Agonie auf dem Acker
Eine Reform soll den Niedergang des Agrarsektors in Kuba stoppen
„Riceland“ steht in dicken Ländern auf dem Nylonsack, der dekorativ an einer Glasvitrine am Messestand lehnt. Das Unternehmen aus Arkansas mit dem klangvollen Namen „Riceland Foods“ ist der weltgrößte Reislieferant und wie selbstverständlich auf der internationalen Messe von Havanna vertreten. Wie in den Jahren zuvor fahren die Amerikaner auch in diesem Jahr mit anständig gefüllten Auftragbüchern nach Hause. Die kubanische Importagentur „Alimport“ soll auf der Messe Lebensmittel für einige hundert Millionen US-Dollar geordert haben. Die USA erhalten dabei einen großen Anteil, denn seit einigen Jahren sind die Unternehmen aus Arkansas, Nebraska, Minnesota und Co. die wichtigen Lebensmittellieferanten Kubas.
Schon 2007 kamen Lebensmittel für 582 Millionen US-Dollar aus dem Land des Klassenfeindes. Somit entfiel rund ein Drittel der etwa 1,7 Milliarden US-Dollar, die Kuba offiziellen Zahlen zufolge für den Einkauf von Lebensmitteln im letzten Jahr aufwenden musste, auf die USA. Im noch laufenden Jahr wird es noch deutlich mehr sein, denn bereits im ersten Halbjahr 2008 orderte Pedro Alvárez, Direktor von „Alimport“, Nahrungsmittel für 425 Millionen US-Dollar. So hat es Kubas oberster Compañero Fidel Castro in einer seiner Kolumnen Anfang Oktober geschrieben und zugleich prognostiziert, dass Kuba noch weitaus mehr importieren müsse. Verantwortlich dafür machte er die „schlimmste Katastrophe in Kubas Geschichte“ – die von den beiden Hurrikanen „Gustav“ und „Ike“ verursachten Schäden von knapp zehn Milliarden US-Dollar.
Doch diese Schäden, von denen etwa 45 der insgesamt 169 Gemeinden Kubas betroffen sind, haben die Krise der Landwirtschaft nur vertieft, nicht verursacht. Auf den Feldern der Insel herrscht schon seit langer Zeit Agonie, was durch sinkende Produktionsquoten belegt wird. Bereits Mitte der achtziger Jahre stimmte das Verhältnis zwischen In- und Output in der Landwirtschaft nicht mehr. „Immer mehr Dünge- und Schädlingsbekämpfungsmittel wurden eingesetzt, doch die Böden geben immer weniger her“, erklärt Nilda Pérez, Wissenschaftlerin an der Agraruniversität von Havanna. Sie warb deshalb schon früh für die Produktion von Schädlingsbekämpfungsmitteln auf biologischer Basis. Pérez gehört zu den SpezialistInnen, welche die abnehmende Produktivität im landwirtschaftlichen Sektor auf ein ganzes Bündel von Defiziten zurückführen. Da ist die rückläufige Bodenqualität, hervorgerufen durch Überdüngung und Bodenverdichtung infolge des Einsatzes immer größerer Erntemaschinen. Es ist aber auch das zugrunde liegende Agrarkonzept, das sich auf große Betriebe mit großen Flächen und einem Heer von LandarbeiterInnen stützte.
Doch das grundsätzliche Problem sahen Kubas AgrarwissenschaftlerInnen schon damals in den riesigen Flächen und der fehlenden Bindung zum Boden, so Armando Nova. Als „Entfremdung vom Boden“ hat der Experte des Forschungsinstituts der kubanischen Wirtschaft (CEEC) das bezeichnet. Seit Jahren beschäftigt sich Nova mit dem notwendigen Umbau des ehemals wichtigsten kubanischen Wirtschaftssektors. „Rund zwanzig Prozent der vier Millionen erwerbstätigen Kubaner arbeiten offiziellen Statistiken zufolge heute noch in der Landwirtschaft. Bis Ende der 80er Jahre war der Agrarsektor mit der allgegenwärtigen Zuckerindustrie der Motor der kubanischen Wirtschaft. Heute sind wir manchmal gezwungen Zucker zu importieren“, erzählt Nova – ein symbolträchtiges Beispiel für den Niedergang des zuckerzentrierten Wirtschaftsmodells. Der Zuckerproduktion war noch bis Mitte der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts quasi alles untergeordnet. Schon damals hatte man jedoch mit rückläufigen Erträgen pro Hektar zu kämpfen und verlor peu à peu den Anschluss an die Konkurrenz aus Thailand, Mexiko, Brasilien oder Australien. „Nicht nur weil die Lieferung von Dünge- und Schädlingsbekämpfungsmitteln mit dem Zusammenbruch der sozialistischen Staatengemeinschaft ins Stocken kam, sondern auch weil die Anlagen veraltet und die Bauern schlicht kaum motiviert waren“. Ein Problem, an dem sich bis heute wenig geändert hat, denn alle Reformen der letzten 15 Jahre im Agrarsektor haben kaum Früchte getragen.
