Brasilien | Nummer 366 - Dezember 2004

Abmahnung für Lula

PT muss bei Kommunalwahlen Federn lassen

Die Wahlkampfzeit ist in Brasilien seit dem 1. November vorerst vorbei. Die Arbeiterpartei (Partido dos Trabalhadores, PT) des Präsidenten Luiz Inácio „Lula“ da Silva hat bei den Kommunalwahlen im Oktober einige schmerzhafte Niederlagen einstecken müssen. In der Metropole Fortaleza im Nordosten des Landes spielte sich ein landesweit beobachtetes Schauspiel ab, bei dem sich vor allem zwei linke Kandidaten ein monatelanges Wahlduell lieferten.

Sigurd Jennerjahn, LN

Die Hochburg ist gefallen. Bei der zweiten Runde der brasilianischen Kommunalwahlen am 31. Oktober musste sich die Arbeiterpartei in Porto Alegre nach 16 Jahren an der Stadtregierung geschlagen geben. Raul Pont, ein eingefleischter Kommunalpolitiker und einer der Väter des hoch gelobten „partizipativen Haushalts”, unterlag seinem eher blassen Kontrahenten José Fogaça, der von einem breiten Mitte-Rechts-Bündnis unterstützt wurde. Es war nicht die einzige bittere Niederlage für die regierende PT von Präsident Luiz Inácio „Lula“ da Silva. So gewann in der Industriemetropole São Paulo der Sozialdemokrat José Serra mit 54,9 Prozent der Stimmen deutlich gegen die Amtsinhaberin Marta Suplicy von der PT. Serra war bei der Präsidentenwahl 2002 Lula klar unterlegen. Eine Niederlage erlitt die PT auch in der Amazonas-Stadt Belem.
Insgesamt gab es in 43 Städten eine Stichwahl. Die PT gewann in 11 der 23 Großstädte, in denen sie Kandidaten aufgestellt hatte, darunter in den Landeshauptstädten Fortaleza, Vitória und Porto Velho. Größter Sieger waren die oppositionellen Sozialdemokraten, die künftig die Bürgermeister in Curitiba, Florianópolis, Cuiabá und Teresina stellen werden.
„Wir sind als die Alternative zur PT aus diesen Wahlen hervorgegangen”, sagte PSDB-Generalsekretär Bismarck Maia mit Blick auf die Präsidentenwahl 2006. Die Brasilianer wünschten keine Hegemonie der Arbeiterpartei. PT-Linke wie Raul Pont und der Abgeordnete Chico Alencar aus Rio fordern bereits ein „Überdenken” der Regierungspolitik. Gerade viele ärmere BrasilianerInnen, die sich von Lula eine rasche Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse erhofft hatten, sind enttäuscht. Der deutlichste Rückgang der PT war denn auch in den Großstädten zu verzeichnen, in denen sie traditionell am stärksten vertreten ist.

Gemischte Bilanz
Zwar gelang es der PT, die Zahl der von ihr regierten Rathäuser mehr als zu verdoppeln – von 187 im Jahr 2000 auf jetzt 411 – und mehr Wählerstimmen als jede andere Partei auf sich zu vereinigen – gut 17 Prozent im ersten Wahlgang – aber sie hat es nicht geschafft, die Macht in wichtigen Städten im Süden und Südosten des Landes zu halten. In Curitiba konnte die Partei sich nicht wie erhofft durchsetzen und in Rio de Janeiro bewegt sie sich im Moment am Rande der politischen Bedeutungslosigkeit. Gleichwohl ist sie nach wie vor die Partei, die die meisten Landeshauptstädte kontrollieren wird. In ihrer großen Mehrheit handelt es sich dabei aber um kleinere Städte im ärmeren Norden und Nordosten des Landes.
Im Blickpunkt stand vor allem Fortaleza, die Hauptstadt von Ceará – mit 2,2 Millionen Einwohnern immerhin die fünftgrößte Stadt des Landes. Dort konnte die PT einen ihrer wichtigsten Erfolge verbuchen. Das heißt, sie wird es sich kaum als wirklichen Erfolg der Partei auf die Fahnen schreiben können, denn Luizianne Lins, die siegreiche Kandidatin der PT, sah sich im ersten Wahlgang gezwungen, ihren Wahlkampf gegen den Widerstand des politischen Establishments der eigenen Partei zu führen.

