Abholzen für die Energiewende
Im kolumbianischen Amazonas soll eine Kupfermine entstehen
Eine grüne Wand zieht sich entlang der hügeligen Landschaft durch eine von vielen Schluchten im Departamento Putumayo. Ein Grün, das zugleich viel saftiger, dunkler und glänzender ist als andernorts. Wer mit der Hand hineinfasst, hat das Gefühl, auf einen vor Wasser triefenden Schwamm aus Blättern, Ästen und moosartigem Bewuchs zu drücken.
Hier bilden zwei dieser grünen, nebeligen Wände eine Schlucht, durch die der Río Mocoa hinabfließt.
Durch diesen Fluss watet Soraida Chindoy mit ihrer Tochter. Es ist kein normaler Spaziergang, eher eine Art Hommage an den Río Mocoa. Deswegen hat sie sich schick gemacht; die Kleidung ihrer Indigenen Gemeinschaft, der Inga angelegt. Ihren Kopf schmückt ein Kranz, von dem grüne, gelbe, rote, blaue und weiße Bänder über ihr langes Haar fallen. Um den Hals trägt sie bunte Perlenketten, um die Armgelenke ein Band aus Perlen in den Farben der Wiphala (Flagge, die Indigene Gemeinschaften aus der Andenregion repräsentiert, Anm. d. Red.) und um die Hüfte ein buntes Stoffband um ihr schwarzes Gewand. Sie singt gemeinsam mit ihrer Tochter. Dazu rauscht der Fluss. Dann erklärt sie: „Das Lied ist auf Inga und der Text bedeutet: Große Mutter Erde, wir Frauen sollten alle voller Stärke aufstehen.“
Heute lebt Chindoys Inga-Gemeinschaft in den Grenzen eines staatlich anerkannten Reservats etwa zehn Kilometer weiter nördlich. Früher lebte sie hier: „Unsere Indigenen Gemeinschaften fischten hier, reinigten und heilten sich hier, sie bekamen sogar ihre Kinder hier. Siehst du die majestätischen Steine dort?“
Große Felsen ragen aus dem Wasser hervor. „Dort haben unsere indigenen Mütter ihre Kinder geboren. Das ist die Energie, die uns dieser Fluss überträgt.“
Soraida Chindoys heutiger Besuch am Río Mocoa hat einen bestimmten Grund: Sie hofft, dass man beim Anblick des Flusses, dem Fühlen des kühlenden Wassers auf den nackten Füßen, dem Ertasten der Heilpflanzen am Flussufer, versteht, was hier auf dem Spiel steht. Denn wenige Meter von hier soll eine der größten Kupferminen Lateinamerikas gebaut werden.
Dann wäre sowohl das Wasser des Río Mocoa bedroht als auch das Inga-Reservat Condagua, in dem Soraida Chindoys Familie lebt. Die Bergbaukonzessionen umfassen nicht nur einen Teil von Condagua, sondern auch ein Waldschutzgebiet.
Hier in Putumayo rund um die Regionalhauptstadt Mocoa treffen sich eine andine Bergkette und der Amazonasregenwald. Es ist heiß, über 30 Grad, und den halben Tag regnet es. Oder besser gesagt, es schüttet. Überall gibt es Wasser. Neben dem Río Mocoa entspringt hier auch der Río Caquetá, einer der größten Flüsse Kolumbiens, der schließlich den Amazonas mit Wasser speist.
Die Region hat einige Wunden, die bis heute schmerzen. Da ist der Kautschukboom Anfang des 20. Jahrhunderts, als europäische Unternehmer Regenwald in Plantagen umwandelten und dort Indigene als Arbeitskräfte versklavten. Im Putumayo wird außerdem in großem Stil Erdöl gefördert.
Trotz all dem gilt das kolumbianische Amazonasgebiet, auch dank Menschen wie Soraida – im Gegensatz zum brasilianischen – als recht gut erhalten. Seit einigen Jahren nimmt aber auch hier die Abholzung enorm schnell zu. Oft werden Bäume für die Rinderzucht oder den Anbau von Koka gefällt. Die hier aktive FARC-Dissidenz kontrolliert große Teile der illegalen Ökonomie und damit auch das Tempo der Abholzung, was sie als Verhandlungsbasis mit der Regierung nutzt.