Die Nahrungsmittelproduktion auf Kuba ist in vielen Bereichen seit Jahren rückläufig. Auch die mageren Zuwächse von 2007 können kaum darüber hinwegtäuschen. Wer über die Insel fährt, dem fallen nicht nur die klapprigen, abgemagerten Kühe, sondern auch die weitläufigen Brachflächen und die wenigen Menschen auf den Feldern auf. Lethargie ist weit verbreitet und selbst in den fruchtbaren Bergen und Hügeln der Sierra de Escambray, in der Nähe Trinidads, herrscht vor allem eines: Langeweile. Das bestätigt auch Mariano Hernández von der Kaffee-Kooperative Luís Lara. Die liegt dreißig Kilometer von Trinidad entfernt und aus der Region kommt ein qualitativ hochwertiger Kaffee. Von der Kooperative jedoch immer weniger, wofür Mariano Hernández letztlich den Staat verantwortlich macht: „Bei uns fehlt es an allem. Wir erhalten kaum Material, kein Werkzeug und oftmals kommen selbst die Dünge- und Schädlingsbekämpfungsmittel zu spät.“
Der 48-jährige Hernández gibt sich keinen Illusionen hin, dass es in absehbarer Zeit besser wird. „Wenn ich nicht zumindest die Lebensmittel für meine Familie auf dem Land meines Vaters anbauen würde, hätte ich keine Chance mit meinem Lohn über die Runden zu kommen“, schimpft er. 250 Peso Nacional erhält er und muss doch viele Produkte wie Shampoo, Seife oder Speiseöl, die es auf dem nationalen Markt nur selten gibt, in der Devisentienda einkaufen. Dort bekommt man alles für den CUC, den konvertiblen Peso, doch Mariano erhält wie alle KubanerInnen seinen Lohn im Peso Nacional. Eins zu 24 lautet der Wechselkurs, und wer nicht genug verdient, erschließt sich zusätzliche Einkommensquellen. Lebensmittel vom Feld seines Vaters und hin und wieder einige Liter Diesel, die er abzweigt, verkauft Mariano. In seiner Kooperative machen das alle so. Alltag in Kuba und nicht nur Hernández ist genervt von den Bedingungen unter denen er arbeiten soll. Da haben es die Privatbauern, die in Kuba einzeln und in Eigentümergenossenschaften rund zwanzig Prozent des Ackerlands bewirtschaften, schon besser. Die sind zwar auch gehalten an den Staat zu verkaufen und müssen sich mit vielen Vorschriften herumquälen, aber immerhin können sie einen Teil der Produktion zu freien und durchaus attraktiven Preisen auf den Bauernmärkten verkaufen. Das dürfen Hernández und seine Compañeros von der Kooperative Luís Lara nicht, denn Kaffee ist ein Produkt, das allein Vater Staat vertreiben und verkaufen darf. Zusatzeinkünfte sind also für viele Kooperativen, die seit 1993 große Teile der staatlichen Flächen als Produktionsgenossenschaften (UBPC) bewirtschaften, kaum zu machen – entsprechend schlapp ist die Motivation in Cordobanal. So heißt das Dorf von Traktorist Hernández und dort ist auch das Interesse gering, zusätzliches Land vom Staat zum Anbau von Lebensmitteln zu übernehmen.
