Costa Rica | Nummer 449 - November 2011

Ärger um fließendes Wasser

Indigene in Costa Rica protestieren gegen ein Staudammprojekt und stoßen auf Hindernisse

Costa Rica deckt seinen Energiebedarf fast ausschließlich mit regenerativen Energien – vor allem aus Wasserkraft. Im Süden des Landes hat nun die indigene Bevölkerung das größte Staudammprojekt Mittelamerikas vorerst gestoppt. Doch die anstehende Befragung in den indigenen Territorien kam nur auf Druck der UN zustande – und offenbart strukturelle Probleme der scheinbaren Vorzeige-Demokratie Costa Rica bei der Umsetzung und Wahrung indigener Rechte.

Tilman Massa

„Wir brauchen dieses Land als Vorbild, dass man sehr schnell Energie erzeugen kann aus regenerativen Energien. Das wird anderen Mut machen.“ Bundespräsident Wulff hatte auf seiner Lateinamerikareise Anfang Mai dieses Jahres nur lobende Worte für die costaricanische Energie- und Umweltpolitik übrig. Diese Einstellung mag vor dem Hintergrund der Kehrtwende in der Atompolitik der schwarz-gelben Bundesregierung verständlich sein, bei Enrique Rivera bringen solche Äußerungen nur Kopfschütteln hervor. Rivera ist Vorsitzender des Kulturvereins der Teribe, einer indigenen Gruppe in Costa Rica.
„Auf den ersten Blick sieht ein Staudamm harmlos aus. Hier in Térraba bedroht ein solches Projekt unsere Kultur. Aber das scheint vielen Leuten nicht wichtig zu sein, denn indigene Rechte werden vom Staat mit Füßen getreten.“
Nur wenige Tage vor Wulffs Stippvisite hatte der UN-Sonderberichterstatter zur Lage der Indigenen, James Anaya, ebenfalls das Land besucht. Dem vorausgegangen war ein Hilferuf der Teribe an die Vereinten Nationen. Die Indigenen wehren sich gegen das größte Staudammprojekt Mittelamerikas „Diquís“, dessen Damm inmitten ihres Territoriums gebaut werden soll. Mehr als 700 Hektar Land des Gebietes würde der Stausee überfluten und darüber hinaus weitere Teile des eigentlich geschützten Lebensraums der Indigenen unbewohnbar machen.
Viele Teribe befürchten, dass durch den Staudammbau und dessen soziale sowie ökologische Folgen ihre Kultur endgültig vernichtet würde.
„Mit den Bauarbeiten kommen Drogen, Gewalt und Prostitution in unsere Gemeinde“, befürchtet Rivera. „Aber selbst das Recht auf Zustimmung ist uns von Anfang an verwehrt worden. Daher haben wir uns an die UN gewendet.“
Im Rahmen einer offiziellen UN-Mission untersuchte Anaya Ende April die Vorwürfe vor Ort. „Die Befragung ist nach geltendem Völkerrecht verpflichtend. Sie ermöglicht einen Dialog zwischen allen Beteiligten“ so der UN-Sonderberichterstatter. Tatsächlich genügt ein Blick in die Konvention 169 der ILO über die Rechte der indigenen Völker, welche Costa Rica 1993 ratifiziert hat. Darin heißt es unter Artikel 6: „Konsultationen sind in gutem Glauben und in einer den Umständen entsprechenden Form mit dem Ziel durchzuführen, Einverständnis oder Zustimmung bezüglich der vorgeschlagenen Maßnahmen zu erreichen.“ Und so musste auch Franklin Ávila, leitender Direktor des Staudammprojektes „Diquís“, klein beigeben. „Wir haben die Entscheidung getroffen, uns zurückzuziehen und unsere Studien vor Ort zu beenden, um den Konsultationsprozess wirklich beginnen zu lassen. Dies soll kein Stein im Schuh sein“, verkündete er im Anschluss an Anayas Besuch. Zuvor hatte Ávila die Befragung noch als unverbindlich angesehen.
„Studien“ ist eine offizielle Sprachregelung, denn tatsächlich hatten die Baumaßnahmen schon längst begonnen. Das verantwortliche staatliche Energieunternehmen Costa Ricas ICE hatte breite Straßen durch das indigene Territorium Térraba angelegt, täglich waren hier schwere Baumaschinen in Richtung der aufgekauften Landfläche unterwegs. „An den neuen Straßen wurden gleich fünf neue Bars eröffnet“, beschreibt Rivera die Situation. „Eigentlich ist der Verkauf von Alkohol innerhalb unseres Territoriums verboten.“ Dabei hatte das ICE zumindest ansatzweise versucht, die indigene Bevölkerung in den Planungsprozess mit einzubeziehen. Jahre zuvor war ein noch größeres Staudammprojekt in der Region an dem erbitterten Widerstand der indigenen Gruppe der Boruca gescheitert, die aus ihrem angestammten Territorium komplett hätten zwangsumgesiedelt werden müssen. Das ICE versuchte, daraus Lehren zu ziehen, reduzierte den Umfang des künftigen Stausees um ein Drittel und trat in direkten Kontakt mit den betroffenen Gemeinden. Die Anzahl der unmittelbar betroffenen Indigenen sollte so klein wie möglich gehalten werden. Aufgeben wollte das ICE nicht, schließlich wird das Projekt mit Mitteln der Weltbank finanziert und verspricht zudem satte Gewinne durch Energieexporte. „Sie sagen uns, dass der Staudamm nur Strom für Costa Rica erzeugen wird. Wofür bauen Sie dann aber transnationale Stromnetze bis in die USA?“ fragt sich Rivera. Ihm und weiteren Gegner_innen des Projektes wird vorgeworfen, die Entwicklung des Landes zu gefährden, sollte der Staudamm nicht gebaut werden.