An der Basis vorbei
Als die Spitze der Bundespartei von São Paulo aus die Allianzen für die Kommunalwahlen im ganzen Land schmiedete, hatte sie für Fortaleza ausgehandelt, Inácio Arruda, einen in Fortaleza ebenso bekannten wie populären Politiker der der kommunistischen Partei Brasilien PC do B, als Bürgermeisterkandidaten zu unterstützen. Inácio war bereits zweimal mit Unterstützung der PT angetreten und 2000 nur knapp gescheitert. Alle Umfragen im Vorfeld gaben ihm beste Chancen, dieses Mal die Wahlen zu gewinnen. Die Parteispitze hatte vermutlich deshalb davon abgesehen, den Deal mit der eigenen Basis vor Ort abzuklären. Dort aber regte sich Ende des letzten Jahres, als die Frage der Nominierung langsam aktuell wurde, Unmut. Insbesondere innerhalb der Parteigruppierung Democracia Socialista, dem linken Flügel der PT, bestand man auf einer eigenständigen Kandidatur. Anfang dieses Jahres hatte man sich schließlich durchgesetzt. Denkbar knapp segneten die Parteigremien die Kandidatur von Luizianne Lins ab. Die Parteispitze um José Genoino sah sich vor die Alternative gestellt, entweder die innerparteiliche Demokratie zu missachten oder die im Vorfeld getroffenen Abmachungen mit anderen Parteien nicht einhalten zu können. Das Ergebnis war ein fauler Kompromiss. Man akzeptierte formell die Kandidatur der PT, tat aber von São Paulo aus alles, um zu deren Scheitern beizutragen.
Der Parteivorsitzende Genoino, der aus Ceará stammt und dessen Bruder dort einer der führenden PT-Politiker ist, bezeichnete Luiziannes Kandidatur öffentlich als abenteuerliches Unternehmen. Ein Teil der PT unterstützte offen Inácio. Mit Geldern der Partei wurden für ihn in Fortaleza große Wahlkampfveranstaltungen organisiert, während man Luizianne finanziell kurz hielt. Lula selbst sandte ein Grußwort für die Wahlpropaganda Inácios, dessen Ausstrahlung im Fernsehen aber per Gerichtsbeschluss ebenso unterbunden wurde wie die Verbreitung von Aufklebern mit dem Slogan „Ich bin PT und stimme für Inácio“. Bisweilen wurden Gerüchte gestreut, Luizianne werde aufgeben, sich aus dem Rennen verabschieden. Es half alles nichts. Nachdem sie in den Umfragen lange zurücklag, setzte Luizianne in der letzten Woche vor dem ersten Wahlgang am 3. Oktober zu einer Aufholjagd an, die ihr am Wahltag 22,3 Prozent der Stimmen bescherte. Damit lag sie ein paar Prozentpunkte hinter Moroni Torgan, dem Kandidaten der Partei der Liberalen Front (PFL), aber noch vor Inácio.
Dieser hatte bei der linken Wählerschaft einiges an Kredit verspielt, als er sich bei den Abstimmungen über die Renten- und die Steuerreform, beides äußerst umstrittene Vorhaben, loyal zur Regierung Lula verhalten hatte. Ohne diesen Popularitätsverlust Inácios hätte es Luizianne, eine überzeugte Gegnerin beider Reformprojekte, kaum geschafft, ihn noch auf der Zielgeraden abzufangen.

