El Salvador | Nummer 341 - November 2002

ÄrztInnen als Stein im Privatisierungsschuh

Streiks im Gesundheitswesen gegen geplante Privatisierungen

Vor drei Jahren hat das Gesundheitspersonal durch massive Streiks die geplante Privatisierung und den Leistungsabbau im Gesundheitswesen abgewendet. Von den runden Tischen und anderen Verhandlungsgremien ist nicht viel geblieben. Im Gegenteil, auf einen Warnstreik im September reagierte die Regierung mit Kündigungen, was das Fass zum Überlaufen brachte und zu landesweiten Streiks im Gesundheitssektor führte. Einen Monat nach Streikausbruch ist noch offen, wie der jetzige Streik ausgehen wird.

Franco Weiss

Vor drei Jahren lag in El Salvador das Gesundheitswesen lahm. Das Gesundheitspersonal, allen voran die ÄrztInnen, bestreikte öffentliche Hospitäler und Einrichtungen des staatlichen Sozialversicherungsinstituts (ISSS). An einem Tag machten sie sogar die Läden ihrer Privatkliniken dicht. Ein polizeilicher Tränengaseinsatz gegen Pflegepersonal und PatientInnen auf einer Hauptverkehrsachse in der Hauptstadt, bei dem auch gleich das danebenliegende Krankenhaus eingenebelt wurde, löste große Empörung in der Bevölkerung aus. Die Regierung gab schließlich nach, wenn auch nur scheinbar. Über 200 Entlassene sollten wieder eingestellt und ein runder Tisch zur Diskussion der Gesundheitsreform eingerichtet werden. Der Ausgang des Streikes wurde als Sieg für die Linke bewertet und war mit ein Faktor für das überraschend gute Abschneiden der FMLN bei den Kommunal- und Parlamentswahlen im Jahr 2000.
Aber nicht alles was glänzt, ist Gold. Den Entlassenen wurden Arbeitsplätze unter ihrer Qualifikation oder an weit entfernten Orten angeboten und während am runden Tisch gelegentlich diskutiert wurde – ohne zu konkreten Beschlüssen zu kommen – gingen die Treffen mit Weltbank und Konsorten weiter. Ein neuer Weltbankkredit für die Modernisierung des Gesundheitswesens stand kurz vor der Bewilligung. Neben dem, nach den Erdbeben des vergangenen Jahres sicher dringenden Wiederaufbau von Krankenhäusern beinhaltete dieser auch Privatisierungen im Gesundheitssektor, was die Verabschiedung im Parlament bislang an den Stimmen der FMLN und anderer Oppositionsparteien scheitern ließ (siehe LN 339/340).

Landesweite Streiks

Seit September gibt es im Gesundheitswesen kleine aber effektive Streiks, die der Regierung zu schaffen machen. Auslöser war ein Warnstreik eines Teils des Personals des Sozialversicherungsinstituts für bessere Arbeitsbedingungen und gegen die externe Vergabe von Leistungen wie Bewachung, Küche, Wäscherei und auch Gallenoperationen, die die Leitung mit Kündigungen beantwortete. Dies bewegte die ÄrztInnengewerkschaft dazu, sich am kommenden Tag solidarisch mit den Streikenden zu erklären.
Statt flächendeckenden Maßnahmen setzen die GewerkschafterInnen auf Nadelstiche, was im hochzentralisierten Gesundheitswesen von El Salvador äußerst effektiv ist. So wurde der am 19. September im Krebskrankenhaus begonnene Streik erst nach und nach auf andere Krankenhäuser und periphere Gesundheitszentren der Sozialversicherung ausgedehnt.
Am 27. September übergab das Personal die Verantwortung für das Krankenhaus und die PatientInnen an die Direktion und verließ geschlossen, bis auf minimales Personal, das Krebskrankenhaus. Am selben Tag trat die Belegschaft des größten öffentlichen Krankenhauses des Landes in einen vierstündigen Solidaritätsstreik. Das Personal des „Rückgrates der Sozialversicherung – so eine lokale Zeitung – verließ die medizinisch-chirurgische Klinik etappenweise bis zum 4. Oktober, während das Krankenhaus in der zweitgrößten Stadt Santa Ana sich dem Streik anschloss und nurmehr Notfälle betreut. Aussagen über die Irrfahrten von PatientInnen lassen den Schluss zu, dass von den Medien die Befolgung des Streikes in vielen kleinen Gesundheitszentren der Sozialversicherung verschwiegen wird. In den Tagen darauf haben die ÄrztInnen das Geburtshaus mit dem schönen Namen „1. Mai“ an deren Direktorin übergeben. Das Lungenkrankenhaus und das Rehabilitationszentrum folgten, ebenso wie die Krankenhäuser in verschiedenen Provinzen.