Das Auswärtige Amt bezeichnet Costa Rica wohlwollend als Musterland für politische Stabilität und sozialen Frieden. Auch wenn die politischen Realitäten des Landes anders aussehen, so muss man doch eine gewisse, im zentralamerikanischen Kontext bemerkenswerte demokratische Tradition anerkennen. Weshalb scheitert Costa Rica daran, grundlegende Rechte der indigenen Bevölkerung umzusetzen? Auch wenn die Indigenen nur rund ein Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen, besteht mit acht indigenen Gruppen eine enorme kulturelle Vielfalt. Costa Rica besitzt einen Mikrokosmos an indigenen Sprachen, Mythen und Traditionen, die aber zunehmend ignoriert und verdrängt werden. Die Dominanz der Mehrheitsgesellschaft hat kulturellen Unterschieden und deren Entwicklung keinen Raum gelassen, schon gar nicht politisch. Da hilft es wenig, dass der Feiertag zu Kolumbus’ Entdeckung Amerikas in einen „Tag der Kulturen“ umbenannt wurde.
Formal bestehen umfangreiche Schutzmechanismen, welche die derzeitige prekäre Situation der Indigenen hätten verhindern müssen. Bereits vor der Ratifizierung der ILO-Konvention 169 waren die Landflächen der 24 indigenen Territorien unveräußerlich und ausschließlich für die dort lebenden indigenen Gruppen vorbehalten.
Enrique Rivera aus Térraba wirkt verbittert. „Was helfen ein paar gut gemeinte Gesetze? Seit 500 Jahren gibt es hier kein Recht für uns. Der Staat ignoriert seine eigenen Verpflichtungen, um an die Ressourcen hier zu kommen.“ Vielmehr werden Eigentums-, Informations- und Partizipationsrechte der Indigenen auch durch staatliche Institutionen verletzt. Am Beispiel des Territoriums Térraba und des dort geplanten Staudammes wird diese Schieflage besonders deutlich.
Rund 750 Personen gehören zur Gruppe der Teribe und diese haben bereits mehr als 90 Prozent der ihnen zugesprochenen Landflächen an nicht-indigene Personen verloren, obgleich der Erwerb von Land innerhalb ihres Territoriums durch Nicht-Indigene illegal ist. De facto ist landesweit die Hälfte aller indigenen Territorien in fremdem Besitz.
„Viele Indigene haben ihr Land zu Spottpreisen verkauft, dabei wussten sie nicht, dass die Kaufverträge illegal waren. Aber auch viele Siedler haben sich einfach ungenutztes Land genommen, ohne dass irgendwer etwas dagegen gesagt hat.“ Rivera meint, dass auch viele Indigene für die Situation mitverantwortlich seien.
Die Ursachen hierfür sind vielfältig. Zum einen ist massive Korruption in den Verwaltungen der indigenen Territorien für den illegalen Landverkauf verantwortlich, zum anderen ein bürokratisches Verwaltungssystem. Anstatt den Indigenen die gesetzlich zugesicherte autonome Selbstverwaltung zu ermöglichen, setzte der costaricanische Staat eigene Verwaltungsstrukturen ein. Nun waren die Indigenen nicht untätig. Nach der Ratifizierung der ILO 169 arbeite die indigene Bewegung einen Gesetzentwurf aus, welcher die Umsetzung der Konvention auf lokaler Ebene beinhaltet. Doch anstatt dieses Gesetzesvorhaben ernsthaft zu behandeln, behalten es Regierung und Parlament seit nunmehr 18 Jahren in der Warteschleife. Zu mächtig scheinen die wirtschaftlichen Interessen, denen das Gesetz mit der Nummer 14.352 ein Dorn im Auge ist. Zu peinlich wäre es indes, den Indigenen ihr geltendes Recht zu verwehren. Als problematisch erweist sich dabei die nationale Vertretung der Indigenen CONAI, der Nationalen Kommission für Indigene Angelegenheiten. Dieses Gremium würde nach dem Gesetzentwurf aufgelöst werden, da es als feste Institution des Staates einer autonomen Selbstverwaltung nicht gerecht würde. Die Indigenen der CONAI haben daher ein vitales Interesse daran, dieses Vorhaben zu verhindern. Sie erzählen daher nicht nur der Regierung, dass die Gesetzesvorlage überhaupt nicht von der indigenen Mehrheit gewünscht sei. Dabei wurde das Gesetz in intensiver Zusammenarbeit mit lokalen Initiativen und indigenen Verbänden entworfen. Seit 18 Jahren dauert diese paradoxe Situation nun an. Als die indigene Bewegung letztes Jahr eine Antwort haben wollte, ob das Gesetz wenigstens im Parlament diskutiert werden könne, kamen keine Vertreter_innen der Regierungspartei zu der vereinbarten Pressekonferenz im Parlamentsgebäude. Aufgebracht besetzten daraufhin Indigene den Parlamentsraum, wurden aber umgehend vom Sicherheitsdienst entfernt.