Unabhängig von der ohnehin schwierigen Lage wäre der Kupferbergbau eine Zäsur: Es wäre die erste große Mine im kolumbianischen Amazonasgebiet. Eröffnen will sie der kanadische Bergbaukonzern Libero Copper. Das Unternehmen gehört einem Geschäftsmann mit guten Verbindungen zum aserbaidschanischen Diktator Alijew und einer einflussreichen Familie aus den USA, die den Republikanern nahesteht – sonst eher keine Verfechter der Energiewende, hier in Kolumbien aber schon. Thyana Alvarez, Sprecherin von Libero Copper, betont die Bedeutung der Kupferförderung rund um Mocoa für das Gelingen der Energiewende: „Unser Projekt befindet sich aktuell unter den landesweit fünf, denen die Bergbauplanungsbehörde die größte Priorität gibt – und zwar wegen der Energiewende. Kupfer ist einer der wichtigsten Rohstoffe für die Energiewende.“
Das stimmt. Kein Solarpanel, kein Windrad kommt ohne Kupfer aus. Wo elektrifiziert wird, ist Kupfer im Spiel. In einem einzigen Elektroauto sind etwa 80 Kilogramm Kupfer verbaut. Schätzungen gehen davon aus, dass sich die globale Nachfrage bis 2030 versechsfachen könnte, verbunden mit einem massiven Preisanstieg.
Kolumbiens erster linker Präsident Gustavo Petro sieht darin eine große Chance. Er will weg von Kohle und Öl, dafür gibt die neue Bergbaustrategie seiner Regierung das Ziel aus, strategisch wichtige Rohstoffe für die Energiewende zu erschließen: Nickel, Lithium, Kobalt – und Kupfer. 2023 erklärte er vor den Staatschef*innen der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS): „Wenn wir Lithium- und Kupferländer uns zusammentun, dann merken wir, was Macht bedeutet.“
Im 20. Jahrhundert versklavten Unternehmer Indigene als Arbeitskräfte
Doch gleichzeitig betont Petro immer wieder, den Amazonas schützen zu wollen, fordert mal eine Gründung einer „Amazonas-NATO“ zur Bekämpfung der Abholzung oder nennt das Ökosystem „eine der Säulen des weltweiten Klimas und des Lebens“.
Nun liegen die größten Kupfervorkommen des Landes allerdings genau hier – im Amazonasgebiet. 105.000 Tonnen Kupfer könnte Libero Copper jährlich fördern und damit das Bruttoinlandsprodukt des Departamentos versechsfachen.
Auch wenn bei der Kupferförderung weniger CO2 ausgestoßen wird, ist sie keineswegs umweltschonend. Beim Abbau entstehen gigantische Mengen an Giftschlämmen, die in Auffangbecken endgelagert werden müssen; massive Wasser- und Luftverschmutzung sowie katastrophale Auswirkungen für das umliegende Ökosystem sind international beim Kupferbergbau dokumentiert.
Deshalb steht Soraida Chindoy an diesem Tag im Fluss und spricht von ihren Indigenen Müttern. Dazu kommt in Mocoa noch ein weiterer guter Grund, um gegen den Bau einer Mine zu sein, die jeden Tag riesige Mengen des Bodens umgräbt: Die Region rund um Mocoa gilt als geologisch instabil. Immer wieder kommt es zu Erdrutschen. So wie am 31. März 2017. Die Indigene Minengegnerin Soraida Chindoy erinnert sich – wie fast alle in Mocoa – an jedes Detail dieser Nacht: „Ich war in der Stadt Mocoa im Haus meines Mannes mit den Kindern. Kurz nach 21 Uhr entschieden wir, nicht mehr nach Condagua zurückzufahren, weil es so stark geregnet hat. Wir wollten einen Film gucken, doch dann – so gegen 23 Uhr – begannen die Fenster zu wackeln.“
Mocoa und umliegende Dörfer wurden überschwemmt und unter Schlammmassen begraben. Soraida Chindoy, ihr Ehemann und ihre Kinder überlebten nur knapp. An ihnen vorbei wurden Leichen geschwemmt. Insgesamt starben mehr als 1.400 Menschen.
