Nummer 473 - November 2013 | Solidarität

„Ändere die Welt, denn sie braucht es“

40 Jahre Solidaritätsfonds der Hans-Böckler-Stiftung

Seit 1973 unterstützt der Solidaritätsfonds der Hans-Böckler-Stiftung den Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse in Chile, Deutschland und anderswo – und leistet Solidarität mit jenen Menschen, die sich den an den Kämpfen um eine gerechtere Welt beteiligen.

Jochen Fuchs

Chile im September 1973. Das Militär putscht gegen die Regierung des demokratisch gewählten Präsidenten Salvador Allende. Tausende Menschen werden verhaftet, gefoltert, ermordet oder „verschwinden“. Schätzungen der chilenischen Menschenrechtsorganisation CODEPU zufolge haben in den Jahren nach dem Militärputsch insgesamt 1,6 Millionen Chilen_innen ihre Heimat verlassen (siehe LN 233).
Auch in der Bundesrepublik wurden Chilen_innen aufgenommen, was sich aber von Seiten der westdeutschen Behörden zunächst auf 2.000 Kontingentflüchtlinge beschränken sollte. Deswegen wurde die Chile-Solidaritätsbewegung aktiv, um die Flüchtlinge bei dem Erlangen eines Aufenthaltsstatus‘ zu unterstützen. Bereits kurz nach dem Putsch wurde aus den Reihen der von den DGB-Gewerkschaften 1954 ins Leben gerufenen Stiftung Mitbestimmung – die Vorläuferorganisation der späteren Hans-Böckler-Stiftung – die Solidaritätsarbeit organisiert. Damals wurde der Solidaritätsfonds eingerichtet, der die benötigten Finanzen einzusammeln begann. So konnte die Stiftung dann bereits Anfang Dezember 1973 den ersten Chile-Flüchtling in die Studienförderung aufnehmen.
Dieses Hilfsprogramm der ersten Stunde zielte darauf ab, gefährdeten Kolleg_innen die Ausreise aus Chile und die Aufnahme in der BRD zu ermöglichen. Etliche von ihnen befanden sich zum Zeitpunkt einer entsprechenden Hilfszusage noch in Haft. Verfolgte Chilen_innen mussten für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für die BRD entweder einen Studien- oder Arbeitsplatz nachweisen. In den Fällen, in denen kein Studium in Frage kam, kooperierte die Chile-Solidarität auch mit den Arbeitsdirektor_innen der Eisen- und Stahlindustrie. Die Koordination lag dabei in den Händen der Düsseldorfer IG-Metall. Diese und weitere stellten zudem finanzielle Unterstützung zur Verfügung.
Binnen kürzester Zeit zeigte sich, dass mit den bereits getätigten Zusagen für die Aufnahme der Flüchtlinge in die Stipendienförderung der Etat des „Chile-Solidaritätsfonds“ um mehr als das Dreifache überschritten war. Dennoch: Im Vordergrund stand das Ziel, „akute Gefahr für Leib und Leben chilenischer Kollegen abzuwenden“ – so arbeitete die Stiftung weiter. Bei der Entscheidung, in welchen Fällen eine Zusage dringlich erforderlich war, arbeitete man nicht nur mit der Vertretung der chilenischen Gewerkschaft CUT in der BRD, sondern auch mit der Internationalen Abteilung des DGB-Bundesvorstandes, mit der Botschaft in Santiago ebenso wie mit Amnesty International und der von Bischof Helmut Frenz maßgeblich initiierten „Aktion zur Befreiung der politischen Gefangenen in Chile e.V.“ zusammen.
In der ersten Zeit stand die individuelle Hilfe im Vordergrund. Diese beschränkte sich nicht allein auf materielle Absicherung von Flucht und Exil, sondern umfasste auch die Betreuung der Flüchtlinge. Diese mussten ja nicht nur ihren Verfolgern in Chile entkommen, sondern auch noch die „Sicherheitschecks“ von Seiten der BRD überwinden.