„Es ist wichtig, dass ein Gesetz, das die Minderheit schützt, nicht die gesamte nationale Entwicklung gefährdet“, kommentierte Präsidentin Laura Chinchilla den Vorfall. Ihr Umweltminister Teófilo de la Torre gab zu, dass konkrete Staudammprojekte wie „Diquís“ dem Gesetzentwurf entgegenstünden: „Erhält die indigene Bevölkerung bei Entscheidungen, die ihr Territorium betreffen, ein Mitspracherecht, könnte das für das Land den Verlust dieser wertvollen Ressource bedeuten.“
José María Villalta, einziger Abgeordneter der Linkspartei Frente Amplio, fasst die Gründe für die jahrelange ablehnende Haltung zusammen: „Erstens: Die starken Interessen von privaten Gruppen mit Beziehungen zur Regierung, welche die natürlichen Ressourcen in den indigenen Territorien ausbeuten: Bergbau, Wasserkraft, Forstwirtschaft, die biologische Vielfalt. Sie wollen nicht, dass die Indigenen mehr Autonomie haben, um Entscheidungen über die Nutzung dieser Ressourcen treffen zu können. Zweitens: Die Interessen der Weißen, die in den indigenen Territorien Land besitzen. Das Gesetz verlangt die Rückgabe dieses Landes, sodass diese Personen wirtschaftliche Macht verlieren würden. Und drittens die Interessen der Mitglieder von CONAI, die glauben, mit ihrer völlig paternalistischen und unzeitgemäßen Überzeugung die Indigenen zu unterstützen. Sie möchten weiterhin Klientelpolitik betreiben, die Meinung der Indigenen manipulieren und sich daher nicht, wie im Gesetzesentwurf vorgesehen, selbst abschaffen. Zu viele mächtige Gruppen würden durch das Gesetz Macht verlieren.“
Der Alltag in den indigenen Territorien Costa Ricas ist von Armut, Arbeitslosigkeit und schlechter medizinischer Versorgung geprägt. Für viele ist die Arbeit in transnationalen Unternehmen oder ein Arbeitsplatz in der Hauptstadt die einzige Möglichkeit, die eigene Familie zu ernähren. Im Cantón Buenos Aires, in dem neben Térraba drei weitere indigene Gruppen leben, lässt Del Monte in großem Maßstab Ananas anbauen. Dennoch ist Buenos Aires die zweitärmste Region Costa Ricas. Befürworter_innen des Staudammprojektes hoffen daher auf die wirtschaftliche Entwicklung, die Del Monte versprochen hatte: Arbeitsplätze, Infrastruktur, Wohlstand. Das ICE weiß um diese Hoffnungen und propagiert „Diquís“ als Garant für eine bessere Zukunft der Region. Gleichzeitig warnt das ICE vor landesweiten Stromausfällen, sollte der Staudamm nicht in Betrieb genommen werden können. Es darf daher zumindest angezweifelt werden, ob die nun anstehende Befragung den internationalen Standards entspricht oder ob sie in eine Propagandaschlacht ausarten wird, bei der das ICE am längeren Hebel sitzt.
In Térraba hat sich bereits eine tiefe Spaltung zwischen Befürworter_innen und Gegner_innen des Staudammes vollzogen. Selbst Indigene, die seit langem in der Bewegung aktiv sind, wollen inzwischen die Befragung dazu nutzen, bessere Bedingungen mit dem ICE auszuhandeln. Es herrscht eine Mischung aus Misstrauen, Verwirrung und Desinformation. Fabian Flores aus Térraba macht dafür auch das ICE verantwortlich: „Viele Mitglieder unserer Gemeinde sind nicht richtig informiert, weil das ICE sich nicht die Zeit genommen hat, das Vorhaben verständlich zu erklären.“
Enrique Rivera versteht nicht, weshalb manche sich sichere Arbeitsplätze durch den Staudamm erhoffen, da diese nur kurzfristig während der Bauarbeiten vorhanden wären. „Andere wiederum wollen das Projekt unterstützen, wenn es dafür bessere Schulen, Straßen und medizinische Versorgung gäbe. Aber müssen diese eigentlich selbstverständlichen Dinge durch die Zerstörung eines Flusses erkauft werden?“
Eine Ironie der Geschichte ist, dass „Diquís“ ein Wort in der Sprache der Teribe ist. Es bedeutet fließendes Wasser.

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