„Menschen verschwinden in der Unsichtbarkeit“

Gespräch mit den Aktivist*innen Gabriela Solórzano und Samuel Ramírez

In El Salvador herrscht seit über drei Jahren Ausnahmezustand. Unter dem Vorwand, das Land von Bandenkriminalität zu befreien, werden Grundrechte massiv eingeschränkt, Zehntausende befinden sich ohne Verfahren in Haft und kritische Stimmen geraten zuneh-mend unter Druck. Umweltorganisationen und Menschenrechtsinitiativen sehen sich exis-tenziellen Bedrohungen ausgesetzt. LN haben mit Gabriela Solórzano, feministische Umweltaktivistin von der Asociación de Mujeres Ambientalistas de El Salvador (AMAES), und Samuel Ramírez, Koordinator des Movimiento de Víctimas del Régimen de Excepción (MOVIR), gesprochen. Beide berichten im September bei einer Rundreise durch Deutschland über die Situation in ihrem Land. 

Interview von Antonia Rodriguez
Bergbau raus Gabriela Solórzano setzt sich für Umwelt und Menschenrechte ein (Foto: privat)

Samuel, wie ist MOVIR entstanden und was macht ihr heute?
Samuel: MOVIR ist aus der Verzweiflung vieler Familien heraus entstanden. Nach Beginn des Ausnahmezustands suchten sie nach Hilfe, weil Angehörige ohne Verfahren und ohne Beweise festgenommen wurden – oft junge Menschen aus armen Gemeinden, die schon zuvor Opfer von Bandengewalt waren. Offizielle Stellen reagierten nicht, Menschenrechtsinstitutionen waren überlastet, also haben wir uns organisiert. Heute begleiten wir Betroffene rechtlich, leisten Öffentlichkeitsarbeit und dokumentieren Menschenrechtsverletzungen. Unsere stärkste Waffe ist die öffentliche Anklage – weil Justiz und Institutionen in El Salvador nicht mehr für die Opfer arbeiten, sondern für das Regime. Wenn wir nicht laut sind, verschwinden die Menschen wortwörtlich in der Unsichtbarkeit.

Gabriela, auch im Umweltbereich hat sich die Lage dramatisch verschlechtert. Was ist AMAES und wofür kämpft ihr?
Gabriela: AMAES ist ein Zusammenschluss von Frauen, die Umwelt und Territorien verteidigen – mit einem klaren feministischen und antikolonialen Blick. Wir kämpfen gegen Umweltzerstörung und insbesondere gegen den Bergbau, dessen Wiedereinführung eine enorme Bedrohung für Gemeinden und Ökosysteme darstellt. Unsere Wasserressourcen und Lebensgrundlagen sind akut bedroht. Frauen in ländlichen Gebieten tragen die Hauptlast dieser Krisen – und sie sind zugleich diejenigen, die Lösungen entwickeln, die viel zu selten gehört werden. Aber seit 2019 hat sich der Handlungsspielraum für uns dramatisch verkleinert: Kritische Stimmen werden kriminalisiert, unsere Teilnahme an politischen Prozessen wird blockiert, und viele unserer Mitstreiterinnen haben Angst, sich überhaupt noch öffentlich zu zeigen.

Wie kann man sich in einem Klima der Angst organisieren?
Samuel: Wir setzen auf Transparenz und Solidarität. So kann uns niemand vorwerfen, im Verborgenen zu arbeiten. Wir arbeiten rund um die Uhr ehrenamtlich, und wir haben gelernt, unsere Netzwerke vor allem über soziale Medien zu stärken. Das Regime versucht, uns als „Verteidiger von Kriminellen“ zu diffamieren, aber wir haben über 5.000 registrierte Opferfamilien, deren Unschuld wir belegen können. Unser Ziel ist einfach: Freiheit und Gerechtigkeit für Unschuldige.
Gabriela: Für uns ist Vernetzung und Austausch über Grenzen hinweg zentral. Repression schränkt die lokale Arbeit enorm ein, viele Frauen haben Angst, sich zu zeigen. Aber wir setzen weiter auf regionale und internationale Bündnisse, um Druck aufzubauen – und auch, um uns gegenseitig Hoffnung zu geben. Internationale Aufmerksamkeit und Druck sind das, was uns schützt und was dem Regime zeigt, dass wir nicht isoliert sind.

Was erwartet ihr von eurer Rundreise durch Deutschland?
Gabriela: Wir wollen, dass Menschen hier die Realität in El Salvador verstehen: Autoritarismus in El Salvador zerstört nicht nur Leben, er zerstört auch Umwelt, soziale Bewegungen und Zukunftsperspektiven. Solidarität von außen – Zuhören, Öffentlichkeit schaffen, politische Unterstützung – ist für uns in diesem Moment überlebenswichtig.
Samuel: Ich werde klar sagen: El Salvador ist heute eine Diktatur. Es ist nötig, dass die internationale Gemeinschaft hinsieht, Druck macht und uns nicht vergisst. Jede Solidarität, jede kritische Stimme aus dem Ausland ist ein Signal an das Regime, dass es nicht unbeobachtet handeln kann. Und ich hoffe, dass wir in Deutschland viele Menschen finden, die bereit sind, hinzusehen und sich zu engagieren.


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