Nach der Katastrophe war die Ablehnung der Bergbaupläne groß. Chindoy organisierte gemeinsam mit Umweltaktivist*innen und Frauenorganisationen Demonstrationen, Infoveranstaltungen und ein eigenes jährliches Festival für das Wasser, das Leben und die Berge. 2022 erreichten sie einen Kommunalbeschluss, der größere Minenaktivitäten in Mocoa verbietet. Ein riesiger Erfolg.
Doch trotz Lawinenkatastrophe, Umweltzerstörung und drohender Vertreibung: Die Allianz gegen die Mine bröckelt. Wie ist das möglich?
Nicht weit von der Stelle, wo Soraida Chindoy im Fluss badet, liegt das Stadtviertel Pueblo Viejo. Es ist eines der ärmsten in Mocoa, der Stadt mit der zweithöchsten Arbeitslosigkeit in Kolumbien. Libero Copper hingegen bietet zumindest für eine gewisse Zeit rund 500 vergleichsweise gut bezahlte Arbeitsplätze.
Der Staat trat in Putumayo über Jahrzehnte fast nur militärisch im Krieg gegen die FARC-Guerilla in Erscheinung; öffentliche Investitionen blieben auf der Strecke.
Juan Carlos Herrera, Präsident des Kommunalrats von Pueblo Viejo spricht das aus, was die Mehrheit der Leute hier denkt: „Ich glaube, das Projekt bringt unserem Viertel Entwicklung. Zum Beispiel hatten wir ein kaputtes, nicht mehr funktionierendes Gesundheitszentrum und die Firma hat es in Stand gesetzt.“
Die Firma mache nun die Dinge, um die sich der Staat nicht kümmert: „Die Politiker versprechen im Wahlkampf immer viel: Wir bauen euch die Sporthalle, asphaltieren eure Straße. Und nach der Wahl vergessen sie die Leute. Also für mich gilt: Wenn hier eine Firma wie Libero Copper kommt und in soziale Dinge in unserem Viertel investiert, dann steht ihnen die Tür offen.“
Dazu betreibt Libero Copper eine aggressive Öffentlichkeitsarbeit, mit tatkräftiger Unterstützung der kommerziellen lokalen Medien. Dieses Jahr finanzierte die Firma den landesweit bekannten Indigenen Carnaval del Perdón („Karneval des Vergebens“) mit und verteilte traditionelle Indigene Musikinstrumente mit der Aufschrift „Libero Copper“.
Aureliano Garreta kann darüber nur den Kopf schütteln. Er ist Vize-Präsident des regionalen Indigenen Dachverbands OZIP, in dessen Haus heute eine feierliche Einführung der neu gewählten Indigenen Autoritäten verschiedenster Gemeinden aus Putumayo stattfindet. Sie schließt mit der kämpferischen Hymne der Guardia Indígena (Indigene Selbstverteidigung, Anm. d. Red.).
Die Guardia Indígena von Condagua war es auch, die Libero Copper illegaler Abholzungsaktivitäten überführte. Bei einem Kontrollgang durch ihr Reservat stieg sie durch den tiefen Wald bis an die Stelle, wo das Bergbauunternehmen mit dem Aufbau eines Camps für Probebohrungen begonnen hatte – ohne dafür eine Erlaubnis eingeholt zu haben. Daraufhin untersagte eine staatliche Umweltbehörde der Firma vorerst weitere Aktivitäten.
Doch Aureliano Garreta berichtet, dass es innerhalb der Indigenen Gemeinden längst keine Einigkeit mehr über die Haltung zum Unternehmen gibt: „Libero Copper sorgt dafür, dass der soziale Zusammenhalt zerstört wird. Es gibt Leute, die waren ihr Leben lang unsere Nachbarn, unsere Freunde, wir haben uns immer gegenseitig geholfen, aber jetzt, seit die Firma da ist, sehen die uns mit ganz anderen Augen. Die Spaltung funktioniert, weil es auch in unseren Gemeinschaften viele Leute gibt, die nicht gut informiert sind und sich dann auf das Unternehmen einlassen.“
Libero Copper verhandelt mit einzelnen Familien, bietet Geld und das Versprechen auf mehr Zugang zu wirtschaftlichem Wohlstand, wie er trotz jahrelanger Öl- und Goldförderung im Putumayo bisher den meisten verwehrt geblieben ist.
