der Rückbesinnung auf die, wie er sagt „Geister der Vorfahren“, eine Möglichkeit liege, die eigene Zerrissenheit zwischen Afrika und Amerika zu überwinden. Für ihn persönlich mag das so stimmen. Doch es bleibt die Frage, ob eine derart rückwärts gewandte Identitätspolitik nicht eher den Weg verstellt für eine Veränderung der realen gesellschaftlichen Bedingungen.

E minha cara; Regie: Thomas Allen Harris; USA 2001; Schwarzweiß/Farbe, 56 min. Der Film wird im Forum der Berlinale (6. bis 17. Februar 2002) gezeigt.

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