ÄrztInnen als zentrale Figuren

Das ÄrztInnen bei den Streiks eine zentrale Rolle spielen, hat vielleicht damit zu tun, dass ein Großteil von Ihnen an der nationalen Universität ausgebildet wurde, an der trotz Krieg und finanzieller Austrocknung durch die Regierung, ein gewisser Qualitätsstandard eingehalten wurde. Vielleicht aber auch einfach damit, dass die Zustände im Gesundheitswesen unhaltbar geworden sind. Vor allem das ISSS, genährt durch die Beitragszahlungen der Lohnabhängigen, glänzt durch Korruption und Ineffizienz.
Das wichtigste Krankenhaus der Institution ist nach wie vor in einem Provisorium untergebracht, das nach dem Erdbeben 1986 erstellt wurde. Relativ überraschend haben sich die als ständebewusst geltenden ÄrtzInnen zum ersten Mal konsequent auf die Seite der Streikenden gestellt. So saßen sich am Verhandlungtisch mit einem Mal Personen gegenüber, die sich aus der Studienzeit kannten und die bei einer Kündigungsdrohung elegant abwinken und auf ihre Privatklinik verweisen konnten. Im Gegensatz zu anderen Arbeitsniederlegungen, die in der Vergangenheit zum Anlass für massive Kündigungen genommen wurden, fordern die Regierungsvertreter die Streikenden diesmal immer wieder auf, an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren.
Die Regierung war bislang unfähig auf die Übergabe der Krankenhäuser eine Antwort zu finden. Der Aktionsplan unter Einbezug des Militärkrankenhauses funktioniert kaum und das öffentlich zugängliche Gesundheitswesen ist chronisch überlastet. Die meisten ÄrztInnen weigern sich als Streik-brecherInnen zu arbeiten und Spe-zialistInnen sind mehr als rar im Land.

Diktator im Demokratiemäntelchen

Dennoch weigert sich die Regierung weiterhin Verhandlungen aufzunehmen. Präsident Flores legte den Streik schlicht und einfach als Vorwahlstrategie der Linken aus und verkündete, dass vor den Wahlen – die allerdings leider erst in 5 Monaten stattfinden – gar nichts zu machen sei. Ansonsten versicherte er, gar keine Krankenhäuser verkaufen zu wollen, den feinen Unterschied wohlweislich vergessend, dass davon gar nie die Rede war, sondern von den Dienstleistungen, die darin erbracht werden.
Der Präsident setzte noch einen drauf. Überraschend kündigte er nach einem Monat Streik einen Vorschlag zur Gesetzesänderung des Sozialversicherungswesens an. Ohne jeglichen Dialog mit den ÄrztInnen und in wenigen Tagen aus dem Boden gestampft, sollte der Vorschlag, der laut dem Ärz-tInnengremium von neun regierungsnahen Koryphäen an einem Nachmittag ausgearbeitet wurde, noch in derselben Woche vom Parlament verabschiedet werden. Zwar kam die dafür notwendige Zweidrittelmehrheit nicht zu Stande und das Geschäft wurde an die entsprechende Komission verwiesen, aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben.