Die Anti-Bergbau-Aktivistin Soraida Chindoy hält am Fluss mit einem Appell dagegen: „Diese Welt ist wahnsinnig geworden. Noch mehr Zerstörung, das werden wir nicht zulassen.“ Sie fährt mit der Hand durchs Wasser: „Das hier ist Leben. Das hier ist Reichtum. Wir dürfen uns nicht den Kopf verdrehen lassen. Das hier zu bewahren, das ist der Fortschritt, den wir brauchen.“ Doch im Juli kippte ein Gericht den Kommunalbeschluss, der Libero Copper ausgebremst hatte.
Die Augen in Mocoa sind auf die Regierung gerichtet
Nun sind die Augen in Mocoa auf die Regierung gerichtet. In ihren Händen liegt die Entscheidung über die Genehmigung oder den Stopp der Mine. Es ist eine eigentlich ökologisch orientierte Regierung, die die Wahl dank der Stimmen für die Anti-Bergbau-Aktivistin und jetzige Vizepräsidentin Francia Márquez gewonnen hat.
Die Regierungspartei setzt sich zu großen Teilen aus den wichtigsten Vertreter*innen der sozialen Bewegungen zusammen. Aus Putumayo ist der Anti-Minen-Aktivist Andres Cancimance Abgeordneter der Regierungspartei. Beim Gespräch in einem Café in Bogotá blickt er skeptisch auf die eigene Regierung und deren Verbindungen zum Bergbaukonzern Libero Copper. Der ehemalige Vizeminister für Bergbau, Giovanny Franco, war unter anderem Direktor einer Universitätsfakultät, die von Libero Copper mitfinanziert wurde. Cancimance erreichte seinen Rücktritt und trotzdem sagt er: „Die Lobby und der Druck für die Mine sind so groß, dass es manchmal so wirkt, als ob die Regierung die Mine genehmigen wird. Diese Unsicherheit gilt sogar für uns Regierungsabgeordnete. Wir haben mehrmals bei den Ministerien nachgefragt, aber nie eine eindeutige Antwort erhalten.“
Wenn die Regierung am Ende die Mine genehmigt, würde sich der Abgeordnete aus Putumayo dann gegen seine eigene Regierung wenden? „Ja klar. Unsere Mission ist es, die Umwelt vor Zerstörung zu schützen, auch wenn sie von unserer eigenen Regierung ausgeht. Aber das wäre eine riesige Enttäuschung und wir würden uns klar gegen die Regierung positionieren, wenn sie so inkohärent mit ihrem eigenen Diskurs ist.“
Eine klare Position zum Kupferprojekt Mocoa hat auch Energieminister Andres Camacho nicht parat: Im Interview gibt er aber – auf die Frage, ob ein Bau der Mine nicht im Widerspruch zum Diskurs der Regierung stünde – zu: „Natürlich. Und das sollten wir bei unserer Analyse miteinbeziehen.“
Ansonsten sei der Konflikt um die Kupfermine von den Vorgängerregierungen geerbt: „Wir hatten in der Vergangenheit eine Vergabe von Bergbautiteln, die uns jede Menge soziale und ökologische Konflikte beschert hat. Wir werden jetzt genau prüfen, wo Minen eröffnet werden können und wo nicht.“
Ob die Kupfermine in Mocoa in einer dieser Verbotszonen liegt, lässt er aber offen. Den Anti-Bergbau-Aktivist*innen in Putumayo dürfte ein Blick in die Kleinstadt Jericó im Departamento Antioquia Hoffnung machen. Dort wehrt sich eine gut organisierte Zivilgesellschaft seit vielen Jahren gegen den Bau einer Kupfermine. Und zumindest in Jericó stoppt Petro nun das Kupferprojekt mit Verweis auf die drohende Umweltzerstörung. Auch in Putumayo wird Petro entscheiden müssen, was ihm mehr wert ist: Das Kupfer im Boden oder das Wasser und der Wald.
Katherine Garcia arbeitet als freie Journalistin, Illustratorin und Grafikdesignerin in Kolumbien und Deutschland.
Fabian Grieger ist freier Journalist und berichtet regelmäßig aus Kolumbien zu Energiepolitik, Extraktivismus und dem bewaffneten Konflikt.