„Wer garantiert uns denn die Belieferung mit den nötigen Produktionsmitteln, und wer garantiert uns, dass wir die Früchte unserer Arbeit auch ernten können?“ fragt der Hernández misstrauisch. Das Misstrauen hat durchaus seinen Grund, denn viele der Reformen in der Landwirtschaft hatten aus Sicht der Privatbäuerinnen und -bauern und der LandarbeiterInnen einen Haken. Während die einen darüber klagen, dass es keine freien Märkte für landwirtschaftliche Produktionsmittel, ob Maschinen, Saatgut, Düngemittel oder Machete und Spaten, gibt, monieren die anderen die niedrigen Löhne und die fehlende Ausstattung der Genossenschaften. Ein Teufelskreis, der dazu geführt hat, dass der Schwarzmarkt für Produktionsmittel blüht, aber viele der halbstaatlichen Genossenschaften längst ausgeblutet sind.
Überschuldung, unzureichende Bestellung der Böden und Abwanderung prägen viele Regionen der Insel. Nicht nur in den Provinzen, in denen 2002 große Zuckerrohranbauflächen für den Anbau von Nahrungsmitteln bereitgestellt wurden, ist der Anteil an brachliegenden Flächen groß – auch rund um Städte wie Matanzas oder Cardenas. Dort lebt man heute vom Tourismus und wer kann, tauscht den öden Job in der Landwirtschaft mit dem des Kellners in einem Café oder Restaurant in Varadero. Auch Agrarexperte Armando Nova weiß von Genossenschaften wie der Roberto Fernández Pérez bei Cardenas, die kaum mehr aktive Mitglieder haben, da diese im Service an den Hotelstränden besser verdienen. Die Diskrepanz zwischen Löhnen und Lebenshaltungskosten ist es, die die Jobs in der Landwirtschaft oft unattraktiv machen und daran scheinen auch die jüngsten Reformbemühungen nichts zu ändern, so der Wissenschaftler Nova.
Lange hatte man hinter den Kulissen im Agrarministerium verhandelt und gefeilscht. Mehrfach wurde die bevorstehende Reform, die an den Strukturen ansetzen sollte, in Aussicht gestellt und schließlich im Juli 2008 von Staatschef Raúl Castro höchstpersönlich präsentiert. Doch vom großen Wurf, der die Landwirtschaft endlich wieder auf gesunde Füße stellen sollte, so wie in der Wissenschaft gehofft, blieb die Reform meilenweit entfernt. Entsprechend mau ist auch die Resonanz von Bauern und Bäuerinnen, GenossInnen und LandarbeiterInnen. Bis Anfang Oktober waren im Agrarministerium gerade 52.879 Anträge auf Landzuteilung eingegangen – angesichts von zwei Millionen Hektar zu verteilendem Brachland eine bescheidene Ausbeute. Viel mehr erwartet Armando Nova auch nicht, denn für ihn ist das Gesetz No. 259 viel zu bürokratisch und von abschreckenden Regeln geprägt. Einzig positiv sei, dass man entschieden habe, endlich einen nationalen Markt für Agrarinputs aufzubauen. Die Reform selbst sei aber für die Bauern kaum attraktiv. „Die Bestimmungen sind sehr schwammig, und sie enthalten viele Pflichten, aber wenig Rechte für die Bauern“, so Nova. Ein Manko, das viele der Bauern und Bäuerinnen abschreckt, denn sämtliche Investitionen würden sie auf eigenes Risiko tätigen. „Sicherheiten, das auf zehn Jahre begrenzte Nutzungsrecht zu verlängern, gibt es nicht“, erklärt Nova. Das ist für die Bäuerinnen und Bauern alles andere als attraktiv, und deshalb sind es keine erfahrenen Landwirte sondern Leute aus Kleinstädten, Dörfern und Weilern, die sich auf die maximal 13,43 Hektar von Vater Staat freuen. Kleinbäuerinnen und -bauern, die schon Land bestellen und es produktiv nutzen, hätten sogar durch zusätzliche Flächen auf 40,26 Hektar erweitern können. Doch gerade 32 Prozent der AntragstellerInnen kommen aus der Landwirtschaft, die restlichen 68 Prozent haben hingegen keinen landwirtschaftlichen Hintergrund – eine katastrophale Zwischenbilanz. Für viele AgrarspezialistInnen auf der Insel ist die Reform ein enttäuschender Schlag ins Wasser.
// Bernd Bieberich