Der Präsident verspricht Märchen

Konkret versprach der Präsident so etwas ähnliches wie ein Märchen. Die Beitragszahlungen sollten nicht ansteigen und der Markt der AnbieterInnen auch für Private geöffnet werden, welche dieselben Leistungen wie das ISSS anbieten müssten. Zusätzlich sollten Kinder der BeitragszahlerInnen nicht wie bislang bis zum Alter von sechs Jahren, sondern bis zwölf Jahren mit abgedeckt sein. Der Beitritt sollte auch für Hausangestellten und LandarbeiterInnen geöffnet werden. Doch im Wesentlichen geht es um die Privatisierung der Sozialversicherung, die trotz aller Ineffizienz technische Reserven von 240 Millionen US-Dollar angehäuft hat und im Bereich Intensivmedizin den Vergleich mit den übermäßig teuren Privatkrankenhäusern nicht zu scheuen braucht. Wenn die KundInnen teilweise zu privaten Anbietern wechseln würden (nur ein Wechsel pro Jahr ist gestattet), würde dies das staatliche Angebot ausbluten und mittelfristig die komplette Privatisierung des Angebots mit den anschließenden Preissteigerungen nach sich ziehen. Während die Ausdehnung des Angebots für Kinder bis zu zwölf Jahren machbar ist, da diese Altersstufe relativ wenig Krankheitskosten verursacht, ist die Eingliederung von Hausangestellten oder LandarbeiterInnen nicht viel mehr als ein Hirngespinst. Niemand, der unter der Armutsgren-ze lebt, ist damit einverstanden 10,5 Prozent seines unzureichenden Lohns an eine Versicherung abzuführen, wenn daneben ein weitgehend kostenloses staatliches Gesundheitswesen existiert.

Gegen weitere Privatisierung

Dass die Erklärungsversuche der Regierung im Stil des Kalten Krieges, trotz der opportunen Solidaritätserklärung der FMLN mit dem Streik, zu kurz greifen, bezeugt auch eine Meinungsumfrage: 77 Prozent der Befragten sprachen sich gegen die Privatisierung des Gesundheitswesens aus. Trotz Medienbombardement und Re-gierungspropaganda scheint in der Bevölkerung ein diffuses Bewusst-sein zu herrschen, dass es im Falle von Privatisierung und Konzessionierung nur noch schlimmer kommen könnte. Dabei haben die Menschen die Privatisierung des Stroms und des Telekommarktes vor Augen, der neben geringen Leistungsverbesserungen vor allem eine mehrhundertprozentige Preissteigerung mit sich brachte.

Weiterer Druck ist nötig

Die Haltung des Personals in den öffentlichen Krankenhäusern, die sich dem Streik für 2 Tage mit der Drohung angeschlossen haben, diesen unbefristet weiterzuführen, wird in diesem Fall eine entscheidende Rolle spielen. Auch das Pflegepersonal des Sozialversicherungsintituts hat bislang erst mit einer Protestdemo auf sich aufmerksam gemacht, wobei auch hier Drohungen laut wurden, die Arbeit einzustellen. Somit hat das Gesundheitspersonal noch einige Pfeile im Köcher, während die Diskussion in der zuständigen Parlamentskomission sicherlich einige Wochen in Anspruch nehmen wird und den verschiedenen Gruppen Gelegenheit bietet, ihren Standpunkt darzulegen. Vor allem auch deshalb, weil der Kommissionsvorsitz in der Hand der FMLN liegt.
Allerdings ist klar, dass nur massiver sozialer Druck in der Lage ist, die Regierung zum Rückzug zu bewegen. So wie es vor drei Jahren in El Salvador im Gesundheitswesen möglich gewesen ist. Die Einheit des Gesundheitspersonals und das Wissensmonopol der Ärz-tInnen sind die großen Pluspunkte der Streikenden und somit die Chancen dem feisten Präsidenten und seinen neoliberalen Kumpanen das Lachen und das Klingeln in der Kasse zu verderben.

KASTEN:
Schrei der Ausgeschlossenen

Statt am 12. Oktober die so genannte Entdeckung feierlich zu begehen, die seit 1992 euphemistisch „Begegnung zweier Kulturen” genannt wird, hatten in El Salvador tausende anderes im Sinn. Dezentral wurde an dutzenden von Orten für einige Stunden die Straßen gesperrt, Brücken und verschiedene Zollstationen blockiert. Statt ihrer Entdeckung zu huldigen, sprachen sich die Menschen gegen die neue Kolonialisierung durch Freihandelsverträge wie ALCA und Plan Puebla-Panamá aus und vergaßen auch nicht, sich mit den Streikenden der Sozialversicherung solidarisch zu erklären.
Angesichts der Tatsache, dass noch vor drei Jahren niemand in El Salvador fundierte Kritik am Freihandel anbringen konnte und die Bilder aus Seattle, Prag, Göteborg und Genua vor allem Fragezeichen auf die Gesichter der ZuschauerInnen malten, ist diese Mobilisierung als ein Hoffnungsschimmer zu sehen. Die neuzeitlichen Cäsaren sehen sich auch hier in Zentralamerika unverhofft den Ausgeschlossenen gegenüber.


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