Sobald die Namen ausreisewilliger politischer Gefangener in der BRD bekannt waren, wurden Visums-Anträge über das Innenministerium gestellt. Dem schloss sich dann eine Sicherheitsüberprüfung durch den Verfassungsschutz an, der durch seine Arbeitsweise zu verantworten hatte, dass Häftlinge manchmal bis zur Bekanntgabe der Entscheidung bis zu einem halben Jahr warten mussten – in Haft in Chiles Gefängnissen. Nicht immer gelang es, Asyl für die Chilen_innen in der Bundesrepublik durchzusetzen. So unterstützte der Chile-Fonds eine größere Gruppe von Arbeiter_innen aus der Region Panguipulli im Süden Chiles. Diese hatten während des Putsches versucht, den lokalen Polizeiposten zu besetzen, um so die rechtmäßige Regierung zu verteidigen. Dies rief den Einsatz von Fallschirmspringern auf den Plan, die etliche Gruppenmitglieder unter dem Vorwurf der Rädelsführerschaft massakrierten. Den Überlebenden wurde nachgesagt, Anhänger der an Kuba orientierten Bewegung der revolutionären Linken MIR zu sein. Dies brachte die bundesdeutschen Geheimdienste dazu, dem Urteil ihrer chilenischen Kolleg_innen, wonach es sich bei den inhaftierten Arbeiter_innen um „Terroristen“ handele, zu folgen – und ihnen die Aufnahme in die Bundesrepublik zu verweigern. Während in Chile in den folgenden Jahren das „Verschwindenlassen“ Oppositioneller anhielt, beerdigte die BRD das System der Aufnahme von Kontingentflüchtlingen aus Chile mehr oder weniger stillschweigend. Im Jahr des „Deutschen Herbstes“ 1977 gelang es dann aber noch, Gladys Díaz frei und in die BRD zu bekommen. Díaz war eine international bekannte Journalistin, Mitglied des Zentralkomitees des MIR, die im Untergrund bis zu ihrer Verhaftung 1975 Widerstand geleistet hatte. Gegen den erklärten Widerstand der Deutschen Botschaft in Santiago, dem Auswärtigen Amt und des Verfassungschutzes gelang es, den öffentlichen Druck so zu erhöhen, dass Gladys Díaz in der BRD Asyl bekam.
Ab 1977 wurden nur noch wenige Flüchtlinge aus Chile aufgenommen. Der Chile-Soli-Fonds begann dann vermehrt die „Aktion zur Befreiung der politischen Gefangenen in Chile e.V.“, eine Dokumentationsstelle sowie auch einschlägige Agitprop-Aktionen hierzulande zu unterstützen. 1980 kam es im Zusammenhang mit den Protesten gegen die Pinochet-Verfassung noch zu vereinzelten Fällen individueller Flucht-Hilfe, die der Fonds leistete. Daneben wurden weiterhin Deutschkurse für Exil-Chilen_innen finanziert. Hauptzweck der Solidarität war aber nun die Unterstützung von Gewerkschafter_innen in Chile. So wurden Projekte in den Bereichen gewerkschaftliche Bildung, Information und Rechtsberatung finanziert. Ab 1990, dem Jahr der Ablösung Pinochets durch Patricio Aylwin, finanzierte der Chile-Solidaritätsfonds insbesondere in die Reorganisation des Gewerkschaftsdachverbandes CUT. Gleichwohl war Chile als Thema seither nicht mehr die hauptsächliche politische Agenda des Fonds. Nach dem Ende der Ära Pinochet wurde deshalb der Fonds in den ‚weltweit’ agierenden „Solidaritätsfonds der Hans-Böckler Stiftung“ umgewandelt.
Der Fonds unterstützt seither Initiativen weltweit, die sich dem Motto verschrieben haben „ändere die Welt, denn sie braucht es“. Finanziert wird der Fonds von Stipendiat_innen, Vertrauensdozent_innen sowie der Hans-Böckler-Stiftung selbst. Vor 40 Jahren war der Putsch in Chile das auslösende Moment für die Gründung des Solifonds. Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse und Solidarität mit den Menschen, die sich an den Kämpfen um deren Veränderung beteiligen – dies war und ist die Verpflichtung des „Solidaritätsfonds“ der „Hans-Böckler-Stiftung“.

Weitere Infos: http://www.boeckler.de/

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