Durchmarsch mit
Hindernissen
War Luizianne im ersten Wahlgang noch die krasse Außenseiterin gewesen, so war sie im zweiten von Anfang an in der Rolle der Favoritin. Zu groß war die Ablehnung, auf die Moroni bei weiten Teilen der Bevölkerung stieß. Den größeren Teil seiner politischen Karriere hatte er zwar im engeren Kreis einer der traditionellen Machtcliquen verbracht. Nachdem er sich aber mit einigen der dort tonangebenden Politiker überworfen hatte, gab er sich nun als jemand, der mit der Vetternwirtschaft in der lokalen Politik gnadenlos aufräumen werde. Die Sicherheit war das andere große Thema seines Wahlkampfes. Alle, die sie bedrohten, sollten seine harte Hand zu spüren bekommen. Diese Strategie brachte ihm zwar in der Unterschicht einige Sympathien ein, der überwiegende Teil der Mittelschicht reagierte auf seinen Hang zum Populismus jedoch mit Ablehnung. Und so groß war sein Vorsprung in den ärmeren Vierteln Fortalezas nicht. Alle Versuche Moronis, Luizianne durch mitunter perfide Attacken noch zu besiegen, schlugen fehl. So wurde in Wahlspots unterstellt, dass unter Luizianne den Kindern in der Grundschule ein positives Verhältnis zur Homosexualität aufgedrückt würde. Man beschwor die Angst vor einem administrativen Chaos durch Parallelen, die man zu der ersten und bisher einzigen Regierung der PT in Fortaleza unter Maria Luiza Fontenele (1985-88) zog. Damals, direkt nach dem Ende der Militärdiktatur, hatte die PT völlig unerwartet mit Fortaleza ihre erste Landeshauptstadt erobert. Mit allen erlaubten und vielen unerlaubten Mitteln hatte die damalige Landesregierung daraufhin versucht, der Stadtverwaltung finanziell den Hahn abzudrehen. Das Bild, das in vielen Köpfen hängen blieb, war das des sich auf den Straßen anhäufenden Mülls. Aber was Moroni auch versuchte, es war alles vergebens.
Betrachtet man den Wahlkampf mehr von der Basis, etwa aus der Perspektive der Bewohner einer Favela in Fortaleza, dann verlieren die Worte der beiden Amtsanwärter zwar nicht völlig ihre Bedeutung, aber die Gewichte verschieben sich. Insbesondere im ersten Wahlgang, wenn viele der Kandidaten für die 41 Sitze in der Stadtverordnetenversammlung in die Favelas einfallen, dreht sich alles mehr ums Geschäftliche. Was wird für die Stimme geboten? Zweifellos ein Geschäft zwischen äußerst ungleichen Verhandlungspartnern. Auf der einen Seite der Kandidat, ausgestattet mit Geld und guten Werken und noch mehr Worten über zukünftige gute Werke; auf der anderen Seite der potenzielle Wähler, der sich auf etwas einlässt, was ihm neben vielen leeren Phrasen wenigstens eine vorübergehende materielle Erleichterung bringen mag. Man mag einwenden, dass das eine über Gebühr vereinfachende Darstellung der Dinge sei. Vereinfachend ist sie sicherlich, denn zum einen arbeiten längst nicht alle Kandidaten mit den gleichen Methoden, teils, weil ihnen die finanziellen Mittel dazu fehlen, teils, weil sie ein solches Vorgehen politisch ablehnen. Zum anderen ist es natürlich für die Bewohner einer Favela keineswegs zwingend, sich auf diesen Deal einzulassen. Es ist aber bemerkenswert, wie schwierig es ist, jemanden zu finden, der nicht schon einmal „in der Politik“ gearbeitet hätte. Es ist ein eingespieltes System, das für Teile der politischen Eliten ganz gut funktioniert. Gerade in einem Land, in dem eine Wahlpflicht gilt, lassen sich durch die regelmäßige Ausschüttung von ein paar Almosen gut politische Mehrheiten organisieren. Eine Partei wie die PT, die traditionell auf das freiwillige Engagement ihrer Anhänger baut, hat da natürlich mit einem gewissen Wettbewerbsnachteil an der Peripherie zu kämpfen.
Die Wahl von Luizianne zeigt aber auch, dass es durchaus möglich ist, diesen zu überwinden. Nun steht sie vor der Aufgabe, die Favela-Bewohner in ihre Pläne für eine größere Bürgerbeteiligung an den politischen Entscheidungen mit einzubeziehen. Ein lohnenswertes Unterfangen.

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